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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.

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erklungen, oder wann sie von der französischen verdrängt worden ist; weiter,
ob diese Orte ehemals in ununterbrochnem Zusammenhang mit dem deutschen
Sprachgebiete waren. Im bejahenden Falle wäre dann uoch zu ermitteln, ob
diese Orte den äußersten Rand des ehemaligen deutschen Sprachgebiets dar¬
gestellt haben, oder ob dieses sich früher vielleicht noch weiter nach Südwesten
ausgedehnt hat. An diesem nordwestlichen Endpunkte der deutsch-französischen
Sprachgrenze wird also die nationalhistorische Forschung ganz besonders inter¬
essante Aufgaben zu lösen haben.

Im allgemeinen wird man schon jetzt von der Ausdehnung des Deutsch¬
tums nach Westen sagen können, daß hier an der ganzen deutsch-französischen
Sprachgrenze von Boulogne bis zum Monte Rosa sehr stabile Verhältnisse
bestehn. Die Sprachgrenze ist frühzeitig fest geworden; spätere Verschiebungen
größern Umfangs haben nur in Lothringen und in Nordfrankreich, an beiden
Stellen zuungunsten des Deutschtums, stattgefunden; das Elsaß, Belgien und
die Westschweiz zeigen nur sehr geringe Veränderungen der Sprachgrenze: in
Belgien ist das Deutschtum um weniges zurückgegangen, in der Westschweiz
vorgedrungen, und im Elsaß hat es einen Teil des Breuschthals eingebüßt,
dafür aber im Leberthal Fortschritte gemacht.

Weit verwinkeltere Verhältnisse zeigen der Süden und der Osten des
deutschen Sprachgebiets. Hier sind wir weit entfernt von dem Zustande der
Ruhe, wie er im Westen herrscht; hier ist noch alles im Fluß, und die Dinge
sind noch in einer lebhaften Entwicklung begriffen, die sich an vielen Orten
bis zum rücksichtslosesten Nationalitütenkampf steigert. Schon im obern Nhein-
gelnet der Schweiz treffen wir auf einen Bezirk, wo das Deutschtum seinen
Höhepunkt noch nicht erreicht hat; es ist noch immer dem einheimischen Rhüto-
Romanentum gegenüber in langsamem Fortschreiten begriffen. Hier ist auch in
frühern Zeiten ganz allmählich 'die deutsch-romanische Sprachgrenze nach Süden
verschoben worden. Die große Menge vorgermanischer Ortsnamen in der nord¬
östlichen Schweiz, Vorarlberg und dem nordwestlichen Tirol deuten mit aller
Bestimmtheit darauf hin, daß diese Gebiete erst in verhältnismäßig später Zeit
der deutschen Sprache und Gesittung gewonnen worden sind. Bei dem großen
Reichtum, besonders der Se. Gallischen Urknndcnüberlicferung, dürfte es nicht
unmöglich sein, über das allmähliche Fortschreiten unsrer Sprache in diesen
Gebieten bestimmtere Aufschlüsse zu gewinnen.

Weiter nach Osten zu ist unsre Sprache und Nationalität gegenwärtig
''berall in der Verteidigungsstellung und hat hier und dort schon große Ein¬
bußen erlitten. Über die historische Entwicklung der Sprachgrenze in Südtirol
sind wir unterrichtet durch die Arbeit Bidermmms "Die Nationalitäten in
Tirol und die wechselnden Schicksale ihrer Verbreitung"; aber der lokalen
Einzelforschung ist auch hier noch ein weiter Spielraum gelassen. Aus die
ander" Kronlünder Österreichs und auf Ungarn hier im einzelnen einzugehn,
"erbietet die Beschränktheit des Raums. Ohnehin wird es jedem klar sein,
welche große und lohnende Aufgabe es sein würde, für diese Lande, in denen


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erklungen, oder wann sie von der französischen verdrängt worden ist; weiter,
ob diese Orte ehemals in ununterbrochnem Zusammenhang mit dem deutschen
Sprachgebiete waren. Im bejahenden Falle wäre dann uoch zu ermitteln, ob
diese Orte den äußersten Rand des ehemaligen deutschen Sprachgebiets dar¬
gestellt haben, oder ob dieses sich früher vielleicht noch weiter nach Südwesten
ausgedehnt hat. An diesem nordwestlichen Endpunkte der deutsch-französischen
Sprachgrenze wird also die nationalhistorische Forschung ganz besonders inter¬
essante Aufgaben zu lösen haben.

Im allgemeinen wird man schon jetzt von der Ausdehnung des Deutsch¬
tums nach Westen sagen können, daß hier an der ganzen deutsch-französischen
Sprachgrenze von Boulogne bis zum Monte Rosa sehr stabile Verhältnisse
bestehn. Die Sprachgrenze ist frühzeitig fest geworden; spätere Verschiebungen
größern Umfangs haben nur in Lothringen und in Nordfrankreich, an beiden
Stellen zuungunsten des Deutschtums, stattgefunden; das Elsaß, Belgien und
die Westschweiz zeigen nur sehr geringe Veränderungen der Sprachgrenze: in
Belgien ist das Deutschtum um weniges zurückgegangen, in der Westschweiz
vorgedrungen, und im Elsaß hat es einen Teil des Breuschthals eingebüßt,
dafür aber im Leberthal Fortschritte gemacht.

