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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.

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An der Schwelle des Grieuts

doch das eigentümliche Bild unauslöschlich einprägen. Nicht weit unterhalb
der Landungsstelle des Boots streckt sich in das ruhige Wasser des mächtigen
Stroms hinaus eine lange Kette viereckiger Türme; durch eine nicht ganz
halb so hohe gleichfalls starke Mauer verbunden bilden sie die große, einst
berühmte Flachfestung, die der Serbendespot Georg Braukovitsch im Jahre 1432
aus den Trümmern eines römischen Kastells erbaut hatte, als starke Pforte gegen
Ungarn für den Eingang der natürlichen Heerstraße ins Herz von Serbien; in
serbischen Volksgesängen, die seiner Frau Irene (Jerina) zugeschrieben werden,
hatte die Festung schon 1437 ihre erste Probe gegen die Türken unter Sultan
Amurad auszuhalten, in deren Hände sie jedoch schon 1439 siel; sie wurde
uochmcils von den Serben für kurze Zeit wiedererobert und kam nach der un¬
glücklichen Schlacht von Varna für Jahrhunderte an die Mühnmmedaner. Die
Österreicher, die sich in dem anfangs glücklichen Feldzug von 1688/89 und dann
wieder nach Prinz Eugens Sieg bei Belgrad 1717 vorübergehend in den Besitz
von Semendria gesetzt hatten, kampierten hier 1738 auf dem Rückzüge von
Orsova uach Belgrad und verloren die nochmals an sie im Jahre 1789 über-
gebne Festung durch den Frieden von Sischtowa auch diesmal schon wieder im
Jahre 1791 an die Türken, deren Halbmond über dem imposanten Ban noch bis
zur Räumung sämtlicher Festungen Serbiens durch die Ottomanen im Jahre
1867 wehte, obwohl sich ihrer die Serben 1805 bemächtigt hatten. Nach dein
Tode des Wojevoden Vulitsch hatte sich nämlich die bis dahin zaubernde Rajah
in Semcndria gegen die Türken erhoben, die von ihr aus der Stadt und nach
verzweifeltem Widerstände auch aus der Festung verjagt wurden; nachdem aber
durch diese "glänzende Waffenthat" die glücklichen Freiheitskümpfe der Serben
von 1805 bis 1807 eröffnet worden waren, hatten sie in dein für sie ver¬
hängnisvollen Jahre 1813 die Festung wieder der Pforte überliefern müssen.
Heute bedeutungslos, weil beherrscht durch die Höhen hinter der Stadt und
im Verfall begriffen, ist das weite Dreieck des einst mächtigen Werkes an? Aus¬
fluß der Jessava, eiues Seitenarmes der Morawn, mit seinen an die alte
Mauer von Bhzanz erinnernden quadratischen Kehltürmcn nur noch ein Wahr¬
zeichen vergangner Größe.

Aber auch die etwas weiter landeinwärts liegende Stadt, hinter der sich
die um ihrer herrlichen Trauben willen berühmten Weinberge hinaufziehn,
deren Reben noch auf Kaiser Probus zurückgehn sollen, hat ihre Reize; außer
der von einem romainschen Maledonier, einem Zinzaren erbauten Se. Georgs¬
kirche mit ihren fünf byzantinischen Kuppeln und ihrem "deutschen Turme"
hat sie vor allem eins der ältesten Baudenkmäler Serbiens, ein kleines dicht
bei der Stadt gelegnes Kirchlein angeblich schon aus dem Jahre 1010, dessen
Fresken jedoch von den Türken zerstört worden sind, teils aus Gehorsam gegen
das Gebot des Koran, teils aus politischer Klugheit, die die Bilder der Zaren,
Könige und Heiligen zu vernichten erheischte, an denen sich die Erinnerung der
Rajah an ihre einstige Selbständigkeit und Größe erhielt.

