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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.

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Löhmlschi! Ivirreil

Volks eine Gärung hervorzurufen, deren Exzesse sich, als dafür nach Jahren
ein schicklicher Vorwand gefunden war, wie alle Ausbrüche wirklich vorhandnett
oder künstlich erzeugten Volksunwillens sehr roh "ut gewaltthätig ausnahmen,
in Wahrheit aber, was Ernst und Nachhaltigkeit der aufrührerischen Be¬
wegungen anlangte, hinter den bescheidensten Erwartungen der bei der Vor¬
bereitung der Unruhen mit großen Geldopfern und vielem Zeitverlust beteiligten
Agitatoren zurückblieben.

Schon seit der Zeit Palackhs und des durch ihn zu partikularistisch-Patrio-
tischer Begeisterung entstammten Gefährtenkreises hatten es sich Gelehrte und
Laien angelegen sein gelassen, in Wort und Schrift das unter der Asche
glimmende Feuer tschechischer Sondergelüste und panslawistischer Bestrebungen
zu hellerer Flamme anzufachen. Von allen Agitntionsiintteln, die sich ihnen
in dieser Richtung darboten, war die Forderung, daß Gesetze, Gebräuche, Ge¬
richte und Verwaltungsstellen so umgestaltet werden sollten, daß der Tscheche
in Böhmen -- nnter völligem Ausschluß der deutschen Staatssprache - mir
seiue tschechische Landessprache zu hören bekomme und sich nnr ihrer zu be¬
dienen brauche, das wirksamste und -- was auch nichts verdarb -- den mi߬
liebigen Nebenbuhlern im Kampfe uns Dasein, den Deutsch-Österreichern
Böhmens das unbequemste.

Die Wirksamkeit dieses Agitationsmittels war namentlich um deswillen
so nachhaltig und stetig, weil es der Regierung auch beim besten Willen un¬
möglich war, die Wünsche der svoji, Ks so6um (suum vuiquo)-Tschechen zu
befriedigen, ohne damit den in Böhmen lebenden nichttschechischen Staats¬
angehörigen und einem großen Teile des Beamtenstands eine bisher nicht
in Frage gewesene Last aufzubürden: die Verpflichtung, neben der deutschen
Staatssprache auch in der tschechischen Landessprache zu Hanse zu sein.

Wiederholt von der Negierung gemachte Versuche, auf diese Wünsche ein-
zugehn, um sich im Wege des beliebten alö ut ass die Stimmen der tschechischen
Neichsratabgeordneten zu sicher,,, scheiterten bekanntlich am Widerstande der
Deutsch-Österreicher Böhmens, die in diesem zunächst zur Wahrung ihrer Sonder¬
interessen geführten Kampfe gleichzeitig für ein Prinzip eingetreten waren, das
in erster Reihe von der Regierung hätte verfochten und aufrecht gehalten
werden sollen: die Unantastbarkeit des der Staatssprache gegenüber den Landes¬
sprachen zustehenden Gebietsbereichs.

Wir führen ohne Parteinahme lediglich eine stantswissenschaftliche That¬
sache an, wenn wir hervorheben, daß keine Negierung, der es um die Fort¬
dauer einer lebensfähigen österreichischen Gesamtmonarchie wirklich Ernst ist,
anch nnr die allergeringste Lockerung des den vielsprachigen Staatenkomplex
umschlingenden und zusammenhaltenden Bandes der Staatssprache erlauben
darf. Ob durch Festhaltung dieses Grundsatzes den Wünschen des einen oder
des andern autvglossen Volksstamms gewillfahrt oder znwidergehandelt wird,
ist gegenüber der alle andern in den Hintergrund drängenden Frage der un¬
geschmälerten Zentralmacht thatsächlich Nebensache.


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Volks eine Gärung hervorzurufen, deren Exzesse sich, als dafür nach Jahren
ein schicklicher Vorwand gefunden war, wie alle Ausbrüche wirklich vorhandnett
oder künstlich erzeugten Volksunwillens sehr roh »ut gewaltthätig ausnahmen,
in Wahrheit aber, was Ernst und Nachhaltigkeit der aufrührerischen Be¬
wegungen anlangte, hinter den bescheidensten Erwartungen der bei der Vor¬
bereitung der Unruhen mit großen Geldopfern und vielem Zeitverlust beteiligten
Agitatoren zurückblieben.

Schon seit der Zeit Palackhs und des durch ihn zu partikularistisch-Patrio-
tischer Begeisterung entstammten Gefährtenkreises hatten es sich Gelehrte und
Laien angelegen sein gelassen, in Wort und Schrift das unter der Asche
glimmende Feuer tschechischer Sondergelüste und panslawistischer Bestrebungen
zu hellerer Flamme anzufachen. Von allen Agitntionsiintteln, die sich ihnen
in dieser Richtung darboten, war die Forderung, daß Gesetze, Gebräuche, Ge¬
richte und Verwaltungsstellen so umgestaltet werden sollten, daß der Tscheche
in Böhmen — nnter völligem Ausschluß der deutschen Staatssprache - mir
seiue tschechische Landessprache zu hören bekomme und sich nnr ihrer zu be¬
dienen brauche, das wirksamste und — was auch nichts verdarb — den mi߬
liebigen Nebenbuhlern im Kampfe uns Dasein, den Deutsch-Österreichern
Böhmens das unbequemste.

