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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.

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An der Schwelle des Grlents

über dem sich wie ein Meer die gewaltige Wassermasse hinbreitete; und nicht
minder schön ist die Erinnerung an den wolkenlosen Sommertag, wo ich zuletzt
über die turmgekrönten Mauern der alten Burg vom Kalimegdan aus hinweg¬
sah, hinter nur die weithin an der Snve im Halbkreis hingclagerte Stadt mit
ihren lichten Häusern und dem frischen Leben am Landungsplatz, vor mir die
zwei großen hier sich vereinigenden Ströme und die grünen Donauinseln, die
kleine grasbewachsen, die große bedeckt von dunkelgrünem Buschwerk und Nieder¬
holz, und in der Ferne das türmereiche Semlin, überragt von seinem Milleniums-
denlmal, über dem der Adler Huniadys aufs neue die Schwingen wie zu einem
Fluge "ach Süden entfaltet.

Bei meiner Reise in den Orient im März 1897 mußte ich wegen des
drohenden Ausbruchs des türkisch-griechischen Kriegs eilen, um rechtzeitig im
osmnnischen Hauptquartier einzutreffen; ich kounte so uur kurz in Belgrad
bleiben, konnte mir aber doch dank dem liebenswürdigen Entgegenkommen unsers
Gesandten die nötigsten Anknüpfungen verschaffen. Meine vorjährige Reise
führte mich mehr nach Ungarn und Siebenbürgen und von da nach Rumänien,
wo ich gleichfalls bei unserm Gesandten Aufnahme fand; im Jahre 1898 konnte
ich mich längere Zeit in Belgrad aufhalten wegen eines Auftrags der Phvtoglob-
kompagnie, dort Aufnahmen zu machen. Die Verbindungen, die mir dieser Auf¬
trag an die Hand gab, ermöglichte" mir einen genauen Einblick in das Lebe"
"ut Treiben in der serbischen Hauptstadt. Es ist ein wenig erfreuliches Bild,
daS sich nur bei den mir so gewordnen zuverlässige" Nachrichten entrollte, und
so verzichte ich gern daraus, es hier noch weiter auszuführen, und begnüge mich,
auf meine Angaben im 36. Heft der Grenzboten des vorigen Jahres zu ver¬
weisen. Auch daß es seitdem über Serbien in den Zeitungen still geworden
ist, bringt mich von der Überzeugung nicht ab, daß es in dem jungen süd¬
slawischen .Königreiche in nicht allzuferner Zeit eine Katastrophe geben wird;
daß gegenwärtig nichts von dort verlautet, hat seinen Grund zum Teil darin,
daß sich die Aufmerksamkeit Europas mehr dem Überhandnehmen bedrohlicher
Tendenzen in den Vereinigten Staate": und der Kraftprobe Englands in Süd¬
afrika zugewandt hat, in der Hauptsache aber kommt es von der Gewalt¬
herrschaft her, die Exkönig Milan über dem Lande errichtet hat infolge des
ihm sehr zu paß gekommnen Attentats des letzten Sommers. Wie die Dinge
jedoch nun einmal liegen, namentlich bei der Dynastie der Obrenowitsche selbst,
wird aber diese Schreckensherrschaft kaum etwas von Dauer schaffen, und ma"
kann uur hoffen, daß die in Serbien zu erwartenden Wirren nicht die orien¬
talische Frage wieder einmal in ihrem ganzen Umfang zur Entscheidung stellen,
und daß sie nicht zusammentreffen mit den Ereignissen am Mittelläufe der
Donau, die nach dein Tode des Kaisers Franz Joseph vorauszusehen sind,
und die auch uns in größerm Umfange berühren könnten.

