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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.

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Der romanische und der germanische Grenzbegriff

Auffassung nie geeignet gewesen, eine Grenze darzustellen, aber doch trennen
sie vor tausend Jahren wie bellte westfälische lind altsächsische Art. Der Harz
scheidet Nieder- und Obersnchsen, und das Erzgebirge und die Lausitzer Berge
trennen wiederum den Obersachsen von der Stammesart der südlich wohnenden
Deutschen. In noch höherm Grade gilt dies von der böhmischen Westgrenze.
Nichts beweist so sehr die deutsche Empfindung in Adnlbert Stifters "Hoch¬
wald," als daß er die große Schönheit des Böhmer- und Baycrwaldes be¬
sonders darin findet und zeigt, daß es ein jungfräulicher Grenzwald war, der
niemand gehörte.

Natürlich ist dieser Begriff des Niemandlandes später geschwunden: vor
allem damals, als die rückläufige Bewegung in den Völkerverschiebnngen ein¬
trat, und sich das deutsche Gebiet von der Elbe bis an die Weichsel und den
Memel vorschob. Aber mich hier hat sich die Politik der Regierungen, oft
lmbewnßt, der Vollsauffassnng angeschlossen und hat nach Flüchengrenzen ge¬
strebt. Jahrhundertelang trennten der Spreewald und der Oderbruch Deutsche
und Slawen. Späterhin schied der gewaltige litauische Wald und die masu-
rische Seeplatte das deutsche Ordensland von dem Königreich Polen. Friedrich
der Große eroberte mit weitschauendcr Politik in Oberschlesien mit dem Riesen-
gebirge und den Wäldern von Pleß breite Grenzgürtel, und seine Erwerbungen
in Westpreußen waren durch den Netzebruch und die Tuchter Heide geschützt.
Sein Nachfolger gewann aber in Neuostprenßen 1795 eine Grenze ganz nach
deutscher Art, die meilenweiten, den Anerstier beherbergenden Wälder von
Bialystok.

Besonders deutlich aber tritt der Grenzwald als eine von uns Deutschen
als natürlich empfundne Scheidewand an unsrer Westgrenze hervor, wo ger¬
manisches und romanisches Gebiet aneinanderstößt. Wenngleich der alte deutsche
Stamm der Burgunder zum guten Teil verwelscht ist, so wissen wir doch,
daß ihr Gebiet einst bis an den Kamm der Zentrnlalpeu reichte: versprengte
Reste von ihnen wohnen jn heute noch an den Abhängen des Monte Rosa.
Nach Westen aber schloß sich das altbnrgnndische Gebiet ab durch den wald-
geschmückteu Jurawall. Nördlich vou ihnen sitzen die Alemannen: ihr Siedlungs-
nnd Sprachgebiet aber schließt bekanntlich ab mit den unabsehbare" Wäldern
der Vogesen. Dann kommt wieder ein gewaltiges Waldgebiet, die Ardennen,
eine uralte Völkerscheide zwischen Deutsch und Welsch, dem romanischen Nord-
franzosen und Wallonen und dem kraftvollen deutschen Stamm der Vlamen,
die sich nenerdings zu immer selbständigeren Leben emporringen.

Freilich nicht immer hat unser Volk diese seinem Bewußtsein als richtig
und natürlich erscheinende Sprach- und Stammesgrenze auch politisch fest¬
zuhalten vermocht. Denn auch der römische Gedanke von den Erfordernissen
einer Grenze lebt heilte noch fort: ein Beweis, daß die Römer in allen prak¬
tischen Dingen nicht uur wie für die Ewigkeit gebaut, sondern auch gedacht
haben. Und zwar lebt er nicht nur, wie oben gesagt, fort in den harmlosen
Abgrenzungen katholischer Bisclwfssprengel, sondern, was weit mehr sagen will,


Der romanische und der germanische Grenzbegriff

Auffassung nie geeignet gewesen, eine Grenze darzustellen, aber doch trennen
sie vor tausend Jahren wie bellte westfälische lind altsächsische Art. Der Harz
scheidet Nieder- und Obersnchsen, und das Erzgebirge und die Lausitzer Berge
trennen wiederum den Obersachsen von der Stammesart der südlich wohnenden
Deutschen. In noch höherm Grade gilt dies von der böhmischen Westgrenze.
Nichts beweist so sehr die deutsche Empfindung in Adnlbert Stifters „Hoch¬
wald," als daß er die große Schönheit des Böhmer- und Baycrwaldes be¬
sonders darin findet und zeigt, daß es ein jungfräulicher Grenzwald war, der
niemand gehörte.

Natürlich ist dieser Begriff des Niemandlandes später geschwunden: vor
allem damals, als die rückläufige Bewegung in den Völkerverschiebnngen ein¬
trat, und sich das deutsche Gebiet von der Elbe bis an die Weichsel und den
Memel vorschob. Aber mich hier hat sich die Politik der Regierungen, oft
lmbewnßt, der Vollsauffassnng angeschlossen und hat nach Flüchengrenzen ge¬
strebt. Jahrhundertelang trennten der Spreewald und der Oderbruch Deutsche
und Slawen. Späterhin schied der gewaltige litauische Wald und die masu-
rische Seeplatte das deutsche Ordensland von dem Königreich Polen. Friedrich
der Große eroberte mit weitschauendcr Politik in Oberschlesien mit dem Riesen-
gebirge und den Wäldern von Pleß breite Grenzgürtel, und seine Erwerbungen
in Westpreußen waren durch den Netzebruch und die Tuchter Heide geschützt.
Sein Nachfolger gewann aber in Neuostprenßen 1795 eine Grenze ganz nach
deutscher Art, die meilenweiten, den Anerstier beherbergenden Wälder von
Bialystok.

