Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Böhmische Wirren

Aufstellung von Kruzifixen mit brennenden Kerzen zu beiden Seiten in festlich
erleuchtete Hausaltäre verwandelt hatten. Dem Hexensabbath solcher Volks¬
tumulte rechtzeitig zu wehren ist mitunter die beste Administration außer stände.
Der Wiener Zentralregierung waren in dieser Beziehung um so welliger Vor¬
würfe zu mache", als schon am nächsten Tage durch Proklnmierung des mili¬
tärischen Standrechts das Versäumte nachgeholt und musterhafte Straßenpolizei
hergestellt wurde.

Wo mau dagegen -- um unter vielen Beispielen nur eins anzuführen --
U'ehe umhin konnte, die Schuld des Geschehenen geradeswegs der Regierung
^>r Last zu legen, das war in der vielbesprochnen durch den Prager Stadtrat
Zwangsweise ausgeführte,, Entfernung aller der Straßenschilder, auf denen die
deutsche Bezeichnung der Straße zu lesen war. Also offenbar bei der Re¬
gierung die stillschweigende Billigung einer Maßnahme, die bezüglich der so¬
genannten Zweisprachigkeit Prags das Bestehende über den Hansen warf und
W' dessen Stelle das Prinzip setzte, daß Prag eine rein tschechische Stadt sei,
die von dem Vorhandensein einer allen Ständen angehörigen deutschen Be¬
völkerung keine Notiz zu nehmen habe.

Daß eine durchaus antiösterreichische Ziele verfolgende extreme Partei
Nur zu froh war, deu Augenblick, wo sie am Nuder war, zu einem solchen
'hre deutschfeindlichen Bestrebungen krönenden Schritt zu benutzen, konnte
niemand wunder nehmen: man wußte in Prag längst, woran man mit
I>r. Podlipnh und dessen Kollegen war. Nur daß die Regierung für das
Widerrechtliche einer solchen Maßregel blind zu sein oder der Gefahr, mit der
dadurch ihr Ansehen bedroht war, nicht begegne,: zu können schien, überraschte.
Man fragte sich, ob die Regierung nicht handeln wolle oder nicht handeln
könne, und beide Eventualitäten waren für die Deutsch-Österreicher Böhmens
und für die Freunde der österreichische" Gesamtmonarchie gleich trostlos.

Der Gedanke an die Unabhängigkeit Ungarns vom Reich raubte den
Tschechen schon damals den Schlummer. Die in ihren Kreisen ausgegcbne
Purole - das erfuhr man mündlich weit besser als dnrch Zeitungen --
lautete, daß Böhmen von Wien ans eine ungebührliche Steuerlast ans den
Hals geladen werde, daß mau die .Zusage der Königskrönung auf dem Hradschin
nicht gehalten habe, daß man uuter dem Deckmantel deutschen Gerichtsverfahrens
und deutschen Kurialstils dein tschechischen Volk das Fell über die Ohren
ziehe, und daß alles das nicht eher anders werden könne, als bis man er¬
langt habe, daß sich das Königreich Böhmen, wie Ungarn, selbst administriere,
"ut daß es auch in Böhmen, wie in Ungarn, für das öffentliche Leben nur
eine Sprache gebe, die Landessprache.

Muß man nicht in der That staunen, wie eS einer einsichtigen und ans
ihre Prärogativen haltende" Negierung beikommen konnte, solchen Anforde^
ringen gegenüber stillzuschweigen, die Hände i" de" Schoß z" legen "ut es
den in Böhmen lebende" Deutschen zu überlassen, ob sie, weil ihnen die
Sprachforderung unbequem lind verletzend erschien, dein Kabinett die Arbeit


Grenzbaten I 1900 2"
Böhmische Wirren

Aufstellung von Kruzifixen mit brennenden Kerzen zu beiden Seiten in festlich
erleuchtete Hausaltäre verwandelt hatten. Dem Hexensabbath solcher Volks¬
tumulte rechtzeitig zu wehren ist mitunter die beste Administration außer stände.
Der Wiener Zentralregierung waren in dieser Beziehung um so welliger Vor¬
würfe zu mache», als schon am nächsten Tage durch Proklnmierung des mili¬
tärischen Standrechts das Versäumte nachgeholt und musterhafte Straßenpolizei
hergestellt wurde.

