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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.

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kunst aus tüchtigem Blute, seine Mutter war eine Bauerutvchter, ein bilduugs-
bedürftiger im fernen Osten -- Birnbaum in Posen -- sitzender Vater, knappe
Mittel und energisches Vorwärtsstreben, das sind die Voraussetzungen dieses
Lcbenslnufs. Der junge Charakter offenbart eine erstaunliche Willenskraft und
Härte gegen sich selbst. Nicht das Angenehme, sondern das Schwere wird
gethan; "dem Faulen ist keine Verheißung gegeben." Der Neuordinierte zieht
später eine Pfarre in Unkel der Stelle eines Gesandtschaftspredigers in Rom
vor, so sehr ihn diese auch lockt. Ans der Lntina in Halle nnter Eckstein ist
er unbedingt der erste Schüler. "Ich weis; absolut keinen, der Kögel an Be¬
gabung und an gewinnender Persönlichkeit nahe gekommen wäre," berichtet
ein ehemaliger Mitschüler (1878). Auf der Schule hatte er nnter anderm für
sich auch Spanisch gelernt, auf der Universität nimmt er Portugiesisch an, "um
eine zweite Sprache zu lernen, für die der Jude nichts giebt," so antwortet
er Tholuck auf dessen Warum. Die Philologie hat er wegen der künftigen Hnus-
lehrerei mit in seinen Plan aufgenommen, aber sie interessiert ihn nicht, der
ans der Schule schon den ganzen Cicero gelesen und dazu als Gegengewicht
gegen dessen Breite ans das gründlichste auch Taeitus studiert hat. Der
künftige Redner also! Wie oft hat man ihm vorausgesagt, daß er noch einmal
Hofprediger in Berlin werden würde. Als er nach Halle auf die Latium ging,
hatte sich seine Hoffnung, er würde auf die Schulpforte kommen, zerschlagen.
Hier wäre er ein Dichter geworden, meinte sein Vater, nun würde er sicher
ein blühender Prosaiker werden. Und das war gut. Denn so leicht ihm die
Verse aus der Feder flösse", die zahlreichen Gelegenheitsgedichte und erbau¬
lichen Lieder, die in christlichen Leserkreisen große Verbreitung gefunden haben:
ein Dichter war Kögel doch nicht. Seine wortreichen lind gut gereimten Verse
haben zu wenig Stellen, die Eindruck machen und haften bleiben. Bezeichnend
für ihn ist auch seine Vorliebe für Geibel, schon von der Schulzeit her. Aber
zum Redner war er geboren. Ein Tertianeraufsatz über August Hermann
Francke is. 36) und ein Brief des sechzehnjähriger an die Eltern, worin er
seinen Entschluß, Theologe zu werden, unwiderruflich kund giebt (1845), siud
wirkliche und merkwürdige Dokumente. "Viele mögen der Meinung sein, heißt
es am Schluß des Briefes, meine Klasfeuburschen nämlich, ich passe bei meinen,
lustigen Wesen nicht zum Theologen; wegen meines Maulwerks, das oft laut
auftritt, macht man mich zum Juristen. Ja, es mag schön sein, Recht zu
sprechen, der Unschuld aufzuhelfen, niederzuschlagen das Laster, aber schöner
ist die Theologie. Als wenn nicht das Mundwerk, das einem der liebe Gott
geschaffen, auch hier an rechter Stelle sein könnte usw. Die Zahl unsrer so¬
genannten Pietisten, unsrer Mucker, unsrer Mystiker wird schmelzen und ein
ganz klein Häuflein werden; wohlan, so wird unsre Glaubensstärke desto größer
sein usw. Der da einstens kam als Christkindlein, ist für die Sünder er¬
schienen, d. h. für die, so es wissen, daß sie Sünder sind. Christnacht zieht
heran, das schönste, lieblichste Fest. Ich habe mich vielleicht zu weitläufig
ausgesprochen, aber mir war es so um das Herz, und Gott hat das Herz