Die Wirksamkeit dieses Agitationsmittels war namentlich um deswillen
so nachhaltig und stetig, weil es der Regierung auch beim besten Willen un¬
möglich war, die Wünsche der svoji, Ks so6um (suum vuiquo)-Tschechen zu
befriedigen, ohne damit den in Böhmen lebenden nichttschechischen Staats¬
angehörigen und einem großen Teile des Beamtenstands eine bisher nicht
in Frage gewesene Last aufzubürden: die Verpflichtung, neben der deutschen
Staatssprache auch in der tschechischen Landessprache zu Hanse zu sein.

Wiederholt von der Negierung gemachte Versuche, auf diese Wünsche ein-
zugehn, um sich im Wege des beliebten alö ut ass die Stimmen der tschechischen
Neichsratabgeordneten zu sicher,,, scheiterten bekanntlich am Widerstande der
Deutsch-Österreicher Böhmens, die in diesem zunächst zur Wahrung ihrer Sonder¬
interessen geführten Kampfe gleichzeitig für ein Prinzip eingetreten waren, das
in erster Reihe von der Regierung hätte verfochten und aufrecht gehalten
werden sollen: die Unantastbarkeit des der Staatssprache gegenüber den Landes¬
sprachen zustehenden Gebietsbereichs.

Wir führen ohne Parteinahme lediglich eine stantswissenschaftliche That¬
sache an, wenn wir hervorheben, daß keine Negierung, der es um die Fort¬
dauer einer lebensfähigen österreichischen Gesamtmonarchie wirklich Ernst ist,
anch nnr die allergeringste Lockerung des den vielsprachigen Staatenkomplex
umschlingenden und zusammenhaltenden Bandes der Staatssprache erlauben
darf. Ob durch Festhaltung dieses Grundsatzes den Wünschen des einen oder
des andern autvglossen Volksstamms gewillfahrt oder znwidergehandelt wird,
ist gegenüber der alle andern in den Hintergrund drängenden Frage der un¬
geschmälerten Zentralmacht thatsächlich Nebensache.


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[0222] Löhmlschi! Ivirreil Volks eine Gärung hervorzurufen, deren Exzesse sich, als dafür nach Jahren ein schicklicher Vorwand gefunden war, wie alle Ausbrüche wirklich vorhandnett oder künstlich erzeugten Volksunwillens sehr roh »ut gewaltthätig ausnahmen, in Wahrheit aber, was Ernst und Nachhaltigkeit der aufrührerischen Be¬ wegungen anlangte, hinter den bescheidensten Erwartungen der bei der Vor¬ bereitung der Unruhen mit großen Geldopfern und vielem Zeitverlust beteiligten Agitatoren zurückblieben. Schon seit der Zeit Palackhs und des durch ihn zu partikularistisch-Patrio- tischer Begeisterung entstammten Gefährtenkreises hatten es sich Gelehrte und Laien angelegen sein gelassen, in Wort und Schrift das unter der Asche glimmende Feuer tschechischer Sondergelüste und panslawistischer Bestrebungen zu hellerer Flamme anzufachen. Von allen Agitntionsiintteln, die sich ihnen in dieser Richtung darboten, war die Forderung, daß Gesetze, Gebräuche, Ge¬ richte und Verwaltungsstellen so umgestaltet werden sollten, daß der Tscheche in Böhmen — nnter völligem Ausschluß der deutschen Staatssprache - mir seiue tschechische Landessprache zu hören bekomme und sich nnr ihrer zu be¬ dienen brauche, das wirksamste und — was auch nichts verdarb — den mi߬ liebigen Nebenbuhlern im Kampfe uns Dasein, den Deutsch-Österreichern Böhmens das unbequemste. Die Wirksamkeit dieses Agitationsmittels war namentlich um deswillen so nachhaltig und stetig, weil es der Regierung auch beim besten Willen un¬ möglich war, die Wünsche der svoji, Ks so6um (suum vuiquo)-Tschechen zu befriedigen, ohne damit den in Böhmen lebenden nichttschechischen Staats¬ angehörigen und einem großen Teile des Beamtenstands eine bisher nicht in Frage gewesene Last aufzubürden: die Verpflichtung, neben der deutschen Staatssprache auch in der tschechischen Landessprache zu Hanse zu sein. Wiederholt von der Negierung gemachte Versuche, auf diese Wünsche ein- zugehn, um sich im Wege des beliebten alö ut ass die Stimmen der tschechischen Neichsratabgeordneten zu sicher,,, scheiterten bekanntlich am Widerstande der Deutsch-Österreicher Böhmens, die in diesem zunächst zur Wahrung ihrer Sonder¬ interessen geführten Kampfe gleichzeitig für ein Prinzip eingetreten waren, das in erster Reihe von der Regierung hätte verfochten und aufrecht gehalten werden sollen: die Unantastbarkeit des der Staatssprache gegenüber den Landes¬ sprachen zustehenden Gebietsbereichs. Wir führen ohne Parteinahme lediglich eine stantswissenschaftliche That¬ sache an, wenn wir hervorheben, daß keine Negierung, der es um die Fort¬ dauer einer lebensfähigen österreichischen Gesamtmonarchie wirklich Ernst ist, anch nnr die allergeringste Lockerung des den vielsprachigen Staatenkomplex umschlingenden und zusammenhaltenden Bandes der Staatssprache erlauben darf. Ob durch Festhaltung dieses Grundsatzes den Wünschen des einen oder des andern autvglossen Volksstamms gewillfahrt oder znwidergehandelt wird, ist gegenüber der alle andern in den Hintergrund drängenden Frage der un¬ geschmälerten Zentralmacht thatsächlich Nebensache.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/222>, abgerufen am 02.07.2024.