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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.

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Der romanische und der germanische Grenzbegriff

in dem Bewußtsein der romanischen Völker und in der diplomatischen Kunst
und, wenn es sein kann, in der gebieterischen Forderung ihrer Herrscher Ost
genug ist dieser römische Gedanke unliebsam mit unserm deutschen Bewußtsein
zusammengestoßen. Denn die Idee, die Cäsar einst faßte, daß sich Römisch
und Deutsch am Rheine trennen sollten, hat von jeher die Erben der römischen
Politik, die Herrscher von Frankreich geleitet. Schon Ludwig XIV. hatte keinen
sehnlichern Wunsch, als den Rhein als Grenze zu erreichen. Die Anschriften
an den Thoren von Landau und Altbreisach sind ein Zeugms dafür Und
dem ersten Napoleon gelang es nicht uur, Cäsars Gedanken zu vero.rllichen.
sondern sogar der Idee des Augustus von der Eid- und Donangrenze nahe
zu kommen und durch die neuen Grenzen Frankreichs und des Konigre.es^
Westfalen das freie Dentschland bis über die Elbe hinüberznschieben. Wie
römisch dieser Mann dachte, wie sehr er im Banne der Vorstellungen seine.
Volks lebte, obwohl er weit darüber zu stehn vermeinte, kann man auch daran
erkennen, wie er seine Vasallenstaaten mit den nach seiner Ansicht natürlichen
Grenzen schirmte. Sein Königreich Italien begann am Po und an der Sefta.
die illhrischeu Provinzen seines Reichs grenzte die save ab. mit das neu-
gebildete Großherzogtum Warschau ward von der Weichsel un Süden. vom
Bug im Osten, vom Memel lui Norden begrenzt.

Ein zweites mal in diesem Jahrhundert griff die römische Auffassung
von der Grenze zu unsern Ungunsten Platz, als im Jahre 1815 dein Namen
nach der Wiener Kongreß, in Wirklichkeit Tallehrands überlegne Kwgheit vie
Karte von Europa neugestaltete. Damals brachte sie uns die Grenze am Ober¬
rhein, von Basel bis Lauterburg - - ein Faustschlag gegen das nationale Em¬
pfinden der Deutsche", die sich nach schwerem Kampf und herrlichem Sieg um
den Siegespreis betrogen sahen, den ihr Volksbewußtsein verlangte die Hei-
stellung einer Westgrenze nach deutscher Auffassung, nämlich den Kamm deo
Wasgeuwaldes und' damit die Wiedergewinnung von Elsaß-Lothringen

An dieser Stelle ist nun Tallehrands Politik niedergeworfen; aber ein
einer andern Stelle erfreut uns noch heute el., zweites Geschenk des welschen
Diplomaten, an unsrer südlichen Ostgrenze. Nach französisch-römischer Auf-
fassung ist diese ja hinreichend gedeckt durch die aus Gustav Frehtags Leben.-
erinuerungen wohlbekannte Prosna. einen Nebenfluß der Warthe, dessen ^auf
uns auf 150 Kilometer Länge von Russisch-Polen scheidet, und durch ^e"ach
Süden zu sich in die Weichsel ergießende Brinitza. Nach unsrer Auffassung
freilich genügen beide Flußläufe kaui.i. mich nnr das erste sie durchschwimmende
Reitergeschwader aufzuhalten. . .. ^

Die Zerrissenheit unsers Vaterlands hat uns dreiviertel de.' neun¬
zehnten Jahrhunderts daran gehindert, diesem Durchdrücken des ronnsch-fran¬
zösischen Greuzgedankens ein Ziel zu setzen. Der große Augenblick uach der
Schlacht von Waterloo war unwiederbringlich verloren. Die von deutschen
Patrioten ivie Ludwig Jahr laut geforderte, durch einen Markwald geschützte
Westgrenze war uns durch Diplomatenkünste entwunden, und nachdem die


