Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Polnische Politik

Ost, wird wieder eintreten, Auch steht zu hoffen, daß unser armes deutsches
Nationalgefühl allmählich zu bessern Kräften komme" und uns fähig machen
wird, im Osten anch ohne Staatsstütze unsern Mann zu stehn.

Was hat die Deutschen in Siebenbürgen und in Livland sechshundert
Jahre lang bei ihrer Nationalität erhalten, wenn es nicht die Freiheit, die
Selbstbestimmung, die Notwendigkeit war, für sich selbst zu sorgen? Dasselbe
Motiv hüte heute den Deutschen aufrecht in Polen, um Don, an der Wolga.
Wo der Deutsche im Osten von Volk zu Volk dem Fremden gegenüberstand,
da hat er meist standgehalten- nur der staatlichen Macht kann er nicht wider¬
stehn. Es ist ein arger Irrtum, zu meinen, daß Staatsdisziplin, Soldntenrock,
Gewohnheit der Pvlizeiordnung den Menschen für den nationalen Kampf, für
Kolonisation erziehe. Vielmehr scheint der Mann an, wenigsten geeignet, in
der Fremde auf eignen Füßen zu stehn, der ans dem best- und meistregiertcn
Lande kommt. Wer immer mit einem Auge nach dein Mann über ihm gesehen
hat, verliert leicht den festen Boden, sobald er allein stehn soll; für wen gleich
nach dein Gebot "Du sollst nicht stehlen" das andre kommt "Du sollst parieren,"
der sucht in der Fremde bald nach jemand, dem er parieren könne, besonders
wenn er nicht von Hause aus jemand findet, dem er befehlen kaun. Denn
Ordnung muß sein, und er empfindet es als Unordnung, wenn er nicht be¬
fehlen oder wenigstens gehorchen kann -- einerlei wem. Das liegt ihm nicht
etwa im Blut wie dem Franzosen, sondern ist die Frucht jahrhundertelanger
kleinstantlicher Erziehung mit ihren höchst pädagogischen Mittelchen an hübsch
abgestuften Ehrennamen, Titeln, Rangen und Orden und größern und kleinern
Souveränen, die uns zwar nicht die Erhabenheit des Staats, aber doch immer
die Erhabenheit von Personen vor Augen führten. Im Innersten unsers Wesens
sind wir anders, sind wir noch immer geneigt, unsern persönlichen Willen zu
haben, der dann anch oft wieder hervortritt und sich zu seiner ererbten Kraft
entwickelt, wenn er dauernd in fremdem Lande ans sich selbst angewiesen ist.
Nur daß sich nicht bloß der Durchschuittsuuterthau, sondern auch der Dnrch-
schnittsstaat bei uns in den Jahrhunderten allzusehr gewöhnt hat, es sich als
Versäumnis seiner Pflicht anzurechnen, wenn in den Grenzen seines Macht-
gebiets etwas von öffentlicher Bedeutung geschieht, wobei er die Hand nicht
im Spiel hat. Was er nicht münzt, das, meint er, gelte nicht, wo er nicht
besetz und Regel giebt, da, meint er, sei keine Ordnung möglich, und läuft
s" Gefahr, in kolonialen Ländern ein geordnetes Stacitswesen zu haben, noch
che er dort Unterthanen hat, oder in Posen administrativ anders zu handeln,
als die Politik ihn zu handeln anweist. Für nationale Ausdehnung ist diese
Zeit nicht günstig, wo unser Kapital um Menschen und Geld daheim so leicht
U"d vorteilhaft Anlage findet. Wenn aber in. Posen viel nachzuholen ist, so
^ge es in der Richtung der Kräftigung des dortigen Deutschtums durch den
Staat, nicht in der pädagogischen Kräftigung des dortigen Polentums noch in
direkten Repressalien gegen die Polen durch den Staat. So wenig die Russen
'hre Polen, so wenig wird unser Staat unsre Polen zu Deutschen macheu!


Polnische Politik

Ost, wird wieder eintreten, Auch steht zu hoffen, daß unser armes deutsches
Nationalgefühl allmählich zu bessern Kräften komme» und uns fähig machen
wird, im Osten anch ohne Staatsstütze unsern Mann zu stehn.

