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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.

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Polnische Politik

selbst gesteht, daß sie noch ungelöst sei. Sie ist in Kronpolen so wenig gelöst,
daß wenn hente das Militär und die russischen Beamten daraus entfernt würden,
nichts Russisches darin zurückbliebe. Die Wünsche des Verfassers sind von
derselben Art, die Rußland immer weiter nach Asien hineingetrieben hat: die
Nachbarn im Kaukasus sind unruhig, und man muß sie unterwerfen, um Ruhe
zu haben; dann sind die Baschkiren, Kalmücken, Kirgisen, dann Chiwa, Sa-
markand, Buchara, Taschkend unbequeme Nachbarn, und man erobert weiter
und weiter, um Ruhe zu haben. Nun soll Galizien genommen werden, damit
in Kronpolen Ruhe geschaffen werde. Wie gut oder wie schlecht begründet
nnn auch dieser Wunsch sei, er hat einen ernsthaften Kern in der Thatsache,
daß ohne alles Zuthun Rußlands die Frage auftauchen kann, was mit Galizien
geschehen soll in dem Fall fortschreitender Zersetzung von Österreich-Ungarin
Sollte einmal das Unglück eines Zerfalls der lothringischen Herrschaft eintreten,
dann gewinnt allerdings Galizien eine unheilvolle Bedeutung für die Nachbar¬
staaten. Die Polen mögen sich diese Zukunft weiter ausmalen. Für uns
Deutsche könnte, sofern wir Posens völlig sicher wären, die Errichtuno eines
selbständigen polnischen Staats allenfalls das Interesse haben, daß sich den
Polen, die sich dein Deutschtum unter deutscher Herrschaft nicht anschließen
wollen, eine Zuflucht eröffnete. Denn billigerweise muß man es als ein sehr
hartes Geschick anerkennen, daß Millionen von Polen heute national bedrängt
werden, während die unter thuen, die an ihrer Nationalität festhalten, anßer
in Galizien keinen freien Raum finden, wohin sie sich wenden können. Es
würden sehr wahrscheinlich Tausende vou Polen gern Posen verlassen, wenn
sie nicht jenseits der Grenze vom Regen in die Traufe, sondern in freies pol¬
nisches Land kamen.

Ein künstlicher politischer Druck drängt die Polen von Osten her, und
ein wirtschaftliches Bedürfnis zieht sie nach Westen hin -- zwei Kräfte, die
beide der national-politischen Entwicklung, wie Nur Deutschen sie wünschen
müssen, nicht entsprechen. Denn wir sind ein an Zahl stark wachsendes Volk und
brauchen Erweiterung des Raums für deu eignen Zuwachs, nicht Einengung
durch fremde Znwandrung. Ich teile die kleinmütige Sorge derer nicht, die
in unsern westlichen Industriebezirken durch polnische Sachsengänger schon ein
neues Posen entstehn sehen, oder die es für unheilvoll halten, wenn ostpreußische
Landwirte mit polnischen Arbeitern, die aus Kronpolen bezogen sind, ihren
Acker bestellen. Unbequem könnten diese Erscheinungen nur denn werden, wenn
wir mit unbesonnener deutscher Ordnungsliebe diesen Sachseugäugeru sorgsam
von Staats wegen eine neue Heimat mit Schulen und Pfarren und Priestern
einrichteten, statt uns an einer guten Polizeiaufsicht genügen zu lassen. Die
wirtschaftliche Lage von heute wird nicht ewig währen, und es werden wieder
Zeiten kommen, wo unser deutscher Arbeiter froh sein wird, für deu Lohn zu
arbeiten, mit dein sich jetzt der Pole begnügt. Dann wird es mit der Sachsen-
güngerei und der Vcrpolnng ein Ende haben, und die natürliche Strömung
aus den dichter bewohnten Gegenden in die dünner bewohnten, von West nach


Polnische Politik

selbst gesteht, daß sie noch ungelöst sei. Sie ist in Kronpolen so wenig gelöst,
daß wenn hente das Militär und die russischen Beamten daraus entfernt würden,
nichts Russisches darin zurückbliebe. Die Wünsche des Verfassers sind von
derselben Art, die Rußland immer weiter nach Asien hineingetrieben hat: die
Nachbarn im Kaukasus sind unruhig, und man muß sie unterwerfen, um Ruhe
zu haben; dann sind die Baschkiren, Kalmücken, Kirgisen, dann Chiwa, Sa-
markand, Buchara, Taschkend unbequeme Nachbarn, und man erobert weiter
und weiter, um Ruhe zu haben. Nun soll Galizien genommen werden, damit
in Kronpolen Ruhe geschaffen werde. Wie gut oder wie schlecht begründet
nnn auch dieser Wunsch sei, er hat einen ernsthaften Kern in der Thatsache,
daß ohne alles Zuthun Rußlands die Frage auftauchen kann, was mit Galizien
geschehen soll in dem Fall fortschreitender Zersetzung von Österreich-Ungarin
Sollte einmal das Unglück eines Zerfalls der lothringischen Herrschaft eintreten,
dann gewinnt allerdings Galizien eine unheilvolle Bedeutung für die Nachbar¬
staaten. Die Polen mögen sich diese Zukunft weiter ausmalen. Für uns
Deutsche könnte, sofern wir Posens völlig sicher wären, die Errichtuno eines
selbständigen polnischen Staats allenfalls das Interesse haben, daß sich den
Polen, die sich dein Deutschtum unter deutscher Herrschaft nicht anschließen
wollen, eine Zuflucht eröffnete. Denn billigerweise muß man es als ein sehr
hartes Geschick anerkennen, daß Millionen von Polen heute national bedrängt
werden, während die unter thuen, die an ihrer Nationalität festhalten, anßer
in Galizien keinen freien Raum finden, wohin sie sich wenden können. Es
würden sehr wahrscheinlich Tausende vou Polen gern Posen verlassen, wenn
sie nicht jenseits der Grenze vom Regen in die Traufe, sondern in freies pol¬
nisches Land kamen.

