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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.

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Englische Suprematie in Afrika

Nationalitäten mit Mitteln der Gewalt für etwas ganz Erlaubtes und Mora¬
lisches gilt, und man eben die russische Regierung damit beschäftigt sieht, Recht
und Kultur in Finnland zu vergewaltige". Es wäre eine unschätzbare Frucht
dieses Krieges, wenn sich an ihm das gesunkne sittliche Bewußtsein der enro
Päischeu Völker kräftigte durch die Einsicht, daß das keine wahre Mission eines
Kulturvolks sein könne, die mit unsittlichen, mit kulturwidrigen Mitteln durch¬
geführt wird.

Inzwischen bleibt die englische Regierung bei ihrem Vorhaben, ihre Supre¬
matie in Südafrika zu errichten. Ich habe in dieser Zeitschrift (Heft 4 dieses
Jahrgangs) schon auf die große Bedeutung einer solchen Politik für alle
Staaten hingewiesen, die ein Interesse an der Zukunft von Südafrika und an
den Machtverhältnissen im Indischen Ozean haben. Ein solches Interesse
haben ohne Zweifel nicht nur wir Deutschen, sondern alle Staaten, die jen¬
seits des SnezkanalS Kolonien oder Handelsniederlassungen oder Schiffsverkehr
haben, nicht minder die, denen es daran liegt, daß nicht zugleich mit der See-
Herrschaft in der Südsee und im Indischen Ozean die Goldfelder von Trans¬
vaal in englische Hände übergehn, wodurch leicht zwei Drittel der Goldproduk¬
tion der Erde monopolisiert werden könnten. Macht man sich denn in Europa
Wohl klar, was es heißt, wenn England seine Suprematie in Südafrika durch¬
setzte? England hat schon einen der fünf Kontinente für sich besetzt, und kaum
waren dort die ersten Kolonien, nnr winzige Okkupationen am Rande des ge¬
waltigen Gebiets, erstanden, so dürfte keine andre Macht ans dem noch nicht
okkupierten Gebiete Erwerbungen machen; so wurden Tasmanien, Neuseeland
ebenso deu andern Nationen staatlich verschlossen, und wir können froh sein,
daß die australische Forderung, uns mich Neuguinea zu verschließen, in London
nicht beachtet wurde. Gefährliche Konkurrenten duldet England nur gezwungncr-
wnse, und es würde, wenn es dürfte, wohl auch die Amerikaner gern aus
deu Philippinen vertreiben. Die Suprematie in Südafrika hat ja freilich that¬
sächlich schon seither bestände", den" sonst hätte sich England bloß durch Worte
und Schriftstücke die ungeheuern Gebiete bis zu den deutschen und belgischen
Besitzungen hin schwerlich aneignen können. England schrieb eben bisher vor,
was jeder von den andern nehmen durfte, lind was nicht. Unterdessen hat
England den Aufstand in Oberägypten niedergeworfen und dadurch Ägypten mit
seinen Besitzungen am obern Nil bis zum Viktoriasee hin verbunden. Sobald
dle twnsasrikanische Bahn den Erdteil von Süden nach Norden durchschneiden
wird, wir.d auch die Suprematie Englands von Suez bis zum Kap reichen,
wenn dieser Entwicklung nicht gewaltsam Einhalt geschieht. Das könnte ge
schehn durch ein Eingreifen Frankreichs in Ägypten von Tunis aus; doch ist
^ fraglich, ob sich Frankreich dazu entschließt, ehe England seine Macht dort so
^eit gefestigt haben wird, daß ein französischer Angriff noch Aussicht auf Erfolg
^t. Die englische" Pläne tonnen ferner von den Buren zerschlagen werden,
wenn sie den Engländern so lange zu widersteh" vermöge", bis die e"glische
Hartnäckigkeit erschöpft ist, oder bis andre Ereignisse England nötigen, seine


Englische Suprematie in Afrika

Nationalitäten mit Mitteln der Gewalt für etwas ganz Erlaubtes und Mora¬
lisches gilt, und man eben die russische Regierung damit beschäftigt sieht, Recht
und Kultur in Finnland zu vergewaltige». Es wäre eine unschätzbare Frucht
dieses Krieges, wenn sich an ihm das gesunkne sittliche Bewußtsein der enro
Päischeu Völker kräftigte durch die Einsicht, daß das keine wahre Mission eines
Kulturvolks sein könne, die mit unsittlichen, mit kulturwidrigen Mitteln durch¬
geführt wird.

