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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.

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Daß die österreichische Regierung dieses erste und wichtigste Gebot der
Selbsterhaltung auch nur vorübergehend außer Augen lassen konnte, findet i"
umstanden seine Erklärung, die auch in andrer Beziehung gegenwärtig einer
stetigen und energischen Handhabung der Regierungsgewalt entgegenstehn. Die
loyalen Gefühle, die dem schwer geprüften, pflichttreuen und die Sympathien
der Mitwelt in besonderm Maße genießenden Haupte des ErzHauses in so
vielem österreichischen Herzen gesichert sind, bieten keinen ausreichende" Ersatz
für die zersetzende und lähmende Wirkung der mehr oder minder offnen Auf-
Ahnung, mit der man an verschiednen Stellen lind ganz besonders in Böhmen
ungestraft den Maßnahmen seiner Regierung begegnen darf. Nur die rücksichts¬
lose Energie eines klarsehenden Staatsmanns, der für die ihm nötig erschei¬
nenden Maßregeln eines beständigen Rückhalts an ninßgebender Stelle sicher
wäre, könnte das, was mehr und mehr auseinander zu falten droht, mit
lästiger Hand wiederausraffen, einen und festhalten.

In einem nicht unbeträchtlichen Teile Böhmens herrscht -- dnrch eine
konventionelle, mir der Person des Monarchen geltende Loyalität notdürftig
verschleiert -- unverkennbare Empörung gegen dessen Regierung, und diese,
statt energisch einzuschreiten, giebt sich vor der Welt den Anschein, als merke
sie nichts davon, und als lege sie weder den aufrührerischen Demonstrationen
der Volkshaufen noch den handgreiflichen Beweisen obrigkeitlichen Ungehorsams
wie besondre Bedeutung bei.

Die Lage ist sehr ernst, und jedem aufmerksamen Beobachter muß eine
Auslegung des Beamteneids sehr bedenklich erscheinen, auf Grund deren zahl¬
reiche Ortsbehörden, an ihrer Spitze der Prager Stadtrat unter Dr. Podlipny,
ihrer Obhut anvertraute kaiserliche Mnnizipien zu vorgeschobneu Werken des
Mit seiner Hmiptzitadelle in Rußland etablierten Pnnslawismns gemacht haben.
Wie es in diesen Plätzen zweierlei Maß und Gewicht für die von ihnen be
Anfügte tschechische Majorität einerseits und andrerseits für die ihnen als
Dorn im Auge hastende deutsch-österreichische Minorität giebt, so werden dort
auch grundsätzlich die Wahrzeichen des gemeinsamen österreichischen Vaterlands:
die kaiserlichen Farben, das Heer und die Staatssprache bei jeder Gelegenheit
beiseite geschoben oder zum Vorwand ansrührerischer Manifestationen mißbraucht,
während alles, was ein die entschwundne Macht und Herrlichkeit der Wenzels¬
krone erinnert, oder die Zugehörigkeit des tschechischen Stamms zum slawischen
in helleres Licht zu rücken geeignet ist, gefördert, gefeiert und mit partikula-
nstischem Weihrauch bedacht wird.

Es ist nicht unsre Absicht, auf die Exzesse, die in de" letzten Jahren in
Böhmen vorgekommen sind, zurückzukommen, um das Unwesen jeuer Tage als
Beweismittel für die Notwendigkeit energischer Repressivmaßregeln zu ver¬
wenden. Wer auch nur einmal Gelegenheit gehabt hat, einen Blick hinter die
Kulissen zu werfen, und wem es dabei klar geworden ist, wie die für Tumulte
erforderlichem Requisiten: Preßartikel, Lieder, mit kräftiger Zunge und besonders
lauter Stimme begabte Volksredner, gedrillte Begeisternngs- und Entrüstungs-


Daß die österreichische Regierung dieses erste und wichtigste Gebot der
Selbsterhaltung auch nur vorübergehend außer Augen lassen konnte, findet i»
umstanden seine Erklärung, die auch in andrer Beziehung gegenwärtig einer
stetigen und energischen Handhabung der Regierungsgewalt entgegenstehn. Die
loyalen Gefühle, die dem schwer geprüften, pflichttreuen und die Sympathien
der Mitwelt in besonderm Maße genießenden Haupte des ErzHauses in so
vielem österreichischen Herzen gesichert sind, bieten keinen ausreichende» Ersatz
für die zersetzende und lähmende Wirkung der mehr oder minder offnen Auf-
Ahnung, mit der man an verschiednen Stellen lind ganz besonders in Böhmen
ungestraft den Maßnahmen seiner Regierung begegnen darf. Nur die rücksichts¬
lose Energie eines klarsehenden Staatsmanns, der für die ihm nötig erschei¬
nenden Maßregeln eines beständigen Rückhalts an ninßgebender Stelle sicher
wäre, könnte das, was mehr und mehr auseinander zu falten droht, mit
lästiger Hand wiederausraffen, einen und festhalten.

In einem nicht unbeträchtlichen Teile Böhmens herrscht — dnrch eine
konventionelle, mir der Person des Monarchen geltende Loyalität notdürftig
verschleiert — unverkennbare Empörung gegen dessen Regierung, und diese,
statt energisch einzuschreiten, giebt sich vor der Welt den Anschein, als merke
sie nichts davon, und als lege sie weder den aufrührerischen Demonstrationen
der Volkshaufen noch den handgreiflichen Beweisen obrigkeitlichen Ungehorsams
wie besondre Bedeutung bei.

