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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.

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damit die Autorität nicht das frische Leben ertöte, und die Manen nicht das
zerstören, was der Lebende Großes schuf. An einem Jena hat das deutsche
Volk genug. Darum ist es gerade jetzt nötig, den Druck Bismarckischer
Autorität von dort zurückzuweisen, Mo sie kein Recht hat, von der Weltpolitik.
Auch Bismarck hat Mißerfolge gehabt und besonders in seiner letzten Zeit,
als die Zwecke einer neuen Zeit eine Änderung seines Systems verlangten,
die der alternde Kanzler nicht mehr machen wollte, seines Systems, denn seine
Methode ließ sich nicht ändern, da sie aus seinein Charakter entsprang.

Neue Zeiten, neue Ziele, neue Wege. Mau verlangt, unsre Staatsmänner
sollten Bismarckische Politik treiben: das ist ein Unsinn, es wäre im System
ein Anachronismus, in der Methode eine Fälschung: wie wenn man von Bis¬
marck verlangt hätte, er solle Napoleonische Politik oder die Metternichs nnch-
ahmen, die doch für ihre Zeiten ebenso große Autoritäten mit ebenso großen
Erfolgen waren, wie Bismarck für seine Zeit. In der Politik wie im Leben
und in der Wissenschaft dürfen Autoritäten nicht über das Grab hinaus herrschen:
Menschen altern, die Welt bleibt einig jung, und die neuen Zeiten sind die
erbittertsten Feinde der alten Autoritäten. Wer Schüler eines großen Mannes
sein will, kann nicht sein pedantischer Nachbeter sein, er muß des Meisters
Kunst erfasse", aber dem eignen Charakter und Können gemäß und entsprechend
den Erfahrungen der Zeit aus- und umgestalten. Was unvergänglich ist, muß
unvergänglich bleiben: das ist von Bismarcks Politik die Verwendung des ge¬
sunden Menschenverstands, die Realpolitik, was vergänglich war, darf nicht
künstlich am Leben erhalten werden der Autorität zuliebe: das ist in Bismarcks
Politik seine Beschränkung uns den Kontinent und seine individuelle Methode;
über jene ist die Weltgeschichte, über diese der Tod zur Tagesordnung über¬
gegangen. Die Aufrechterhaltung der Bismarckischen Kontinentalpolitik mit
der ihr angepaßten innern Politik hätte eine Erstarrung des Deutschen Reichs
zur Folge, dem ein neues Jena nicht erspart geblieben wäre; die Nachahmung
Bismarckischer Methode würde ein großes Fiasko erleben, und wenn sich der
heutige Staatsmann bei entsprechenden Vorkommnissen den Rock misziehn
oder ein diplomatisches Memorandum zerreißen würde, würde er ausgelacht
werden, ebenso wie Bismarck ausgelacht worden wäre, wenn er wie Napoleon I.
mit Vasen um sich geworfen hätte. Die Methode muß individuell sein, der
eine wirkt durch Säbelgerassel, der andre durch Schweigen, dieser dnrch Grob¬
heit, jener durch Feinheit, nur muß die Methode echt sein und klug auf den
Augenblick berechnet.

Wenn ein Staatsmann von einem andern abgelöst wird, dessen Indivi¬
dualität von der des Vorgängers ganz verschieden ist, so ist eine schiefe Be¬
urteilung des neuen Mannes ganz erklärlich. Der Mensch gewöhnt sich' leicht
an allerlei Dinge, auch an Personen, und mau mißt auch solche alten Bekannten
ungern, mit denen man sich ständig gezankt hat. Das ist menschlich, man sieht
es im täglichen Leben, und man findet es in der Öffentlichkeit. Es ist die
Bangigkeit, sich in neue Verhältnisse fügen zu müssen, die der Menschen Liebe


damit die Autorität nicht das frische Leben ertöte, und die Manen nicht das
zerstören, was der Lebende Großes schuf. An einem Jena hat das deutsche
Volk genug. Darum ist es gerade jetzt nötig, den Druck Bismarckischer
Autorität von dort zurückzuweisen, Mo sie kein Recht hat, von der Weltpolitik.
Auch Bismarck hat Mißerfolge gehabt und besonders in seiner letzten Zeit,
als die Zwecke einer neuen Zeit eine Änderung seines Systems verlangten,
die der alternde Kanzler nicht mehr machen wollte, seines Systems, denn seine
Methode ließ sich nicht ändern, da sie aus seinein Charakter entsprang.