Der romanische und der germanische Grenzbegriff

in dem Bewußtsein der romanischen Völker und in der diplomatischen Kunst
und, wenn es sein kann, in der gebieterischen Forderung ihrer Herrscher Ost
genug ist dieser römische Gedanke unliebsam mit unserm deutschen Bewußtsein
zusammengestoßen. Denn die Idee, die Cäsar einst faßte, daß sich Römisch
und Deutsch am Rheine trennen sollten, hat von jeher die Erben der römischen
Politik, die Herrscher von Frankreich geleitet. Schon Ludwig XIV. hatte keinen
sehnlichern Wunsch, als den Rhein als Grenze zu erreichen. Die Anschriften
an den Thoren von Landau und Altbreisach sind ein Zeugms dafür Und
dem ersten Napoleon gelang es nicht uur, Cäsars Gedanken zu vero.rllichen.
sondern sogar der Idee des Augustus von der Eid- und Donangrenze nahe
zu kommen und durch die neuen Grenzen Frankreichs und des Konigre.es^
Westfalen das freie Dentschland bis über die Elbe hinüberznschieben. Wie
römisch dieser Mann dachte, wie sehr er im Banne der Vorstellungen seine.
Volks lebte, obwohl er weit darüber zu stehn vermeinte, kann man auch daran
erkennen, wie er seine Vasallenstaaten mit den nach seiner Ansicht natürlichen
Grenzen schirmte. Sein Königreich Italien begann am Po und an der Sefta.
die illhrischeu Provinzen seines Reichs grenzte die save ab. mit das neu-
gebildete Großherzogtum Warschau ward von der Weichsel un Süden. vom
Bug im Osten, vom Memel lui Norden begrenzt.

Ein zweites mal in diesem Jahrhundert griff die römische Auffassung
von der Grenze zu unsern Ungunsten Platz, als im Jahre 1815 dein Namen
nach der Wiener Kongreß, in Wirklichkeit Tallehrands überlegne Kwgheit vie
Karte von Europa neugestaltete. Damals brachte sie uns die Grenze am Ober¬
rhein, von Basel bis Lauterburg - - ein Faustschlag gegen das nationale Em¬
pfinden der Deutsche», die sich nach schwerem Kampf und herrlichem Sieg um
den Siegespreis betrogen sahen, den ihr Volksbewußtsein verlangte die Hei-
stellung einer Westgrenze nach deutscher Auffassung, nämlich den Kamm deo
Wasgeuwaldes und' damit die Wiedergewinnung von Elsaß-Lothringen

An dieser Stelle ist nun Tallehrands Politik niedergeworfen; aber ein
einer andern Stelle erfreut uns noch heute el., zweites Geschenk des welschen
Diplomaten, an unsrer südlichen Ostgrenze. Nach französisch-römischer Auf-
fassung ist diese ja hinreichend gedeckt durch die aus Gustav Frehtags Leben.-
erinuerungen wohlbekannte Prosna. einen Nebenfluß der Warthe, dessen ^auf
uns auf 150 Kilometer Länge von Russisch-Polen scheidet, und durch ^e"ach
Süden zu sich in die Weichsel ergießende Brinitza. Nach unsrer Auffassung
freilich genügen beide Flußläufe kaui.i. mich nnr das erste sie durchschwimmende
Reitergeschwader aufzuhalten. . .. ^

Die Zerrissenheit unsers Vaterlands hat uns dreiviertel de.' neun¬
zehnten Jahrhunderts daran gehindert, diesem Durchdrücken des ronnsch-fran¬
zösischen Greuzgedankens ein Ziel zu setzen. Der große Augenblick uach der
Schlacht von Waterloo war unwiederbringlich verloren. Die von deutschen
Patrioten ivie Ludwig Jahr laut geforderte, durch einen Markwald geschützte
Westgrenze war uns durch Diplomatenkünste entwunden, und nachdem die


