Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Polnische Politik

Jahre 1897, den von seinem Untergebnen geäußerten Meinungen nicht gar zu
fern stand.*) Die russische Schule in Polen, der Rußland seit vielen Jahren
eine Menge von Kräften opfert, die es sich am eignen Leibe absparen muß,
hat nicht geleistet, was sie sollte, hat keine Verrussung, keine Verschmelzung zu
Wege gebracht. Und doch hat sie das geleistet, was wir von unsern deutschen
Schulen in Posen fordern: in den russischen Schulen hat sich der junge Pole
die russische Sprache angeeignet. Die nahe Verwandtschaft beider Sprachen
macht, daß der Pole sehr leicht der russischen Sprache Herr wird. Wer es
nicht in der Schule lernt, der lernt es als Soldat, als kleiner Beamter, kurz
es giebt wenig Polen, die des Russischen völlig unkundig, und in den ge¬
schulten Schichten wenige, die nicht auch der russischem Schriftsprache mächtig
wären. Allein mit der Sprache wird noch keineswegs das fremde Vvlkstuiu
dem Polen eingeimpft. Es ist in unsrer gegenwärtigen Zeit des Nativnalitäten-
tollers ein sehr verbreiteter Irrtum, zu glauben, daß der Kenntnis einer fremden
Sprache die Herrschaft der fremden Nationalität folge. Nicht das Erlernen
der fremden, sondern erst das Verlernen meiner eignen Sprache wird meine
Nationalität verwandeln. Der Pole nutzt die Kenntnis des Russischen gern
zu seinem Fortkommen ans, indem er in allen russischen Landen mit dem Russen
erfolgreich auf den Bahnen des Erwerbs in Konkurrenz tritt; dort kann uur
ein scharfes Ohr den Polen vom Russen unterscheiden. Und doch bleibt die
nationale Kluft bestehn, doch fühlt sich der Pole auch dort als Pole. Nur
der Mann des Volks, des Dorfes, der Schriftlose wird mit der Sprache die
Nationalität wechseln, und deshalb stärken wir in Posen uur das Polentum,
indem wir ihm Bildung zuführen, ehe das Landvolk in der Mehrheit deutsch
ist. Durch die Schulen werden wir das Volk den Hunden der polnischen
Priester nicht entwinden. Dieses Priestertum, die römische Kirche selbst, das
ist leider auch bei uns der gefährliche Gegner friedlicher Verdeutschung. Es
wäre die Pflicht der starken katholischen Partei des Zentrums, das Polentum
aus der deutschen Kirchenverwaltung hinauszudrängen, den polnischen Priester
durch den deutschen Priester zu ersetzen. Da aber das Zentrum immer mehr
für Rom als für Deutschland sorgt, so bleibt uns nichts übrig, als uns auf
die nichtkatholischen Konfessionen zu stützen und rücksichtslos die Einwandrung
nichtkatholischer Deutscher in die polnischen Gebiete zu fördern. Posen muß
Protestantisch werden, um deutsch zu werden -- das ist die Folge unsrer
nationalen Nachlässigkeit.

Wir werden uns hoffentlich nie zum Vorwurf machen müssen, solche
Thorheiten und Roheiten in den posenschcn Schulen zu begehn, wie der Ver¬
fasser sie in den Schulen von Kronpolen brandmarkt. Wir dürfen annehmen,
daß der deutsche Lehrer in Posen höher steht als der russische jenseits der
Grenze; wir wissen unsre geistige Kraft, unsre ganze Kultur nicht bloß der



Er soll seitdem seine Meinungen oder doch sein Verhalten merklich zu Gunsten des
Regime PobedonoszowS geändert haben.
Polnische Politik

