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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.

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polnische Politik

solche Weise in Völlig deutsche vertvaudelt haben, wo deutsche Sprache, Geist,
Sitten und Bräuche ganz ungehindert herrsche". Viele Bewohner dieser
Kolonie", obwohl sie längst russische Unterthanen geworden, im Lande geboren
sind und es niemals verlassen haben, reden nicht nnr nicht die Landessprache,
sie versteh" sie sogar nicht. Was in den Grenzen ihres ehemaligen Vaterlands
vorgeht, ist ihnen weit genauer bekannt und interessiert sie zweifellos mehr
als Ereignisse, die das Land, wo sie sich niedergelassen haben, erregen,

"Im allgemeinen muß mau sage", daß je weniger geistig entwickelt und
gebildet der Deutsche ist. er um so fester an seinen nationalen Bestrebungen
hält, um so enger geistig verbunden ist mit seinen Stammesgenossen, sowohl
mit den gleich ihm übergesiedelte", als anch mit den in der Henuat gegebnen.
Wahrend sich der gebildete Deutsche, gemäß der dieser Nation nngelwrnen Achtung
vor der Gesetckichleil, gern allen Maßregel" der Regierung unterwirft, sich
bemüht, mit der in dem Lande, wo er sich niedergelassen hat, herrschenden
Richtung gleichen Schritt zu halten, kurz sich an sein deutsches Sprichwort
hält: "Weh Brot ich esse, des Lied ich singe" - ^ geht der deutsche gemeine
Mann völlig in seiner abgeschlossenen deutschen Welt auf. erkennt lerne ändert,
Verordnungen an als die, die von seine" örtlichen, von ihm selbst erwählten
Häuptern erlassen sind, die ihrerseits von ausschließlich deutschem Anschauunge"
durchdrungen sind, bleibt der uniwohnenden örtlichen Bevölkerung fremd, zeigt
ihr unverhüllte Berachtnng,

"So kommen z, B, die großen deutschen Fabrikanten des Gebiets immer
den Forderungen der Verwaltung entgegen, erfüllen unweigerlich ihre An¬
ordnungen und uuterMeu sogar thätig die Verrussuug des Gebiets, Auf ihre
Kosten find in Lodz und Toinaschow orthodoxe Kirchen errichtet worden, von
ihnen wird die in Lodz erscheinende russische Zeitung Der Lodzer Bote unter¬
halten, sie helfe., dnrch Geldbeitrüge das Schulwesen entwickeln, denen Gym¬
nasien, geben bedeutende Summen her zur Erhaltung der nieder" Volksschulen.
Während sie in ihrem häuslichen Leben a" der deutsche" Sprache festhalten,
sind sie doch bestrebt, die Staatssprache gründlich im"e" zu lerne" und bedienen
sich ihrer im Verkehr mir allen Staatsbeamten. Etwas ganz andres sehen wir
l'^i den deutschen Kolonisten, den kleinen Handwerkern, Arbeitern und den aus
ihnen hervorgeqa"g"e" Werkführer". Diese Vertreter der deutsche" Ratio"
lassen sich, auch wem, sie persönlich niemals ihr Vaterland gesehen haben, ,"
politischer Hinsicht ausschließlich von den Aufgaben des Vaterlands lecken und
l^'en i" seine" Idealen. Der russischen staatlichen Schule halte" sie sich mehr
fen> mes die polnischen Bauern, indem sie es vorzieh.,, ihre" Kinder" deutsche
Schulung in häuslichem Unterricht zu gebe,,, austatt sie mit einer ihnen fremden
Sprache bekannt zu machen. Während der gebildete Deutsche gern eine Orts-
bürtige heiratet, wobei er sie nicht einmal von ihrer nationalen Umgebung zu
trennen sucht, wird sich der gemeine Deutsche um keinen Preis mit der ihn
wngebenden polnischen Bevölkerung versippen. da er das für einem Verrat an
Glaubet, und Nationalität hält.


