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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.

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D-e deutsche Weltpolitik

dem Deutschen Reiche lehrbar bleibende, unter seiner Protektion stehende kauf¬
männische Souveränität erwerben -- zu schützen in ihrer freien Entwicklung
sowohl gegen die Angriffe aus der unmittelbaren Nachbarschaft, als mich gegen
Bedrückung und Schädigung von selten andrer europäischer Mächte." In den¬
selben Anschauungen bewegt sich auch die Instruktion vom 19. März 1884
an Dr. Nachtigal, den Generalkonsul von Tunis. Es sollte nur eine kom¬
missarische Vertretung im Kamerungebiet geschaffen werden, nicht etwa eine
größere Verwaltung "oder gar eine Garnison." Also nur kaufmännische souve¬
räne Unternehmungen wollte Bismarck schützen, nicht koloniale Annexionspolitik
treiben, wie Fraukreich und England. Zwischen den Zeilen seines Satzes steht
die Unlust an Kolonien! Mit diesem anachronistischen Vertrauen in kauf¬
männische Kolonisation hat Bismarck nun leider die traurigste" Erfahrungen
gemacht, und die diplomatischen Schwierigkeiten stellten sich sehr bald in Hülle
und Fülle ein. Herbert Bismarck scheint nicht die Fähigkeit gehabt zu haben,
kolonialpolitische Dinge zu erfassen, obwohl er Studien in London sehr wohl
hätte machen können.

Wenn man meint, daß Bismarck der Kolonialpolitik nur deshalb abhold
gewesen sei, weil ihm das Machtmittel einer starken Flotte nicht zu Gebote
gestanden habe, so sei darauf hingewiesen, daß zum Flaggenhissen eine starke
Flotte nicht notwendig ist, da es sich ja gar nicht darum handelte, Kultur-
staaten niederzuwerfen. Und Bismarck selbst hat seine Ansicht oft genug dahin
betont, daß die Geschicke der Welt auf dem Festlande entschieden würden, durch
das Schwert oder durch diplomatische Regulierung des Züngleins an der Wage.
Für ihn kam also die Schwäche unsrer Seewehr nicht in Betracht. Die Kolonial¬
politik hätte entweder mit aller Kraft oder gar nicht in Angriff genommen
werden sollen, um der Nachwelt ein krüppelhaftes Erbe zu ersparen. Bismarck
hat leider einen Mittelweg gewählt, um seine Ansicht mit den Wünschen der
Kolouialfreunde zu vergleichen: er übernahm zwar den Schutz deutschkolonialer
Unternehmungen, weigerte sich aber, die vollen Machtmittel des Reichs für
diese Kolonialpolitik anzuwenden, er wollte sie durch kaufmännische "Souve¬
ränität" ersetzen.

Diese harmlose kolonialpolitische Auffassung erhielt den erstell empfind¬
lichen Stoß am Dubrekafluß zwischen Senegal und Gambia. Als ein deutscher
Kommissar dort auf den Besitzungen des Kaufmanns Colin aus Stuttgart die
Flagge bisher wollte, machten Engländer und Franzosen Schwierigkeiten, die
mir unter dem Hochdruck der deutschen Politik hätten beseitigt werden können.
Dem kolonialpolitischeu Konflikt ging Bismarck aus dem Wege. Auf deu
Coliuscheu Besitz wurde später stillschweigend verzichtet. Das hätte Caprivi
oder Bülow thun sollen! Auch in Togo ging es nicht, daß der Handel der
Flagge voranging, auch dort mußte der Reichskanzler sehr bald die Macht¬
mittel des Reichs zur Verfügung stellen. In Togo ebenso wenig wie in
Kamerun dachten die Kaufleute daran, die Sorgen der Verwaltung auf sich
zu nehmen. Entgegen seinem ursprünglichen Programm mußte er in beiden


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dem Deutschen Reiche lehrbar bleibende, unter seiner Protektion stehende kauf¬
männische Souveränität erwerben — zu schützen in ihrer freien Entwicklung
sowohl gegen die Angriffe aus der unmittelbaren Nachbarschaft, als mich gegen
Bedrückung und Schädigung von selten andrer europäischer Mächte." In den¬
selben Anschauungen bewegt sich auch die Instruktion vom 19. März 1884
an Dr. Nachtigal, den Generalkonsul von Tunis. Es sollte nur eine kom¬
missarische Vertretung im Kamerungebiet geschaffen werden, nicht etwa eine
größere Verwaltung „oder gar eine Garnison." Also nur kaufmännische souve¬
räne Unternehmungen wollte Bismarck schützen, nicht koloniale Annexionspolitik
treiben, wie Fraukreich und England. Zwischen den Zeilen seines Satzes steht
die Unlust an Kolonien! Mit diesem anachronistischen Vertrauen in kauf¬
männische Kolonisation hat Bismarck nun leider die traurigste» Erfahrungen
gemacht, und die diplomatischen Schwierigkeiten stellten sich sehr bald in Hülle
und Fülle ein. Herbert Bismarck scheint nicht die Fähigkeit gehabt zu haben,
kolonialpolitische Dinge zu erfassen, obwohl er Studien in London sehr wohl
hätte machen können.