Die Lage ist sehr ernst, und jedem aufmerksamen Beobachter muß eine
Auslegung des Beamteneids sehr bedenklich erscheinen, auf Grund deren zahl¬
reiche Ortsbehörden, an ihrer Spitze der Prager Stadtrat unter Dr. Podlipny,
ihrer Obhut anvertraute kaiserliche Mnnizipien zu vorgeschobneu Werken des
Mit seiner Hmiptzitadelle in Rußland etablierten Pnnslawismns gemacht haben.
Wie es in diesen Plätzen zweierlei Maß und Gewicht für die von ihnen be
Anfügte tschechische Majorität einerseits und andrerseits für die ihnen als
Dorn im Auge hastende deutsch-österreichische Minorität giebt, so werden dort
auch grundsätzlich die Wahrzeichen des gemeinsamen österreichischen Vaterlands:
die kaiserlichen Farben, das Heer und die Staatssprache bei jeder Gelegenheit
beiseite geschoben oder zum Vorwand ansrührerischer Manifestationen mißbraucht,
während alles, was ein die entschwundne Macht und Herrlichkeit der Wenzels¬
krone erinnert, oder die Zugehörigkeit des tschechischen Stamms zum slawischen
in helleres Licht zu rücken geeignet ist, gefördert, gefeiert und mit partikula-
nstischem Weihrauch bedacht wird.

Es ist nicht unsre Absicht, auf die Exzesse, die in de» letzten Jahren in
Böhmen vorgekommen sind, zurückzukommen, um das Unwesen jeuer Tage als
Beweismittel für die Notwendigkeit energischer Repressivmaßregeln zu ver¬
wenden. Wer auch nur einmal Gelegenheit gehabt hat, einen Blick hinter die
Kulissen zu werfen, und wem es dabei klar geworden ist, wie die für Tumulte
erforderlichem Requisiten: Preßartikel, Lieder, mit kräftiger Zunge und besonders
lauter Stimme begabte Volksredner, gedrillte Begeisternngs- und Entrüstungs-


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[0223] Daß die österreichische Regierung dieses erste und wichtigste Gebot der Selbsterhaltung auch nur vorübergehend außer Augen lassen konnte, findet i» umstanden seine Erklärung, die auch in andrer Beziehung gegenwärtig einer stetigen und energischen Handhabung der Regierungsgewalt entgegenstehn. Die loyalen Gefühle, die dem schwer geprüften, pflichttreuen und die Sympathien der Mitwelt in besonderm Maße genießenden Haupte des ErzHauses in so vielem österreichischen Herzen gesichert sind, bieten keinen ausreichende» Ersatz für die zersetzende und lähmende Wirkung der mehr oder minder offnen Auf- Ahnung, mit der man an verschiednen Stellen lind ganz besonders in Böhmen ungestraft den Maßnahmen seiner Regierung begegnen darf. Nur die rücksichts¬ lose Energie eines klarsehenden Staatsmanns, der für die ihm nötig erschei¬ nenden Maßregeln eines beständigen Rückhalts an ninßgebender Stelle sicher wäre, könnte das, was mehr und mehr auseinander zu falten droht, mit lästiger Hand wiederausraffen, einen und festhalten. In einem nicht unbeträchtlichen Teile Böhmens herrscht — dnrch eine konventionelle, mir der Person des Monarchen geltende Loyalität notdürftig verschleiert — unverkennbare Empörung gegen dessen Regierung, und diese, statt energisch einzuschreiten, giebt sich vor der Welt den Anschein, als merke sie nichts davon, und als lege sie weder den aufrührerischen Demonstrationen der Volkshaufen noch den handgreiflichen Beweisen obrigkeitlichen Ungehorsams wie besondre Bedeutung bei. Die Lage ist sehr ernst, und jedem aufmerksamen Beobachter muß eine Auslegung des Beamteneids sehr bedenklich erscheinen, auf Grund deren zahl¬ reiche Ortsbehörden, an ihrer Spitze der Prager Stadtrat unter Dr. Podlipny, ihrer Obhut anvertraute kaiserliche Mnnizipien zu vorgeschobneu Werken des Mit seiner Hmiptzitadelle in Rußland etablierten Pnnslawismns gemacht haben. Wie es in diesen Plätzen zweierlei Maß und Gewicht für die von ihnen be Anfügte tschechische Majorität einerseits und andrerseits für die ihnen als Dorn im Auge hastende deutsch-österreichische Minorität giebt, so werden dort auch grundsätzlich die Wahrzeichen des gemeinsamen österreichischen Vaterlands: die kaiserlichen Farben, das Heer und die Staatssprache bei jeder Gelegenheit beiseite geschoben oder zum Vorwand ansrührerischer Manifestationen mißbraucht, während alles, was ein die entschwundne Macht und Herrlichkeit der Wenzels¬ krone erinnert, oder die Zugehörigkeit des tschechischen Stamms zum slawischen in helleres Licht zu rücken geeignet ist, gefördert, gefeiert und mit partikula- nstischem Weihrauch bedacht wird. Es ist nicht unsre Absicht, auf die Exzesse, die in de» letzten Jahren in Böhmen vorgekommen sind, zurückzukommen, um das Unwesen jeuer Tage als Beweismittel für die Notwendigkeit energischer Repressivmaßregeln zu ver¬ wenden. Wer auch nur einmal Gelegenheit gehabt hat, einen Blick hinter die Kulissen zu werfen, und wem es dabei klar geworden ist, wie die für Tumulte erforderlichem Requisiten: Preßartikel, Lieder, mit kräftiger Zunge und besonders lauter Stimme begabte Volksredner, gedrillte Begeisternngs- und Entrüstungs-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/223>, abgerufen am 02.07.2024.