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[0031] Der romanische und der germanische Grenzbegriff in dem Bewußtsein der romanischen Völker und in der diplomatischen Kunst und, wenn es sein kann, in der gebieterischen Forderung ihrer Herrscher Ost genug ist dieser römische Gedanke unliebsam mit unserm deutschen Bewußtsein zusammengestoßen. Denn die Idee, die Cäsar einst faßte, daß sich Römisch und Deutsch am Rheine trennen sollten, hat von jeher die Erben der römischen Politik, die Herrscher von Frankreich geleitet. Schon Ludwig XIV. hatte keinen sehnlichern Wunsch, als den Rhein als Grenze zu erreichen. Die Anschriften an den Thoren von Landau und Altbreisach sind ein Zeugms dafür Und dem ersten Napoleon gelang es nicht uur, Cäsars Gedanken zu vero.rllichen. sondern sogar der Idee des Augustus von der Eid- und Donangrenze nahe zu kommen und durch die neuen Grenzen Frankreichs und des Konigre.es^ Westfalen das freie Dentschland bis über die Elbe hinüberznschieben. Wie römisch dieser Mann dachte, wie sehr er im Banne der Vorstellungen seine. Volks lebte, obwohl er weit darüber zu stehn vermeinte, kann man auch daran erkennen, wie er seine Vasallenstaaten mit den nach seiner Ansicht natürlichen Grenzen schirmte. Sein Königreich Italien begann am Po und an der Sefta. die illhrischeu Provinzen seines Reichs grenzte die save ab. mit das neu- gebildete Großherzogtum Warschau ward von der Weichsel un Süden. vom Bug im Osten, vom Memel lui Norden begrenzt. Ein zweites mal in diesem Jahrhundert griff die römische Auffassung von der Grenze zu unsern Ungunsten Platz, als im Jahre 1815 dein Namen nach der Wiener Kongreß, in Wirklichkeit Tallehrands überlegne Kwgheit vie Karte von Europa neugestaltete. Damals brachte sie uns die Grenze am Ober¬ rhein, von Basel bis Lauterburg - - ein Faustschlag gegen das nationale Em¬ pfinden der Deutsche», die sich nach schwerem Kampf und herrlichem Sieg um den Siegespreis betrogen sahen, den ihr Volksbewußtsein verlangte die Hei- stellung einer Westgrenze nach deutscher Auffassung, nämlich den Kamm deo Wasgeuwaldes und' damit die Wiedergewinnung von Elsaß-Lothringen An dieser Stelle ist nun Tallehrands Politik niedergeworfen; aber ein einer andern Stelle erfreut uns noch heute el., zweites Geschenk des welschen Diplomaten, an unsrer südlichen Ostgrenze. Nach französisch-römischer Auf- fassung ist diese ja hinreichend gedeckt durch die aus Gustav Frehtags Leben.- erinuerungen wohlbekannte Prosna. einen Nebenfluß der Warthe, dessen ^auf uns auf 150 Kilometer Länge von Russisch-Polen scheidet, und durch ^e"ach Süden zu sich in die Weichsel ergießende Brinitza. Nach unsrer Auffassung freilich genügen beide Flußläufe kaui.i. mich nnr das erste sie durchschwimmende Reitergeschwader aufzuhalten. . .. ^ Die Zerrissenheit unsers Vaterlands hat uns dreiviertel de.' neun¬ zehnten Jahrhunderts daran gehindert, diesem Durchdrücken des ronnsch-fran¬ zösischen Greuzgedankens ein Ziel zu setzen. Der große Augenblick uach der Schlacht von Waterloo war unwiederbringlich verloren. Die von deutschen Patrioten ivie Ludwig Jahr laut geforderte, durch einen Markwald geschützte Westgrenze war uns durch Diplomatenkünste entwunden, und nachdem die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/31>, abgerufen am 30.06.2024.