Was hat die Deutschen in Siebenbürgen und in Livland sechshundert
Jahre lang bei ihrer Nationalität erhalten, wenn es nicht die Freiheit, die
Selbstbestimmung, die Notwendigkeit war, für sich selbst zu sorgen? Dasselbe
Motiv hüte heute den Deutschen aufrecht in Polen, um Don, an der Wolga.
Wo der Deutsche im Osten von Volk zu Volk dem Fremden gegenüberstand,
da hat er meist standgehalten- nur der staatlichen Macht kann er nicht wider¬
stehn. Es ist ein arger Irrtum, zu meinen, daß Staatsdisziplin, Soldntenrock,
Gewohnheit der Pvlizeiordnung den Menschen für den nationalen Kampf, für
Kolonisation erziehe. Vielmehr scheint der Mann an, wenigsten geeignet, in
der Fremde auf eignen Füßen zu stehn, der ans dem best- und meistregiertcn
Lande kommt. Wer immer mit einem Auge nach dein Mann über ihm gesehen
hat, verliert leicht den festen Boden, sobald er allein stehn soll; für wen gleich
nach dein Gebot „Du sollst nicht stehlen" das andre kommt „Du sollst parieren,"
der sucht in der Fremde bald nach jemand, dem er parieren könne, besonders
wenn er nicht von Hause aus jemand findet, dem er befehlen kaun. Denn
Ordnung muß sein, und er empfindet es als Unordnung, wenn er nicht be¬
fehlen oder wenigstens gehorchen kann — einerlei wem. Das liegt ihm nicht
etwa im Blut wie dem Franzosen, sondern ist die Frucht jahrhundertelanger
kleinstantlicher Erziehung mit ihren höchst pädagogischen Mittelchen an hübsch
abgestuften Ehrennamen, Titeln, Rangen und Orden und größern und kleinern
Souveränen, die uns zwar nicht die Erhabenheit des Staats, aber doch immer
die Erhabenheit von Personen vor Augen führten. Im Innersten unsers Wesens
sind wir anders, sind wir noch immer geneigt, unsern persönlichen Willen zu
haben, der dann anch oft wieder hervortritt und sich zu seiner ererbten Kraft
entwickelt, wenn er dauernd in fremdem Lande ans sich selbst angewiesen ist.
Nur daß sich nicht bloß der Durchschuittsuuterthau, sondern auch der Dnrch-
schnittsstaat bei uns in den Jahrhunderten allzusehr gewöhnt hat, es sich als
Versäumnis seiner Pflicht anzurechnen, wenn in den Grenzen seines Macht-
gebiets etwas von öffentlicher Bedeutung geschieht, wobei er die Hand nicht
im Spiel hat. Was er nicht münzt, das, meint er, gelte nicht, wo er nicht
besetz und Regel giebt, da, meint er, sei keine Ordnung möglich, und läuft
s" Gefahr, in kolonialen Ländern ein geordnetes Stacitswesen zu haben, noch
che er dort Unterthanen hat, oder in Posen administrativ anders zu handeln,
als die Politik ihn zu handeln anweist. Für nationale Ausdehnung ist diese
Zeit nicht günstig, wo unser Kapital um Menschen und Geld daheim so leicht
U"d vorteilhaft Anlage findet. Wenn aber in. Posen viel nachzuholen ist, so
^ge es in der Richtung der Kräftigung des dortigen Deutschtums durch den
Staat, nicht in der pädagogischen Kräftigung des dortigen Polentums noch in
direkten Repressalien gegen die Polen durch den Staat. So wenig die Russen
'hre Polen, so wenig wird unser Staat unsre Polen zu Deutschen macheu!


