Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
polnische Politik

geborgt hat oder mit ihm in Kompagnie getreten ist, und ein andres Stroh¬
männlein, das er gedungen hat, damit die nötigen zwei Bieter auftreten können,
und dann bietet er zehn Rubel für ein Gut von einigen hundert Hektaren und
läßt sich von dein Partner auf hundert oder fünfhundert steigern, und dann
hat er das Gut, Ader russischer wird das Land dadurch "licht, sondern nur
wüster, denn das Schreiberlein beeilt sich, sein Gut in der Bank zu versetze",
Häuser, Wald, kurz alles Ablösbare zu verkaufen und die nackte Erde der
Bank vor die Füße zu werfen. Oder er sitzt bestenfalls still und verkommen
da und lanert ans einen privaten Käufer.

Fürst Jmcretinsti berechnet die Zahl der in Kronpolen lebenden Russen,
ohne das Militär, auf 497000 Kopfes) wobei indessen wahrscheinlich alle
Nichtpolen, die russische Unterthanen sind, für Russen gelten. Wenn man von
dieser Zahl dann noch die der russischen Beamten und ihrer Familien abziehen
will, so dürften sehr wenig Russen auf diesem polnischen Boden übrig bleiben.
Vor einiger Zeit hat die Politische Korrespondenz herausgerechnet, daß im
Gubernium Petrika" ein Russe auf 72 Deutsche komme, was die lebhafte Sorge
des Herrn Gouverneurs von Petrikau und Verfassers jeuer Schrift wohl könnte
hervorgerufen haben. Bei diesen Rechnungen sind augenscheinlich umgekehrt zu
den Angaben des Fürsten Jmeretinski weder das Militär noch die Beamten
aeznhlt worden. Jedenfalls ist die freiwillige deutsche Einwandrung bedeutend
stärker als die freiwillige russische, obgleich der Staat jene hindert und diese
fördert, und obgleich der Russe weit wanderlustiger ist als der Deutsche. Die
Triebkraft liegt in der Kultur, die den Russen wie den Deutschen nach Osten
drängt, weil ihm dort eine geringere Knlturkrnft gegenübersteht; von ihr, von
der Kulturkraft der Völker, wird die nationale Zukunft Posens wie Kronpolens
abhängen, nicht von der Schule und von den: staatlichen Zwang.

In dem Schlnßkapitel unsrer russischen Schrift weist der Verfasser auf die
allgemeine große Krankheit der russischen Regierung, die Zentralisation, hin
als eine sehr wesentliche Quelle der Mißerfolge, die die russische Politik in
Polen zu verzeichnen habe. "Äußere Symmetrie, sagt er, und äußerliche
Gleichförmigkeit erscheinen bekanntlich vielen als der Gipfel der Ordnung, als
das Ideal der Vollkommenheit." Aber die bis zum äußersten getriebne Zen¬
tralisation habe nicht zur Einigung der örtlichen Gewalten, sondern zu ihrer
^tteiuigkeit geführt. Die verderblichen Folgen der allgemeinen Zentralisation
^'ieu unzählig; sie ziehe künstlich alle die tüchtigsten örtlichen Kräfte in die
Hauptstadt, verderbe viele von ihnen auf immer in dem hauptstädtischen
Strudel, indem sie nutzlos die Provinz fleißiger Leute beraube und dadurch den
Stand ihrer Intelligenz herabsetze. Die Worte von Lamennais: 1.g. ventrali-
"ation lumpus ü, l'apoploxiö an osutro öl ü, ig. xaral^Lif 6öK exe>r<zmitös würden
ur der Praxis glänzend bestätigt. Wir werden dem russischen hohen Beamten
hierin aufs Wort glauben dürfen.



