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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.

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Zwischen den beiden Völkerii aber lag das Nie.nandsland, verlockend für die
thatendurstige Jugend als Ziel der Jagd und der Abenteuer, und doch wieder
durch die darin waltenden Geister und deren menschenfeindliches Treiben der
abschreckende ^aubcrwald, deu niemand so leicht zu betreten wagt, und dessen
Locken und Znrückschenchen in seiner ganzen Bedeutung nur das deutsche Volts¬
märchen voll erfaßt hat.

Nach dieser tief in der Seele des deutschen Volks ruhenden Auffassung
von Grenze hat sich denn mich der Deutsche nach der Beendigung der ver¬
schleimen Wanderungen seine Wohnsitze gegründet und überall um sie herum
als Gürtel den schirmenden, grünenden. sich tageweit erstreckenden Grenzwald
gelegt. Schon zur Römerzeit waren die Hänge der Rachen Alp und des
fränkischen Jura ein besserer Schirm für die Legionen als der langgestreckte
Limes. Cäsar hatte die weiten, wüsten Grenzländercien bei den Sueven be¬
obachtet und erklärt sie durch den Wunsch, dnrch den Grenzwald Schutz vor den
Feinden zu finden. Nach demselben Grundsatz fanden die ältesten Siedlungen
der Ostgoten ihren Südabschlnß an den Waldmassen des Balkan und der
Jnlischen Alpen. Die Franken machten nicht eher mit Eroberungen.Halt, als
bis sie die Pyrenäen erreicht hatten, und ebenso die Angelsachsen, ins die hoch¬
ländischen und walisischen Wälder ihnen eine genügende Grenze zu treten
schienen. Freilich, sowie die Germanenreiche ans nltrömischem Boden errichtet
wurden, hat, wie man leicht erkennt, die Hand römischer Münster die Karte
entworfen. So erklärt sich die äußere Gestalt des auf gallisch-spanischem Boden
liegenden Westgotenreichs. So mag wohl das ganz an römisches Muster
erinnernde Reich des Theoderich seine Gestalt in der Hauptsache der Hemd des
allmächtigen Ministers Cassiodorus verdankt haben. Und ebenso ist Karl der
Große als Erbe der römischen Macht und der römischen Gedanken miznsehn.
Er selbst fühlte das, als er den von Augustus gepflegten Gedanke" von der
Elbe-Dorn.linia wieder aufnahm und im äußersten Norden seines Reichs an
dem alten Brückenbogen in Rendsburg die Inschrift anbringen ließ: Liüora
lioumru tsriniuus irupern.

Aber sowie sich die wildgärende Gewalt legte, und die einzelnen Stämme
unsrer Nation feste und dauernde Wohnsitze gewannen, sehen wir auch deu
Gedanken der Flächengrcnze durchdringen, und wieder umgiebt der Grcnzwald,
der niemand gehört und worin jeder frei jagen darf, die Gemarkungen der
Volksgenossen.' So schied vor einem Jahrtausend und scheidet noch hente der
Thüringer- und Frankenwald die beiden Stämme, nach denen er genannt ist;
"ut vom Rennsteg, der alten geheimnisvollen Straße, die den Kamm beider
Gebirge entlang länft, singt Scheffel:


Du sprichst alt Recht, stehst du auf jenem Raine:
Hie rechts, hie links! Hie Deutschlands Süd und Nord.

Die sanft geschwungnen Höhn des Osning. denen erst vor etwa zweihundert
Jahren der Name des Teutoburger Waldes gegeben wurde, wären nach römischer


Zwischen den beiden Völkerii aber lag das Nie.nandsland, verlockend für die
thatendurstige Jugend als Ziel der Jagd und der Abenteuer, und doch wieder
durch die darin waltenden Geister und deren menschenfeindliches Treiben der
abschreckende ^aubcrwald, deu niemand so leicht zu betreten wagt, und dessen
Locken und Znrückschenchen in seiner ganzen Bedeutung nur das deutsche Volts¬
märchen voll erfaßt hat.

Nach dieser tief in der Seele des deutschen Volks ruhenden Auffassung
von Grenze hat sich denn mich der Deutsche nach der Beendigung der ver¬
schleimen Wanderungen seine Wohnsitze gegründet und überall um sie herum
als Gürtel den schirmenden, grünenden. sich tageweit erstreckenden Grenzwald
gelegt. Schon zur Römerzeit waren die Hänge der Rachen Alp und des
fränkischen Jura ein besserer Schirm für die Legionen als der langgestreckte
Limes. Cäsar hatte die weiten, wüsten Grenzländercien bei den Sueven be¬
obachtet und erklärt sie durch den Wunsch, dnrch den Grenzwald Schutz vor den
Feinden zu finden. Nach demselben Grundsatz fanden die ältesten Siedlungen
der Ostgoten ihren Südabschlnß an den Waldmassen des Balkan und der
Jnlischen Alpen. Die Franken machten nicht eher mit Eroberungen.Halt, als
bis sie die Pyrenäen erreicht hatten, und ebenso die Angelsachsen, ins die hoch¬
ländischen und walisischen Wälder ihnen eine genügende Grenze zu treten
schienen. Freilich, sowie die Germanenreiche ans nltrömischem Boden errichtet
wurden, hat, wie man leicht erkennt, die Hand römischer Münster die Karte
entworfen. So erklärt sich die äußere Gestalt des auf gallisch-spanischem Boden
liegenden Westgotenreichs. So mag wohl das ganz an römisches Muster
erinnernde Reich des Theoderich seine Gestalt in der Hauptsache der Hemd des
allmächtigen Ministers Cassiodorus verdankt haben. Und ebenso ist Karl der
Große als Erbe der römischen Macht und der römischen Gedanken miznsehn.
Er selbst fühlte das, als er den von Augustus gepflegten Gedanke» von der
Elbe-Dorn.linia wieder aufnahm und im äußersten Norden seines Reichs an
dem alten Brückenbogen in Rendsburg die Inschrift anbringen ließ: Liüora
lioumru tsriniuus irupern.

Aber sowie sich die wildgärende Gewalt legte, und die einzelnen Stämme
unsrer Nation feste und dauernde Wohnsitze gewannen, sehen wir auch deu
Gedanken der Flächengrcnze durchdringen, und wieder umgiebt der Grcnzwald,
der niemand gehört und worin jeder frei jagen darf, die Gemarkungen der
Volksgenossen.' So schied vor einem Jahrtausend und scheidet noch hente der
Thüringer- und Frankenwald die beiden Stämme, nach denen er genannt ist;
"ut vom Rennsteg, der alten geheimnisvollen Straße, die den Kamm beider
Gebirge entlang länft, singt Scheffel:


Du sprichst alt Recht, stehst du auf jenem Raine:
Hie rechts, hie links! Hie Deutschlands Süd und Nord.

Die sanft geschwungnen Höhn des Osning. denen erst vor etwa zweihundert
Jahren der Name des Teutoburger Waldes gegeben wurde, wären nach römischer


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/29>, abgerufen am 30.06.2024.