Inzwischen bleibt die englische Regierung bei ihrem Vorhaben, ihre Supre¬
matie in Südafrika zu errichten. Ich habe in dieser Zeitschrift (Heft 4 dieses
Jahrgangs) schon auf die große Bedeutung einer solchen Politik für alle
Staaten hingewiesen, die ein Interesse an der Zukunft von Südafrika und an
den Machtverhältnissen im Indischen Ozean haben. Ein solches Interesse
haben ohne Zweifel nicht nur wir Deutschen, sondern alle Staaten, die jen¬
seits des SnezkanalS Kolonien oder Handelsniederlassungen oder Schiffsverkehr
haben, nicht minder die, denen es daran liegt, daß nicht zugleich mit der See-
Herrschaft in der Südsee und im Indischen Ozean die Goldfelder von Trans¬
vaal in englische Hände übergehn, wodurch leicht zwei Drittel der Goldproduk¬
tion der Erde monopolisiert werden könnten. Macht man sich denn in Europa
Wohl klar, was es heißt, wenn England seine Suprematie in Südafrika durch¬
setzte? England hat schon einen der fünf Kontinente für sich besetzt, und kaum
waren dort die ersten Kolonien, nnr winzige Okkupationen am Rande des ge¬
waltigen Gebiets, erstanden, so dürfte keine andre Macht ans dem noch nicht
okkupierten Gebiete Erwerbungen machen; so wurden Tasmanien, Neuseeland
ebenso deu andern Nationen staatlich verschlossen, und wir können froh sein,
daß die australische Forderung, uns mich Neuguinea zu verschließen, in London
nicht beachtet wurde. Gefährliche Konkurrenten duldet England nur gezwungncr-
wnse, und es würde, wenn es dürfte, wohl auch die Amerikaner gern aus
deu Philippinen vertreiben. Die Suprematie in Südafrika hat ja freilich that¬
sächlich schon seither bestände», den» sonst hätte sich England bloß durch Worte
und Schriftstücke die ungeheuern Gebiete bis zu den deutschen und belgischen
Besitzungen hin schwerlich aneignen können. England schrieb eben bisher vor,
was jeder von den andern nehmen durfte, lind was nicht. Unterdessen hat
England den Aufstand in Oberägypten niedergeworfen und dadurch Ägypten mit
seinen Besitzungen am obern Nil bis zum Viktoriasee hin verbunden. Sobald
dle twnsasrikanische Bahn den Erdteil von Süden nach Norden durchschneiden
wird, wir.d auch die Suprematie Englands von Suez bis zum Kap reichen,
wenn dieser Entwicklung nicht gewaltsam Einhalt geschieht. Das könnte ge
schehn durch ein Eingreifen Frankreichs in Ägypten von Tunis aus; doch ist
^ fraglich, ob sich Frankreich dazu entschließt, ehe England seine Macht dort so
^eit gefestigt haben wird, daß ein französischer Angriff noch Aussicht auf Erfolg
^t. Die englische» Pläne tonnen ferner von den Buren zerschlagen werden,
wenn sie den Engländern so lange zu widersteh» vermöge», bis die e»glische
Hartnäckigkeit erschöpft ist, oder bis andre Ereignisse England nötigen, seine


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[0323] Englische Suprematie in Afrika Nationalitäten mit Mitteln der Gewalt für etwas ganz Erlaubtes und Mora¬ lisches gilt, und man eben die russische Regierung damit beschäftigt sieht, Recht und Kultur in Finnland zu vergewaltige». Es wäre eine unschätzbare Frucht dieses Krieges, wenn sich an ihm das gesunkne sittliche Bewußtsein der enro Päischeu Völker kräftigte durch die Einsicht, daß das keine wahre Mission eines Kulturvolks sein könne, die mit unsittlichen, mit kulturwidrigen Mitteln durch¬ geführt wird. Inzwischen bleibt die englische Regierung bei ihrem Vorhaben, ihre Supre¬ matie in Südafrika zu errichten. Ich habe in dieser Zeitschrift (Heft 4 dieses Jahrgangs) schon auf die große Bedeutung einer solchen Politik für alle Staaten hingewiesen, die ein Interesse an der Zukunft von Südafrika und an den Machtverhältnissen im Indischen Ozean haben. Ein solches Interesse haben ohne Zweifel nicht nur wir Deutschen, sondern alle Staaten, die jen¬ seits des SnezkanalS Kolonien oder Handelsniederlassungen oder Schiffsverkehr haben, nicht minder die, denen es daran liegt, daß nicht zugleich mit der See- Herrschaft in der Südsee und im Indischen Ozean die Goldfelder von Trans¬ vaal in englische Hände übergehn, wodurch leicht zwei Drittel der Goldproduk¬ tion der Erde monopolisiert werden könnten. Macht man sich denn in Europa Wohl klar, was es heißt, wenn England seine Suprematie in Südafrika durch¬ setzte? England hat schon einen der fünf Kontinente für sich besetzt, und kaum waren dort die ersten Kolonien, nnr winzige Okkupationen am Rande des ge¬ waltigen Gebiets, erstanden, so dürfte keine andre Macht ans dem noch nicht okkupierten Gebiete Erwerbungen machen; so wurden Tasmanien, Neuseeland ebenso deu andern Nationen staatlich verschlossen, und wir können froh sein, daß die australische Forderung, uns mich Neuguinea zu verschließen, in London nicht beachtet wurde. Gefährliche Konkurrenten duldet England nur gezwungncr- wnse, und es würde, wenn es dürfte, wohl auch die Amerikaner gern aus deu Philippinen vertreiben. Die Suprematie in Südafrika hat ja freilich that¬ sächlich schon seither bestände», den» sonst hätte sich England bloß durch Worte und Schriftstücke die ungeheuern Gebiete bis zu den deutschen und belgischen Besitzungen hin schwerlich aneignen können. England schrieb eben bisher vor, was jeder von den andern nehmen durfte, lind was nicht. Unterdessen hat England den Aufstand in Oberägypten niedergeworfen und dadurch Ägypten mit seinen Besitzungen am obern Nil bis zum Viktoriasee hin verbunden. Sobald dle twnsasrikanische Bahn den Erdteil von Süden nach Norden durchschneiden wird, wir.d auch die Suprematie Englands von Suez bis zum Kap reichen, wenn dieser Entwicklung nicht gewaltsam Einhalt geschieht. Das könnte ge schehn durch ein Eingreifen Frankreichs in Ägypten von Tunis aus; doch ist ^ fraglich, ob sich Frankreich dazu entschließt, ehe England seine Macht dort so ^eit gefestigt haben wird, daß ein französischer Angriff noch Aussicht auf Erfolg ^t. Die englische» Pläne tonnen ferner von den Buren zerschlagen werden, wenn sie den Engländern so lange zu widersteh» vermöge», bis die e»glische Hartnäckigkeit erschöpft ist, oder bis andre Ereignisse England nötigen, seine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/323>, abgerufen am 01.10.2024.