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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.

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An der Schwelle des Orients

zu genießen; so reich an Bildern, so unerschöpflich ist diese ganze Donauenge
von ihrem ersten Anfang um, daß Wohl niemand sie durchfährt ohne den Wunsch,
zum mindesten noch einmal zurückzukehren. Lautlose Stille herrschte auf Deck;
selbst die einfachen rumänischen und serbischen Landleute, auf ihren Mänteln
kauernd und auf den Tauen sitzend, scheinen, ohne sich Rechenschaft zu geben,
unter dem Banne der großen Natur zu sein, in die sie schweigend hinaus-
schauen,

Einst hat die große römische Heer- und Landstraße, die in Anbetracht
des damaligen Standes der Technik und ihrer Hilfsmittel nicht minder kühn
angelegt war, als die heute links von der Donau laufende Szechenyistraße,
rechts vom Strome, an seinem südlichen Ufer entlang geführt; heute zeigt sich
am serbischen Ufer kaun, da und dort ein verlvahrlvster Pfad- oder Feldweg.
Während im Altertum die Kultur Europas gewissermaßen in dessen Süden
verankert war und so denn auch ihre Kunststraße nur bis an das Südufer der
Donau vorzuschieben wagte, ist es das Bezeichnende der Neuzeit, daß Europas
Kultur im Schutze der Nordbewohner dieses Kontinents ruht, und so läuft
denn nun auch der Weg, der heute längs der Donau Westen und Osten ver¬
bindet, an ihrem Nordufer entlang. Denn trotz dem vielen Gerede davon, die
Donau selbst als Wasserstraße sei der westöstliche Verbindungsweg, war dies
thatsächlich bis vor kurzem nicht oder doch nur in sehr beschränktem Maße der
Fall. Nichts ist dafür beweisender, als daß den alten Griechen, die zu Land
von Makedonien her durch Thracien über den Balkan und das heutige Bul¬
garien und ebenso zur See vom Bosporus aus durch das Schwarze Meer an
den Unterlauf der Donau vorgedrungen sind, nur der Unterlauf des Stroms
als Jstros bekannt war, während von seinein Oberlauf Danuvius lange Zeit
vermutet wurde, er gehöre gar nicht mit dem Jstros zusammen, sondern mürbe
irgendwo ins Adriatischc Meer. Es ging eben den alten Griechen mit der
Donau, wie es uns mit vielen Flüssen in Afrika und Australien geht, oder
doch bis vor kurzem ging, deren Ober- und Unterlauf bei den Anwohnern
verschiedene Namen tragen, und die infolge der beide trennenden Katarakte
auch uns erst allmählich und mühevoll die geographische Erkenntnis ihrer Zu¬
sammengehörigkeit gewinnen ließen. Diese die Verbindung ganz oder fast ganz
hemmenden Stroinhindernisfe sind in der Donau erst in jüngster Zeit beseitigt
worden durch großartige Sprengungen und Einbänden. Bis in die siebziger
Jahre war aber nicht nnr die Durchfahrt durch das eigentliche Eiserne Thor
zwischen Orsova und Turm - Severin mit Schwierigkeiten und Gefahren ver¬
bunden, ja bei niedern! Wnsserstnnde ganz unmöglich, sondern auch das sogenannte
"kleine Eiserne Thor" zwischen Golubaz und Milanowaz bot Hindernisse, die
nur der kündige Schiffer und auch dieser nicht das ganze Jahr hindurch zu
überwinden vermochte. Heute zeigt nur noch hie und da ein lebhafterer Wellen¬
schlag der sonst in majestätischer Ruhe, wenn auch mit starker Strömung dahin¬
fließenden Donau im kleinen Eisernen Thore die Stellen an, all denen früher
die 800 Meter lange Stenkafelsbank und die übrigen zahlreichen Klippen zwischen


An der Schwelle des Orients

zu genießen; so reich an Bildern, so unerschöpflich ist diese ganze Donauenge
von ihrem ersten Anfang um, daß Wohl niemand sie durchfährt ohne den Wunsch,
zum mindesten noch einmal zurückzukehren. Lautlose Stille herrschte auf Deck;
selbst die einfachen rumänischen und serbischen Landleute, auf ihren Mänteln
kauernd und auf den Tauen sitzend, scheinen, ohne sich Rechenschaft zu geben,
unter dem Banne der großen Natur zu sein, in die sie schweigend hinaus-
schauen,

Einst hat die große römische Heer- und Landstraße, die in Anbetracht
des damaligen Standes der Technik und ihrer Hilfsmittel nicht minder kühn
angelegt war, als die heute links von der Donau laufende Szechenyistraße,
rechts vom Strome, an seinem südlichen Ufer entlang geführt; heute zeigt sich
am serbischen Ufer kaun, da und dort ein verlvahrlvster Pfad- oder Feldweg.
Während im Altertum die Kultur Europas gewissermaßen in dessen Süden
verankert war und so denn auch ihre Kunststraße nur bis an das Südufer der
Donau vorzuschieben wagte, ist es das Bezeichnende der Neuzeit, daß Europas
Kultur im Schutze der Nordbewohner dieses Kontinents ruht, und so läuft
denn nun auch der Weg, der heute längs der Donau Westen und Osten ver¬
bindet, an ihrem Nordufer entlang. Denn trotz dem vielen Gerede davon, die
Donau selbst als Wasserstraße sei der westöstliche Verbindungsweg, war dies
thatsächlich bis vor kurzem nicht oder doch nur in sehr beschränktem Maße der
Fall. Nichts ist dafür beweisender, als daß den alten Griechen, die zu Land
von Makedonien her durch Thracien über den Balkan und das heutige Bul¬
garien und ebenso zur See vom Bosporus aus durch das Schwarze Meer an
den Unterlauf der Donau vorgedrungen sind, nur der Unterlauf des Stroms
als Jstros bekannt war, während von seinein Oberlauf Danuvius lange Zeit
vermutet wurde, er gehöre gar nicht mit dem Jstros zusammen, sondern mürbe
irgendwo ins Adriatischc Meer. Es ging eben den alten Griechen mit der
Donau, wie es uns mit vielen Flüssen in Afrika und Australien geht, oder
doch bis vor kurzem ging, deren Ober- und Unterlauf bei den Anwohnern
verschiedene Namen tragen, und die infolge der beide trennenden Katarakte
auch uns erst allmählich und mühevoll die geographische Erkenntnis ihrer Zu¬
sammengehörigkeit gewinnen ließen. Diese die Verbindung ganz oder fast ganz
hemmenden Stroinhindernisfe sind in der Donau erst in jüngster Zeit beseitigt
worden durch großartige Sprengungen und Einbänden. Bis in die siebziger
Jahre war aber nicht nnr die Durchfahrt durch das eigentliche Eiserne Thor
zwischen Orsova und Turm - Severin mit Schwierigkeiten und Gefahren ver¬
bunden, ja bei niedern! Wnsserstnnde ganz unmöglich, sondern auch das sogenannte
„kleine Eiserne Thor" zwischen Golubaz und Milanowaz bot Hindernisse, die
nur der kündige Schiffer und auch dieser nicht das ganze Jahr hindurch zu
überwinden vermochte. Heute zeigt nur noch hie und da ein lebhafterer Wellen¬
schlag der sonst in majestätischer Ruhe, wenn auch mit starker Strömung dahin¬
fließenden Donau im kleinen Eisernen Thore die Stellen an, all denen früher
die 800 Meter lange Stenkafelsbank und die übrigen zahlreichen Klippen zwischen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/242>, abgerufen am 02.07.2024.