Jahre 1897, den von seinem Untergebnen geäußerten Meinungen nicht gar zu
fern stand.*) Die russische Schule in Polen, der Rußland seit vielen Jahren
eine Menge von Kräften opfert, die es sich am eignen Leibe absparen muß,
hat nicht geleistet, was sie sollte, hat keine Verrussung, keine Verschmelzung zu
Wege gebracht. Und doch hat sie das geleistet, was wir von unsern deutschen
Schulen in Posen fordern: in den russischen Schulen hat sich der junge Pole
die russische Sprache angeeignet. Die nahe Verwandtschaft beider Sprachen
macht, daß der Pole sehr leicht der russischen Sprache Herr wird. Wer es
nicht in der Schule lernt, der lernt es als Soldat, als kleiner Beamter, kurz
es giebt wenig Polen, die des Russischen völlig unkundig, und in den ge¬
schulten Schichten wenige, die nicht auch der russischem Schriftsprache mächtig
wären. Allein mit der Sprache wird noch keineswegs das fremde Vvlkstuiu
dem Polen eingeimpft. Es ist in unsrer gegenwärtigen Zeit des Nativnalitäten-
tollers ein sehr verbreiteter Irrtum, zu glauben, daß der Kenntnis einer fremden
Sprache die Herrschaft der fremden Nationalität folge. Nicht das Erlernen
der fremden, sondern erst das Verlernen meiner eignen Sprache wird meine
Nationalität verwandeln. Der Pole nutzt die Kenntnis des Russischen gern
zu seinem Fortkommen ans, indem er in allen russischen Landen mit dem Russen
erfolgreich auf den Bahnen des Erwerbs in Konkurrenz tritt; dort kann uur
ein scharfes Ohr den Polen vom Russen unterscheiden. Und doch bleibt die
nationale Kluft bestehn, doch fühlt sich der Pole auch dort als Pole. Nur
der Mann des Volks, des Dorfes, der Schriftlose wird mit der Sprache die
Nationalität wechseln, und deshalb stärken wir in Posen uur das Polentum,
indem wir ihm Bildung zuführen, ehe das Landvolk in der Mehrheit deutsch
ist. Durch die Schulen werden wir das Volk den Hunden der polnischen
Priester nicht entwinden. Dieses Priestertum, die römische Kirche selbst, das
ist leider auch bei uns der gefährliche Gegner friedlicher Verdeutschung. Es
wäre die Pflicht der starken katholischen Partei des Zentrums, das Polentum
aus der deutschen Kirchenverwaltung hinauszudrängen, den polnischen Priester
durch den deutschen Priester zu ersetzen. Da aber das Zentrum immer mehr
für Rom als für Deutschland sorgt, so bleibt uns nichts übrig, als uns auf
die nichtkatholischen Konfessionen zu stützen und rücksichtslos die Einwandrung
nichtkatholischer Deutscher in die polnischen Gebiete zu fördern. Posen muß
Protestantisch werden, um deutsch zu werden — das ist die Folge unsrer
nationalen Nachlässigkeit.

Wir werden uns hoffentlich nie zum Vorwurf machen müssen, solche
Thorheiten und Roheiten in den posenschcn Schulen zu begehn, wie der Ver¬
fasser sie in den Schulen von Kronpolen brandmarkt. Wir dürfen annehmen,
daß der deutsche Lehrer in Posen höher steht als der russische jenseits der
Grenze; wir wissen unsre geistige Kraft, unsre ganze Kultur nicht bloß der



