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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.

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Die deutsche Weltpolitik

Völkerfrühling brach an, und allenthalben regten sich die Kräfte, die sich all
mählich von der Fessel ständischen und dynastischen Eigennutzes lösten, zu
emsigen Schaffen. Nun ist den Völkern ihr Erdteil zu klein geworden, ihr
Feld wird die Welt.

Die Wechselwirkung politischer und geistiger Verhältnisse mit den wirt¬
schaftlichen ist unverkennbar in der Geschichte der Völker, besonders des deutschen
Volks. Wirtschaftliche Kraft schafft dein Volke auch politische Macht; wie sich
die Körperkraft aber nur entwickelt, wenn die Muskeln frei gehalten sind von
Druck und Beschränkung, so kann wirtschaftliche Kraft nur entstehn, wenn sich
die Kerntruppe der Arbeit, das Bürgertum, regen darf im Reiche des Geistes und
sich frei fühlen darf von der Bevormundung außenstehender Kreise. Politische
und geistige Freiheit sind also die Grundbedingung wirtschaftlicher Entfaltung,
und diese wiederum ist der Grundstock politischer Weltmachtstellung. Ungesund
ist das Staatswesen, dessen Blüte nicht aus dem freien Spiel der Kräfte seiner
Bürger hervorgegangen ist. Das Reich Ludwigs XIV. war machtvoll, aber
die Zeit des Glanzes war kurz, eine künstliche Schöpfung des Absolutismus;
das Volk nahm nicht an ihr teil, es war politisch tot, und die Intelligenz
rettete sich in freiere Länder. Das spanische Weltreich hatte keinen Bestand, denn
seine Bewohner waren geistig nicht frei, das Wirtschaftsleben erstickte unter
dem Mantel des Klerikalismus; aber das großbritannische Reich wuchs mächtig
empor, weil es auf der politischen und geistigen Freiheit seiner Bürger ge¬
gründet ist, und das deutsche Volk stieg empor, seitdem auch ihm diese Gabe
zu teil wurde. Die Weltpolitik ist wesenlos und hinfällig, der nicht die innere
Politik Kraft und Dauer verleiht. Wer in Wahrheit die deutsche Weltpolitik
will, der muß auch die Konsequenzen aus diesem Bekenntnis ziehn. Begeiste¬
rung und schwungvolle Phrasen sind billig. Weltpolitik und Kolonien sind
keine Spielerei, die man zum Zeitvertreib mitmacht, und für die ein naiver
Patriotismus genügt, sondern sie sind ein ernstes Geschäft, eine volkswirtschaft¬
liche Unternehmung, bei der Wollen und Können im richtigen Verhältnis stehn
müssen, bei der die Begeisterung unfruchtbar, kühle Berechnung allein wertvoll
ist. Wer hinaus will, eine deutsche Welt schaffen, der sorge zuerst, daß daheim
alles in Ordnung ist, damit der Feind im Hanse nicht die Brücke zerstöre
zwischen dem deutschen Feld in der Welt draußen und der deutscheu Burg
daheim. Der deutschen Weltpolitik sind bei uns scheltende Nörgler aller Art
erstanden, sie sind nicht gefährlich; Hunde, die bellen, beißen nicht. Die wirk¬
lichen Feinde der deutschen Weltpolitik zeigen ihr wahres Gesicht nicht, sie
sind darum um so gefährlicher; es sind die Kreise, die die deutsche Arbeit be¬
drohn durch politische und geistige Hemmung. Wer als dringendste Frage des
deutschen Volks die Schaffung einer deutschen Welt erachtet, der muß dieser
Überzeugung sein innerpolitisches Programm anpassen, insonderheit darf der, der
sich selbst erkor, Führer seines Volks über das zukunftsreiche Wasser zu sein,
seine Augen nicht allein und einzig in die Ferne richten, er muß auch wieder der
innern Politik Direktiven geben. Die Politik eines Volks, die innere und die


Die deutsche Weltpolitik

Völkerfrühling brach an, und allenthalben regten sich die Kräfte, die sich all
mählich von der Fessel ständischen und dynastischen Eigennutzes lösten, zu
emsigen Schaffen. Nun ist den Völkern ihr Erdteil zu klein geworden, ihr
Feld wird die Welt.