Neue Zeiten, neue Ziele, neue Wege. Mau verlangt, unsre Staatsmänner
sollten Bismarckische Politik treiben: das ist ein Unsinn, es wäre im System
ein Anachronismus, in der Methode eine Fälschung: wie wenn man von Bis¬
marck verlangt hätte, er solle Napoleonische Politik oder die Metternichs nnch-
ahmen, die doch für ihre Zeiten ebenso große Autoritäten mit ebenso großen
Erfolgen waren, wie Bismarck für seine Zeit. In der Politik wie im Leben
und in der Wissenschaft dürfen Autoritäten nicht über das Grab hinaus herrschen:
Menschen altern, die Welt bleibt einig jung, und die neuen Zeiten sind die
erbittertsten Feinde der alten Autoritäten. Wer Schüler eines großen Mannes
sein will, kann nicht sein pedantischer Nachbeter sein, er muß des Meisters
Kunst erfasse», aber dem eignen Charakter und Können gemäß und entsprechend
den Erfahrungen der Zeit aus- und umgestalten. Was unvergänglich ist, muß
unvergänglich bleiben: das ist von Bismarcks Politik die Verwendung des ge¬
sunden Menschenverstands, die Realpolitik, was vergänglich war, darf nicht
künstlich am Leben erhalten werden der Autorität zuliebe: das ist in Bismarcks
Politik seine Beschränkung uns den Kontinent und seine individuelle Methode;
über jene ist die Weltgeschichte, über diese der Tod zur Tagesordnung über¬
gegangen. Die Aufrechterhaltung der Bismarckischen Kontinentalpolitik mit
der ihr angepaßten innern Politik hätte eine Erstarrung des Deutschen Reichs
zur Folge, dem ein neues Jena nicht erspart geblieben wäre; die Nachahmung
Bismarckischer Methode würde ein großes Fiasko erleben, und wenn sich der
heutige Staatsmann bei entsprechenden Vorkommnissen den Rock misziehn
oder ein diplomatisches Memorandum zerreißen würde, würde er ausgelacht
werden, ebenso wie Bismarck ausgelacht worden wäre, wenn er wie Napoleon I.
mit Vasen um sich geworfen hätte. Die Methode muß individuell sein, der
eine wirkt durch Säbelgerassel, der andre durch Schweigen, dieser dnrch Grob¬
heit, jener durch Feinheit, nur muß die Methode echt sein und klug auf den
Augenblick berechnet.

Wenn ein Staatsmann von einem andern abgelöst wird, dessen Indivi¬
dualität von der des Vorgängers ganz verschieden ist, so ist eine schiefe Be¬
urteilung des neuen Mannes ganz erklärlich. Der Mensch gewöhnt sich' leicht
an allerlei Dinge, auch an Personen, und mau mißt auch solche alten Bekannten
ungern, mit denen man sich ständig gezankt hat. Das ist menschlich, man sieht
es im täglichen Leben, und man findet es in der Öffentlichkeit. Es ist die
Bangigkeit, sich in neue Verhältnisse fügen zu müssen, die der Menschen Liebe


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[0176] damit die Autorität nicht das frische Leben ertöte, und die Manen nicht das zerstören, was der Lebende Großes schuf. An einem Jena hat das deutsche Volk genug. Darum ist es gerade jetzt nötig, den Druck Bismarckischer Autorität von dort zurückzuweisen, Mo sie kein Recht hat, von der Weltpolitik. Auch Bismarck hat Mißerfolge gehabt und besonders in seiner letzten Zeit, als die Zwecke einer neuen Zeit eine Änderung seines Systems verlangten, die der alternde Kanzler nicht mehr machen wollte, seines Systems, denn seine Methode ließ sich nicht ändern, da sie aus seinein Charakter entsprang. Neue Zeiten, neue Ziele, neue Wege. Mau verlangt, unsre Staatsmänner sollten Bismarckische Politik treiben: das ist ein Unsinn, es wäre im System ein Anachronismus, in der Methode eine Fälschung: wie wenn man von Bis¬ marck verlangt hätte, er solle Napoleonische Politik oder die Metternichs nnch- ahmen, die doch für ihre Zeiten ebenso große Autoritäten mit ebenso großen Erfolgen waren, wie Bismarck für seine Zeit. In der Politik wie im Leben und in der Wissenschaft dürfen Autoritäten nicht über das Grab hinaus herrschen: Menschen altern, die Welt bleibt einig jung, und die neuen Zeiten sind die erbittertsten Feinde der alten Autoritäten. Wer Schüler eines großen Mannes sein will, kann nicht sein pedantischer Nachbeter sein, er muß des Meisters Kunst erfasse», aber dem eignen Charakter und Können gemäß und entsprechend den Erfahrungen der Zeit aus- und umgestalten. Was unvergänglich ist, muß unvergänglich bleiben: das ist von Bismarcks Politik die Verwendung des ge¬ sunden Menschenverstands, die Realpolitik, was vergänglich war, darf nicht künstlich am Leben erhalten werden der Autorität zuliebe: das ist in Bismarcks Politik seine Beschränkung uns den Kontinent und seine individuelle Methode; über jene ist die Weltgeschichte, über diese der Tod zur Tagesordnung über¬ gegangen. Die Aufrechterhaltung der Bismarckischen Kontinentalpolitik mit der ihr angepaßten innern Politik hätte eine Erstarrung des Deutschen Reichs zur Folge, dem ein neues Jena nicht erspart geblieben wäre; die Nachahmung Bismarckischer Methode würde ein großes Fiasko erleben, und wenn sich der heutige Staatsmann bei entsprechenden Vorkommnissen den Rock misziehn oder ein diplomatisches Memorandum zerreißen würde, würde er ausgelacht werden, ebenso wie Bismarck ausgelacht worden wäre, wenn er wie Napoleon I. mit Vasen um sich geworfen hätte. Die Methode muß individuell sein, der eine wirkt durch Säbelgerassel, der andre durch Schweigen, dieser dnrch Grob¬ heit, jener durch Feinheit, nur muß die Methode echt sein und klug auf den Augenblick berechnet. Wenn ein Staatsmann von einem andern abgelöst wird, dessen Indivi¬ dualität von der des Vorgängers ganz verschieden ist, so ist eine schiefe Be¬ urteilung des neuen Mannes ganz erklärlich. Der Mensch gewöhnt sich' leicht an allerlei Dinge, auch an Personen, und mau mißt auch solche alten Bekannten ungern, mit denen man sich ständig gezankt hat. Das ist menschlich, man sieht es im täglichen Leben, und man findet es in der Öffentlichkeit. Es ist die Bangigkeit, sich in neue Verhältnisse fügen zu müssen, die der Menschen Liebe

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/176>, abgerufen am 02.07.2024.