Wo mau dagegen — um unter vielen Beispielen nur eins anzuführen —
U'ehe umhin konnte, die Schuld des Geschehenen geradeswegs der Regierung
^>r Last zu legen, das war in der vielbesprochnen durch den Prager Stadtrat
Zwangsweise ausgeführte,, Entfernung aller der Straßenschilder, auf denen die
deutsche Bezeichnung der Straße zu lesen war. Also offenbar bei der Re¬
gierung die stillschweigende Billigung einer Maßnahme, die bezüglich der so¬
genannten Zweisprachigkeit Prags das Bestehende über den Hansen warf und
W' dessen Stelle das Prinzip setzte, daß Prag eine rein tschechische Stadt sei,
die von dem Vorhandensein einer allen Ständen angehörigen deutschen Be¬
völkerung keine Notiz zu nehmen habe.

Daß eine durchaus antiösterreichische Ziele verfolgende extreme Partei
Nur zu froh war, deu Augenblick, wo sie am Nuder war, zu einem solchen
'hre deutschfeindlichen Bestrebungen krönenden Schritt zu benutzen, konnte
niemand wunder nehmen: man wußte in Prag längst, woran man mit
I>r. Podlipnh und dessen Kollegen war. Nur daß die Regierung für das
Widerrechtliche einer solchen Maßregel blind zu sein oder der Gefahr, mit der
dadurch ihr Ansehen bedroht war, nicht begegne,: zu können schien, überraschte.
Man fragte sich, ob die Regierung nicht handeln wolle oder nicht handeln
könne, und beide Eventualitäten waren für die Deutsch-Österreicher Böhmens
und für die Freunde der österreichische» Gesamtmonarchie gleich trostlos.

Der Gedanke an die Unabhängigkeit Ungarns vom Reich raubte den
Tschechen schon damals den Schlummer. Die in ihren Kreisen ausgegcbne
Purole - das erfuhr man mündlich weit besser als dnrch Zeitungen —
lautete, daß Böhmen von Wien ans eine ungebührliche Steuerlast ans den
Hals geladen werde, daß mau die .Zusage der Königskrönung auf dem Hradschin
nicht gehalten habe, daß man uuter dem Deckmantel deutschen Gerichtsverfahrens
und deutschen Kurialstils dein tschechischen Volk das Fell über die Ohren
ziehe, und daß alles das nicht eher anders werden könne, als bis man er¬
langt habe, daß sich das Königreich Böhmen, wie Ungarn, selbst administriere,
»ut daß es auch in Böhmen, wie in Ungarn, für das öffentliche Leben nur
eine Sprache gebe, die Landessprache.

Muß man nicht in der That staunen, wie eS einer einsichtigen und ans
ihre Prärogativen haltende» Negierung beikommen konnte, solchen Anforde^
ringen gegenüber stillzuschweigen, die Hände i» de» Schoß z» legen »ut es
den in Böhmen lebende» Deutschen zu überlassen, ob sie, weil ihnen die
Sprachforderung unbequem lind verletzend erschien, dein Kabinett die Arbeit


