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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.

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polnische Politik

verdeutscht, als Kronpolen verrußt ist. Und um meine Ansicht im ganzen vor¬
weg zu sagen, liegt der Grund nicht in der gegenüber der deutschen minder¬
wertigen russischen Schule, sondern in dem fast völligen Mangel um russischer
Einwandrnng in diese polnischen Gebiete.

Auch in Kronpolcn liegt wie in Posen die nationale Führung nicht mehr
so ganz wie früher in der Hand des Adels, sondern ist in steigendem Maße
in die des Klerus übergegangen. Indessen spielt das Magnatentnm mit seinem
Trabantenheer der Schlachta immerhin noch eine sehr hervorragende Rolle und
könnte noch immer die Führung wieder übernehmen, wenn es einen Kampf
gälte, der bessere Aussichten böte, als es die leichtsinnige Erhebung von 1863
that. Der Adel setzt bei solchen Unternehmungen sehr viel mehr aufs Spiel,
als der seiner reichen jesuitischen und bernhnrdiuischen Freunde beraubte Klerus,
und viele Tausende seiner Glieder haben im russischen Reich Erwerb und Stellung
gefunden. Aber die von dein verstorbnen Markgrafen Wielopvlski uuter-
nommnen und vou dessen Sohne mit geringerm Geschick fortgesetzten Versuche
einer polnisch-russischen Aussöhnung haben, ob aufrichtig oder nicht, keinen
Erfolg gehabt und werden keinen haben. "An dem Tage, sagt der Verfasser,
wo die polnische Aristokratie offen erklären wird, sie gehe in das Lager der
Negierung über, wird auch jede politische Rolle im Lande für sie allsgespielt
sein." Um so systematischer hat die katholische Kirche, die jederzeit der Herd
aller polnischen Unruhen gewesen ist, ihre "aktive Thätigkeit gegen eine orga¬
nische Verschmelzung der westlichen Grenzlande mit dem Zentrum" organisiert.
In ihr sieht der Verfasser den einzigen gefährlichen Feind Rußlands, besonders
seit sich Rom die Wiederherstellung eines polnischen Staats als Waffe im
Kampfe mit der russischen Kirche zur Aufgabe gestellt habe. Die Zerschlagung
der von Rom geschaffnen Zentralisation, die Errichtung einer vom Papste un¬
abhängigen katholische" Kirche, das seien die Ziele, die Nußland verfolgen
müsse. Bis 1863 habe sich der Klerus hauptsächlich auf die Schlachta ver¬
lassen; seitdem aber wende er allen Eifer der Aufregung der Bauern gegen
Rußland zu und werde, wenn diese Thätigkeit nndanre, sein Ziel ohne Zweifel
erreichen, weshalb vor allein die Priesterseminare einer strengen staatlichen
Überwachung zu unterwerfen seien.

In der Verwaltung des Landes, besonders in der Behandlung der bäuer¬
lichen Zustände wirft der Verfasser der Regierung eine schwankende Haltung
vor. Aber im Grnnde richtet sich sein Unwille uur gegen die Vertreter des
Staats, die, wie Graf Berg, Graf Kotzebue, Albedinski, sich nicht unbedingt
zu Vollstreckern der durch Unkenntnis wirtschaftlicher Dinge und Mißachtilug
des Rechts ausgezeichneten sogenannten Milutinschen bäuerlichen Reform her¬
geben wollten.

Die Lage der polnischen Fabrikbevölkerung hält der Verfasser für weit
schlimmer als die der innerrussischen. Der schlimmste Feind des Fabrikarbeiters
ist der Jude, der ihn durch Vorschüsse in der Hand hält. Die Abhängigkeit vom
Juden hindert ihn, eine Verbesserung seiner Lage durch Aufsuchen hohem Ver-


polnische Politik

verdeutscht, als Kronpolen verrußt ist. Und um meine Ansicht im ganzen vor¬
weg zu sagen, liegt der Grund nicht in der gegenüber der deutschen minder¬
wertigen russischen Schule, sondern in dem fast völligen Mangel um russischer
Einwandrnng in diese polnischen Gebiete.

Auch in Kronpolcn liegt wie in Posen die nationale Führung nicht mehr
so ganz wie früher in der Hand des Adels, sondern ist in steigendem Maße
in die des Klerus übergegangen. Indessen spielt das Magnatentnm mit seinem
Trabantenheer der Schlachta immerhin noch eine sehr hervorragende Rolle und
könnte noch immer die Führung wieder übernehmen, wenn es einen Kampf
gälte, der bessere Aussichten böte, als es die leichtsinnige Erhebung von 1863
that. Der Adel setzt bei solchen Unternehmungen sehr viel mehr aufs Spiel,
als der seiner reichen jesuitischen und bernhnrdiuischen Freunde beraubte Klerus,
und viele Tausende seiner Glieder haben im russischen Reich Erwerb und Stellung
gefunden. Aber die von dein verstorbnen Markgrafen Wielopvlski uuter-
nommnen und vou dessen Sohne mit geringerm Geschick fortgesetzten Versuche
einer polnisch-russischen Aussöhnung haben, ob aufrichtig oder nicht, keinen
Erfolg gehabt und werden keinen haben. „An dem Tage, sagt der Verfasser,
wo die polnische Aristokratie offen erklären wird, sie gehe in das Lager der
Negierung über, wird auch jede politische Rolle im Lande für sie allsgespielt
sein." Um so systematischer hat die katholische Kirche, die jederzeit der Herd
aller polnischen Unruhen gewesen ist, ihre „aktive Thätigkeit gegen eine orga¬
nische Verschmelzung der westlichen Grenzlande mit dem Zentrum" organisiert.
In ihr sieht der Verfasser den einzigen gefährlichen Feind Rußlands, besonders
seit sich Rom die Wiederherstellung eines polnischen Staats als Waffe im
Kampfe mit der russischen Kirche zur Aufgabe gestellt habe. Die Zerschlagung
der von Rom geschaffnen Zentralisation, die Errichtung einer vom Papste un¬
abhängigen katholische» Kirche, das seien die Ziele, die Nußland verfolgen
müsse. Bis 1863 habe sich der Klerus hauptsächlich auf die Schlachta ver¬
lassen; seitdem aber wende er allen Eifer der Aufregung der Bauern gegen
Rußland zu und werde, wenn diese Thätigkeit nndanre, sein Ziel ohne Zweifel
erreichen, weshalb vor allein die Priesterseminare einer strengen staatlichen
Überwachung zu unterwerfen seien.

