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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.

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Böhmische Wirren

abnehmen und es auf ihre eigne Hand mit den Tschechen versuchen wollten?
Und wenn die Deutsch-Österreicher in die Falle gingen und -- ein politischer
Mißgriff, der der Sache ganz die von den Pauslnwisten gewünschte Wendung
gab -- die vielfach gerechtfertigte Unzufriedenheit der Tschechen zu ihren Un-
gunsten so kanalisierten, daß sie ausschließlich gegen sie gerichtet schien, und
daß die Tschechen über ihrer Erbitterung auf die extremen deutschen Par¬
teien die Beschwerden gegen die Negierung bei einem Haar ganz vergessen
hätten, was soll man von einer Regierung sagen, die während der Be¬
ratungen über die Sprachenfrage mit einemmale nichts besseres zu thun
wußte als die eine Lebensfrage für sie invvlvierende Staatssprachenprärogative
aufzugeben und dafür, unter dein Verlust ihrer bisherigen treusten Anhänger,
eine Anzahl tschechischer Parlamentsstimmen einzuhandeln?

Daß man von einer Regierung, die so gegen ihr eignes Fleisch wütete,
keine besonders hohe Meinung haben konnte, war natürlich. Wir beurteilen
deshalb auch das maßlose Vorgehn der radikalen und zum Teil geradezu
revolutionären deutschen Fraktion, insoweit es gegen die Regierung gerichtet
war, mit einer gewissen, dnrch das Vorhandensein mildernder Umstände moti¬
vierten Nachsicht und beklagen vielmehr in erster Reihe den groben politischen
Fehler, den diese Fraktion dadurch beging, daß sie die Erbitterung der Tschechen
ohne Not und Nutzen durch Berserkerangriffe zur Weißglühhitze steigerte. Es
ist eine alte, von beredten Parlamentariern nie genug zu beherzigende Lehre,
daß nur sachlich gehaltne Auseinandersetzungen der verfochtnen Sache wirklich
nützen, während ihr durch den üppigen rhetorischen Juvektivenschmuck immer
Schaden geschieht, ein Schaden, der auch nicht durch die Bewundrung und den
Jubel der beifällig lauschenden Parteigenossen aufgewogen wird, den" In-
vektiven und Renommisterei sind Eintagsblüten, deren dürre Blätter schou die
Morgenluft des nächsten Tags achtlos vor sich hertreibt.

Nachdem im Neichsrat eine Weile alles auf dem Kopf gestanden, und
es der eine dem andern in der Kunst, die Stantsmaschiue zum Stillstand zu
bringen, zuvorgethan hatte, kam die Regierung auf den Gedanken, daß sich
noch alles zum guten wenden könnte, wenn sich Tschechen und Dentsch-
Österreicher über die Sprachenfrage in Böhmen einigen könnten. Offenbar
eine der unglücklichsten Ideen, die unter den gegenwärtigen Verhältnissen einem
staatsmnnnischen Hirn entsprießen konnte.

Was würde man von einem Bauern sagen, dessen Söhne über die Erute-
arbeiteu in Streit geraten wären, und der ihnen sagte: Kommt, wenn ihr
einig geworden seid, und sagt mir, wie es werden soll. Würde nicht jeder¬
mann fragen: Warum sagt er nicht lieber selbst, wie es werden soll, dn es
doch seine Felder siud, um die es sich handelt, und ist dann selbst dahinter
her, daß es auch wirklich so gemacht wird? Oder hat sich der Bauer gar
etwa durch einen der Söhne das Heft aus den Händen winden lassen und ist
nicht mehr Herr im Hause?

Was in Bezug auf den böhmische" Sprach euzlvist in großen Zügen die


Böhmische Wirren

abnehmen und es auf ihre eigne Hand mit den Tschechen versuchen wollten?
Und wenn die Deutsch-Österreicher in die Falle gingen und — ein politischer
Mißgriff, der der Sache ganz die von den Pauslnwisten gewünschte Wendung
gab — die vielfach gerechtfertigte Unzufriedenheit der Tschechen zu ihren Un-
gunsten so kanalisierten, daß sie ausschließlich gegen sie gerichtet schien, und
daß die Tschechen über ihrer Erbitterung auf die extremen deutschen Par¬
teien die Beschwerden gegen die Negierung bei einem Haar ganz vergessen
hätten, was soll man von einer Regierung sagen, die während der Be¬
ratungen über die Sprachenfrage mit einemmale nichts besseres zu thun
wußte als die eine Lebensfrage für sie invvlvierende Staatssprachenprärogative
aufzugeben und dafür, unter dein Verlust ihrer bisherigen treusten Anhänger,
eine Anzahl tschechischer Parlamentsstimmen einzuhandeln?

Daß man von einer Regierung, die so gegen ihr eignes Fleisch wütete,
keine besonders hohe Meinung haben konnte, war natürlich. Wir beurteilen
deshalb auch das maßlose Vorgehn der radikalen und zum Teil geradezu
revolutionären deutschen Fraktion, insoweit es gegen die Regierung gerichtet
war, mit einer gewissen, dnrch das Vorhandensein mildernder Umstände moti¬
vierten Nachsicht und beklagen vielmehr in erster Reihe den groben politischen
Fehler, den diese Fraktion dadurch beging, daß sie die Erbitterung der Tschechen
ohne Not und Nutzen durch Berserkerangriffe zur Weißglühhitze steigerte. Es
ist eine alte, von beredten Parlamentariern nie genug zu beherzigende Lehre,
daß nur sachlich gehaltne Auseinandersetzungen der verfochtnen Sache wirklich
nützen, während ihr durch den üppigen rhetorischen Juvektivenschmuck immer
Schaden geschieht, ein Schaden, der auch nicht durch die Bewundrung und den
Jubel der beifällig lauschenden Parteigenossen aufgewogen wird, den» In-
vektiven und Renommisterei sind Eintagsblüten, deren dürre Blätter schou die
Morgenluft des nächsten Tags achtlos vor sich hertreibt.