Er soll seitdem seine Meinungen oder doch sein Verhalten merklich zu Gunsten des
Regime PobedonoszowS geändert haben.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0183" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/232735"/>
          <fw type="header" place="top"> Polnische Politik</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_530" prev="#ID_529"> Jahre 1897, den von seinem Untergebnen geäußerten Meinungen nicht gar zu<lb/>
fern stand.*) Die russische Schule in Polen, der Rußland seit vielen Jahren<lb/>
eine Menge von Kräften opfert, die es sich am eignen Leibe absparen muß,<lb/>
hat nicht geleistet, was sie sollte, hat keine Verrussung, keine Verschmelzung zu<lb/>
Wege gebracht. Und doch hat sie das geleistet, was wir von unsern deutschen<lb/>
Schulen in Posen fordern: in den russischen Schulen hat sich der junge Pole<lb/>
die russische Sprache angeeignet. Die nahe Verwandtschaft beider Sprachen<lb/>
macht, daß der Pole sehr leicht der russischen Sprache Herr wird. Wer es<lb/>
nicht in der Schule lernt, der lernt es als Soldat, als kleiner Beamter, kurz<lb/>
es giebt wenig Polen, die des Russischen völlig unkundig, und in den ge¬<lb/>
schulten Schichten wenige, die nicht auch der russischem Schriftsprache mächtig<lb/>
wären. Allein mit der Sprache wird noch keineswegs das fremde Vvlkstuiu<lb/>
dem Polen eingeimpft. Es ist in unsrer gegenwärtigen Zeit des Nativnalitäten-<lb/>
tollers ein sehr verbreiteter Irrtum, zu glauben, daß der Kenntnis einer fremden<lb/>
Sprache die Herrschaft der fremden Nationalität folge. Nicht das Erlernen<lb/>
der fremden, sondern erst das Verlernen meiner eignen Sprache wird meine<lb/>
Nationalität verwandeln. Der Pole nutzt die Kenntnis des Russischen gern<lb/>
zu seinem Fortkommen ans, indem er in allen russischen Landen mit dem Russen<lb/>
erfolgreich auf den Bahnen des Erwerbs in Konkurrenz tritt; dort kann uur<lb/>
ein scharfes Ohr den Polen vom Russen unterscheiden. Und doch bleibt die<lb/>
nationale Kluft bestehn, doch fühlt sich der Pole auch dort als Pole. Nur<lb/>
der Mann des Volks, des Dorfes, der Schriftlose wird mit der Sprache die<lb/>
Nationalität wechseln, und deshalb stärken wir in Posen uur das Polentum,<lb/>
indem wir ihm Bildung zuführen, ehe das Landvolk in der Mehrheit deutsch<lb/>
ist. Durch die Schulen werden wir das Volk den Hunden der polnischen<lb/>
Priester nicht entwinden. Dieses Priestertum, die römische Kirche selbst, das<lb/>
ist leider auch bei uns der gefährliche Gegner friedlicher Verdeutschung. Es<lb/>
wäre die Pflicht der starken katholischen Partei des Zentrums, das Polentum<lb/>
aus der deutschen Kirchenverwaltung hinauszudrängen, den polnischen Priester<lb/>
durch den deutschen Priester zu ersetzen. Da aber das Zentrum immer mehr<lb/>
für Rom als für Deutschland sorgt, so bleibt uns nichts übrig, als uns auf<lb/>
die nichtkatholischen Konfessionen zu stützen und rücksichtslos die Einwandrung<lb/>
nichtkatholischer Deutscher in die polnischen Gebiete zu fördern. Posen muß<lb/>
Protestantisch werden, um deutsch zu werden &#x2014; das ist die Folge unsrer<lb/>
nationalen Nachlässigkeit.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_531" next="#ID_532"> Wir werden uns hoffentlich nie zum Vorwurf machen müssen, solche<lb/>
Thorheiten und Roheiten in den posenschcn Schulen zu begehn, wie der Ver¬<lb/>
fasser sie in den Schulen von Kronpolen brandmarkt. Wir dürfen annehmen,<lb/>
daß der deutsche Lehrer in Posen höher steht als der russische jenseits der<lb/>
Grenze; wir wissen unsre geistige Kraft, unsre ganze Kultur nicht bloß der</p><lb/>
          <note xml:id="FID_40" place="foot"> Er soll seitdem seine Meinungen oder doch sein Verhalten merklich zu Gunsten des<lb/>
Regime PobedonoszowS geändert haben.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0183] Polnische Politik Jahre 1897, den von seinem Untergebnen geäußerten Meinungen nicht gar zu fern stand.*) Die russische Schule in Polen, der Rußland seit vielen Jahren eine Menge von Kräften opfert, die es sich am eignen Leibe absparen muß, hat nicht geleistet, was sie sollte, hat keine Verrussung, keine Verschmelzung zu Wege gebracht. Und doch hat sie das geleistet, was wir von unsern deutschen Schulen in Posen fordern: in den russischen Schulen hat sich der junge Pole die russische Sprache angeeignet. Die nahe Verwandtschaft beider Sprachen macht, daß der Pole sehr leicht der russischen Sprache Herr wird. Wer es nicht in der Schule lernt, der lernt es als Soldat, als kleiner Beamter, kurz es giebt wenig Polen, die des Russischen völlig unkundig, und in den ge¬ schulten Schichten wenige, die nicht auch der russischem Schriftsprache mächtig wären. Allein mit der Sprache wird noch keineswegs das fremde Vvlkstuiu dem Polen eingeimpft. Es ist in unsrer gegenwärtigen Zeit des Nativnalitäten- tollers ein sehr verbreiteter Irrtum, zu glauben, daß der Kenntnis einer fremden Sprache die Herrschaft der fremden Nationalität folge. Nicht das Erlernen der fremden, sondern erst das Verlernen meiner eignen Sprache wird meine Nationalität verwandeln. Der Pole nutzt die Kenntnis des Russischen gern zu seinem Fortkommen ans, indem er in allen russischen Landen mit dem Russen erfolgreich auf den Bahnen des Erwerbs in Konkurrenz tritt; dort kann uur ein scharfes Ohr den Polen vom Russen unterscheiden. Und doch bleibt die nationale Kluft bestehn, doch fühlt sich der Pole auch dort als Pole. Nur der Mann des Volks, des Dorfes, der Schriftlose wird mit der Sprache die Nationalität wechseln, und deshalb stärken wir in Posen uur das Polentum, indem wir ihm Bildung zuführen, ehe das Landvolk in der Mehrheit deutsch ist. Durch die Schulen werden wir das Volk den Hunden der polnischen Priester nicht entwinden. Dieses Priestertum, die römische Kirche selbst, das ist leider auch bei uns der gefährliche Gegner friedlicher Verdeutschung. Es wäre die Pflicht der starken katholischen Partei des Zentrums, das Polentum aus der deutschen Kirchenverwaltung hinauszudrängen, den polnischen Priester durch den deutschen Priester zu ersetzen. Da aber das Zentrum immer mehr für Rom als für Deutschland sorgt, so bleibt uns nichts übrig, als uns auf die nichtkatholischen Konfessionen zu stützen und rücksichtslos die Einwandrung nichtkatholischer Deutscher in die polnischen Gebiete zu fördern. Posen muß Protestantisch werden, um deutsch zu werden — das ist die Folge unsrer nationalen Nachlässigkeit. Wir werden uns hoffentlich nie zum Vorwurf machen müssen, solche Thorheiten und Roheiten in den posenschcn Schulen zu begehn, wie der Ver¬ fasser sie in den Schulen von Kronpolen brandmarkt. Wir dürfen annehmen, daß der deutsche Lehrer in Posen höher steht als der russische jenseits der Grenze; wir wissen unsre geistige Kraft, unsre ganze Kultur nicht bloß der Er soll seitdem seine Meinungen oder doch sein Verhalten merklich zu Gunsten des Regime PobedonoszowS geändert haben.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/183
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/183>, abgerufen am 02.07.2024.