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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.

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historische Natioualitätsforschuug

der Natioualitäteutampf nun schon seit Jahrzehnten in ungestümer Heftigkeit
tobt, genau festzustellen, wie das Deutschtum hier weit später als in den west¬
lichen rheinischen Gebieten Fuß gefaßt und sich ausgebreitet hat, welche Aus¬
dehnung es allmählich gewonnen hat, und wieviel wir bis heute schon wieder
eingebüßt haben. Wie eine solche von möglichst zahlreichen Teilnehmern ge¬
förderte Arbeit auch auf die gegenwärtigen Natioualitätstämpfe ihre Wirkung
äußern würde, läßt sich leicht ermessen: durch die geunue Vorstellung dessen,
was einst alles deutsch gewesen ist, und was in den letzten Kämpfen eingebüßt
wurde, würde mit eindringlicher Kraft die Mahnung hindurchtöueu, wenigstens
das, was nun noch in deutscher Hand ist, unter allen Umständen zu behaupten.

Der dritte große Wurf, der dem deutsche" Volke in seinen, Ansbrcitnngs-
drangc gelang, ist die Wiedererwcrbnng der durch die Völkerwandruug verloren
gegangnen ethischen und baltische" Länder, Über ihre mit dem zwölften Jahr¬
hundert energischer einsetzende Regermanisation ist schon manches Buch ge¬
schrieben worden. Allgemein kann man über diese Litteratur sagen, daß man
in ihr alles mögliche über die begleitenden politischen Ereignisse erfährt, aber
über den Vorgang der Germanisierung selber, über die erste Festsetzung der
Deutschen im Slawenlande, über die Teile, die zunächst noch in slawischer
Hand blieben, über deren allmähliche Germanisation, über das weitere Vor¬
dringen Deutscher tief ins Slawengebiet hinein und deren Slawisierung erführe
man höchstens in einzelnen Monographien dürftige Notizen. ^) Zu einer Ge¬
samtdarstellung dieses so hochwichtigen Vorgangs fehlt es noch nahezu voll¬
ständig an den notwendigsten provinziellen und lokalen Vorarbeiten.

Noch heute giebt es einen kleinen Überrest des zu Grnnde gegangnen
Wcndenvolks, die Sprachinsel in der Lausitz zwischen Kottbus und Barchen
Andre Reste der wendische" Nationalität, die erst in der neuste" Zeit ihre
Sprache mit der deutschen vertauscht haben, sich sonst aber immer noch von
ihrer deutschblütigeu Umgebung abheben, finden sich im hannoverschen Wend¬
land, in der mecklenburgische" Jnbelheide sowie in Sachsen-Altenburg. Be't
ihnen hat sich die Provinzialforschnng schou vorübergehend beschäftigt. Es ist
jedoch eine weit intensivere Bearbeitung vo" nöten, die sich die Beantwortung
folgender Fragen zur Aufgabe stellen muß: 1. Allsdehnung der slawischen
Sprachinsel nach der dentschen Besiedlung; 2. ihre fortschreitende Einengung
nach Zeit und Ortschaften bestimmt, sodaß sich auf einem klaren Kartenbilde,
das niemals fehlen darf, die Hauptperiodcn der fortschreitenden Germanisation
deutlich abheben; 3. zeitliche Bestimmung des gänzlichen Verklingens der sla¬
wischen Sprache.

Wenn die Forschung in dieser Art mit einem bestimmten Arbeitsprogrannn
zunächst an den bezeichneten markanten Punkten des ehemaligen slawischen



Im Gegensatz dazu verdient die Schrift Weinholds: Die Verbreitung und Herkunft de^
Deutschen in Schlesien (Forschungen zur deutschen Landes- und Volkskunde II, 8) um dies^
Stelle mit der größten Anerkennung erwähnt zu werden.
historische Natioualitätsforschuug

der Natioualitäteutampf nun schon seit Jahrzehnten in ungestümer Heftigkeit
tobt, genau festzustellen, wie das Deutschtum hier weit später als in den west¬
lichen rheinischen Gebieten Fuß gefaßt und sich ausgebreitet hat, welche Aus¬
dehnung es allmählich gewonnen hat, und wieviel wir bis heute schon wieder
eingebüßt haben. Wie eine solche von möglichst zahlreichen Teilnehmern ge¬
förderte Arbeit auch auf die gegenwärtigen Natioualitätstämpfe ihre Wirkung
äußern würde, läßt sich leicht ermessen: durch die geunue Vorstellung dessen,
was einst alles deutsch gewesen ist, und was in den letzten Kämpfen eingebüßt
wurde, würde mit eindringlicher Kraft die Mahnung hindurchtöueu, wenigstens
das, was nun noch in deutscher Hand ist, unter allen Umständen zu behaupten.

Der dritte große Wurf, der dem deutsche» Volke in seinen, Ansbrcitnngs-
drangc gelang, ist die Wiedererwcrbnng der durch die Völkerwandruug verloren
gegangnen ethischen und baltische» Länder, Über ihre mit dem zwölften Jahr¬
hundert energischer einsetzende Regermanisation ist schon manches Buch ge¬
schrieben worden. Allgemein kann man über diese Litteratur sagen, daß man
in ihr alles mögliche über die begleitenden politischen Ereignisse erfährt, aber
über den Vorgang der Germanisierung selber, über die erste Festsetzung der
Deutschen im Slawenlande, über die Teile, die zunächst noch in slawischer
Hand blieben, über deren allmähliche Germanisation, über das weitere Vor¬
dringen Deutscher tief ins Slawengebiet hinein und deren Slawisierung erführe
man höchstens in einzelnen Monographien dürftige Notizen. ^) Zu einer Ge¬
samtdarstellung dieses so hochwichtigen Vorgangs fehlt es noch nahezu voll¬
ständig an den notwendigsten provinziellen und lokalen Vorarbeiten.

Noch heute giebt es einen kleinen Überrest des zu Grnnde gegangnen
Wcndenvolks, die Sprachinsel in der Lausitz zwischen Kottbus und Barchen
Andre Reste der wendische» Nationalität, die erst in der neuste» Zeit ihre
Sprache mit der deutschen vertauscht haben, sich sonst aber immer noch von
ihrer deutschblütigeu Umgebung abheben, finden sich im hannoverschen Wend¬
land, in der mecklenburgische» Jnbelheide sowie in Sachsen-Altenburg. Be't
ihnen hat sich die Provinzialforschnng schou vorübergehend beschäftigt. Es ist
jedoch eine weit intensivere Bearbeitung vo» nöten, die sich die Beantwortung
folgender Fragen zur Aufgabe stellen muß: 1. Allsdehnung der slawischen
Sprachinsel nach der dentschen Besiedlung; 2. ihre fortschreitende Einengung
nach Zeit und Ortschaften bestimmt, sodaß sich auf einem klaren Kartenbilde,
das niemals fehlen darf, die Hauptperiodcn der fortschreitenden Germanisation
deutlich abheben; 3. zeitliche Bestimmung des gänzlichen Verklingens der sla¬
wischen Sprache.

Wenn die Forschung in dieser Art mit einem bestimmten Arbeitsprogrannn
zunächst an den bezeichneten markanten Punkten des ehemaligen slawischen



Im Gegensatz dazu verdient die Schrift Weinholds: Die Verbreitung und Herkunft de^
Deutschen in Schlesien (Forschungen zur deutschen Landes- und Volkskunde II, 8) um dies^
Stelle mit der größten Anerkennung erwähnt zu werden.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/278>, abgerufen am 04.07.2024.