Besonders deutlich aber tritt der Grenzwald als eine von uns Deutschen
als natürlich empfundne Scheidewand an unsrer Westgrenze hervor, wo ger¬
manisches und romanisches Gebiet aneinanderstößt. Wenngleich der alte deutsche
Stamm der Burgunder zum guten Teil verwelscht ist, so wissen wir doch,
daß ihr Gebiet einst bis an den Kamm der Zentrnlalpeu reichte: versprengte
Reste von ihnen wohnen jn heute noch an den Abhängen des Monte Rosa.
Nach Westen aber schloß sich das altbnrgnndische Gebiet ab durch den wald-
geschmückteu Jurawall. Nördlich vou ihnen sitzen die Alemannen: ihr Siedlungs-
nnd Sprachgebiet aber schließt bekanntlich ab mit den unabsehbare« Wäldern
der Vogesen. Dann kommt wieder ein gewaltiges Waldgebiet, die Ardennen,
eine uralte Völkerscheide zwischen Deutsch und Welsch, dem romanischen Nord-
franzosen und Wallonen und dem kraftvollen deutschen Stamm der Vlamen,
die sich nenerdings zu immer selbständigeren Leben emporringen.

Freilich nicht immer hat unser Volk diese seinem Bewußtsein als richtig
und natürlich erscheinende Sprach- und Stammesgrenze auch politisch fest¬
zuhalten vermocht. Denn auch der römische Gedanke von den Erfordernissen
einer Grenze lebt heilte noch fort: ein Beweis, daß die Römer in allen prak¬
tischen Dingen nicht uur wie für die Ewigkeit gebaut, sondern auch gedacht
haben. Und zwar lebt er nicht nur, wie oben gesagt, fort in den harmlosen
Abgrenzungen katholischer Bisclwfssprengel, sondern, was weit mehr sagen will,


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[0030] Der romanische und der germanische Grenzbegriff Auffassung nie geeignet gewesen, eine Grenze darzustellen, aber doch trennen sie vor tausend Jahren wie bellte westfälische lind altsächsische Art. Der Harz scheidet Nieder- und Obersnchsen, und das Erzgebirge und die Lausitzer Berge trennen wiederum den Obersachsen von der Stammesart der südlich wohnenden Deutschen. In noch höherm Grade gilt dies von der böhmischen Westgrenze. Nichts beweist so sehr die deutsche Empfindung in Adnlbert Stifters „Hoch¬ wald," als daß er die große Schönheit des Böhmer- und Baycrwaldes be¬ sonders darin findet und zeigt, daß es ein jungfräulicher Grenzwald war, der niemand gehörte. Natürlich ist dieser Begriff des Niemandlandes später geschwunden: vor allem damals, als die rückläufige Bewegung in den Völkerverschiebnngen ein¬ trat, und sich das deutsche Gebiet von der Elbe bis an die Weichsel und den Memel vorschob. Aber mich hier hat sich die Politik der Regierungen, oft lmbewnßt, der Vollsauffassnng angeschlossen und hat nach Flüchengrenzen ge¬ strebt. Jahrhundertelang trennten der Spreewald und der Oderbruch Deutsche und Slawen. Späterhin schied der gewaltige litauische Wald und die masu- rische Seeplatte das deutsche Ordensland von dem Königreich Polen. Friedrich der Große eroberte mit weitschauendcr Politik in Oberschlesien mit dem Riesen- gebirge und den Wäldern von Pleß breite Grenzgürtel, und seine Erwerbungen in Westpreußen waren durch den Netzebruch und die Tuchter Heide geschützt. Sein Nachfolger gewann aber in Neuostprenßen 1795 eine Grenze ganz nach deutscher Art, die meilenweiten, den Anerstier beherbergenden Wälder von Bialystok. Besonders deutlich aber tritt der Grenzwald als eine von uns Deutschen als natürlich empfundne Scheidewand an unsrer Westgrenze hervor, wo ger¬ manisches und romanisches Gebiet aneinanderstößt. Wenngleich der alte deutsche Stamm der Burgunder zum guten Teil verwelscht ist, so wissen wir doch, daß ihr Gebiet einst bis an den Kamm der Zentrnlalpeu reichte: versprengte Reste von ihnen wohnen jn heute noch an den Abhängen des Monte Rosa. Nach Westen aber schloß sich das altbnrgnndische Gebiet ab durch den wald- geschmückteu Jurawall. Nördlich vou ihnen sitzen die Alemannen: ihr Siedlungs- nnd Sprachgebiet aber schließt bekanntlich ab mit den unabsehbare« Wäldern der Vogesen. Dann kommt wieder ein gewaltiges Waldgebiet, die Ardennen, eine uralte Völkerscheide zwischen Deutsch und Welsch, dem romanischen Nord- franzosen und Wallonen und dem kraftvollen deutschen Stamm der Vlamen, die sich nenerdings zu immer selbständigeren Leben emporringen. Freilich nicht immer hat unser Volk diese seinem Bewußtsein als richtig und natürlich erscheinende Sprach- und Stammesgrenze auch politisch fest¬ zuhalten vermocht. Denn auch der römische Gedanke von den Erfordernissen einer Grenze lebt heilte noch fort: ein Beweis, daß die Römer in allen prak¬ tischen Dingen nicht uur wie für die Ewigkeit gebaut, sondern auch gedacht haben. Und zwar lebt er nicht nur, wie oben gesagt, fort in den harmlosen Abgrenzungen katholischer Bisclwfssprengel, sondern, was weit mehr sagen will,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/30>, abgerufen am 30.06.2024.