Von Semendria, das namentlich früher einen Hauptansfuhrplatz des für


An der Schwelle des Grieuts

doch das eigentümliche Bild unauslöschlich einprägen. Nicht weit unterhalb
der Landungsstelle des Boots streckt sich in das ruhige Wasser des mächtigen
Stroms hinaus eine lange Kette viereckiger Türme; durch eine nicht ganz
halb so hohe gleichfalls starke Mauer verbunden bilden sie die große, einst
berühmte Flachfestung, die der Serbendespot Georg Braukovitsch im Jahre 1432
aus den Trümmern eines römischen Kastells erbaut hatte, als starke Pforte gegen
Ungarn für den Eingang der natürlichen Heerstraße ins Herz von Serbien; in
serbischen Volksgesängen, die seiner Frau Irene (Jerina) zugeschrieben werden,
hatte die Festung schon 1437 ihre erste Probe gegen die Türken unter Sultan
Amurad auszuhalten, in deren Hände sie jedoch schon 1439 siel; sie wurde
uochmcils von den Serben für kurze Zeit wiedererobert und kam nach der un¬
glücklichen Schlacht von Varna für Jahrhunderte an die Mühnmmedaner. Die
Österreicher, die sich in dem anfangs glücklichen Feldzug von 1688/89 und dann
wieder nach Prinz Eugens Sieg bei Belgrad 1717 vorübergehend in den Besitz
von Semendria gesetzt hatten, kampierten hier 1738 auf dem Rückzüge von
Orsova uach Belgrad und verloren die nochmals an sie im Jahre 1789 über-
gebne Festung durch den Frieden von Sischtowa auch diesmal schon wieder im
Jahre 1791 an die Türken, deren Halbmond über dem imposanten Ban noch bis
zur Räumung sämtlicher Festungen Serbiens durch die Ottomanen im Jahre
1867 wehte, obwohl sich ihrer die Serben 1805 bemächtigt hatten. Nach dein
Tode des Wojevoden Vulitsch hatte sich nämlich die bis dahin zaubernde Rajah
in Semcndria gegen die Türken erhoben, die von ihr aus der Stadt und nach
verzweifeltem Widerstände auch aus der Festung verjagt wurden; nachdem aber
durch diese „glänzende Waffenthat" die glücklichen Freiheitskümpfe der Serben
von 1805 bis 1807 eröffnet worden waren, hatten sie in dein für sie ver¬
hängnisvollen Jahre 1813 die Festung wieder der Pforte überliefern müssen.
Heute bedeutungslos, weil beherrscht durch die Höhen hinter der Stadt und
im Verfall begriffen, ist das weite Dreieck des einst mächtigen Werkes an? Aus¬
fluß der Jessava, eiues Seitenarmes der Morawn, mit seinen an die alte
Mauer von Bhzanz erinnernden quadratischen Kehltürmcn nur noch ein Wahr¬
zeichen vergangner Größe.

Aber auch die etwas weiter landeinwärts liegende Stadt, hinter der sich
die um ihrer herrlichen Trauben willen berühmten Weinberge hinaufziehn,
deren Reben noch auf Kaiser Probus zurückgehn sollen, hat ihre Reize; außer
der von einem romainschen Maledonier, einem Zinzaren erbauten Se. Georgs¬
kirche mit ihren fünf byzantinischen Kuppeln und ihrem „deutschen Turme"
hat sie vor allem eins der ältesten Baudenkmäler Serbiens, ein kleines dicht
bei der Stadt gelegnes Kirchlein angeblich schon aus dem Jahre 1010, dessen
Fresken jedoch von den Türken zerstört worden sind, teils aus Gehorsam gegen
das Gebot des Koran, teils aus politischer Klugheit, die die Bilder der Zaren,
Könige und Heiligen zu vernichten erheischte, an denen sich die Erinnerung der
Rajah an ihre einstige Selbständigkeit und Größe erhielt.

Von Semendria, das namentlich früher einen Hauptansfuhrplatz des für


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/194>, abgerufen am 02.07.2024.