kunst aus tüchtigem Blute, seine Mutter war eine Bauerutvchter, ein bilduugs-
bedürftiger im fernen Osten — Birnbaum in Posen — sitzender Vater, knappe
Mittel und energisches Vorwärtsstreben, das sind die Voraussetzungen dieses
Lcbenslnufs. Der junge Charakter offenbart eine erstaunliche Willenskraft und
Härte gegen sich selbst. Nicht das Angenehme, sondern das Schwere wird
gethan; „dem Faulen ist keine Verheißung gegeben." Der Neuordinierte zieht
später eine Pfarre in Unkel der Stelle eines Gesandtschaftspredigers in Rom
vor, so sehr ihn diese auch lockt. Ans der Lntina in Halle nnter Eckstein ist
er unbedingt der erste Schüler. „Ich weis; absolut keinen, der Kögel an Be¬
gabung und an gewinnender Persönlichkeit nahe gekommen wäre," berichtet
ein ehemaliger Mitschüler (1878). Auf der Schule hatte er nnter anderm für
sich auch Spanisch gelernt, auf der Universität nimmt er Portugiesisch an, „um
eine zweite Sprache zu lernen, für die der Jude nichts giebt," so antwortet
er Tholuck auf dessen Warum. Die Philologie hat er wegen der künftigen Hnus-
lehrerei mit in seinen Plan aufgenommen, aber sie interessiert ihn nicht, der
ans der Schule schon den ganzen Cicero gelesen und dazu als Gegengewicht
gegen dessen Breite ans das gründlichste auch Taeitus studiert hat. Der
künftige Redner also! Wie oft hat man ihm vorausgesagt, daß er noch einmal
Hofprediger in Berlin werden würde. Als er nach Halle auf die Latium ging,
hatte sich seine Hoffnung, er würde auf die Schulpforte kommen, zerschlagen.
Hier wäre er ein Dichter geworden, meinte sein Vater, nun würde er sicher
ein blühender Prosaiker werden. Und das war gut. Denn so leicht ihm die
Verse aus der Feder flösse«, die zahlreichen Gelegenheitsgedichte und erbau¬
lichen Lieder, die in christlichen Leserkreisen große Verbreitung gefunden haben:
ein Dichter war Kögel doch nicht. Seine wortreichen lind gut gereimten Verse
haben zu wenig Stellen, die Eindruck machen und haften bleiben. Bezeichnend
für ihn ist auch seine Vorliebe für Geibel, schon von der Schulzeit her. Aber
zum Redner war er geboren. Ein Tertianeraufsatz über August Hermann
Francke is. 36) und ein Brief des sechzehnjähriger an die Eltern, worin er
seinen Entschluß, Theologe zu werden, unwiderruflich kund giebt (1845), siud
wirkliche und merkwürdige Dokumente. „Viele mögen der Meinung sein, heißt
es am Schluß des Briefes, meine Klasfeuburschen nämlich, ich passe bei meinen,
lustigen Wesen nicht zum Theologen; wegen meines Maulwerks, das oft laut
auftritt, macht man mich zum Juristen. Ja, es mag schön sein, Recht zu
sprechen, der Unschuld aufzuhelfen, niederzuschlagen das Laster, aber schöner
ist die Theologie. Als wenn nicht das Mundwerk, das einem der liebe Gott
geschaffen, auch hier an rechter Stelle sein könnte usw. Die Zahl unsrer so¬
genannten Pietisten, unsrer Mucker, unsrer Mystiker wird schmelzen und ein
ganz klein Häuflein werden; wohlan, so wird unsre Glaubensstärke desto größer
sein usw. Der da einstens kam als Christkindlein, ist für die Sünder er¬
schienen, d. h. für die, so es wissen, daß sie Sünder sind. Christnacht zieht
heran, das schönste, lieblichste Fest. Ich habe mich vielleicht zu weitläufig
ausgesprochen, aber mir war es so um das Herz, und Gott hat das Herz


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/299>, abgerufen am 04.07.2024.