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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.

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Polnische Politik

russischen, sondern auch der polnischen überlege". Aber wenn die höhere Kultur
much immer erobernd vorgeht, so doch nur da, wo sie friedlich auftritt: mit dem
Zwang verbunden verliert sie ihre Anziehungskraft, verliert sie ihren geistigen
Charakter und ruft den Widerstand hervor. Daher verliert unsre Kultur, unsre
Schule durch den Zwang, der sie begleitet, den besten Teil ihrer Kraft und
sinkt in der Wirkung auf das nationale Empfinden der Polen aus die Stufe
der polnischen oder russischen Kultur hinab: der Pole fühlt nur den Zwang,
nicht die Wohlthat. Solche Maßregeln wie das Verbot privaten polnischen
Unterrichts werden zur Folge haben, das; sie nnr verletzt werden, um die Strafe
und mit ihr die nationale Erbitterung herauszufordern; fie werden als ein
besonders wirksames, besonders leicht verständliches Werkzeug in den Handen
derer dienen, die den nationalen Haß zu schüren wünschen. Und sie werden
nicht einen einzigen Polen dem Deutschtum zuführen. Wenn wir wähnen, unser
Schulmeister werde uns Posen erobern -- wie er die Franzosen besiegt haben
soll --, so werden wir, fürchte ich, getäuscht werden. Posen wird nicht durch
Schulen, sondern durch Einwandrer deutsch werden.

Der Deutsche geht nicht gern nach Posen; aber der Nüsse noch weniger
gern uach Krvnpvlen. Wer dort Russe ist, der ist entweder Soldat oder Be¬
amter; freiwillig läßt sich kein Russe in Polen nieder, es sei denn, daß ihm
dafür vom Staat, ob direkt oder indirekt, große materielle Vorteile geboten
werden. Der Staat hat es mit der Ansiedlung russischer Bauern versucht,
ihnen Domänen und konfiszierte Privatgüter unentgeltlich zugeteilt, für ihre
erste Einrichtung gesorgt, fast wie unsre Ansiedlungskommission, nur sehr viel
billiger; und sehr bald haben sich diese Ansiedler verlaufen oder sind Polen ge¬
worden oder führen ein Bettelleben. Der Staat hat seit 1835 etwa 800000
.Kulmer Morgen verschenkt, d. i. etwa 533000 Hektar an Gütern, die ihm meist
durch Konfiskation zugefallen waren, an Russen oder doch um russische Beamte
und Offiziere; er verschenkte diese Güter als Majorate, daß sie in russischen
Händen bleiben sollten. Aber nur sehr wenige dieser Majorate sind dadurch
russischer geworden, als sie waren, denn sie werden nicht von den Besitzern be¬
wohnt, sondern von Polen oder Deutschen verwaltet. Kaum ein Quadratfuß
polnischen Landes in Kronpolen ist russisch geworden; denn der Russe will
nicht in Polen leben und kann in Polen nicht mit Erfolg Landwirtschaft treiben.
Er versteht das bei sich zu Hause nicht und noch viel weniger unter den fremden
polnischen Verhältnissen. Welche ungeheuern Prämien hat die russische Ne¬
gierung in Litauen auf den Übergang der Landgüter in russische Hände gesetzt,
indem fie verfügte, daß niemand dort Land kaufe" dürfe außer mit besondrer
Genehmigung des Geueralgouverneurs für jeden Käufer und für jedes Gut,
und indem sie diese Genehmigung in der Regel an russische Abstammung und
russische" Glaube" band. Wenn bei der Not aller Landwirte der Gutsbesitzer
zum Verkauf gezwungen war oder ist, so erscheint zur öffentlichen Versteigerung
ein kleiner Beamter, ein russischer Schreiber, der sich vom Juden etwas Geld


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russischen, sondern auch der polnischen überlege». Aber wenn die höhere Kultur
much immer erobernd vorgeht, so doch nur da, wo sie friedlich auftritt: mit dem
Zwang verbunden verliert sie ihre Anziehungskraft, verliert sie ihren geistigen
Charakter und ruft den Widerstand hervor. Daher verliert unsre Kultur, unsre
Schule durch den Zwang, der sie begleitet, den besten Teil ihrer Kraft und
sinkt in der Wirkung auf das nationale Empfinden der Polen aus die Stufe
der polnischen oder russischen Kultur hinab: der Pole fühlt nur den Zwang,
nicht die Wohlthat. Solche Maßregeln wie das Verbot privaten polnischen
Unterrichts werden zur Folge haben, das; sie nnr verletzt werden, um die Strafe
und mit ihr die nationale Erbitterung herauszufordern; fie werden als ein
besonders wirksames, besonders leicht verständliches Werkzeug in den Handen
derer dienen, die den nationalen Haß zu schüren wünschen. Und sie werden
nicht einen einzigen Polen dem Deutschtum zuführen. Wenn wir wähnen, unser
Schulmeister werde uns Posen erobern — wie er die Franzosen besiegt haben
soll —, so werden wir, fürchte ich, getäuscht werden. Posen wird nicht durch
Schulen, sondern durch Einwandrer deutsch werden.