n. a. O., S. 7.
2?
polnische Politik

geborgt hat oder mit ihm in Kompagnie getreten ist, und ein andres Stroh¬
männlein, das er gedungen hat, damit die nötigen zwei Bieter auftreten können,
und dann bietet er zehn Rubel für ein Gut von einigen hundert Hektaren und
läßt sich von dein Partner auf hundert oder fünfhundert steigern, und dann
hat er das Gut, Ader russischer wird das Land dadurch »licht, sondern nur
wüster, denn das Schreiberlein beeilt sich, sein Gut in der Bank zu versetze»,
Häuser, Wald, kurz alles Ablösbare zu verkaufen und die nackte Erde der
Bank vor die Füße zu werfen. Oder er sitzt bestenfalls still und verkommen
da und lanert ans einen privaten Käufer.

Fürst Jmcretinsti berechnet die Zahl der in Kronpolen lebenden Russen,
ohne das Militär, auf 497000 Kopfes) wobei indessen wahrscheinlich alle
Nichtpolen, die russische Unterthanen sind, für Russen gelten. Wenn man von
dieser Zahl dann noch die der russischen Beamten und ihrer Familien abziehen
will, so dürften sehr wenig Russen auf diesem polnischen Boden übrig bleiben.
Vor einiger Zeit hat die Politische Korrespondenz herausgerechnet, daß im
Gubernium Petrika» ein Russe auf 72 Deutsche komme, was die lebhafte Sorge
des Herrn Gouverneurs von Petrikau und Verfassers jeuer Schrift wohl könnte
hervorgerufen haben. Bei diesen Rechnungen sind augenscheinlich umgekehrt zu
den Angaben des Fürsten Jmeretinski weder das Militär noch die Beamten
aeznhlt worden. Jedenfalls ist die freiwillige deutsche Einwandrung bedeutend
stärker als die freiwillige russische, obgleich der Staat jene hindert und diese
fördert, und obgleich der Russe weit wanderlustiger ist als der Deutsche. Die
Triebkraft liegt in der Kultur, die den Russen wie den Deutschen nach Osten
drängt, weil ihm dort eine geringere Knlturkrnft gegenübersteht; von ihr, von
der Kulturkraft der Völker, wird die nationale Zukunft Posens wie Kronpolens
abhängen, nicht von der Schule und von den: staatlichen Zwang.

In dem Schlnßkapitel unsrer russischen Schrift weist der Verfasser auf die
allgemeine große Krankheit der russischen Regierung, die Zentralisation, hin
als eine sehr wesentliche Quelle der Mißerfolge, die die russische Politik in
Polen zu verzeichnen habe. „Äußere Symmetrie, sagt er, und äußerliche
Gleichförmigkeit erscheinen bekanntlich vielen als der Gipfel der Ordnung, als
das Ideal der Vollkommenheit." Aber die bis zum äußersten getriebne Zen¬
tralisation habe nicht zur Einigung der örtlichen Gewalten, sondern zu ihrer
^tteiuigkeit geführt. Die verderblichen Folgen der allgemeinen Zentralisation
^'ieu unzählig; sie ziehe künstlich alle die tüchtigsten örtlichen Kräfte in die
Hauptstadt, verderbe viele von ihnen auf immer in dem hauptstädtischen
Strudel, indem sie nutzlos die Provinz fleißiger Leute beraube und dadurch den
Stand ihrer Intelligenz herabsetze. Die Worte von Lamennais: 1.g. ventrali-
«ation lumpus ü, l'apoploxiö an osutro öl ü, ig. xaral^Lif 6öK exe>r<zmitös würden
ur der Praxis glänzend bestätigt. Wir werden dem russischen hohen Beamten
hierin aufs Wort glauben dürfen.



