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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.

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An der Schwelle des Orients

Hemd, über dem nur bei einzelnen ein Mieder unter der freigelassenen Brust
einsetzt, während sie um die Hüften durchweg die orientalische Leibbinde und
über dem Meißen Rock vorn und hinten die reich gemusterte tcppichartige und
in kräftigen Farben gehaltne Schürze tragen, von der oft ein unterer Zipfel
herausgenommen und an der Hüfte in die Leibbinde gesteckt ist, was sich sehr
elegant und malerisch macht. Über der Schulter tragen dann die Bauern-
müdchen auf der gebognen, mit einem Knäufe versehenen Tragstange Körbe
und Kübel.

Wie die Teppichweberei oder Tey pich kümmerei in Serbien überhaupt be¬
achtenswert ist und um des Kunstsinns der Bevölkerung mulier und wegen ihrer
Originalität in Blumen- und namentlich in ornamentalen Mustern sowie ihres
feinen Farbengcfühls bei großer Vorliebe für lebhafte, heitere und kraftvolle
Zusammenstellungen wohl noch mehr Aufmerksamkeit verdienen würde, als ihr
zu teil wird, so sind auch die Schürzen der serbischen Bauernmädchen nieist
sehr hübsch und immer eigentümlich; dabei sind alle diese Arbeiten sehr solid
und dauerhaft. Den Sinn für die lebhaften und kräftigen Farbenzusammen-
stellungen schöpft der Serbe aus der ihn umgebenden Natur, die ihm solche in
seinein gesegneten Klima spielend vor Augen führt, und wer im Sommer durch
ein Dorf geht und die Schnüre und glänzend grünen, gelben und roten Paprika¬
schoten an den Hütten hängen und hinter ihnen den blauen Himmel hervor¬
leuchten sieht, ist über die Herkunft dieses Sinns für üppige Farben nicht
mehr im Zweifel; wie aber die Farbenwahl, so ist auch die Linienführung,
z. B. auch bei den gemusterten Strümpfen der hochgeschürzten Mädchen recht
künstlerisch, und fast bedauert man, daß dann unter der Wade das Schienbein
ziemlich plump mit einem Riemen in sechs- bis achtfacher Windung umschlungen
ist, an dem dann die Lederschnüre der Opanken befestigt sind. Diese im ganzen
Orient von Rumänen, Bulgaren, Albanesen, Serben und Türken gleichmäßig
getragne, wohl auf die Sandale des römischen Soldaten zurückzuführende Fu߬
bekleidung ist bekannt; es ist eine Sohle aus starkem gehämmertem, sehr wider¬
standsfähigen und dauerhaftem Büffellcder, um Rande rings ausgebogen, über
dem Reihen befestigt mit zusammenlaufenden Ledcrschnüren, die dann wieder
mit dem Riemen unter der Wade verbunden sind; der Knöchel bleibt frei, und
so erklärt diese außerordentlich leichte und zwar scheinbar plump aber that¬
sächlich geschickt befestigte Fußbekleidung zum Teil wenigstens die überraschenden
Marschleistungen der Infanterie der Balkanländcr.

Von Scmendria ging es dann in weitem Bogen um die von allen Seiten
gleich schöne und imposante Festung herum und hinüber ans ungarische Ufer
zum Landcplatz des Städtchens Kubin, von dem sich gegenüber der Morawa-
mündung nach Norden zu bis uach Temesvnr ein noch wohl erhaltner römischer
Wall durch die Ebne zieht, einst dazu bestimmt, einerseits hinter der Theiß eine
weitere Vormauer für die in Dacier stehenden Legionen zu bieten und ihren
Aufmarsch aus der Enge der Donau und den Püffen der Karpathen in der öst¬
lichen Donauebne zu decken, andrerseits den von Risch, dem antiken Naissus, her


An der Schwelle des Orients

Hemd, über dem nur bei einzelnen ein Mieder unter der freigelassenen Brust
einsetzt, während sie um die Hüften durchweg die orientalische Leibbinde und
über dem Meißen Rock vorn und hinten die reich gemusterte tcppichartige und
in kräftigen Farben gehaltne Schürze tragen, von der oft ein unterer Zipfel
herausgenommen und an der Hüfte in die Leibbinde gesteckt ist, was sich sehr
elegant und malerisch macht. Über der Schulter tragen dann die Bauern-
müdchen auf der gebognen, mit einem Knäufe versehenen Tragstange Körbe
und Kübel.

Wie die Teppichweberei oder Tey pich kümmerei in Serbien überhaupt be¬
achtenswert ist und um des Kunstsinns der Bevölkerung mulier und wegen ihrer
Originalität in Blumen- und namentlich in ornamentalen Mustern sowie ihres
feinen Farbengcfühls bei großer Vorliebe für lebhafte, heitere und kraftvolle
Zusammenstellungen wohl noch mehr Aufmerksamkeit verdienen würde, als ihr
zu teil wird, so sind auch die Schürzen der serbischen Bauernmädchen nieist
sehr hübsch und immer eigentümlich; dabei sind alle diese Arbeiten sehr solid
und dauerhaft. Den Sinn für die lebhaften und kräftigen Farbenzusammen-
stellungen schöpft der Serbe aus der ihn umgebenden Natur, die ihm solche in
seinein gesegneten Klima spielend vor Augen führt, und wer im Sommer durch
ein Dorf geht und die Schnüre und glänzend grünen, gelben und roten Paprika¬
schoten an den Hütten hängen und hinter ihnen den blauen Himmel hervor¬
leuchten sieht, ist über die Herkunft dieses Sinns für üppige Farben nicht
mehr im Zweifel; wie aber die Farbenwahl, so ist auch die Linienführung,
z. B. auch bei den gemusterten Strümpfen der hochgeschürzten Mädchen recht
künstlerisch, und fast bedauert man, daß dann unter der Wade das Schienbein
ziemlich plump mit einem Riemen in sechs- bis achtfacher Windung umschlungen
ist, an dem dann die Lederschnüre der Opanken befestigt sind. Diese im ganzen
Orient von Rumänen, Bulgaren, Albanesen, Serben und Türken gleichmäßig
getragne, wohl auf die Sandale des römischen Soldaten zurückzuführende Fu߬
bekleidung ist bekannt; es ist eine Sohle aus starkem gehämmertem, sehr wider¬
standsfähigen und dauerhaftem Büffellcder, um Rande rings ausgebogen, über
dem Reihen befestigt mit zusammenlaufenden Ledcrschnüren, die dann wieder
mit dem Riemen unter der Wade verbunden sind; der Knöchel bleibt frei, und
so erklärt diese außerordentlich leichte und zwar scheinbar plump aber that¬
sächlich geschickt befestigte Fußbekleidung zum Teil wenigstens die überraschenden
Marschleistungen der Infanterie der Balkanländcr.

