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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.

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geschaffen, und was er hineinlegt, damit wir es herausnehmen, das will er
nicht umsonst hineingelegt haben." Kurz ehe er Dresden verließ, wo er zwei
Jahre laug als Lehrer am Blochmnuuschen Institut in einer ganz hervor¬
ragenden Weise gewirkt haben muß, am Gründonnerstag 1854 hielt er dort
in der Kirche seine erste und letzte Predigt, die ihm "fast zu viel der Lob-
sprüche" eintrug. Ihn selbst freut dabei am meisten, daß man seine große
Einfachheit lobt, "die im Grunde uicht meine Sache ist, Wohl auch mehr im
Vortrage liegen mag, in den die Anrüchigkeit des Knnzeltons bis jetzt noch
nicht gedrungen ist." Diese Bemerkung laßt, wie mir scheint, erkennen, was
diesen größten Meister seiner Zeit in der hohen, kunstvoll nnfgebauteu geist¬
lichen Rede vor der Phrase bewahrt hat. Kogels Wortreichtum rauscht uicht
nur, er drückt auch bis in die kleinsten Satzteile etwas ans; beim Zergliedern
staunt man oft, wie vielsagend seine kurzen Antithesen sind. Man kann die
Kunst der Worte bewundern, ohne doch die Rede einfacher zu verlangen. In
der Geschichte der Predigt wird Kögel seine Stelle behalten, die spätern Bünde
werden das ausführen, aber schon der erste zeigt es an. Nach seiner Begabung
Hütte er sich ja auch auf andre Seiten der Theologie einrichten können, wie
seine höchst wichtige Stellung innerhalb der Positiven Union beweist. Sein natür¬
liches Wesen war sogar mehr verschlossen als zum Mitteilen angelegt. Hier
'setzte Thvlucks Einfluß ein, dessen Amnnuensis er war; der verlangte von ihm
mehr Hingebung, Sichanssprechen, Willenbrechcn. Tholncks und demnächst Ahl¬
felds Art zu predigen wies ihn auf das natürliche Leben hin, das auch mit
der Kanzelrede keineswegs unverträglich ist, das er an den sächsischen Predigern
mit ihrem Neinhardtschen Predigtschemntismus vermißte. Bezeichnend für ihn
sind mich seine Urteile über des damals und noch viel später gefeierten Stein-
mehers "Willkürlichkeiten, Gesnchtheiten, manchmal sogar Mentenerlichkeiten."
Nicht nur hier, sondern für die ganze Entwicklung seines Gemüts verdankte
er, der von Natur ein Mann des Verstandes war, um meisten von allen
Menschen Tholuck. Demnächst Wohl seiner ersten Fran, der Tochter des Haller
Dogmatikers Müller, die wir in diesem Bande nur als seine Braut kennen
lernen. Diese tiefe, ernste, zurückhaltende und doch innerlich so lebendige Natur
wird eingehend geschildert. Da sich jedoch weder dies, noch was wir über
Kogels Verhältnis zu seiner früh verstorbnen Schwester lesen, kurz wiedergeben
läßt, so mag zum Schluß wenigstens ein Brief erwähnt werden, worin er den
Hallenser Leimsiedern, diesen Leuten des Nichthnmvrs zum Trotz, seine Braut
zu seinem "Innenleben" ernennt. Sie soll für ihn, d. h. statt seiner, aber
mich zu seinem Besten träumen, dichten, Poetisches lesen, denn er muß nun
ein praktischer Mensch werden. "Dein Draußeumensch bin ich, dein Mantel
und dein Schutz im Winde."

