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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.

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Englische Suprematie in Afrika

englischen Niederlagen etwas voreilig den Schluß ziehn, daß es mit der Kraft
dieses Reichs start abwärts gehe, so hätten sie vielleicht zu solchem Schluß
ein besseres Recht ans Grund dessen, was wir ans dein parlamentarischen, als
was wir auf dem militärischen Schlnchtfelde soeben erlebe". Man sucht heute
diese das Recht und die Wahrheit verleugnende Haltung beider großen Parteien
dnrch die Behauptung zu beschönigen, es sei gegen die parlamentarische Tradition,
der Regierung während eines unglücklich geführten Kriegs, wahrend einer noch
dauernden Krisis die Unterstützung zu versagen und sie zu stürzen. Aber die
glänzendsten Zeiten des englischen Parlaments zeigen, daß es eine solche
Tradition nicht giebt. Die beiden Pitts, Fox und Burke scheuten sich nicht,
der Regierung auch im Unglück die Wahrheit zu sagen, und hatten den Mut,
die Leitung einer schlechten Sache in bessere Wege zu übernehmen. Die guten
Traditionen Englands verdammen die Haltung des gegenwärtigen Parlaments.

Die Berührung des Befreiungskriegs, ans dem die Vereinigten Staaten
vou Nordamerika entstanden, verleitet dazu, ans die Rolle hinzudeuten, die da¬
mals Frankreich spielte. Ohne die Einmischung Frankreichs Hütte England die
Unabhängigkeit der Amerikaner sicher nicht so bald zugestanden, als es geschah;
ohne die Initiative Frankreichs wäre die große Koalition nicht zustande ge¬
kommen, die den? englischen Übermut damals entgegen trat; ohne den fran¬
zösischen Anstoß hätte Katharina II. nicht den Gedanken erfaßt, diesem Übermut
die bewaffnete Neutralität der Kontiuentalstaaten entgegen zu stellen. Die Be¬
wegung in Frankreich ist auch bellte gegen die englische" Unternehmungen ge¬
richtet. Niemand hat zwischen Port Said und China größere Interessen gegen¬
über England zu verteidigen als Frankreich. Und niemand kann seine Interesse"
dort leichter gegen England verteidige" als Frankreich; denn es ist die einzige
europäische Macht, die vitale englische Interessen zu Lande angreifen tan".
Eben jetzt wird behauptet, England verhandle mit Italien wegen einer mili¬
tärischen Besetzung Ägyptens, die die dortigen Truppen für den afrikanischen
Krieg frei machen solle. Wenn diese Nachricht wahr wäre, so wäre eine solche
Unternehmung Italiens nur denkbar "meer der unmöglichen Voraussetzung, daß
es die Absicht habe, sich dauernd um Stelle Englands in Ägypten festzusetzen.
Denn hinüberzngehn, um Ägypten für England in Schutz zu halten lind dann
wieder fortzugehn, daran kann wohl ernstlich niemand in Italien denken. Eng¬
land gehört bis jetzt, soviel man weiß, noch nicht zum Dreibünde, und Italien
hat denn doch noch einige Rücksicht anf Frankreich zu nehmen.

Die ägyptische Frage zu stellen wäre freilich der Augenblick günstig, soweit
es sich um die nußern politischen Konjunkturen handelt. Mit geringer An-
strengung könnte Frankreich die englische Kriegsmacht in Ägypten beseitigen
und würde mit Frohlocken von den geknechteten, unznfriednen Fellachen und
vielleicht sogar von den sndanesischen Truppe" empfangen werden. Das Unter¬
nehmen müßte für Frankreich verlockend sein. Merkwürdigerweise schiebt sich
aber in die Speichen der augenblicklichen Politik Frankreichs ein Hemmnis,
das zum erstenmal so stark in die politische Geschichte irgend eines Staats
eingreift. Man darf mit einiger Wahrscheinlichkeit annehmen, daß bei allen