Weit verwinkeltere Verhältnisse zeigen der Süden und der Osten des
deutschen Sprachgebiets. Hier sind wir weit entfernt von dem Zustande der
Ruhe, wie er im Westen herrscht; hier ist noch alles im Fluß, und die Dinge
sind noch in einer lebhaften Entwicklung begriffen, die sich an vielen Orten
bis zum rücksichtslosesten Nationalitütenkampf steigert. Schon im obern Nhein-
gelnet der Schweiz treffen wir auf einen Bezirk, wo das Deutschtum seinen
Höhepunkt noch nicht erreicht hat; es ist noch immer dem einheimischen Rhüto-
Romanentum gegenüber in langsamem Fortschreiten begriffen. Hier ist auch in
frühern Zeiten ganz allmählich 'die deutsch-romanische Sprachgrenze nach Süden
verschoben worden. Die große Menge vorgermanischer Ortsnamen in der nord¬
östlichen Schweiz, Vorarlberg und dem nordwestlichen Tirol deuten mit aller
Bestimmtheit darauf hin, daß diese Gebiete erst in verhältnismäßig später Zeit
der deutschen Sprache und Gesittung gewonnen worden sind. Bei dem großen
Reichtum, besonders der Se. Gallischen Urknndcnüberlicferung, dürfte es nicht
unmöglich sein, über das allmähliche Fortschreiten unsrer Sprache in diesen
Gebieten bestimmtere Aufschlüsse zu gewinnen.

Weiter nach Osten zu ist unsre Sprache und Nationalität gegenwärtig
''berall in der Verteidigungsstellung und hat hier und dort schon große Ein¬
bußen erlitten. Über die historische Entwicklung der Sprachgrenze in Südtirol
sind wir unterrichtet durch die Arbeit Bidermmms „Die Nationalitäten in
Tirol und die wechselnden Schicksale ihrer Verbreitung"; aber der lokalen
Einzelforschung ist auch hier noch ein weiter Spielraum gelassen. Aus die
ander» Kronlünder Österreichs und auf Ungarn hier im einzelnen einzugehn,
"erbietet die Beschränktheit des Raums. Ohnehin wird es jedem klar sein,
welche große und lohnende Aufgabe es sein würde, für diese Lande, in denen


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[0277] hi'son'scho Nationalitätsforschttng erklungen, oder wann sie von der französischen verdrängt worden ist; weiter, ob diese Orte ehemals in ununterbrochnem Zusammenhang mit dem deutschen Sprachgebiete waren. Im bejahenden Falle wäre dann uoch zu ermitteln, ob diese Orte den äußersten Rand des ehemaligen deutschen Sprachgebiets dar¬ gestellt haben, oder ob dieses sich früher vielleicht noch weiter nach Südwesten ausgedehnt hat. An diesem nordwestlichen Endpunkte der deutsch-französischen Sprachgrenze wird also die nationalhistorische Forschung ganz besonders inter¬ essante Aufgaben zu lösen haben. Im allgemeinen wird man schon jetzt von der Ausdehnung des Deutsch¬ tums nach Westen sagen können, daß hier an der ganzen deutsch-französischen Sprachgrenze von Boulogne bis zum Monte Rosa sehr stabile Verhältnisse bestehn. Die Sprachgrenze ist frühzeitig fest geworden; spätere Verschiebungen größern Umfangs haben nur in Lothringen und in Nordfrankreich, an beiden Stellen zuungunsten des Deutschtums, stattgefunden; das Elsaß, Belgien und die Westschweiz zeigen nur sehr geringe Veränderungen der Sprachgrenze: in Belgien ist das Deutschtum um weniges zurückgegangen, in der Westschweiz vorgedrungen, und im Elsaß hat es einen Teil des Breuschthals eingebüßt, dafür aber im Leberthal Fortschritte gemacht. Weit verwinkeltere Verhältnisse zeigen der Süden und der Osten des deutschen Sprachgebiets. Hier sind wir weit entfernt von dem Zustande der Ruhe, wie er im Westen herrscht; hier ist noch alles im Fluß, und die Dinge sind noch in einer lebhaften Entwicklung begriffen, die sich an vielen Orten bis zum rücksichtslosesten Nationalitütenkampf steigert. Schon im obern Nhein- gelnet der Schweiz treffen wir auf einen Bezirk, wo das Deutschtum seinen Höhepunkt noch nicht erreicht hat; es ist noch immer dem einheimischen Rhüto- Romanentum gegenüber in langsamem Fortschreiten begriffen. Hier ist auch in frühern Zeiten ganz allmählich 'die deutsch-romanische Sprachgrenze nach Süden verschoben worden. Die große Menge vorgermanischer Ortsnamen in der nord¬ östlichen Schweiz, Vorarlberg und dem nordwestlichen Tirol deuten mit aller Bestimmtheit darauf hin, daß diese Gebiete erst in verhältnismäßig später Zeit der deutschen Sprache und Gesittung gewonnen worden sind. Bei dem großen Reichtum, besonders der Se. Gallischen Urknndcnüberlicferung, dürfte es nicht unmöglich sein, über das allmähliche Fortschreiten unsrer Sprache in diesen Gebieten bestimmtere Aufschlüsse zu gewinnen. Weiter nach Osten zu ist unsre Sprache und Nationalität gegenwärtig ''berall in der Verteidigungsstellung und hat hier und dort schon große Ein¬ bußen erlitten. Über die historische Entwicklung der Sprachgrenze in Südtirol sind wir unterrichtet durch die Arbeit Bidermmms „Die Nationalitäten in Tirol und die wechselnden Schicksale ihrer Verbreitung"; aber der lokalen Einzelforschung ist auch hier noch ein weiter Spielraum gelassen. Aus die ander» Kronlünder Österreichs und auf Ungarn hier im einzelnen einzugehn, "erbietet die Beschränktheit des Raums. Ohnehin wird es jedem klar sein, welche große und lohnende Aufgabe es sein würde, für diese Lande, in denen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/277>, abgerufen am 04.07.2024.