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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.

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Englische Suprematie in Afrika

beschäftigt, wenn unsre öffentliche Meinung vornehmlich durch die Berechtigung
dieses Krieges und seine Führung in Anspruch genommen wird und sich mit
den etwaigen Folgen ebenso kurz abfindet wie die Engländer, Unsre öffent¬
liche Meinung tritt im ganzen in dieser Sache so auf, wie man hätte wünsche"
müssen, daß die Opposition im Parlament aufgetreten wäre, und wie die Is¬
länder es gethan haben, nämlich mit sittlicher Entrüstung,

Von einen? gewissen Standpunkt aus könnte das als sehr erfreulich er¬
scheinen. Ja, es könnte ganz überraschend erfreulich sein, wenn man berechtigt
wäre zu fragen, ob denn hierin nicht etwa ein Anzeichen dafür zu sehen sei,
daß die Moral wieder etwas mehr als seither in der Politik und in dem poli¬
tischen Bewußtsein der Völker zur Geltung kommen wolle. Wir sind in der
letzten, auch der vorletzten Zeit in dieser Beziehung nicht verwöhnt worden.
Politik ist angewandte Macht -- das haben uns seit lange vor allen die Eng¬
länder gelehrt, und davon haben wir auch etwas gelernt, wenn wir gleichwohl
noch Stümper sind gegenüber unsern Lehrmeistern. Recht und Gerechtigkeit
im Völkerverkehr! Ein schöner Traum, der wie die Ideale der Haager Kon¬
ferenz verfliegt, sobald man sich umsieht in dieser besten aller Welten. Ich
meine nicht umsieht bloß außerhalb unsrer Reichsgrenzen, sondern auch inner¬
halb. Wo wird der Schwache vom Starken etwa nicht ungerecht behandelt,
wenn das für politisch nötig oder wünschenswert gehalten wird! Im Hader
der Nationalitäten ist Toleranz so wenig üblich wie im Hader der Konfessionen,
nicht weil das natürlich, in der Sache begründet wäre, sondern weil unsre
Zeit zu sehr nach Macht dürstet, nach materieller, nach physischer Macht. Nur
zu häufig sehen wir den Starken nach dem Rezept Verfahren, das eben wieder
im englischen Parlament mit so naiver Unverschämtheit angewandt wird, dem
Rezept, worin Regierung wie Opposition so rührend übereinstimmen: Wir
haben das Recht und die Pflicht, im Namen der Zivilisation eine verderbte
Regierung in Pretoria zu stürzen und uns in den Besitz eines für die eng¬
lische Kulturmission wichtigen Landes zu setzen. Der notorischen Lüge, daß
die Burenregierung korrumpierter sei als manche Regierungen europäischer
Mächte, wird von niemand in beiden Häusern dieses ältesten Parlaments der
Erde ein Widerspruch entgegengesetzt, der den sittlichen Defekt dieser Verhand¬
lungen und der von dein ersten Kulturvolk der Welt in seiner Politik befolgten
Grundsätze anch nur ein wenig Hütte mildern können. Als Grundlage des an¬
geblichen Erobernngsrechts bleibt also nur die Kulturmission, wenn man nicht
etwa die andre Lüge dazu benutzen will, daß die Buren deu Krieg herbei¬
geführt hätten. Was man aber heute und besonders in England Kulturmission
nennt, ist ja ebenso allgemein bekannt wie die Träger dieser Mission, die
Kulturmissiouarc Jameson, Rhodes, Beit, Robinson usw.

Da ist genug Stoff für sittliche Entrüstung, anch wenn man die englische
Roheit in der Kriegführung, die Grausamkeit in der Schlacht, Brand und Rot¬
znase übersehen wollte. Und doch bleibt es überraschend, mit welcher Leidenschaft
sich diese Entrüstung kundgiebt in einer Zeit, wo das Hinwürgen schwacher


Englische Suprematie in Afrika

beschäftigt, wenn unsre öffentliche Meinung vornehmlich durch die Berechtigung
dieses Krieges und seine Führung in Anspruch genommen wird und sich mit
den etwaigen Folgen ebenso kurz abfindet wie die Engländer, Unsre öffent¬
liche Meinung tritt im ganzen in dieser Sache so auf, wie man hätte wünsche»
müssen, daß die Opposition im Parlament aufgetreten wäre, und wie die Is¬
länder es gethan haben, nämlich mit sittlicher Entrüstung,