Während meines längere Zeit in Anspruch nehmenden Auftrags in Belgrad
im Jahre 1898 hatte ich jedoch uicht in Belgrad selbst Qnnrtier genommen,
sondern in Semlin auf der ungarischen Seite der Snve, von wo man bequem


An der Schwelle des Grlents

über dem sich wie ein Meer die gewaltige Wassermasse hinbreitete; und nicht
minder schön ist die Erinnerung an den wolkenlosen Sommertag, wo ich zuletzt
über die turmgekrönten Mauern der alten Burg vom Kalimegdan aus hinweg¬
sah, hinter nur die weithin an der Snve im Halbkreis hingclagerte Stadt mit
ihren lichten Häusern und dem frischen Leben am Landungsplatz, vor mir die
zwei großen hier sich vereinigenden Ströme und die grünen Donauinseln, die
kleine grasbewachsen, die große bedeckt von dunkelgrünem Buschwerk und Nieder¬
holz, und in der Ferne das türmereiche Semlin, überragt von seinem Milleniums-
denlmal, über dem der Adler Huniadys aufs neue die Schwingen wie zu einem
Fluge »ach Süden entfaltet.

Bei meiner Reise in den Orient im März 1897 mußte ich wegen des
drohenden Ausbruchs des türkisch-griechischen Kriegs eilen, um rechtzeitig im
osmnnischen Hauptquartier einzutreffen; ich kounte so uur kurz in Belgrad
bleiben, konnte mir aber doch dank dem liebenswürdigen Entgegenkommen unsers
Gesandten die nötigsten Anknüpfungen verschaffen. Meine vorjährige Reise
führte mich mehr nach Ungarn und Siebenbürgen und von da nach Rumänien,
wo ich gleichfalls bei unserm Gesandten Aufnahme fand; im Jahre 1898 konnte
ich mich längere Zeit in Belgrad aufhalten wegen eines Auftrags der Phvtoglob-
kompagnie, dort Aufnahmen zu machen. Die Verbindungen, die mir dieser Auf¬
trag an die Hand gab, ermöglichte» mir einen genauen Einblick in das Lebe»
»ut Treiben in der serbischen Hauptstadt. Es ist ein wenig erfreuliches Bild,
daS sich nur bei den mir so gewordnen zuverlässige» Nachrichten entrollte, und
so verzichte ich gern daraus, es hier noch weiter auszuführen, und begnüge mich,
auf meine Angaben im 36. Heft der Grenzboten des vorigen Jahres zu ver¬
weisen. Auch daß es seitdem über Serbien in den Zeitungen still geworden
ist, bringt mich von der Überzeugung nicht ab, daß es in dem jungen süd¬
slawischen .Königreiche in nicht allzuferner Zeit eine Katastrophe geben wird;
daß gegenwärtig nichts von dort verlautet, hat seinen Grund zum Teil darin,
daß sich die Aufmerksamkeit Europas mehr dem Überhandnehmen bedrohlicher
Tendenzen in den Vereinigten Staate«: und der Kraftprobe Englands in Süd¬
afrika zugewandt hat, in der Hauptsache aber kommt es von der Gewalt¬
herrschaft her, die Exkönig Milan über dem Lande errichtet hat infolge des
ihm sehr zu paß gekommnen Attentats des letzten Sommers. Wie die Dinge
jedoch nun einmal liegen, namentlich bei der Dynastie der Obrenowitsche selbst,
wird aber diese Schreckensherrschaft kaum etwas von Dauer schaffen, und ma»
kann uur hoffen, daß die in Serbien zu erwartenden Wirren nicht die orien¬
talische Frage wieder einmal in ihrem ganzen Umfang zur Entscheidung stellen,
und daß sie nicht zusammentreffen mit den Ereignissen am Mittelläufe der
Donau, die nach dein Tode des Kaisers Franz Joseph vorauszusehen sind,
und die auch uns in größerm Umfange berühren könnten.