Von Scmendria ging es dann in weitem Bogen um die von allen Seiten
gleich schöne und imposante Festung herum und hinüber ans ungarische Ufer
zum Landcplatz des Städtchens Kubin, von dem sich gegenüber der Morawa-
mündung nach Norden zu bis uach Temesvnr ein noch wohl erhaltner römischer
Wall durch die Ebne zieht, einst dazu bestimmt, einerseits hinter der Theiß eine
weitere Vormauer für die in Dacier stehenden Legionen zu bieten und ihren
Aufmarsch aus der Enge der Donau und den Püffen der Karpathen in der öst¬
lichen Donauebne zu decken, andrerseits den von Risch, dem antiken Naissus, her


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[0196] An der Schwelle des Orients Hemd, über dem nur bei einzelnen ein Mieder unter der freigelassenen Brust einsetzt, während sie um die Hüften durchweg die orientalische Leibbinde und über dem Meißen Rock vorn und hinten die reich gemusterte tcppichartige und in kräftigen Farben gehaltne Schürze tragen, von der oft ein unterer Zipfel herausgenommen und an der Hüfte in die Leibbinde gesteckt ist, was sich sehr elegant und malerisch macht. Über der Schulter tragen dann die Bauern- müdchen auf der gebognen, mit einem Knäufe versehenen Tragstange Körbe und Kübel. Wie die Teppichweberei oder Tey pich kümmerei in Serbien überhaupt be¬ achtenswert ist und um des Kunstsinns der Bevölkerung mulier und wegen ihrer Originalität in Blumen- und namentlich in ornamentalen Mustern sowie ihres feinen Farbengcfühls bei großer Vorliebe für lebhafte, heitere und kraftvolle Zusammenstellungen wohl noch mehr Aufmerksamkeit verdienen würde, als ihr zu teil wird, so sind auch die Schürzen der serbischen Bauernmädchen nieist sehr hübsch und immer eigentümlich; dabei sind alle diese Arbeiten sehr solid und dauerhaft. Den Sinn für die lebhaften und kräftigen Farbenzusammen- stellungen schöpft der Serbe aus der ihn umgebenden Natur, die ihm solche in seinein gesegneten Klima spielend vor Augen führt, und wer im Sommer durch ein Dorf geht und die Schnüre und glänzend grünen, gelben und roten Paprika¬ schoten an den Hütten hängen und hinter ihnen den blauen Himmel hervor¬ leuchten sieht, ist über die Herkunft dieses Sinns für üppige Farben nicht mehr im Zweifel; wie aber die Farbenwahl, so ist auch die Linienführung, z. B. auch bei den gemusterten Strümpfen der hochgeschürzten Mädchen recht künstlerisch, und fast bedauert man, daß dann unter der Wade das Schienbein ziemlich plump mit einem Riemen in sechs- bis achtfacher Windung umschlungen ist, an dem dann die Lederschnüre der Opanken befestigt sind. Diese im ganzen Orient von Rumänen, Bulgaren, Albanesen, Serben und Türken gleichmäßig getragne, wohl auf die Sandale des römischen Soldaten zurückzuführende Fu߬ bekleidung ist bekannt; es ist eine Sohle aus starkem gehämmertem, sehr wider¬ standsfähigen und dauerhaftem Büffellcder, um Rande rings ausgebogen, über dem Reihen befestigt mit zusammenlaufenden Ledcrschnüren, die dann wieder mit dem Riemen unter der Wade verbunden sind; der Knöchel bleibt frei, und so erklärt diese außerordentlich leichte und zwar scheinbar plump aber that¬ sächlich geschickt befestigte Fußbekleidung zum Teil wenigstens die überraschenden Marschleistungen der Infanterie der Balkanländcr. Von Scmendria ging es dann in weitem Bogen um die von allen Seiten gleich schöne und imposante Festung herum und hinüber ans ungarische Ufer zum Landcplatz des Städtchens Kubin, von dem sich gegenüber der Morawa- mündung nach Norden zu bis uach Temesvnr ein noch wohl erhaltner römischer Wall durch die Ebne zieht, einst dazu bestimmt, einerseits hinter der Theiß eine weitere Vormauer für die in Dacier stehenden Legionen zu bieten und ihren Aufmarsch aus der Enge der Donau und den Püffen der Karpathen in der öst¬ lichen Donauebne zu decken, andrerseits den von Risch, dem antiken Naissus, her

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/196>, abgerufen am 02.07.2024.