In der Verwaltung des Landes, besonders in der Behandlung der bäuer¬
lichen Zustände wirft der Verfasser der Regierung eine schwankende Haltung
vor. Aber im Grnnde richtet sich sein Unwille uur gegen die Vertreter des
Staats, die, wie Graf Berg, Graf Kotzebue, Albedinski, sich nicht unbedingt
zu Vollstreckern der durch Unkenntnis wirtschaftlicher Dinge und Mißachtilug
des Rechts ausgezeichneten sogenannten Milutinschen bäuerlichen Reform her¬
geben wollten.

Die Lage der polnischen Fabrikbevölkerung hält der Verfasser für weit
schlimmer als die der innerrussischen. Der schlimmste Feind des Fabrikarbeiters
ist der Jude, der ihn durch Vorschüsse in der Hand hält. Die Abhängigkeit vom
Juden hindert ihn, eine Verbesserung seiner Lage durch Aufsuchen hohem Ver-


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[0180] polnische Politik verdeutscht, als Kronpolen verrußt ist. Und um meine Ansicht im ganzen vor¬ weg zu sagen, liegt der Grund nicht in der gegenüber der deutschen minder¬ wertigen russischen Schule, sondern in dem fast völligen Mangel um russischer Einwandrnng in diese polnischen Gebiete. Auch in Kronpolcn liegt wie in Posen die nationale Führung nicht mehr so ganz wie früher in der Hand des Adels, sondern ist in steigendem Maße in die des Klerus übergegangen. Indessen spielt das Magnatentnm mit seinem Trabantenheer der Schlachta immerhin noch eine sehr hervorragende Rolle und könnte noch immer die Führung wieder übernehmen, wenn es einen Kampf gälte, der bessere Aussichten böte, als es die leichtsinnige Erhebung von 1863 that. Der Adel setzt bei solchen Unternehmungen sehr viel mehr aufs Spiel, als der seiner reichen jesuitischen und bernhnrdiuischen Freunde beraubte Klerus, und viele Tausende seiner Glieder haben im russischen Reich Erwerb und Stellung gefunden. Aber die von dein verstorbnen Markgrafen Wielopvlski uuter- nommnen und vou dessen Sohne mit geringerm Geschick fortgesetzten Versuche einer polnisch-russischen Aussöhnung haben, ob aufrichtig oder nicht, keinen Erfolg gehabt und werden keinen haben. „An dem Tage, sagt der Verfasser, wo die polnische Aristokratie offen erklären wird, sie gehe in das Lager der Negierung über, wird auch jede politische Rolle im Lande für sie allsgespielt sein." Um so systematischer hat die katholische Kirche, die jederzeit der Herd aller polnischen Unruhen gewesen ist, ihre „aktive Thätigkeit gegen eine orga¬ nische Verschmelzung der westlichen Grenzlande mit dem Zentrum" organisiert. In ihr sieht der Verfasser den einzigen gefährlichen Feind Rußlands, besonders seit sich Rom die Wiederherstellung eines polnischen Staats als Waffe im Kampfe mit der russischen Kirche zur Aufgabe gestellt habe. Die Zerschlagung der von Rom geschaffnen Zentralisation, die Errichtung einer vom Papste un¬ abhängigen katholische» Kirche, das seien die Ziele, die Nußland verfolgen müsse. Bis 1863 habe sich der Klerus hauptsächlich auf die Schlachta ver¬ lassen; seitdem aber wende er allen Eifer der Aufregung der Bauern gegen Rußland zu und werde, wenn diese Thätigkeit nndanre, sein Ziel ohne Zweifel erreichen, weshalb vor allein die Priesterseminare einer strengen staatlichen Überwachung zu unterwerfen seien. In der Verwaltung des Landes, besonders in der Behandlung der bäuer¬ lichen Zustände wirft der Verfasser der Regierung eine schwankende Haltung vor. Aber im Grnnde richtet sich sein Unwille uur gegen die Vertreter des Staats, die, wie Graf Berg, Graf Kotzebue, Albedinski, sich nicht unbedingt zu Vollstreckern der durch Unkenntnis wirtschaftlicher Dinge und Mißachtilug des Rechts ausgezeichneten sogenannten Milutinschen bäuerlichen Reform her¬ geben wollten. Die Lage der polnischen Fabrikbevölkerung hält der Verfasser für weit schlimmer als die der innerrussischen. Der schlimmste Feind des Fabrikarbeiters ist der Jude, der ihn durch Vorschüsse in der Hand hält. Die Abhängigkeit vom Juden hindert ihn, eine Verbesserung seiner Lage durch Aufsuchen hohem Ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/180>, abgerufen am 02.07.2024.