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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.

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Englische Suprematie in Afrika

Beziehungen zu ihr zu wünschen, so ist diese Möglichkeit dazu angethan, andre
Gründe hervortreten zu lassen, die unsern Wünschen eine neue, auch für uns
Deutsche unliebsame Richtung geben müssen.

Die englische Suprematie in Südafrika ist die englische Suprematie in
ganz Afrika, etwa Algier und Tunis ausgenommen, und das ist mehr, als auch
das geduldigste Europa würde ertragen können. Diese 300000 holländischen
Bauern kämpfen nicht nur für Recht und Freiheit und Besitz, sie kämpfen für
die wichtigsten Interessen der europäischen Kulturstaaten. Werden die euro¬
päischen Mächte ruhig zusehen, wie sich die Buren, wenn sich das Kriegsglück
wenden sollte, für die Sache Europas opfern? Wird im gegebnen Augen¬
blick die Einigkeit der Vormächte vorhanden sein, die nötig Ware, England an
der Errichtung seiner Gewnlt-Suprematie in Afrika und an der neuen Ver¬
gewaltigung dieser gehetzten Treck-Buren zu hindern? So hoch wir die Kultur¬
kraft Englands schätzen, so nötig uns ihre Erhaltung für die politische Zukunft
Europas erscheint, so müssen Nur doch fürchten, daß sich, wenn einmal der un¬
geheure Machtzuwachs eingeheimst wäre, den diese Suprematie dein Vereinigten
Königreich brächte, dieselbe Mißachtung von Wahrhaftigkeit, Recht und Menschen¬
leben, die wir leider eben in den Verhandlungen der leitenden Körperschaft
dieses Landes haben beobachten können, dieselbe gewaltsame Verfolgung gewinn¬
süchtiger und herrschsüchtiger Pläne, wie sie der Bureukrieg zeigt, auch gegen
andre Völker europäischen Bluts wenden könnten, wenn und sofern sie das Un¬
glück hätten, Großbritannien im Wege zu stehn und die Schwachen zu sein.

Die Haltung dieses Parlaments gegenüber diesem Kriege ist so, daß man
über die Offenheit staunt, mit der jede politische Moral der nationalen Eigen¬
liebe geopfert wird in einem Lande, das sich jederzeit als der Verfechter des
Schwachen gegen den Starken darzustellen liebte. Die Wahrscheinlichkeit ist
gering geworden, daß England die Unternehmungen eines Chamberlain fallen
lassen werde, seit wir gesehen haben, daß von allen Ministern eben dieser Ver¬
anstalter des Kriegs die besten Aussichten hat, aus den Verhandlungen mit
unerschütterter Stellung hervorzugehn. Es ist bezeichnend für den dieses
Parlament und leider auch einen Teil des englischen Volks heute beherrschenden
Geist, daß ein Minister, der in seinen bisherigen Handlungen und in seinen
eben im Unterhause abgegebnen Erklärungen neben offenbaren Unwahrheiten
das stärkste an Jingo zur Schau trügt, was ein heutiger Engländer ungefähr
leisten kann, Aussicht hat, in einem etwa doch kommenden neuen Kabinett der
einzige Minister zu werden, den der öffentliche Unwille nicht hinweggefegt hat.
Als vor mehr als einem Jahrhundert ein Lord North an der Stelle stand,
die heute Lord Salisbury einnimmt, während ein durch ähnliche Unbill wie
der gegenwärtige hervorgerufner Kampf tobte, da standen in den Reihen der
Opposition trotz aller Niederlagen der englischen Heere Männer, die offen den
Krieg verdammten. Aber das England von heute scheint keine Burke, Fox,
Sheridan mehr hervorzubringen; es hatte damals einen Chathcim und hat
heute einen Rosebery! Ein trauriger Vergleich! Und wenn viele aus den


Englische Suprematie in Afrika

Beziehungen zu ihr zu wünschen, so ist diese Möglichkeit dazu angethan, andre
Gründe hervortreten zu lassen, die unsern Wünschen eine neue, auch für uns
Deutsche unliebsame Richtung geben müssen.

Die englische Suprematie in Südafrika ist die englische Suprematie in
ganz Afrika, etwa Algier und Tunis ausgenommen, und das ist mehr, als auch
das geduldigste Europa würde ertragen können. Diese 300000 holländischen
Bauern kämpfen nicht nur für Recht und Freiheit und Besitz, sie kämpfen für
die wichtigsten Interessen der europäischen Kulturstaaten. Werden die euro¬
päischen Mächte ruhig zusehen, wie sich die Buren, wenn sich das Kriegsglück
wenden sollte, für die Sache Europas opfern? Wird im gegebnen Augen¬
blick die Einigkeit der Vormächte vorhanden sein, die nötig Ware, England an
der Errichtung seiner Gewnlt-Suprematie in Afrika und an der neuen Ver¬
gewaltigung dieser gehetzten Treck-Buren zu hindern? So hoch wir die Kultur¬
kraft Englands schätzen, so nötig uns ihre Erhaltung für die politische Zukunft
Europas erscheint, so müssen Nur doch fürchten, daß sich, wenn einmal der un¬
geheure Machtzuwachs eingeheimst wäre, den diese Suprematie dein Vereinigten
Königreich brächte, dieselbe Mißachtung von Wahrhaftigkeit, Recht und Menschen¬
leben, die wir leider eben in den Verhandlungen der leitenden Körperschaft
dieses Landes haben beobachten können, dieselbe gewaltsame Verfolgung gewinn¬
süchtiger und herrschsüchtiger Pläne, wie sie der Bureukrieg zeigt, auch gegen
andre Völker europäischen Bluts wenden könnten, wenn und sofern sie das Un¬
glück hätten, Großbritannien im Wege zu stehn und die Schwachen zu sein.