Der Deutsche geht nicht gern nach Posen; aber der Nüsse noch weniger
gern uach Krvnpvlen. Wer dort Russe ist, der ist entweder Soldat oder Be¬
amter; freiwillig läßt sich kein Russe in Polen nieder, es sei denn, daß ihm
dafür vom Staat, ob direkt oder indirekt, große materielle Vorteile geboten
werden. Der Staat hat es mit der Ansiedlung russischer Bauern versucht,
ihnen Domänen und konfiszierte Privatgüter unentgeltlich zugeteilt, für ihre
erste Einrichtung gesorgt, fast wie unsre Ansiedlungskommission, nur sehr viel
billiger; und sehr bald haben sich diese Ansiedler verlaufen oder sind Polen ge¬
worden oder führen ein Bettelleben. Der Staat hat seit 1835 etwa 800000
.Kulmer Morgen verschenkt, d. i. etwa 533000 Hektar an Gütern, die ihm meist
durch Konfiskation zugefallen waren, an Russen oder doch um russische Beamte
und Offiziere; er verschenkte diese Güter als Majorate, daß sie in russischen
Händen bleiben sollten. Aber nur sehr wenige dieser Majorate sind dadurch
russischer geworden, als sie waren, denn sie werden nicht von den Besitzern be¬
wohnt, sondern von Polen oder Deutschen verwaltet. Kaum ein Quadratfuß
polnischen Landes in Kronpolen ist russisch geworden; denn der Russe will
nicht in Polen leben und kann in Polen nicht mit Erfolg Landwirtschaft treiben.
Er versteht das bei sich zu Hause nicht und noch viel weniger unter den fremden
polnischen Verhältnissen. Welche ungeheuern Prämien hat die russische Ne¬
gierung in Litauen auf den Übergang der Landgüter in russische Hände gesetzt,
indem fie verfügte, daß niemand dort Land kaufe» dürfe außer mit besondrer
Genehmigung des Geueralgouverneurs für jeden Käufer und für jedes Gut,
und indem sie diese Genehmigung in der Regel an russische Abstammung und
russische» Glaube» band. Wenn bei der Not aller Landwirte der Gutsbesitzer
zum Verkauf gezwungen war oder ist, so erscheint zur öffentlichen Versteigerung
ein kleiner Beamter, ein russischer Schreiber, der sich vom Juden etwas Geld


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[0184] Polnische Politik russischen, sondern auch der polnischen überlege». Aber wenn die höhere Kultur much immer erobernd vorgeht, so doch nur da, wo sie friedlich auftritt: mit dem Zwang verbunden verliert sie ihre Anziehungskraft, verliert sie ihren geistigen Charakter und ruft den Widerstand hervor. Daher verliert unsre Kultur, unsre Schule durch den Zwang, der sie begleitet, den besten Teil ihrer Kraft und sinkt in der Wirkung auf das nationale Empfinden der Polen aus die Stufe der polnischen oder russischen Kultur hinab: der Pole fühlt nur den Zwang, nicht die Wohlthat. Solche Maßregeln wie das Verbot privaten polnischen Unterrichts werden zur Folge haben, das; sie nnr verletzt werden, um die Strafe und mit ihr die nationale Erbitterung herauszufordern; fie werden als ein besonders wirksames, besonders leicht verständliches Werkzeug in den Handen derer dienen, die den nationalen Haß zu schüren wünschen. Und sie werden nicht einen einzigen Polen dem Deutschtum zuführen. Wenn wir wähnen, unser Schulmeister werde uns Posen erobern — wie er die Franzosen besiegt haben soll —, so werden wir, fürchte ich, getäuscht werden. Posen wird nicht durch Schulen, sondern durch Einwandrer deutsch werden. Der Deutsche geht nicht gern nach Posen; aber der Nüsse noch weniger gern uach Krvnpvlen. Wer dort Russe ist, der ist entweder Soldat oder Be¬ amter; freiwillig läßt sich kein Russe in Polen nieder, es sei denn, daß ihm dafür vom Staat, ob direkt oder indirekt, große materielle Vorteile geboten werden. Der Staat hat es mit der Ansiedlung russischer Bauern versucht, ihnen Domänen und konfiszierte Privatgüter unentgeltlich zugeteilt, für ihre erste Einrichtung gesorgt, fast wie unsre Ansiedlungskommission, nur sehr viel billiger; und sehr bald haben sich diese Ansiedler verlaufen oder sind Polen ge¬ worden oder führen ein Bettelleben. Der Staat hat seit 1835 etwa 800000 .Kulmer Morgen verschenkt, d. i. etwa 533000 Hektar an Gütern, die ihm meist durch Konfiskation zugefallen waren, an Russen oder doch um russische Beamte und Offiziere; er verschenkte diese Güter als Majorate, daß sie in russischen Händen bleiben sollten. Aber nur sehr wenige dieser Majorate sind dadurch russischer geworden, als sie waren, denn sie werden nicht von den Besitzern be¬ wohnt, sondern von Polen oder Deutschen verwaltet. Kaum ein Quadratfuß polnischen Landes in Kronpolen ist russisch geworden; denn der Russe will nicht in Polen leben und kann in Polen nicht mit Erfolg Landwirtschaft treiben. Er versteht das bei sich zu Hause nicht und noch viel weniger unter den fremden polnischen Verhältnissen. Welche ungeheuern Prämien hat die russische Ne¬ gierung in Litauen auf den Übergang der Landgüter in russische Hände gesetzt, indem fie verfügte, daß niemand dort Land kaufe» dürfe außer mit besondrer Genehmigung des Geueralgouverneurs für jeden Käufer und für jedes Gut, und indem sie diese Genehmigung in der Regel an russische Abstammung und russische» Glaube» band. Wenn bei der Not aller Landwirte der Gutsbesitzer zum Verkauf gezwungen war oder ist, so erscheint zur öffentlichen Versteigerung ein kleiner Beamter, ein russischer Schreiber, der sich vom Juden etwas Geld

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/184>, abgerufen am 02.07.2024.