Nachdem im Neichsrat eine Weile alles auf dem Kopf gestanden, und
es der eine dem andern in der Kunst, die Stantsmaschiue zum Stillstand zu
bringen, zuvorgethan hatte, kam die Regierung auf den Gedanken, daß sich
noch alles zum guten wenden könnte, wenn sich Tschechen und Dentsch-
Österreicher über die Sprachenfrage in Böhmen einigen könnten. Offenbar
eine der unglücklichsten Ideen, die unter den gegenwärtigen Verhältnissen einem
staatsmnnnischen Hirn entsprießen konnte.

Was würde man von einem Bauern sagen, dessen Söhne über die Erute-
arbeiteu in Streit geraten wären, und der ihnen sagte: Kommt, wenn ihr
einig geworden seid, und sagt mir, wie es werden soll. Würde nicht jeder¬
mann fragen: Warum sagt er nicht lieber selbst, wie es werden soll, dn es
doch seine Felder siud, um die es sich handelt, und ist dann selbst dahinter
her, daß es auch wirklich so gemacht wird? Oder hat sich der Bauer gar
etwa durch einen der Söhne das Heft aus den Händen winden lassen und ist
nicht mehr Herr im Hause?

Was in Bezug auf den böhmische» Sprach euzlvist in großen Zügen die


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[0226] Böhmische Wirren abnehmen und es auf ihre eigne Hand mit den Tschechen versuchen wollten? Und wenn die Deutsch-Österreicher in die Falle gingen und — ein politischer Mißgriff, der der Sache ganz die von den Pauslnwisten gewünschte Wendung gab — die vielfach gerechtfertigte Unzufriedenheit der Tschechen zu ihren Un- gunsten so kanalisierten, daß sie ausschließlich gegen sie gerichtet schien, und daß die Tschechen über ihrer Erbitterung auf die extremen deutschen Par¬ teien die Beschwerden gegen die Negierung bei einem Haar ganz vergessen hätten, was soll man von einer Regierung sagen, die während der Be¬ ratungen über die Sprachenfrage mit einemmale nichts besseres zu thun wußte als die eine Lebensfrage für sie invvlvierende Staatssprachenprärogative aufzugeben und dafür, unter dein Verlust ihrer bisherigen treusten Anhänger, eine Anzahl tschechischer Parlamentsstimmen einzuhandeln? Daß man von einer Regierung, die so gegen ihr eignes Fleisch wütete, keine besonders hohe Meinung haben konnte, war natürlich. Wir beurteilen deshalb auch das maßlose Vorgehn der radikalen und zum Teil geradezu revolutionären deutschen Fraktion, insoweit es gegen die Regierung gerichtet war, mit einer gewissen, dnrch das Vorhandensein mildernder Umstände moti¬ vierten Nachsicht und beklagen vielmehr in erster Reihe den groben politischen Fehler, den diese Fraktion dadurch beging, daß sie die Erbitterung der Tschechen ohne Not und Nutzen durch Berserkerangriffe zur Weißglühhitze steigerte. Es ist eine alte, von beredten Parlamentariern nie genug zu beherzigende Lehre, daß nur sachlich gehaltne Auseinandersetzungen der verfochtnen Sache wirklich nützen, während ihr durch den üppigen rhetorischen Juvektivenschmuck immer Schaden geschieht, ein Schaden, der auch nicht durch die Bewundrung und den Jubel der beifällig lauschenden Parteigenossen aufgewogen wird, den» In- vektiven und Renommisterei sind Eintagsblüten, deren dürre Blätter schou die Morgenluft des nächsten Tags achtlos vor sich hertreibt. Nachdem im Neichsrat eine Weile alles auf dem Kopf gestanden, und es der eine dem andern in der Kunst, die Stantsmaschiue zum Stillstand zu bringen, zuvorgethan hatte, kam die Regierung auf den Gedanken, daß sich noch alles zum guten wenden könnte, wenn sich Tschechen und Dentsch- Österreicher über die Sprachenfrage in Böhmen einigen könnten. Offenbar eine der unglücklichsten Ideen, die unter den gegenwärtigen Verhältnissen einem staatsmnnnischen Hirn entsprießen konnte. Was würde man von einem Bauern sagen, dessen Söhne über die Erute- arbeiteu in Streit geraten wären, und der ihnen sagte: Kommt, wenn ihr einig geworden seid, und sagt mir, wie es werden soll. Würde nicht jeder¬ mann fragen: Warum sagt er nicht lieber selbst, wie es werden soll, dn es doch seine Felder siud, um die es sich handelt, und ist dann selbst dahinter her, daß es auch wirklich so gemacht wird? Oder hat sich der Bauer gar etwa durch einen der Söhne das Heft aus den Händen winden lassen und ist nicht mehr Herr im Hause? Was in Bezug auf den böhmische» Sprach euzlvist in großen Zügen die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/226>, abgerufen am 02.07.2024.