Die Haltung dieses Parlaments gegenüber diesem Kriege ist so, daß man
über die Offenheit staunt, mit der jede politische Moral der nationalen Eigen¬
liebe geopfert wird in einem Lande, das sich jederzeit als der Verfechter des
Schwachen gegen den Starken darzustellen liebte. Die Wahrscheinlichkeit ist
gering geworden, daß England die Unternehmungen eines Chamberlain fallen
lassen werde, seit wir gesehen haben, daß von allen Ministern eben dieser Ver¬
anstalter des Kriegs die besten Aussichten hat, aus den Verhandlungen mit
unerschütterter Stellung hervorzugehn. Es ist bezeichnend für den dieses
Parlament und leider auch einen Teil des englischen Volks heute beherrschenden
Geist, daß ein Minister, der in seinen bisherigen Handlungen und in seinen
eben im Unterhause abgegebnen Erklärungen neben offenbaren Unwahrheiten
das stärkste an Jingo zur Schau trügt, was ein heutiger Engländer ungefähr
leisten kann, Aussicht hat, in einem etwa doch kommenden neuen Kabinett der
einzige Minister zu werden, den der öffentliche Unwille nicht hinweggefegt hat.
Als vor mehr als einem Jahrhundert ein Lord North an der Stelle stand,
die heute Lord Salisbury einnimmt, während ein durch ähnliche Unbill wie
der gegenwärtige hervorgerufner Kampf tobte, da standen in den Reihen der
Opposition trotz aller Niederlagen der englischen Heere Männer, die offen den
Krieg verdammten. Aber das England von heute scheint keine Burke, Fox,
Sheridan mehr hervorzubringen; es hatte damals einen Chathcim und hat
heute einen Rosebery! Ein trauriger Vergleich! Und wenn viele aus den


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[0325] Englische Suprematie in Afrika Beziehungen zu ihr zu wünschen, so ist diese Möglichkeit dazu angethan, andre Gründe hervortreten zu lassen, die unsern Wünschen eine neue, auch für uns Deutsche unliebsame Richtung geben müssen. Die englische Suprematie in Südafrika ist die englische Suprematie in ganz Afrika, etwa Algier und Tunis ausgenommen, und das ist mehr, als auch das geduldigste Europa würde ertragen können. Diese 300000 holländischen Bauern kämpfen nicht nur für Recht und Freiheit und Besitz, sie kämpfen für die wichtigsten Interessen der europäischen Kulturstaaten. Werden die euro¬ päischen Mächte ruhig zusehen, wie sich die Buren, wenn sich das Kriegsglück wenden sollte, für die Sache Europas opfern? Wird im gegebnen Augen¬ blick die Einigkeit der Vormächte vorhanden sein, die nötig Ware, England an der Errichtung seiner Gewnlt-Suprematie in Afrika und an der neuen Ver¬ gewaltigung dieser gehetzten Treck-Buren zu hindern? So hoch wir die Kultur¬ kraft Englands schätzen, so nötig uns ihre Erhaltung für die politische Zukunft Europas erscheint, so müssen Nur doch fürchten, daß sich, wenn einmal der un¬ geheure Machtzuwachs eingeheimst wäre, den diese Suprematie dein Vereinigten Königreich brächte, dieselbe Mißachtung von Wahrhaftigkeit, Recht und Menschen¬ leben, die wir leider eben in den Verhandlungen der leitenden Körperschaft dieses Landes haben beobachten können, dieselbe gewaltsame Verfolgung gewinn¬ süchtiger und herrschsüchtiger Pläne, wie sie der Bureukrieg zeigt, auch gegen andre Völker europäischen Bluts wenden könnten, wenn und sofern sie das Un¬ glück hätten, Großbritannien im Wege zu stehn und die Schwachen zu sein. Die Haltung dieses Parlaments gegenüber diesem Kriege ist so, daß man über die Offenheit staunt, mit der jede politische Moral der nationalen Eigen¬ liebe geopfert wird in einem Lande, das sich jederzeit als der Verfechter des Schwachen gegen den Starken darzustellen liebte. Die Wahrscheinlichkeit ist gering geworden, daß England die Unternehmungen eines Chamberlain fallen lassen werde, seit wir gesehen haben, daß von allen Ministern eben dieser Ver¬ anstalter des Kriegs die besten Aussichten hat, aus den Verhandlungen mit unerschütterter Stellung hervorzugehn. Es ist bezeichnend für den dieses Parlament und leider auch einen Teil des englischen Volks heute beherrschenden Geist, daß ein Minister, der in seinen bisherigen Handlungen und in seinen eben im Unterhause abgegebnen Erklärungen neben offenbaren Unwahrheiten das stärkste an Jingo zur Schau trügt, was ein heutiger Engländer ungefähr leisten kann, Aussicht hat, in einem etwa doch kommenden neuen Kabinett der einzige Minister zu werden, den der öffentliche Unwille nicht hinweggefegt hat. Als vor mehr als einem Jahrhundert ein Lord North an der Stelle stand, die heute Lord Salisbury einnimmt, während ein durch ähnliche Unbill wie der gegenwärtige hervorgerufner Kampf tobte, da standen in den Reihen der Opposition trotz aller Niederlagen der englischen Heere Männer, die offen den Krieg verdammten. Aber das England von heute scheint keine Burke, Fox, Sheridan mehr hervorzubringen; es hatte damals einen Chathcim und hat heute einen Rosebery! Ein trauriger Vergleich! Und wenn viele aus den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/325>, abgerufen am 04.07.2024.