Von einen? gewissen Standpunkt aus könnte das als sehr erfreulich er¬
scheinen. Ja, es könnte ganz überraschend erfreulich sein, wenn man berechtigt
wäre zu fragen, ob denn hierin nicht etwa ein Anzeichen dafür zu sehen sei,
daß die Moral wieder etwas mehr als seither in der Politik und in dem poli¬
tischen Bewußtsein der Völker zur Geltung kommen wolle. Wir sind in der
letzten, auch der vorletzten Zeit in dieser Beziehung nicht verwöhnt worden.
Politik ist angewandte Macht — das haben uns seit lange vor allen die Eng¬
länder gelehrt, und davon haben wir auch etwas gelernt, wenn wir gleichwohl
noch Stümper sind gegenüber unsern Lehrmeistern. Recht und Gerechtigkeit
im Völkerverkehr! Ein schöner Traum, der wie die Ideale der Haager Kon¬
ferenz verfliegt, sobald man sich umsieht in dieser besten aller Welten. Ich
meine nicht umsieht bloß außerhalb unsrer Reichsgrenzen, sondern auch inner¬
halb. Wo wird der Schwache vom Starken etwa nicht ungerecht behandelt,
wenn das für politisch nötig oder wünschenswert gehalten wird! Im Hader
der Nationalitäten ist Toleranz so wenig üblich wie im Hader der Konfessionen,
nicht weil das natürlich, in der Sache begründet wäre, sondern weil unsre
Zeit zu sehr nach Macht dürstet, nach materieller, nach physischer Macht. Nur
zu häufig sehen wir den Starken nach dem Rezept Verfahren, das eben wieder
im englischen Parlament mit so naiver Unverschämtheit angewandt wird, dem
Rezept, worin Regierung wie Opposition so rührend übereinstimmen: Wir
haben das Recht und die Pflicht, im Namen der Zivilisation eine verderbte
Regierung in Pretoria zu stürzen und uns in den Besitz eines für die eng¬
lische Kulturmission wichtigen Landes zu setzen. Der notorischen Lüge, daß
die Burenregierung korrumpierter sei als manche Regierungen europäischer
Mächte, wird von niemand in beiden Häusern dieses ältesten Parlaments der
Erde ein Widerspruch entgegengesetzt, der den sittlichen Defekt dieser Verhand¬
lungen und der von dein ersten Kulturvolk der Welt in seiner Politik befolgten
Grundsätze anch nur ein wenig Hütte mildern können. Als Grundlage des an¬
geblichen Erobernngsrechts bleibt also nur die Kulturmission, wenn man nicht
etwa die andre Lüge dazu benutzen will, daß die Buren deu Krieg herbei¬
geführt hätten. Was man aber heute und besonders in England Kulturmission
nennt, ist ja ebenso allgemein bekannt wie die Träger dieser Mission, die
Kulturmissiouarc Jameson, Rhodes, Beit, Robinson usw.

Da ist genug Stoff für sittliche Entrüstung, anch wenn man die englische
Roheit in der Kriegführung, die Grausamkeit in der Schlacht, Brand und Rot¬
znase übersehen wollte. Und doch bleibt es überraschend, mit welcher Leidenschaft
sich diese Entrüstung kundgiebt in einer Zeit, wo das Hinwürgen schwacher


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[0322] Englische Suprematie in Afrika beschäftigt, wenn unsre öffentliche Meinung vornehmlich durch die Berechtigung dieses Krieges und seine Führung in Anspruch genommen wird und sich mit den etwaigen Folgen ebenso kurz abfindet wie die Engländer, Unsre öffent¬ liche Meinung tritt im ganzen in dieser Sache so auf, wie man hätte wünsche» müssen, daß die Opposition im Parlament aufgetreten wäre, und wie die Is¬ länder es gethan haben, nämlich mit sittlicher Entrüstung, Von einen? gewissen Standpunkt aus könnte das als sehr erfreulich er¬ scheinen. Ja, es könnte ganz überraschend erfreulich sein, wenn man berechtigt wäre zu fragen, ob denn hierin nicht etwa ein Anzeichen dafür zu sehen sei, daß die Moral wieder etwas mehr als seither in der Politik und in dem poli¬ tischen Bewußtsein der Völker zur Geltung kommen wolle. Wir sind in der letzten, auch der vorletzten Zeit in dieser Beziehung nicht verwöhnt worden. Politik ist angewandte Macht — das haben uns seit lange vor allen die Eng¬ länder gelehrt, und davon haben wir auch etwas gelernt, wenn wir gleichwohl noch Stümper sind gegenüber unsern Lehrmeistern. Recht und Gerechtigkeit im Völkerverkehr! Ein schöner Traum, der wie die Ideale der Haager Kon¬ ferenz verfliegt, sobald man sich umsieht in dieser besten aller Welten. Ich meine nicht umsieht bloß außerhalb unsrer Reichsgrenzen, sondern auch inner¬ halb. Wo wird der Schwache vom Starken etwa nicht ungerecht behandelt, wenn das für politisch nötig oder wünschenswert gehalten wird! Im Hader der Nationalitäten ist Toleranz so wenig üblich wie im Hader der Konfessionen, nicht weil das natürlich, in der Sache begründet wäre, sondern weil unsre Zeit zu sehr nach Macht dürstet, nach materieller, nach physischer Macht. Nur zu häufig sehen wir den Starken nach dem Rezept Verfahren, das eben wieder im englischen Parlament mit so naiver Unverschämtheit angewandt wird, dem Rezept, worin Regierung wie Opposition so rührend übereinstimmen: Wir haben das Recht und die Pflicht, im Namen der Zivilisation eine verderbte Regierung in Pretoria zu stürzen und uns in den Besitz eines für die eng¬ lische Kulturmission wichtigen Landes zu setzen. Der notorischen Lüge, daß die Burenregierung korrumpierter sei als manche Regierungen europäischer Mächte, wird von niemand in beiden Häusern dieses ältesten Parlaments der Erde ein Widerspruch entgegengesetzt, der den sittlichen Defekt dieser Verhand¬ lungen und der von dein ersten Kulturvolk der Welt in seiner Politik befolgten Grundsätze anch nur ein wenig Hütte mildern können. Als Grundlage des an¬ geblichen Erobernngsrechts bleibt also nur die Kulturmission, wenn man nicht etwa die andre Lüge dazu benutzen will, daß die Buren deu Krieg herbei¬ geführt hätten. Was man aber heute und besonders in England Kulturmission nennt, ist ja ebenso allgemein bekannt wie die Träger dieser Mission, die Kulturmissiouarc Jameson, Rhodes, Beit, Robinson usw. Da ist genug Stoff für sittliche Entrüstung, anch wenn man die englische Roheit in der Kriegführung, die Grausamkeit in der Schlacht, Brand und Rot¬ znase übersehen wollte. Und doch bleibt es überraschend, mit welcher Leidenschaft sich diese Entrüstung kundgiebt in einer Zeit, wo das Hinwürgen schwacher

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/322>, abgerufen am 01.07.2024.