Grenzbaten I 1900 2«
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0225" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/232777"/>
          <fw type="header" place="top"> Böhmische Wirren</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_688" prev="#ID_687"> Aufstellung von Kruzifixen mit brennenden Kerzen zu beiden Seiten in festlich<lb/>
erleuchtete Hausaltäre verwandelt hatten. Dem Hexensabbath solcher Volks¬<lb/>
tumulte rechtzeitig zu wehren ist mitunter die beste Administration außer stände.<lb/>
Der Wiener Zentralregierung waren in dieser Beziehung um so welliger Vor¬<lb/>
würfe zu mache», als schon am nächsten Tage durch Proklnmierung des mili¬<lb/>
tärischen Standrechts das Versäumte nachgeholt und musterhafte Straßenpolizei<lb/>
hergestellt wurde.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_689"> Wo mau dagegen &#x2014; um unter vielen Beispielen nur eins anzuführen &#x2014;<lb/>
U'ehe umhin konnte, die Schuld des Geschehenen geradeswegs der Regierung<lb/>
^&gt;r Last zu legen, das war in der vielbesprochnen durch den Prager Stadtrat<lb/>
Zwangsweise ausgeführte,, Entfernung aller der Straßenschilder, auf denen die<lb/>
deutsche Bezeichnung der Straße zu lesen war. Also offenbar bei der Re¬<lb/>
gierung die stillschweigende Billigung einer Maßnahme, die bezüglich der so¬<lb/>
genannten Zweisprachigkeit Prags das Bestehende über den Hansen warf und<lb/>
W' dessen Stelle das Prinzip setzte, daß Prag eine rein tschechische Stadt sei,<lb/>
die von dem Vorhandensein einer allen Ständen angehörigen deutschen Be¬<lb/>
völkerung keine Notiz zu nehmen habe.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_690"> Daß eine durchaus antiösterreichische Ziele verfolgende extreme Partei<lb/>
Nur zu froh war, deu Augenblick, wo sie am Nuder war, zu einem solchen<lb/>
'hre deutschfeindlichen Bestrebungen krönenden Schritt zu benutzen, konnte<lb/>
niemand wunder nehmen: man wußte in Prag längst, woran man mit<lb/>
I&gt;r. Podlipnh und dessen Kollegen war. Nur daß die Regierung für das<lb/>
Widerrechtliche einer solchen Maßregel blind zu sein oder der Gefahr, mit der<lb/>
dadurch ihr Ansehen bedroht war, nicht begegne,: zu können schien, überraschte.<lb/>
Man fragte sich, ob die Regierung nicht handeln wolle oder nicht handeln<lb/>
könne, und beide Eventualitäten waren für die Deutsch-Österreicher Böhmens<lb/>
und für die Freunde der österreichische» Gesamtmonarchie gleich trostlos.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_691"> Der Gedanke an die Unabhängigkeit Ungarns vom Reich raubte den<lb/>
Tschechen schon damals den Schlummer. Die in ihren Kreisen ausgegcbne<lb/>
Purole - das erfuhr man mündlich weit besser als dnrch Zeitungen &#x2014;<lb/>
lautete, daß Böhmen von Wien ans eine ungebührliche Steuerlast ans den<lb/>
Hals geladen werde, daß mau die .Zusage der Königskrönung auf dem Hradschin<lb/>
nicht gehalten habe, daß man uuter dem Deckmantel deutschen Gerichtsverfahrens<lb/>
und deutschen Kurialstils dein tschechischen Volk das Fell über die Ohren<lb/>
ziehe, und daß alles das nicht eher anders werden könne, als bis man er¬<lb/>
langt habe, daß sich das Königreich Böhmen, wie Ungarn, selbst administriere,<lb/>
»ut daß es auch in Böhmen, wie in Ungarn, für das öffentliche Leben nur<lb/>
eine Sprache gebe, die Landessprache.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_692" next="#ID_693"> Muß man nicht in der That staunen, wie eS einer einsichtigen und ans<lb/>
ihre Prärogativen haltende» Negierung beikommen konnte, solchen Anforde^<lb/>