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0189" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/232741"/>
          <fw type="header" place="top"> Polnische Politik</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_543" prev="#ID_542"> Ost, wird wieder eintreten, Auch steht zu hoffen, daß unser armes deutsches<lb/>
Nationalgefühl allmählich zu bessern Kräften komme» und uns fähig machen<lb/>
wird, im Osten anch ohne Staatsstütze unsern Mann zu stehn.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_544" next="#ID_545"> Was hat die Deutschen in Siebenbürgen und in Livland sechshundert<lb/>
Jahre lang bei ihrer Nationalität erhalten, wenn es nicht die Freiheit, die<lb/>
Selbstbestimmung, die Notwendigkeit war, für sich selbst zu sorgen? Dasselbe<lb/>
Motiv hüte heute den Deutschen aufrecht in Polen, um Don, an der Wolga.<lb/>
Wo der Deutsche im Osten von Volk zu Volk dem Fremden gegenüberstand,<lb/>
da hat er meist standgehalten- nur der staatlichen Macht kann er nicht wider¬<lb/>
stehn. Es ist ein arger Irrtum, zu meinen, daß Staatsdisziplin, Soldntenrock,<lb/>
Gewohnheit der Pvlizeiordnung den Menschen für den nationalen Kampf, für<lb/>
Kolonisation erziehe. Vielmehr scheint der Mann an, wenigsten geeignet, in<lb/>
der Fremde auf eignen Füßen zu stehn, der ans dem best- und meistregiertcn<lb/>
Lande kommt. Wer immer mit einem Auge nach dein Mann über ihm gesehen<lb/>
hat, verliert leicht den festen Boden, sobald er allein stehn soll; für wen gleich<lb/>
nach dein Gebot &#x201E;Du sollst nicht stehlen" das andre kommt &#x201E;Du sollst parieren,"<lb/>
der sucht in der Fremde bald nach jemand, dem er parieren könne, besonders<lb/>
wenn er nicht von Hause aus jemand findet, dem er befehlen kaun. Denn<lb/>
Ordnung muß sein, und er empfindet es als Unordnung, wenn er nicht be¬<lb/>
fehlen oder wenigstens gehorchen kann &#x2014; einerlei wem. Das liegt ihm nicht<lb/>
etwa im Blut wie dem Franzosen, sondern ist die Frucht jahrhundertelanger<lb/>
kleinstantlicher Erziehung mit ihren höchst pädagogischen Mittelchen an hübsch<lb/>
abgestuften Ehrennamen, Titeln, Rangen und Orden und größern und kleinern<lb/>
Souveränen, die uns zwar nicht die Erhabenheit des Staats, aber doch immer<lb/>
die Erhabenheit von Personen vor Augen führten. Im Innersten unsers Wesens<lb/>
sind wir anders, sind wir noch immer geneigt, unsern persönlichen Willen zu<lb/>
haben, der dann anch oft wieder hervortritt und sich zu seiner ererbten Kraft<lb/>
entwickelt, wenn er dauernd in fremdem Lande ans sich selbst angewiesen ist.<lb/>
Nur daß sich nicht bloß der Durchschuittsuuterthau, sondern auch der Dnrch-<lb/>
schnittsstaat bei uns in den Jahrhunderten allzusehr gewöhnt hat, es sich als<lb/>
Versäumnis seiner Pflicht anzurechnen, wenn in den Grenzen seines Macht-<lb/>
gebiets etwas von öffentlicher Bedeutung geschieht, wobei er die Hand nicht<lb/>
im Spiel hat. Was er nicht münzt, das, meint er, gelte nicht, wo er nicht<lb/>
besetz und Regel giebt, da, meint er, sei keine Ordnung möglich, und läuft<lb/>
s" Gefahr, in kolonialen Ländern ein geordnetes Stacitswesen zu haben, noch<lb/>
che er dort Unterthanen hat, oder in Posen administrativ anders zu handeln,<lb/>
als die Politik ihn zu handeln anweist. Für nationale Ausdehnung ist diese<lb/>
Zeit nicht günstig, wo unser Kapital um Menschen und Geld daheim so leicht<lb/>
U"d vorteilhaft Anlage findet. Wenn aber in. Posen viel nachzuholen ist, so<lb/>
^ge es in der Richtung der Kräftigung des dortigen Deutschtums durch den<lb/>
Staat, nicht in der pädagogischen Kräftigung des dortigen Polentums noch in<lb/>