Ein künstlicher politischer Druck drängt die Polen von Osten her, und
ein wirtschaftliches Bedürfnis zieht sie nach Westen hin — zwei Kräfte, die
beide der national-politischen Entwicklung, wie Nur Deutschen sie wünschen
müssen, nicht entsprechen. Denn wir sind ein an Zahl stark wachsendes Volk und
brauchen Erweiterung des Raums für deu eignen Zuwachs, nicht Einengung
durch fremde Znwandrung. Ich teile die kleinmütige Sorge derer nicht, die
in unsern westlichen Industriebezirken durch polnische Sachsengänger schon ein
neues Posen entstehn sehen, oder die es für unheilvoll halten, wenn ostpreußische
Landwirte mit polnischen Arbeitern, die aus Kronpolen bezogen sind, ihren
Acker bestellen. Unbequem könnten diese Erscheinungen nur denn werden, wenn
wir mit unbesonnener deutscher Ordnungsliebe diesen Sachseugäugeru sorgsam
von Staats wegen eine neue Heimat mit Schulen und Pfarren und Priestern
einrichteten, statt uns an einer guten Polizeiaufsicht genügen zu lassen. Die
wirtschaftliche Lage von heute wird nicht ewig währen, und es werden wieder
Zeiten kommen, wo unser deutscher Arbeiter froh sein wird, für deu Lohn zu
arbeiten, mit dein sich jetzt der Pole begnügt. Dann wird es mit der Sachsen-
güngerei und der Vcrpolnng ein Ende haben, und die natürliche Strömung
aus den dichter bewohnten Gegenden in die dünner bewohnten, von West nach


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[0188] Polnische Politik selbst gesteht, daß sie noch ungelöst sei. Sie ist in Kronpolen so wenig gelöst, daß wenn hente das Militär und die russischen Beamten daraus entfernt würden, nichts Russisches darin zurückbliebe. Die Wünsche des Verfassers sind von derselben Art, die Rußland immer weiter nach Asien hineingetrieben hat: die Nachbarn im Kaukasus sind unruhig, und man muß sie unterwerfen, um Ruhe zu haben; dann sind die Baschkiren, Kalmücken, Kirgisen, dann Chiwa, Sa- markand, Buchara, Taschkend unbequeme Nachbarn, und man erobert weiter und weiter, um Ruhe zu haben. Nun soll Galizien genommen werden, damit in Kronpolen Ruhe geschaffen werde. Wie gut oder wie schlecht begründet nnn auch dieser Wunsch sei, er hat einen ernsthaften Kern in der Thatsache, daß ohne alles Zuthun Rußlands die Frage auftauchen kann, was mit Galizien geschehen soll in dem Fall fortschreitender Zersetzung von Österreich-Ungarin Sollte einmal das Unglück eines Zerfalls der lothringischen Herrschaft eintreten, dann gewinnt allerdings Galizien eine unheilvolle Bedeutung für die Nachbar¬ staaten. Die Polen mögen sich diese Zukunft weiter ausmalen. Für uns Deutsche könnte, sofern wir Posens völlig sicher wären, die Errichtuno eines selbständigen polnischen Staats allenfalls das Interesse haben, daß sich den Polen, die sich dein Deutschtum unter deutscher Herrschaft nicht anschließen wollen, eine Zuflucht eröffnete. Denn billigerweise muß man es als ein sehr hartes Geschick anerkennen, daß Millionen von Polen heute national bedrängt werden, während die unter thuen, die an ihrer Nationalität festhalten, anßer in Galizien keinen freien Raum finden, wohin sie sich wenden können. Es würden sehr wahrscheinlich Tausende vou Polen gern Posen verlassen, wenn sie nicht jenseits der Grenze vom Regen in die Traufe, sondern in freies pol¬ nisches Land kamen. Ein künstlicher politischer Druck drängt die Polen von Osten her, und ein wirtschaftliches Bedürfnis zieht sie nach Westen hin — zwei Kräfte, die beide der national-politischen Entwicklung, wie Nur Deutschen sie wünschen müssen, nicht entsprechen. Denn wir sind ein an Zahl stark wachsendes Volk und brauchen Erweiterung des Raums für deu eignen Zuwachs, nicht Einengung durch fremde Znwandrung. Ich teile die kleinmütige Sorge derer nicht, die in unsern westlichen Industriebezirken durch polnische Sachsengänger schon ein neues Posen entstehn sehen, oder die es für unheilvoll halten, wenn ostpreußische Landwirte mit polnischen Arbeitern, die aus Kronpolen bezogen sind, ihren Acker bestellen. Unbequem könnten diese Erscheinungen nur denn werden, wenn wir mit unbesonnener deutscher Ordnungsliebe diesen Sachseugäugeru sorgsam von Staats wegen eine neue Heimat mit Schulen und Pfarren und Priestern einrichteten, statt uns an einer guten Polizeiaufsicht genügen zu lassen. Die wirtschaftliche Lage von heute wird nicht ewig währen, und es werden wieder Zeiten kommen, wo unser deutscher Arbeiter froh sein wird, für deu Lohn zu arbeiten, mit dein sich jetzt der Pole begnügt. Dann wird es mit der Sachsen- güngerei und der Vcrpolnng ein Ende haben, und die natürliche Strömung aus den dichter bewohnten Gegenden in die dünner bewohnten, von West nach

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/188>, abgerufen am 02.07.2024.