Während meines längere Zeit in Anspruch nehmenden Auftrags in Belgrad
im Jahre 1898 hatte ich jedoch uicht in Belgrad selbst Qnnrtier genommen,
sondern in Semlin auf der ungarischen Seite der Snve, von wo man bequem


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[0192] An der Schwelle des Grlents über dem sich wie ein Meer die gewaltige Wassermasse hinbreitete; und nicht minder schön ist die Erinnerung an den wolkenlosen Sommertag, wo ich zuletzt über die turmgekrönten Mauern der alten Burg vom Kalimegdan aus hinweg¬ sah, hinter nur die weithin an der Snve im Halbkreis hingclagerte Stadt mit ihren lichten Häusern und dem frischen Leben am Landungsplatz, vor mir die zwei großen hier sich vereinigenden Ströme und die grünen Donauinseln, die kleine grasbewachsen, die große bedeckt von dunkelgrünem Buschwerk und Nieder¬ holz, und in der Ferne das türmereiche Semlin, überragt von seinem Milleniums- denlmal, über dem der Adler Huniadys aufs neue die Schwingen wie zu einem Fluge »ach Süden entfaltet. Bei meiner Reise in den Orient im März 1897 mußte ich wegen des drohenden Ausbruchs des türkisch-griechischen Kriegs eilen, um rechtzeitig im osmnnischen Hauptquartier einzutreffen; ich kounte so uur kurz in Belgrad bleiben, konnte mir aber doch dank dem liebenswürdigen Entgegenkommen unsers Gesandten die nötigsten Anknüpfungen verschaffen. Meine vorjährige Reise führte mich mehr nach Ungarn und Siebenbürgen und von da nach Rumänien, wo ich gleichfalls bei unserm Gesandten Aufnahme fand; im Jahre 1898 konnte ich mich längere Zeit in Belgrad aufhalten wegen eines Auftrags der Phvtoglob- kompagnie, dort Aufnahmen zu machen. Die Verbindungen, die mir dieser Auf¬ trag an die Hand gab, ermöglichte» mir einen genauen Einblick in das Lebe» »ut Treiben in der serbischen Hauptstadt. Es ist ein wenig erfreuliches Bild, daS sich nur bei den mir so gewordnen zuverlässige» Nachrichten entrollte, und so verzichte ich gern daraus, es hier noch weiter auszuführen, und begnüge mich, auf meine Angaben im 36. Heft der Grenzboten des vorigen Jahres zu ver¬ weisen. Auch daß es seitdem über Serbien in den Zeitungen still geworden ist, bringt mich von der Überzeugung nicht ab, daß es in dem jungen süd¬ slawischen .Königreiche in nicht allzuferner Zeit eine Katastrophe geben wird; daß gegenwärtig nichts von dort verlautet, hat seinen Grund zum Teil darin, daß sich die Aufmerksamkeit Europas mehr dem Überhandnehmen bedrohlicher Tendenzen in den Vereinigten Staate«: und der Kraftprobe Englands in Süd¬ afrika zugewandt hat, in der Hauptsache aber kommt es von der Gewalt¬ herrschaft her, die Exkönig Milan über dem Lande errichtet hat infolge des ihm sehr zu paß gekommnen Attentats des letzten Sommers. Wie die Dinge jedoch nun einmal liegen, namentlich bei der Dynastie der Obrenowitsche selbst, wird aber diese Schreckensherrschaft kaum etwas von Dauer schaffen, und ma» kann uur hoffen, daß die in Serbien zu erwartenden Wirren nicht die orien¬ talische Frage wieder einmal in ihrem ganzen Umfang zur Entscheidung stellen, und daß sie nicht zusammentreffen mit den Ereignissen am Mittelläufe der Donau, die nach dein Tode des Kaisers Franz Joseph vorauszusehen sind, und die auch uns in größerm Umfange berühren könnten. Während meines längere Zeit in Anspruch nehmenden Auftrags in Belgrad im Jahre 1898 hatte ich jedoch uicht in Belgrad selbst Qnnrtier genommen, sondern in Semlin auf der ungarischen Seite der Snve, von wo man bequem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/192>, abgerufen am 02.07.2024.