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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.

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l^erbstbilder aus Italien

bodcns verbunden mit der Höhenlage gewahrt zahlreiche malerische Ausblicke
bald auf den, bald ans jenen Teil der Stadt, immer von einer Höhe über
eine mit Weinbergen und Gurten bedeckte Vertiefung hinweg oder ins toska-
msche Hügelland hinaus. In weiten, Umkreise überzieht die alte Mauer die
Stadt. Greifbarer nach als sie stellt das Innere die Geschichte Sienas vor
Augen, eine Geschichte wie die von Florenz oder Bologna, voll innerer Partei¬
fehden, voll blutiger Kämpfe um die städtische Selbständigkeit, bis die Faust
der Spanier sie auch hier erwürgte wie einige Jahrzehnte früher in der Neben¬
buhlerin Florenz. Ursprünglich zu der ausgedehnten tuskischen Markgrafschaft
gehörig erwarb sie nach dein Tode der "großen Gräfin" Mathilde 1115 ihre
kommunale Unabhängigkeit. Aus dem Ringen zwischen den Geschlechtern und dem
Volke nur die Herrschaft ging dieses schon 1137 siegreich hervor, ohne daß freilich
die Macht des Stadtadels jemals wirklich gebrochen worden wäre. Zur staufischen
Zeit war Siena ebenso eifrig ghibellinisch wie seine Rivalin Florenz welfisch,
bis Karl von Anjou es 1270 in seine Hand brachte. Aus den innern Gegen¬
sätzen der Parteien, der Ordnn, aber erwuchs wie in so vielen italienischen
Städten mehrmals die Tyrannis, zur Zeit Karls von Anjou die Gewaltherr¬
schaft des Provenzauo Silvani, den Dante im Fegefeuer ruhelos umherwandern
sieht, gegen Ende des fünfzehnten Jahrhunderts des Pmidolfo Petruccio, der als
U UirZliilloo (der Prächtige) gepriesen wird wie sein Zeitgenosse, der Mediceer
Lorenzo in Florenz, ein'Mann, den Machiavelli als Mitlebender in seinem
Principe besonders deshalb als bedeutend (valöillissirno uonro) preist, weil er sich
in Antonio da Venafro einen so tüchtigen Minister ausgesucht habe, obwohl er
sonst nicht zu den hervorragenden Tyrannengestnlten dieser Zeit gehört und
auch nicht wirklicher Alleinherrscher war, sondern mehr etwa wie die Medici
eine nur leitende Stellung zwischen deu bürgerlichen Parteien einnahm. Eben
deren fortdauernder Kampf um die Macht führte 1494 dazu, daß Karl VIII.
^on Frankreich bei seinem Zuge nach Neapel Sieur besetzte und auch, als er
1495 wieder abzog, eine Besatzung zurückließ. Seitdem blieb Sieur im ganzen
unter manchen Schwankungen auf französischer Seite. Diese Stellung und die
^te Feindschaft mit Florenz verflocht die Stadt in die großen Welthändel, in
den Gegensatz zwischen der französischen und der spanisch-habsburgischen Mo¬
narchie und entschied ihr Schicksal. Nachdem sie 1552 eine spanisch-flarentinische
Besatzung verjagt und eine französische Garnison unter Piero Strozzi, dem
Todfeinde der Medici, aufgenommen hatte, erlag sie nach tapfrer Verteidigung
um April 1555 dem spanischen Heere und wurde nach dem Vertrage vom 3. Juli
1557 dem Herzog von Florenz, Cosimo I., dem Bundesgenosse" Spaniens, als
spanisches Lehen übergeben. Mit der Erwerbung von Siena war das neue
^roßherzogtnm Toskana begründet, das sich überall ans den Trümmern der
alten Städtefreiheit erhob.

(Fortsclmnn, folgt)




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bodcns verbunden mit der Höhenlage gewahrt zahlreiche malerische Ausblicke
bald auf den, bald ans jenen Teil der Stadt, immer von einer Höhe über
eine mit Weinbergen und Gurten bedeckte Vertiefung hinweg oder ins toska-
msche Hügelland hinaus. In weiten, Umkreise überzieht die alte Mauer die
Stadt. Greifbarer nach als sie stellt das Innere die Geschichte Sienas vor
Augen, eine Geschichte wie die von Florenz oder Bologna, voll innerer Partei¬
fehden, voll blutiger Kämpfe um die städtische Selbständigkeit, bis die Faust
der Spanier sie auch hier erwürgte wie einige Jahrzehnte früher in der Neben¬
buhlerin Florenz. Ursprünglich zu der ausgedehnten tuskischen Markgrafschaft
gehörig erwarb sie nach dein Tode der „großen Gräfin" Mathilde 1115 ihre
kommunale Unabhängigkeit. Aus dem Ringen zwischen den Geschlechtern und dem
Volke nur die Herrschaft ging dieses schon 1137 siegreich hervor, ohne daß freilich
die Macht des Stadtadels jemals wirklich gebrochen worden wäre. Zur staufischen
Zeit war Siena ebenso eifrig ghibellinisch wie seine Rivalin Florenz welfisch,
bis Karl von Anjou es 1270 in seine Hand brachte. Aus den innern Gegen¬
sätzen der Parteien, der Ordnn, aber erwuchs wie in so vielen italienischen
Städten mehrmals die Tyrannis, zur Zeit Karls von Anjou die Gewaltherr¬
schaft des Provenzauo Silvani, den Dante im Fegefeuer ruhelos umherwandern
sieht, gegen Ende des fünfzehnten Jahrhunderts des Pmidolfo Petruccio, der als
U UirZliilloo (der Prächtige) gepriesen wird wie sein Zeitgenosse, der Mediceer
Lorenzo in Florenz, ein'Mann, den Machiavelli als Mitlebender in seinem
Principe besonders deshalb als bedeutend (valöillissirno uonro) preist, weil er sich
in Antonio da Venafro einen so tüchtigen Minister ausgesucht habe, obwohl er
sonst nicht zu den hervorragenden Tyrannengestnlten dieser Zeit gehört und
auch nicht wirklicher Alleinherrscher war, sondern mehr etwa wie die Medici
eine nur leitende Stellung zwischen deu bürgerlichen Parteien einnahm. Eben
deren fortdauernder Kampf um die Macht führte 1494 dazu, daß Karl VIII.
^on Frankreich bei seinem Zuge nach Neapel Sieur besetzte und auch, als er
1495 wieder abzog, eine Besatzung zurückließ. Seitdem blieb Sieur im ganzen
unter manchen Schwankungen auf französischer Seite. Diese Stellung und die
^te Feindschaft mit Florenz verflocht die Stadt in die großen Welthändel, in
den Gegensatz zwischen der französischen und der spanisch-habsburgischen Mo¬
narchie und entschied ihr Schicksal. Nachdem sie 1552 eine spanisch-flarentinische
Besatzung verjagt und eine französische Garnison unter Piero Strozzi, dem
Todfeinde der Medici, aufgenommen hatte, erlag sie nach tapfrer Verteidigung
um April 1555 dem spanischen Heere und wurde nach dem Vertrage vom 3. Juli
1557 dem Herzog von Florenz, Cosimo I., dem Bundesgenosse» Spaniens, als
spanisches Lehen übergeben. Mit der Erwerbung von Siena war das neue
^roßherzogtnm Toskana begründet, das sich überall ans den Trümmern der
alten Städtefreiheit erhob.

(Fortsclmnn, folgt)




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/259>, abgerufen am 04.07.2024.