Englische Suprematie in Afrika

englischen Niederlagen etwas voreilig den Schluß ziehn, daß es mit der Kraft
dieses Reichs start abwärts gehe, so hätten sie vielleicht zu solchem Schluß
ein besseres Recht ans Grund dessen, was wir ans dein parlamentarischen, als
was wir auf dem militärischen Schlnchtfelde soeben erlebe». Man sucht heute
diese das Recht und die Wahrheit verleugnende Haltung beider großen Parteien
dnrch die Behauptung zu beschönigen, es sei gegen die parlamentarische Tradition,
der Regierung während eines unglücklich geführten Kriegs, wahrend einer noch
dauernden Krisis die Unterstützung zu versagen und sie zu stürzen. Aber die
glänzendsten Zeiten des englischen Parlaments zeigen, daß es eine solche
Tradition nicht giebt. Die beiden Pitts, Fox und Burke scheuten sich nicht,
der Regierung auch im Unglück die Wahrheit zu sagen, und hatten den Mut,
die Leitung einer schlechten Sache in bessere Wege zu übernehmen. Die guten
Traditionen Englands verdammen die Haltung des gegenwärtigen Parlaments.

Die Berührung des Befreiungskriegs, ans dem die Vereinigten Staaten
vou Nordamerika entstanden, verleitet dazu, ans die Rolle hinzudeuten, die da¬
mals Frankreich spielte. Ohne die Einmischung Frankreichs Hütte England die
Unabhängigkeit der Amerikaner sicher nicht so bald zugestanden, als es geschah;
ohne die Initiative Frankreichs wäre die große Koalition nicht zustande ge¬
kommen, die den? englischen Übermut damals entgegen trat; ohne den fran¬
zösischen Anstoß hätte Katharina II. nicht den Gedanken erfaßt, diesem Übermut
die bewaffnete Neutralität der Kontiuentalstaaten entgegen zu stellen. Die Be¬
wegung in Frankreich ist auch bellte gegen die englische» Unternehmungen ge¬
richtet. Niemand hat zwischen Port Said und China größere Interessen gegen¬
über England zu verteidigen als Frankreich. Und niemand kann seine Interesse»
dort leichter gegen England verteidige» als Frankreich; denn es ist die einzige
europäische Macht, die vitale englische Interessen zu Lande angreifen tan».
Eben jetzt wird behauptet, England verhandle mit Italien wegen einer mili¬
tärischen Besetzung Ägyptens, die die dortigen Truppen für den afrikanischen
Krieg frei machen solle. Wenn diese Nachricht wahr wäre, so wäre eine solche
Unternehmung Italiens nur denkbar »meer der unmöglichen Voraussetzung, daß
es die Absicht habe, sich dauernd um Stelle Englands in Ägypten festzusetzen.
Denn hinüberzngehn, um Ägypten für England in Schutz zu halten lind dann
wieder fortzugehn, daran kann wohl ernstlich niemand in Italien denken. Eng¬
land gehört bis jetzt, soviel man weiß, noch nicht zum Dreibünde, und Italien
hat denn doch noch einige Rücksicht anf Frankreich zu nehmen.

Die ägyptische Frage zu stellen wäre freilich der Augenblick günstig, soweit
es sich um die nußern politischen Konjunkturen handelt. Mit geringer An-
strengung könnte Frankreich die englische Kriegsmacht in Ägypten beseitigen
und würde mit Frohlocken von den geknechteten, unznfriednen Fellachen und
vielleicht sogar von den sndanesischen Truppe» empfangen werden. Das Unter¬
nehmen müßte für Frankreich verlockend sein. Merkwürdigerweise schiebt sich
aber in die Speichen der augenblicklichen Politik Frankreichs ein Hemmnis,
das zum erstenmal so stark in die politische Geschichte irgend eines Staats
eingreift. Man darf mit einiger Wahrscheinlichkeit annehmen, daß bei allen