direkten Repressalien gegen die Polen durch den Staat. So wenig die Russen<lb/>
'hre Polen, so wenig wird unser Staat unsre Polen zu Deutschen macheu!</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0189] Polnische Politik Ost, wird wieder eintreten, Auch steht zu hoffen, daß unser armes deutsches Nationalgefühl allmählich zu bessern Kräften komme» und uns fähig machen wird, im Osten anch ohne Staatsstütze unsern Mann zu stehn. Was hat die Deutschen in Siebenbürgen und in Livland sechshundert Jahre lang bei ihrer Nationalität erhalten, wenn es nicht die Freiheit, die Selbstbestimmung, die Notwendigkeit war, für sich selbst zu sorgen? Dasselbe Motiv hüte heute den Deutschen aufrecht in Polen, um Don, an der Wolga. Wo der Deutsche im Osten von Volk zu Volk dem Fremden gegenüberstand, da hat er meist standgehalten- nur der staatlichen Macht kann er nicht wider¬ stehn. Es ist ein arger Irrtum, zu meinen, daß Staatsdisziplin, Soldntenrock, Gewohnheit der Pvlizeiordnung den Menschen für den nationalen Kampf, für Kolonisation erziehe. Vielmehr scheint der Mann an, wenigsten geeignet, in der Fremde auf eignen Füßen zu stehn, der ans dem best- und meistregiertcn Lande kommt. Wer immer mit einem Auge nach dein Mann über ihm gesehen hat, verliert leicht den festen Boden, sobald er allein stehn soll; für wen gleich nach dein Gebot „Du sollst nicht stehlen" das andre kommt „Du sollst parieren," der sucht in der Fremde bald nach jemand, dem er parieren könne, besonders wenn er nicht von Hause aus jemand findet, dem er befehlen kaun. Denn Ordnung muß sein, und er empfindet es als Unordnung, wenn er nicht be¬ fehlen oder wenigstens gehorchen kann — einerlei wem. Das liegt ihm nicht etwa im Blut wie dem Franzosen, sondern ist die Frucht jahrhundertelanger kleinstantlicher Erziehung mit ihren höchst pädagogischen Mittelchen an hübsch abgestuften Ehrennamen, Titeln, Rangen und Orden und größern und kleinern Souveränen, die uns zwar nicht die Erhabenheit des Staats, aber doch immer die Erhabenheit von Personen vor Augen führten. Im Innersten unsers Wesens sind wir anders, sind wir noch immer geneigt, unsern persönlichen Willen zu haben, der dann anch oft wieder hervortritt und sich zu seiner ererbten Kraft entwickelt, wenn er dauernd in fremdem Lande ans sich selbst angewiesen ist. Nur daß sich nicht bloß der Durchschuittsuuterthau, sondern auch der Dnrch- schnittsstaat bei uns in den Jahrhunderten allzusehr gewöhnt hat, es sich als Versäumnis seiner Pflicht anzurechnen, wenn in den Grenzen seines Macht- gebiets etwas von öffentlicher Bedeutung geschieht, wobei er die Hand nicht im Spiel hat. Was er nicht münzt, das, meint er, gelte nicht, wo er nicht besetz und Regel giebt, da, meint er, sei keine Ordnung möglich, und läuft s" Gefahr, in kolonialen Ländern ein geordnetes Stacitswesen zu haben, noch che er dort Unterthanen hat, oder in Posen administrativ anders zu handeln, als die Politik ihn zu handeln anweist. Für nationale Ausdehnung ist diese Zeit nicht günstig, wo unser Kapital um Menschen und Geld daheim so leicht U"d vorteilhaft Anlage findet. Wenn aber in. Posen viel nachzuholen ist, so ^ge es in der Richtung der Kräftigung des dortigen Deutschtums durch den Staat, nicht in der pädagogischen Kräftigung des dortigen Polentums noch in direkten Repressalien gegen die Polen durch den Staat. So wenig die Russen 'hre Polen, so wenig wird unser Staat unsre Polen zu Deutschen macheu!

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/189
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/189>, abgerufen am 02.07.2024.