Die Wechselwirkung politischer und geistiger Verhältnisse mit den wirt¬
schaftlichen ist unverkennbar in der Geschichte der Völker, besonders des deutschen
Volks. Wirtschaftliche Kraft schafft dein Volke auch politische Macht; wie sich
die Körperkraft aber nur entwickelt, wenn die Muskeln frei gehalten sind von
Druck und Beschränkung, so kann wirtschaftliche Kraft nur entstehn, wenn sich
die Kerntruppe der Arbeit, das Bürgertum, regen darf im Reiche des Geistes und
sich frei fühlen darf von der Bevormundung außenstehender Kreise. Politische
und geistige Freiheit sind also die Grundbedingung wirtschaftlicher Entfaltung,
und diese wiederum ist der Grundstock politischer Weltmachtstellung. Ungesund
ist das Staatswesen, dessen Blüte nicht aus dem freien Spiel der Kräfte seiner
Bürger hervorgegangen ist. Das Reich Ludwigs XIV. war machtvoll, aber
die Zeit des Glanzes war kurz, eine künstliche Schöpfung des Absolutismus;
das Volk nahm nicht an ihr teil, es war politisch tot, und die Intelligenz
rettete sich in freiere Länder. Das spanische Weltreich hatte keinen Bestand, denn
seine Bewohner waren geistig nicht frei, das Wirtschaftsleben erstickte unter
dem Mantel des Klerikalismus; aber das großbritannische Reich wuchs mächtig
empor, weil es auf der politischen und geistigen Freiheit seiner Bürger ge¬
gründet ist, und das deutsche Volk stieg empor, seitdem auch ihm diese Gabe
zu teil wurde. Die Weltpolitik ist wesenlos und hinfällig, der nicht die innere
Politik Kraft und Dauer verleiht. Wer in Wahrheit die deutsche Weltpolitik
will, der muß auch die Konsequenzen aus diesem Bekenntnis ziehn. Begeiste¬
rung und schwungvolle Phrasen sind billig. Weltpolitik und Kolonien sind
keine Spielerei, die man zum Zeitvertreib mitmacht, und für die ein naiver
Patriotismus genügt, sondern sie sind ein ernstes Geschäft, eine volkswirtschaft¬
liche Unternehmung, bei der Wollen und Können im richtigen Verhältnis stehn
müssen, bei der die Begeisterung unfruchtbar, kühle Berechnung allein wertvoll
ist. Wer hinaus will, eine deutsche Welt schaffen, der sorge zuerst, daß daheim
alles in Ordnung ist, damit der Feind im Hanse nicht die Brücke zerstöre
zwischen dem deutschen Feld in der Welt draußen und der deutscheu Burg
daheim. Der deutschen Weltpolitik sind bei uns scheltende Nörgler aller Art
erstanden, sie sind nicht gefährlich; Hunde, die bellen, beißen nicht. Die wirk¬
lichen Feinde der deutschen Weltpolitik zeigen ihr wahres Gesicht nicht, sie
sind darum um so gefährlicher; es sind die Kreise, die die deutsche Arbeit be¬
drohn durch politische und geistige Hemmung. Wer als dringendste Frage des
deutschen Volks die Schaffung einer deutschen Welt erachtet, der muß dieser
Überzeugung sein innerpolitisches Programm anpassen, insonderheit darf der, der
sich selbst erkor, Führer seines Volks über das zukunftsreiche Wasser zu sein,
seine Augen nicht allein und einzig in die Ferne richten, er muß auch wieder der
innern Politik Direktiven geben. Die Politik eines Volks, die innere und die