n. a. O., S. 7.
2?
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0185" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/232737"/>
          <fw type="header" place="top"> polnische Politik</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_534" prev="#ID_533"> geborgt hat oder mit ihm in Kompagnie getreten ist, und ein andres Stroh¬<lb/>
männlein, das er gedungen hat, damit die nötigen zwei Bieter auftreten können,<lb/>
und dann bietet er zehn Rubel für ein Gut von einigen hundert Hektaren und<lb/>
läßt sich von dein Partner auf hundert oder fünfhundert steigern, und dann<lb/>
hat er das Gut, Ader russischer wird das Land dadurch »licht, sondern nur<lb/>
wüster, denn das Schreiberlein beeilt sich, sein Gut in der Bank zu versetze»,<lb/>
Häuser, Wald, kurz alles Ablösbare zu verkaufen und die nackte Erde der<lb/>
Bank vor die Füße zu werfen. Oder er sitzt bestenfalls still und verkommen<lb/>
da und lanert ans einen privaten Käufer.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_535"> Fürst Jmcretinsti berechnet die Zahl der in Kronpolen lebenden Russen,<lb/>
ohne das Militär, auf 497000 Kopfes) wobei indessen wahrscheinlich alle<lb/>
Nichtpolen, die russische Unterthanen sind, für Russen gelten. Wenn man von<lb/>
dieser Zahl dann noch die der russischen Beamten und ihrer Familien abziehen<lb/>
will, so dürften sehr wenig Russen auf diesem polnischen Boden übrig bleiben.<lb/>
Vor einiger Zeit hat die Politische Korrespondenz herausgerechnet, daß im<lb/>
Gubernium Petrika» ein Russe auf 72 Deutsche komme, was die lebhafte Sorge<lb/>
des Herrn Gouverneurs von Petrikau und Verfassers jeuer Schrift wohl könnte<lb/>
hervorgerufen haben. Bei diesen Rechnungen sind augenscheinlich umgekehrt zu<lb/>
den Angaben des Fürsten Jmeretinski weder das Militär noch die Beamten<lb/>
aeznhlt worden. Jedenfalls ist die freiwillige deutsche Einwandrung bedeutend<lb/>
stärker als die freiwillige russische, obgleich der Staat jene hindert und diese<lb/>
fördert, und obgleich der Russe weit wanderlustiger ist als der Deutsche. Die<lb/>
Triebkraft liegt in der Kultur, die den Russen wie den Deutschen nach Osten<lb/>
drängt, weil ihm dort eine geringere Knlturkrnft gegenübersteht; von ihr, von<lb/>
der Kulturkraft der Völker, wird die nationale Zukunft Posens wie Kronpolens<lb/>
abhängen, nicht von der Schule und von den: staatlichen Zwang.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_536"> In dem Schlnßkapitel unsrer russischen Schrift weist der Verfasser auf die<lb/>
allgemeine große Krankheit der russischen Regierung, die Zentralisation, hin<lb/>
als eine sehr wesentliche Quelle der Mißerfolge, die die russische Politik in<lb/>
Polen zu verzeichnen habe. &#x201E;Äußere Symmetrie, sagt er, und äußerliche<lb/>
Gleichförmigkeit erscheinen bekanntlich vielen als der Gipfel der Ordnung, als<lb/>
das Ideal der Vollkommenheit." Aber die bis zum äußersten getriebne Zen¬<lb/>
tralisation habe nicht zur Einigung der örtlichen Gewalten, sondern zu ihrer<lb/>
^tteiuigkeit geführt. Die verderblichen Folgen der allgemeinen Zentralisation<lb/>
^'ieu unzählig; sie ziehe künstlich alle die tüchtigsten örtlichen Kräfte in die<lb/>
Hauptstadt, verderbe viele von ihnen auf immer in dem hauptstädtischen<lb/>
Strudel, indem sie nutzlos die Provinz fleißiger Leute beraube und dadurch den<lb/>
Stand ihrer Intelligenz herabsetze. Die Worte von Lamennais: 1.g. ventrali-<lb/>
«ation lumpus ü, l'apoploxiö an osutro öl ü, ig. xaral^Lif 6öK exe&gt;r&lt;zmitös würden<lb/>