Wenn man meint, daß Bismarck der Kolonialpolitik nur deshalb abhold
gewesen sei, weil ihm das Machtmittel einer starken Flotte nicht zu Gebote
gestanden habe, so sei darauf hingewiesen, daß zum Flaggenhissen eine starke
Flotte nicht notwendig ist, da es sich ja gar nicht darum handelte, Kultur-
staaten niederzuwerfen. Und Bismarck selbst hat seine Ansicht oft genug dahin
betont, daß die Geschicke der Welt auf dem Festlande entschieden würden, durch
das Schwert oder durch diplomatische Regulierung des Züngleins an der Wage.
Für ihn kam also die Schwäche unsrer Seewehr nicht in Betracht. Die Kolonial¬
politik hätte entweder mit aller Kraft oder gar nicht in Angriff genommen
werden sollen, um der Nachwelt ein krüppelhaftes Erbe zu ersparen. Bismarck
hat leider einen Mittelweg gewählt, um seine Ansicht mit den Wünschen der
Kolouialfreunde zu vergleichen: er übernahm zwar den Schutz deutschkolonialer
Unternehmungen, weigerte sich aber, die vollen Machtmittel des Reichs für
diese Kolonialpolitik anzuwenden, er wollte sie durch kaufmännische „Souve¬
ränität" ersetzen.

Diese harmlose kolonialpolitische Auffassung erhielt den erstell empfind¬
lichen Stoß am Dubrekafluß zwischen Senegal und Gambia. Als ein deutscher
Kommissar dort auf den Besitzungen des Kaufmanns Colin aus Stuttgart die
Flagge bisher wollte, machten Engländer und Franzosen Schwierigkeiten, die
mir unter dem Hochdruck der deutschen Politik hätten beseitigt werden können.
Dem kolonialpolitischeu Konflikt ging Bismarck aus dem Wege. Auf deu
Coliuscheu Besitz wurde später stillschweigend verzichtet. Das hätte Caprivi
oder Bülow thun sollen! Auch in Togo ging es nicht, daß der Handel der
Flagge voranging, auch dort mußte der Reichskanzler sehr bald die Macht¬
mittel des Reichs zur Verfügung stellen. In Togo ebenso wenig wie in
Kamerun dachten die Kaufleute daran, die Sorgen der Verwaltung auf sich
zu nehmen. Entgegen seinem ursprünglichen Programm mußte er in beiden


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[0174] D-e deutsche Weltpolitik dem Deutschen Reiche lehrbar bleibende, unter seiner Protektion stehende kauf¬ männische Souveränität erwerben — zu schützen in ihrer freien Entwicklung sowohl gegen die Angriffe aus der unmittelbaren Nachbarschaft, als mich gegen Bedrückung und Schädigung von selten andrer europäischer Mächte." In den¬ selben Anschauungen bewegt sich auch die Instruktion vom 19. März 1884 an Dr. Nachtigal, den Generalkonsul von Tunis. Es sollte nur eine kom¬ missarische Vertretung im Kamerungebiet geschaffen werden, nicht etwa eine größere Verwaltung „oder gar eine Garnison." Also nur kaufmännische souve¬ räne Unternehmungen wollte Bismarck schützen, nicht koloniale Annexionspolitik treiben, wie Fraukreich und England. Zwischen den Zeilen seines Satzes steht die Unlust an Kolonien! Mit diesem anachronistischen Vertrauen in kauf¬ männische Kolonisation hat Bismarck nun leider die traurigste» Erfahrungen gemacht, und die diplomatischen Schwierigkeiten stellten sich sehr bald in Hülle und Fülle ein. Herbert Bismarck scheint nicht die Fähigkeit gehabt zu haben, kolonialpolitische Dinge zu erfassen, obwohl er Studien in London sehr wohl hätte machen können. Wenn man meint, daß Bismarck der Kolonialpolitik nur deshalb abhold gewesen sei, weil ihm das Machtmittel einer starken Flotte nicht zu Gebote gestanden habe, so sei darauf hingewiesen, daß zum Flaggenhissen eine starke Flotte nicht notwendig ist, da es sich ja gar nicht darum handelte, Kultur- staaten niederzuwerfen. Und Bismarck selbst hat seine Ansicht oft genug dahin betont, daß die Geschicke der Welt auf dem Festlande entschieden würden, durch das Schwert oder durch diplomatische Regulierung des Züngleins an der Wage. Für ihn kam also die Schwäche unsrer Seewehr nicht in Betracht. Die Kolonial¬ politik hätte entweder mit aller Kraft oder gar nicht in Angriff genommen werden sollen, um der Nachwelt ein krüppelhaftes Erbe zu ersparen. Bismarck hat leider einen Mittelweg gewählt, um seine Ansicht mit den Wünschen der Kolouialfreunde zu vergleichen: er übernahm zwar den Schutz deutschkolonialer Unternehmungen, weigerte sich aber, die vollen Machtmittel des Reichs für diese Kolonialpolitik anzuwenden, er wollte sie durch kaufmännische „Souve¬ ränität" ersetzen. Diese harmlose kolonialpolitische Auffassung erhielt den erstell empfind¬ lichen Stoß am Dubrekafluß zwischen Senegal und Gambia. Als ein deutscher Kommissar dort auf den Besitzungen des Kaufmanns Colin aus Stuttgart die Flagge bisher wollte, machten Engländer und Franzosen Schwierigkeiten, die mir unter dem Hochdruck der deutschen Politik hätten beseitigt werden können. Dem kolonialpolitischeu Konflikt ging Bismarck aus dem Wege. Auf deu Coliuscheu Besitz wurde später stillschweigend verzichtet. Das hätte Caprivi oder Bülow thun sollen! Auch in Togo ging es nicht, daß der Handel der Flagge voranging, auch dort mußte der Reichskanzler sehr bald die Macht¬ mittel des Reichs zur Verfügung stellen. In Togo ebenso wenig wie in Kamerun dachten die Kaufleute daran, die Sorgen der Verwaltung auf sich zu nehmen. Entgegen seinem ursprünglichen Programm mußte er in beiden

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

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Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/174>, abgerufen am 02.07.2024.