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[0326] Englische Suprematie in Afrika englischen Niederlagen etwas voreilig den Schluß ziehn, daß es mit der Kraft dieses Reichs start abwärts gehe, so hätten sie vielleicht zu solchem Schluß ein besseres Recht ans Grund dessen, was wir ans dein parlamentarischen, als was wir auf dem militärischen Schlnchtfelde soeben erlebe». Man sucht heute diese das Recht und die Wahrheit verleugnende Haltung beider großen Parteien dnrch die Behauptung zu beschönigen, es sei gegen die parlamentarische Tradition, der Regierung während eines unglücklich geführten Kriegs, wahrend einer noch dauernden Krisis die Unterstützung zu versagen und sie zu stürzen. Aber die glänzendsten Zeiten des englischen Parlaments zeigen, daß es eine solche Tradition nicht giebt. Die beiden Pitts, Fox und Burke scheuten sich nicht, der Regierung auch im Unglück die Wahrheit zu sagen, und hatten den Mut, die Leitung einer schlechten Sache in bessere Wege zu übernehmen. Die guten Traditionen Englands verdammen die Haltung des gegenwärtigen Parlaments. Die Berührung des Befreiungskriegs, ans dem die Vereinigten Staaten vou Nordamerika entstanden, verleitet dazu, ans die Rolle hinzudeuten, die da¬ mals Frankreich spielte. Ohne die Einmischung Frankreichs Hütte England die Unabhängigkeit der Amerikaner sicher nicht so bald zugestanden, als es geschah; ohne die Initiative Frankreichs wäre die große Koalition nicht zustande ge¬ kommen, die den? englischen Übermut damals entgegen trat; ohne den fran¬ zösischen Anstoß hätte Katharina II. nicht den Gedanken erfaßt, diesem Übermut die bewaffnete Neutralität der Kontiuentalstaaten entgegen zu stellen. Die Be¬ wegung in Frankreich ist auch bellte gegen die englische» Unternehmungen ge¬ richtet. Niemand hat zwischen Port Said und China größere Interessen gegen¬ über England zu verteidigen als Frankreich. Und niemand kann seine Interesse» dort leichter gegen England verteidige» als Frankreich; denn es ist die einzige europäische Macht, die vitale englische Interessen zu Lande angreifen tan». Eben jetzt wird behauptet, England verhandle mit Italien wegen einer mili¬ tärischen Besetzung Ägyptens, die die dortigen Truppen für den afrikanischen Krieg frei machen solle. Wenn diese Nachricht wahr wäre, so wäre eine solche Unternehmung Italiens nur denkbar »meer der unmöglichen Voraussetzung, daß es die Absicht habe, sich dauernd um Stelle Englands in Ägypten festzusetzen. Denn hinüberzngehn, um Ägypten für England in Schutz zu halten lind dann wieder fortzugehn, daran kann wohl ernstlich niemand in Italien denken. Eng¬ land gehört bis jetzt, soviel man weiß, noch nicht zum Dreibünde, und Italien hat denn doch noch einige Rücksicht anf Frankreich zu nehmen. Die ägyptische Frage zu stellen wäre freilich der Augenblick günstig, soweit es sich um die nußern politischen Konjunkturen handelt. Mit geringer An- strengung könnte Frankreich die englische Kriegsmacht in Ägypten beseitigen und würde mit Frohlocken von den geknechteten, unznfriednen Fellachen und vielleicht sogar von den sndanesischen Truppe» empfangen werden. Das Unter¬ nehmen müßte für Frankreich verlockend sein. Merkwürdigerweise schiebt sich aber in die Speichen der augenblicklichen Politik Frankreichs ein Hemmnis, das zum erstenmal so stark in die politische Geschichte irgend eines Staats eingreift. Man darf mit einiger Wahrscheinlichkeit annehmen, daß bei allen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/326>, abgerufen am 04.07.2024.