ur der Praxis glänzend bestätigt. Wir werden dem russischen hohen Beamten<lb/>
hierin aufs Wort glauben dürfen.</p><lb/>
          <note xml:id="FID_41" place="foot"> n. a. O., S. 7.</note><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 2?</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0185] polnische Politik geborgt hat oder mit ihm in Kompagnie getreten ist, und ein andres Stroh¬ männlein, das er gedungen hat, damit die nötigen zwei Bieter auftreten können, und dann bietet er zehn Rubel für ein Gut von einigen hundert Hektaren und läßt sich von dein Partner auf hundert oder fünfhundert steigern, und dann hat er das Gut, Ader russischer wird das Land dadurch »licht, sondern nur wüster, denn das Schreiberlein beeilt sich, sein Gut in der Bank zu versetze», Häuser, Wald, kurz alles Ablösbare zu verkaufen und die nackte Erde der Bank vor die Füße zu werfen. Oder er sitzt bestenfalls still und verkommen da und lanert ans einen privaten Käufer. Fürst Jmcretinsti berechnet die Zahl der in Kronpolen lebenden Russen, ohne das Militär, auf 497000 Kopfes) wobei indessen wahrscheinlich alle Nichtpolen, die russische Unterthanen sind, für Russen gelten. Wenn man von dieser Zahl dann noch die der russischen Beamten und ihrer Familien abziehen will, so dürften sehr wenig Russen auf diesem polnischen Boden übrig bleiben. Vor einiger Zeit hat die Politische Korrespondenz herausgerechnet, daß im Gubernium Petrika» ein Russe auf 72 Deutsche komme, was die lebhafte Sorge des Herrn Gouverneurs von Petrikau und Verfassers jeuer Schrift wohl könnte hervorgerufen haben. Bei diesen Rechnungen sind augenscheinlich umgekehrt zu den Angaben des Fürsten Jmeretinski weder das Militär noch die Beamten aeznhlt worden. Jedenfalls ist die freiwillige deutsche Einwandrung bedeutend stärker als die freiwillige russische, obgleich der Staat jene hindert und diese fördert, und obgleich der Russe weit wanderlustiger ist als der Deutsche. Die Triebkraft liegt in der Kultur, die den Russen wie den Deutschen nach Osten drängt, weil ihm dort eine geringere Knlturkrnft gegenübersteht; von ihr, von der Kulturkraft der Völker, wird die nationale Zukunft Posens wie Kronpolens abhängen, nicht von der Schule und von den: staatlichen Zwang. In dem Schlnßkapitel unsrer russischen Schrift weist der Verfasser auf die allgemeine große Krankheit der russischen Regierung, die Zentralisation, hin als eine sehr wesentliche Quelle der Mißerfolge, die die russische Politik in Polen zu verzeichnen habe. „Äußere Symmetrie, sagt er, und äußerliche Gleichförmigkeit erscheinen bekanntlich vielen als der Gipfel der Ordnung, als das Ideal der Vollkommenheit." Aber die bis zum äußersten getriebne Zen¬ tralisation habe nicht zur Einigung der örtlichen Gewalten, sondern zu ihrer ^tteiuigkeit geführt. Die verderblichen Folgen der allgemeinen Zentralisation ^'ieu unzählig; sie ziehe künstlich alle die tüchtigsten örtlichen Kräfte in die Hauptstadt, verderbe viele von ihnen auf immer in dem hauptstädtischen Strudel, indem sie nutzlos die Provinz fleißiger Leute beraube und dadurch den Stand ihrer Intelligenz herabsetze. Die Worte von Lamennais: 1.g. ventrali- «ation lumpus ü, l'apoploxiö an osutro öl ü, ig. xaral^Lif 6öK exe>r<zmitös würden ur der Praxis glänzend bestätigt. Wir werden dem russischen hohen Beamten hierin aufs Wort glauben dürfen. n. a. O., S. 7. 2?

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/185
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/185>, abgerufen am 02.07.2024.