polnische Politik

solche Weise in Völlig deutsche vertvaudelt haben, wo deutsche Sprache, Geist,
Sitten und Bräuche ganz ungehindert herrsche». Viele Bewohner dieser
Kolonie», obwohl sie längst russische Unterthanen geworden, im Lande geboren
sind und es niemals verlassen haben, reden nicht nnr nicht die Landessprache,
sie versteh» sie sogar nicht. Was in den Grenzen ihres ehemaligen Vaterlands
vorgeht, ist ihnen weit genauer bekannt und interessiert sie zweifellos mehr
als Ereignisse, die das Land, wo sie sich niedergelassen haben, erregen,

„Im allgemeinen muß mau sage», daß je weniger geistig entwickelt und
gebildet der Deutsche ist. er um so fester an seinen nationalen Bestrebungen
hält, um so enger geistig verbunden ist mit seinen Stammesgenossen, sowohl
mit den gleich ihm übergesiedelte», als anch mit den in der Henuat gegebnen.
Wahrend sich der gebildete Deutsche, gemäß der dieser Nation nngelwrnen Achtung
vor der Gesetckichleil, gern allen Maßregel« der Regierung unterwirft, sich
bemüht, mit der in dem Lande, wo er sich niedergelassen hat, herrschenden
Richtung gleichen Schritt zu halten, kurz sich an sein deutsches Sprichwort
hält: »Weh Brot ich esse, des Lied ich singe« - ^ geht der deutsche gemeine
Mann völlig in seiner abgeschlossenen deutschen Welt auf. erkennt lerne ändert,
Verordnungen an als die, die von seine» örtlichen, von ihm selbst erwählten
Häuptern erlassen sind, die ihrerseits von ausschließlich deutschem Anschauunge»
durchdrungen sind, bleibt der uniwohnenden örtlichen Bevölkerung fremd, zeigt
ihr unverhüllte Berachtnng,

„So kommen z, B, die großen deutschen Fabrikanten des Gebiets immer
den Forderungen der Verwaltung entgegen, erfüllen unweigerlich ihre An¬
ordnungen und uuterMeu sogar thätig die Verrussuug des Gebiets, Auf ihre
Kosten find in Lodz und Toinaschow orthodoxe Kirchen errichtet worden, von
ihnen wird die in Lodz erscheinende russische Zeitung Der Lodzer Bote unter¬
halten, sie helfe., dnrch Geldbeitrüge das Schulwesen entwickeln, denen Gym¬
nasien, geben bedeutende Summen her zur Erhaltung der nieder» Volksschulen.
Während sie in ihrem häuslichen Leben a» der deutsche» Sprache festhalten,
sind sie doch bestrebt, die Staatssprache gründlich im»e» zu lerne» und bedienen
sich ihrer im Verkehr mir allen Staatsbeamten. Etwas ganz andres sehen wir
l'^i den deutschen Kolonisten, den kleinen Handwerkern, Arbeitern und den aus
ihnen hervorgeqa»g»e» Werkführer». Diese Vertreter der deutsche» Ratio»
lassen sich, auch wem, sie persönlich niemals ihr Vaterland gesehen haben, ,»
politischer Hinsicht ausschließlich von den Aufgaben des Vaterlands lecken und
l^'en i» seine» Idealen. Der russischen staatlichen Schule halte» sie sich mehr
fen> mes die polnischen Bauern, indem sie es vorzieh.,, ihre» Kinder» deutsche
Schulung in häuslichem Unterricht zu gebe,,, austatt sie mit einer ihnen fremden
Sprache bekannt zu machen. Während der gebildete Deutsche gern eine Orts-
bürtige heiratet, wobei er sie nicht einmal von ihrer nationalen Umgebung zu
trennen sucht, wird sich der gemeine Deutsche um keinen Preis mit der ihn
wngebenden polnischen Bevölkerung versippen. da er das für einem Verrat an
Glaubet, und Nationalität hält.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/21>, abgerufen am 30.06.2024.