Mnlvida von Meysenvng gehört zu den schriftstellernden Frauen,
deren Bücher nur augenehme Eindrücke zurücklassen. Sie will nichts erreichen,
auch nicht für ihre Mitschwestern, ihr Geschlecht im allgemeinen, was ja unter
Umständen noch mehr Reiz haben kann, als wenn man für sich selbst etwas


geschaffen, und was er hineinlegt, damit wir es herausnehmen, das will er
nicht umsonst hineingelegt haben." Kurz ehe er Dresden verließ, wo er zwei
Jahre laug als Lehrer am Blochmnuuschen Institut in einer ganz hervor¬
ragenden Weise gewirkt haben muß, am Gründonnerstag 1854 hielt er dort
in der Kirche seine erste und letzte Predigt, die ihm „fast zu viel der Lob-
sprüche" eintrug. Ihn selbst freut dabei am meisten, daß man seine große
Einfachheit lobt, „die im Grunde uicht meine Sache ist, Wohl auch mehr im
Vortrage liegen mag, in den die Anrüchigkeit des Knnzeltons bis jetzt noch
nicht gedrungen ist." Diese Bemerkung laßt, wie mir scheint, erkennen, was
diesen größten Meister seiner Zeit in der hohen, kunstvoll nnfgebauteu geist¬
lichen Rede vor der Phrase bewahrt hat. Kogels Wortreichtum rauscht uicht
nur, er drückt auch bis in die kleinsten Satzteile etwas ans; beim Zergliedern
staunt man oft, wie vielsagend seine kurzen Antithesen sind. Man kann die
Kunst der Worte bewundern, ohne doch die Rede einfacher zu verlangen. In
der Geschichte der Predigt wird Kögel seine Stelle behalten, die spätern Bünde
werden das ausführen, aber schon der erste zeigt es an. Nach seiner Begabung
Hütte er sich ja auch auf andre Seiten der Theologie einrichten können, wie
seine höchst wichtige Stellung innerhalb der Positiven Union beweist. Sein natür¬
liches Wesen war sogar mehr verschlossen als zum Mitteilen angelegt. Hier
'setzte Thvlucks Einfluß ein, dessen Amnnuensis er war; der verlangte von ihm
mehr Hingebung, Sichanssprechen, Willenbrechcn. Tholncks und demnächst Ahl¬
felds Art zu predigen wies ihn auf das natürliche Leben hin, das auch mit
der Kanzelrede keineswegs unverträglich ist, das er an den sächsischen Predigern
mit ihrem Neinhardtschen Predigtschemntismus vermißte. Bezeichnend für ihn
sind mich seine Urteile über des damals und noch viel später gefeierten Stein-
mehers „Willkürlichkeiten, Gesnchtheiten, manchmal sogar Mentenerlichkeiten."
Nicht nur hier, sondern für die ganze Entwicklung seines Gemüts verdankte
er, der von Natur ein Mann des Verstandes war, um meisten von allen
Menschen Tholuck. Demnächst Wohl seiner ersten Fran, der Tochter des Haller
Dogmatikers Müller, die wir in diesem Bande nur als seine Braut kennen
lernen. Diese tiefe, ernste, zurückhaltende und doch innerlich so lebendige Natur
wird eingehend geschildert. Da sich jedoch weder dies, noch was wir über
Kogels Verhältnis zu seiner früh verstorbnen Schwester lesen, kurz wiedergeben
läßt, so mag zum Schluß wenigstens ein Brief erwähnt werden, worin er den
Hallenser Leimsiedern, diesen Leuten des Nichthnmvrs zum Trotz, seine Braut
zu seinem „Innenleben" ernennt. Sie soll für ihn, d. h. statt seiner, aber
mich zu seinem Besten träumen, dichten, Poetisches lesen, denn er muß nun
ein praktischer Mensch werden. „Dein Draußeumensch bin ich, dein Mantel
und dein Schutz im Winde."

Mnlvida von Meysenvng gehört zu den schriftstellernden Frauen,
deren Bücher nur augenehme Eindrücke zurücklassen. Sie will nichts erreichen,
auch nicht für ihre Mitschwestern, ihr Geschlecht im allgemeinen, was ja unter
Umständen noch mehr Reiz haben kann, als wenn man für sich selbst etwas


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/300>, abgerufen am 04.07.2024.