ringen gegenüber stillzuschweigen, die Hände i» de» Schoß z» legen »ut es<lb/>
den in Böhmen lebende» Deutschen zu überlassen, ob sie, weil ihnen die<lb/>
Sprachforderung unbequem lind verletzend erschien, dein Kabinett die Arbeit</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzbaten I 1900 2«</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0225] Böhmische Wirren Aufstellung von Kruzifixen mit brennenden Kerzen zu beiden Seiten in festlich erleuchtete Hausaltäre verwandelt hatten. Dem Hexensabbath solcher Volks¬ tumulte rechtzeitig zu wehren ist mitunter die beste Administration außer stände. Der Wiener Zentralregierung waren in dieser Beziehung um so welliger Vor¬ würfe zu mache», als schon am nächsten Tage durch Proklnmierung des mili¬ tärischen Standrechts das Versäumte nachgeholt und musterhafte Straßenpolizei hergestellt wurde. Wo mau dagegen — um unter vielen Beispielen nur eins anzuführen — U'ehe umhin konnte, die Schuld des Geschehenen geradeswegs der Regierung ^>r Last zu legen, das war in der vielbesprochnen durch den Prager Stadtrat Zwangsweise ausgeführte,, Entfernung aller der Straßenschilder, auf denen die deutsche Bezeichnung der Straße zu lesen war. Also offenbar bei der Re¬ gierung die stillschweigende Billigung einer Maßnahme, die bezüglich der so¬ genannten Zweisprachigkeit Prags das Bestehende über den Hansen warf und W' dessen Stelle das Prinzip setzte, daß Prag eine rein tschechische Stadt sei, die von dem Vorhandensein einer allen Ständen angehörigen deutschen Be¬ völkerung keine Notiz zu nehmen habe. Daß eine durchaus antiösterreichische Ziele verfolgende extreme Partei Nur zu froh war, deu Augenblick, wo sie am Nuder war, zu einem solchen 'hre deutschfeindlichen Bestrebungen krönenden Schritt zu benutzen, konnte niemand wunder nehmen: man wußte in Prag längst, woran man mit I>r. Podlipnh und dessen Kollegen war. Nur daß die Regierung für das Widerrechtliche einer solchen Maßregel blind zu sein oder der Gefahr, mit der dadurch ihr Ansehen bedroht war, nicht begegne,: zu können schien, überraschte. Man fragte sich, ob die Regierung nicht handeln wolle oder nicht handeln könne, und beide Eventualitäten waren für die Deutsch-Österreicher Böhmens und für die Freunde der österreichische» Gesamtmonarchie gleich trostlos. Der Gedanke an die Unabhängigkeit Ungarns vom Reich raubte den Tschechen schon damals den Schlummer. Die in ihren Kreisen ausgegcbne Purole - das erfuhr man mündlich weit besser als dnrch Zeitungen — lautete, daß Böhmen von Wien ans eine ungebührliche Steuerlast ans den Hals geladen werde, daß mau die .Zusage der Königskrönung auf dem Hradschin nicht gehalten habe, daß man uuter dem Deckmantel deutschen Gerichtsverfahrens und deutschen Kurialstils dein tschechischen Volk das Fell über die Ohren ziehe, und daß alles das nicht eher anders werden könne, als bis man er¬ langt habe, daß sich das Königreich Böhmen, wie Ungarn, selbst administriere, »ut daß es auch in Böhmen, wie in Ungarn, für das öffentliche Leben nur eine Sprache gebe, die Landessprache. Muß man nicht in der That staunen, wie eS einer einsichtigen und ans ihre Prärogativen haltende» Negierung beikommen konnte, solchen Anforde^ ringen gegenüber stillzuschweigen, die Hände i» de» Schoß z» legen »ut es den in Böhmen lebende» Deutschen zu überlassen, ob sie, weil ihnen die Sprachforderung unbequem lind verletzend erschien, dein Kabinett die Arbeit Grenzbaten I 1900 2«

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/225
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/225>, abgerufen am 02.07.2024.