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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.

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Kolonien sehr bald einen Regierungsapparnt schaffen und unter diplomatischem
Hochdruck arbeiten.

In Südwestafrika schien sich das Bismarcksche Programm durchführen zu
lassen. Dort übernahm die kaufmännische Firma Lüderitz die Verwaltung des
Landes -- erwies sich aber sehr bald als unfähig dazu. Ihr folgte die
"Deutsche Kolonialgesellschaft für Südwestafrika" im Hoheitstitel, verbrauchte
aber sehr schnell ihre Mittel und erhielt, daß sie sich über Wasser halten
konnte, von Bismarck das Land zur freien Verfügung. Die Mißwirtschaft
dieser Gesellschaft hat sehr eindringliche Spuren hinterlassen, aber der erste
Reichskanzler hat den Klagen der dortigen Siedler und Händler kein Gehör
geschenkt. Erst recht spät ist diesen Zustände" ein Ende gemacht worden, indem
anch hier das Reich die Verwaltung übernahm. Die private Verwaltungs¬
thätigkeit der Ostafrikanischen Gesellschaft scheiterte an den politischen Verhält¬
nissen. Der Araberaufstand zwang auch in Ostafrika das Reich sehr bald zum
Eingreifen, und heute ist -- bis auf einige Monopole, die die Ostnfrikanische
Gesellschaft noch hat -- Deutschostafrika Staatskolonie. Auch hier erforderte
der Grundsatz "die Flagge folgt dem Handel" große Opfer. Am längsten hat
sich das Bismarckische Programm, kaufmännische Kolonien mit souveräner Ver¬
waltung nur zu schützen, in Neuguinea gehalten. Erst im vergangnen Jahre
ist das Gebiet der Neuguinea-Kompagnie in die Verwaltung des Reichs über¬
nommen worden.

Es ist eine unerfreuliche Arbeit, an dem Wirken des gewaltigen Staats¬
manns eine schwache Seite hervorheben zu müssen, aber sie ist gerade jetzt not¬
wendig, weil eine bestimmte Richtung der deutschen Publizistik aus eigennützigen
politischen Motiven heraus gerade mit Bismarcks überseeischer Thätigkeit Mi߬
brauch treibt und mit seiner Autorität, die in kolonialer Hinsicht nichts weniger
als Autorität ist, krebsen geht, um deu lebenden Staatsmännern Steine in
den Weg zu werfen. Es pflegt immer so zu sein, daß das Charakterbild von
Männern, die ihrer Zeit das Gepräge gaben, nach ihrem Tode von der Parteien
Haß oder Gunst verzerrt wird. Auch Bismarck muß das erfahren: die einen
versuchen ihn von seinem Piedestnl, d. i. die Schaffung des Deutschen Reichs,
herabzuziehn und ihm ans Parteiinteresse sein unsterbliches Verdienst zu
schmälern, die andern bemühen sich, ihm die menschliche Gestalt zu nehmen
und ihn zu einem göttlichen Heroen zu stempeln: jene handeln kleinlich und
undankbar, diese sind unwahr und schädlich. Der Heroenkultus mit Bismarcks
Person ist gerade jetzt sehr in Blüte, er drückt auf das dem deutschen Volke
so notwendige Selbstbewußtsein und hindert durch Vorspieglung von falschen
Bildern vor der Volksseele die Arbeit der Staatsmänner. Nur niedergedrückte
Volker bedürfen der Heroen, an deren idealisierten Bildern sie sich aufrichten
tonnen. Preußen nach 1807 fand sie in deutscher Vorzeit, und Frankreich jagt
ihnen heute noch nach. Das deutsche Volk von heute aber steigt empor, es
bedarf nicht idealisierter Heroen, sondern klarer Augen, die die nackte Wirk¬
lichkeit schauen können. Es muß Kritik üben auch an seinen größten Männern,


Kolonien sehr bald einen Regierungsapparnt schaffen und unter diplomatischem
Hochdruck arbeiten.

In Südwestafrika schien sich das Bismarcksche Programm durchführen zu
lassen. Dort übernahm die kaufmännische Firma Lüderitz die Verwaltung des
Landes — erwies sich aber sehr bald als unfähig dazu. Ihr folgte die
„Deutsche Kolonialgesellschaft für Südwestafrika" im Hoheitstitel, verbrauchte
aber sehr schnell ihre Mittel und erhielt, daß sie sich über Wasser halten
konnte, von Bismarck das Land zur freien Verfügung. Die Mißwirtschaft
dieser Gesellschaft hat sehr eindringliche Spuren hinterlassen, aber der erste
Reichskanzler hat den Klagen der dortigen Siedler und Händler kein Gehör
geschenkt. Erst recht spät ist diesen Zustände» ein Ende gemacht worden, indem
anch hier das Reich die Verwaltung übernahm. Die private Verwaltungs¬
thätigkeit der Ostafrikanischen Gesellschaft scheiterte an den politischen Verhält¬
nissen. Der Araberaufstand zwang auch in Ostafrika das Reich sehr bald zum
Eingreifen, und heute ist — bis auf einige Monopole, die die Ostnfrikanische
Gesellschaft noch hat — Deutschostafrika Staatskolonie. Auch hier erforderte
der Grundsatz „die Flagge folgt dem Handel" große Opfer. Am längsten hat
sich das Bismarckische Programm, kaufmännische Kolonien mit souveräner Ver¬
waltung nur zu schützen, in Neuguinea gehalten. Erst im vergangnen Jahre
ist das Gebiet der Neuguinea-Kompagnie in die Verwaltung des Reichs über¬
nommen worden.

Es ist eine unerfreuliche Arbeit, an dem Wirken des gewaltigen Staats¬
manns eine schwache Seite hervorheben zu müssen, aber sie ist gerade jetzt not¬
wendig, weil eine bestimmte Richtung der deutschen Publizistik aus eigennützigen
politischen Motiven heraus gerade mit Bismarcks überseeischer Thätigkeit Mi߬
brauch treibt und mit seiner Autorität, die in kolonialer Hinsicht nichts weniger
als Autorität ist, krebsen geht, um deu lebenden Staatsmännern Steine in
den Weg zu werfen. Es pflegt immer so zu sein, daß das Charakterbild von
Männern, die ihrer Zeit das Gepräge gaben, nach ihrem Tode von der Parteien
Haß oder Gunst verzerrt wird. Auch Bismarck muß das erfahren: die einen
versuchen ihn von seinem Piedestnl, d. i. die Schaffung des Deutschen Reichs,
herabzuziehn und ihm ans Parteiinteresse sein unsterbliches Verdienst zu
schmälern, die andern bemühen sich, ihm die menschliche Gestalt zu nehmen
und ihn zu einem göttlichen Heroen zu stempeln: jene handeln kleinlich und
undankbar, diese sind unwahr und schädlich. Der Heroenkultus mit Bismarcks
Person ist gerade jetzt sehr in Blüte, er drückt auf das dem deutschen Volke
so notwendige Selbstbewußtsein und hindert durch Vorspieglung von falschen
Bildern vor der Volksseele die Arbeit der Staatsmänner. Nur niedergedrückte
Volker bedürfen der Heroen, an deren idealisierten Bildern sie sich aufrichten
tonnen. Preußen nach 1807 fand sie in deutscher Vorzeit, und Frankreich jagt
ihnen heute noch nach. Das deutsche Volk von heute aber steigt empor, es
bedarf nicht idealisierter Heroen, sondern klarer Augen, die die nackte Wirk¬
lichkeit schauen können. Es muß Kritik üben auch an seinen größten Männern,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/175>, abgerufen am 02.07.2024.