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[0328] Die deutsche Weltpolitik Völkerfrühling brach an, und allenthalben regten sich die Kräfte, die sich all mählich von der Fessel ständischen und dynastischen Eigennutzes lösten, zu emsigen Schaffen. Nun ist den Völkern ihr Erdteil zu klein geworden, ihr Feld wird die Welt. Die Wechselwirkung politischer und geistiger Verhältnisse mit den wirt¬ schaftlichen ist unverkennbar in der Geschichte der Völker, besonders des deutschen Volks. Wirtschaftliche Kraft schafft dein Volke auch politische Macht; wie sich die Körperkraft aber nur entwickelt, wenn die Muskeln frei gehalten sind von Druck und Beschränkung, so kann wirtschaftliche Kraft nur entstehn, wenn sich die Kerntruppe der Arbeit, das Bürgertum, regen darf im Reiche des Geistes und sich frei fühlen darf von der Bevormundung außenstehender Kreise. Politische und geistige Freiheit sind also die Grundbedingung wirtschaftlicher Entfaltung, und diese wiederum ist der Grundstock politischer Weltmachtstellung. Ungesund ist das Staatswesen, dessen Blüte nicht aus dem freien Spiel der Kräfte seiner Bürger hervorgegangen ist. Das Reich Ludwigs XIV. war machtvoll, aber die Zeit des Glanzes war kurz, eine künstliche Schöpfung des Absolutismus; das Volk nahm nicht an ihr teil, es war politisch tot, und die Intelligenz rettete sich in freiere Länder. Das spanische Weltreich hatte keinen Bestand, denn seine Bewohner waren geistig nicht frei, das Wirtschaftsleben erstickte unter dem Mantel des Klerikalismus; aber das großbritannische Reich wuchs mächtig empor, weil es auf der politischen und geistigen Freiheit seiner Bürger ge¬ gründet ist, und das deutsche Volk stieg empor, seitdem auch ihm diese Gabe zu teil wurde. Die Weltpolitik ist wesenlos und hinfällig, der nicht die innere Politik Kraft und Dauer verleiht. Wer in Wahrheit die deutsche Weltpolitik will, der muß auch die Konsequenzen aus diesem Bekenntnis ziehn. Begeiste¬ rung und schwungvolle Phrasen sind billig. Weltpolitik und Kolonien sind keine Spielerei, die man zum Zeitvertreib mitmacht, und für die ein naiver Patriotismus genügt, sondern sie sind ein ernstes Geschäft, eine volkswirtschaft¬ liche Unternehmung, bei der Wollen und Können im richtigen Verhältnis stehn müssen, bei der die Begeisterung unfruchtbar, kühle Berechnung allein wertvoll ist. Wer hinaus will, eine deutsche Welt schaffen, der sorge zuerst, daß daheim alles in Ordnung ist, damit der Feind im Hanse nicht die Brücke zerstöre zwischen dem deutschen Feld in der Welt draußen und der deutscheu Burg daheim. Der deutschen Weltpolitik sind bei uns scheltende Nörgler aller Art erstanden, sie sind nicht gefährlich; Hunde, die bellen, beißen nicht. Die wirk¬ lichen Feinde der deutschen Weltpolitik zeigen ihr wahres Gesicht nicht, sie sind darum um so gefährlicher; es sind die Kreise, die die deutsche Arbeit be¬ drohn durch politische und geistige Hemmung. Wer als dringendste Frage des deutschen Volks die Schaffung einer deutschen Welt erachtet, der muß dieser Überzeugung sein innerpolitisches Programm anpassen, insonderheit darf der, der sich selbst erkor, Führer seines Volks über das zukunftsreiche Wasser zu sein, seine Augen nicht allein und einzig in die Ferne richten, er muß auch wieder der innern Politik Direktiven geben. Die Politik eines Volks, die innere und die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/328>, abgerufen am 04.07.2024.