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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.

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Die deutsche weltpolitik

malen Kreise oder aus Gefälligkeit gegen einige interessierte kaufmännische
Kreise die Ftaggeuhissuugeu gut geheißein Eine energische Kolonialpolitik,
die seine Festlnudspvlitik in eine Weltpolitik umwandeln mußte und damit
seine alte Politik ins Wanken gebracht hätte, lag nicht in seiner Absicht,
Deutsche kaufmännische Unternehmungen wollte er begünstigen, das Reich sollte
ihnen nichts bieten als den Hinterhalt seines Ansehens, Alle Gefahren und
Kosten sollten die Kaufleute selbst tragen. Als Bismarck die Worte, die damals
allgemein bejubelt wurden, aber die Ursache unsrer heutigen Koloninlmisere
sind, sprach: "Die Flagge folgt dem Handel," beabsichtigte er mit diesem Kern¬
wort wohl nur eine energische Kolonialpolitik von sich abzuwehren, nicht, sie
zu beginnen. Denn es konnte ihm bei seinem staatsmännischen Scharfblick und
seinen bekannten geschichtlichen Kenntnissen unmöglich entgangen sein, daß
überall, wo Kolonialpolitik im großen Stil getrieben wurde, von den Zeiten
deS Kolumbus bis auf die Gegenwart die Flagge dem Handel vorangegangen
ist. Und er mußte sich auch sagen, daß, sowie Deutschland auf dein Meere
erschien, überall die Flaggen dem Handel vorangetragen werden würden mit
einer Schnelligkeit, die Deutschland nur durch eine erhöhte Fixigkeit ausgleichen
konnte. Dazu gehörte aber, daß das Reich seine ganzen Machtmittel in den
Dienst der neuen kolonialen Idee stellte, um ihr einen massiven Hintergrund
zu schaffen. Das aber hat Bismarck nicht gethan; im Gegenteil, seine über¬
seeische -- im Gegensatz zu seiner innern und kontinentalen -- Politik zeigt
eine Lauheit und Schwäche, die an einer Bismarckschen Schöpfung direkt frappiert,
und die sich nur aus Bismarcks eigner Abneigung gegen seine Schöpfung und
der sich daraus ergebenden Nachsicht gegen seine Mitarbeiter auf diesem. Ge¬
biete erklären läßt. Es füllt an der Kolonialpolitik Bismarcks besonders seine
Schwäche gegen England auf, die mau wohl z. B. auf die Unfähigkeit seines
Vertreters in London, des Grasen Herbert Bismarck, wird zurückführen können.
Gesteinigt würde heute der deutsche Staatsmann werden, der folgende Akte
gutgeheißen Hütte:

Der Bremer Kaufmann Lüderitz hatte mit sicherm Blick den wirtschaft¬
lichen Wert Südafrikas erkannt und in der Bai von Se. Lucia im Sululande
Besitztitcl erworben. Nun suchten sich auch Buren, die ins Sululand gedrungen
waren und hier die "Neue Republik" gegründet hatten, diesen Exporthafen zu
sichern. Wenn zwei sich streiten, freut sich der dritte -- England einigte sich
1885 mit Bismarck, der die deutschen Ansprüche senkten ließ. Das Sululand
wurde dünn 1887 zur britischen Kronkolvnie gemacht, in Transvaal aber
herrschte eine böse Mißstimmung gegen die Deutschen. Bismarck hat jeden¬
falls in der Se. Lueinbai ein überaus wertvolles Besitztum fallen lassen.
England aber hatte damit die Zernierung der Burenstaaten im Süden abge¬
schlossen. Welchen Wert Hütte heute die Lueinbai für uns! Die Erwerbung
von Deutsch-Südwestafrika im August 1884 vermochte England trotz lebhaftester
Proteste nicht zu verhindern. Aber es hat durch einen Gegenschachzug die
Entwicklung der deutschen Kolonie fast unterbunden, indem es die Ausbreitung


Die deutsche weltpolitik

malen Kreise oder aus Gefälligkeit gegen einige interessierte kaufmännische
Kreise die Ftaggeuhissuugeu gut geheißein Eine energische Kolonialpolitik,
die seine Festlnudspvlitik in eine Weltpolitik umwandeln mußte und damit
seine alte Politik ins Wanken gebracht hätte, lag nicht in seiner Absicht,
Deutsche kaufmännische Unternehmungen wollte er begünstigen, das Reich sollte
ihnen nichts bieten als den Hinterhalt seines Ansehens, Alle Gefahren und
Kosten sollten die Kaufleute selbst tragen. Als Bismarck die Worte, die damals
allgemein bejubelt wurden, aber die Ursache unsrer heutigen Koloninlmisere
sind, sprach: „Die Flagge folgt dem Handel," beabsichtigte er mit diesem Kern¬
wort wohl nur eine energische Kolonialpolitik von sich abzuwehren, nicht, sie
zu beginnen. Denn es konnte ihm bei seinem staatsmännischen Scharfblick und
seinen bekannten geschichtlichen Kenntnissen unmöglich entgangen sein, daß
überall, wo Kolonialpolitik im großen Stil getrieben wurde, von den Zeiten
deS Kolumbus bis auf die Gegenwart die Flagge dem Handel vorangegangen
ist. Und er mußte sich auch sagen, daß, sowie Deutschland auf dein Meere
erschien, überall die Flaggen dem Handel vorangetragen werden würden mit
einer Schnelligkeit, die Deutschland nur durch eine erhöhte Fixigkeit ausgleichen
konnte. Dazu gehörte aber, daß das Reich seine ganzen Machtmittel in den
Dienst der neuen kolonialen Idee stellte, um ihr einen massiven Hintergrund
zu schaffen. Das aber hat Bismarck nicht gethan; im Gegenteil, seine über¬
seeische — im Gegensatz zu seiner innern und kontinentalen — Politik zeigt
eine Lauheit und Schwäche, die an einer Bismarckschen Schöpfung direkt frappiert,
und die sich nur aus Bismarcks eigner Abneigung gegen seine Schöpfung und
der sich daraus ergebenden Nachsicht gegen seine Mitarbeiter auf diesem. Ge¬
biete erklären läßt. Es füllt an der Kolonialpolitik Bismarcks besonders seine
Schwäche gegen England auf, die mau wohl z. B. auf die Unfähigkeit seines
Vertreters in London, des Grasen Herbert Bismarck, wird zurückführen können.
Gesteinigt würde heute der deutsche Staatsmann werden, der folgende Akte
gutgeheißen Hütte:

Der Bremer Kaufmann Lüderitz hatte mit sicherm Blick den wirtschaft¬
lichen Wert Südafrikas erkannt und in der Bai von Se. Lucia im Sululande
Besitztitcl erworben. Nun suchten sich auch Buren, die ins Sululand gedrungen
waren und hier die „Neue Republik" gegründet hatten, diesen Exporthafen zu
sichern. Wenn zwei sich streiten, freut sich der dritte — England einigte sich
1885 mit Bismarck, der die deutschen Ansprüche senkten ließ. Das Sululand
wurde dünn 1887 zur britischen Kronkolvnie gemacht, in Transvaal aber
herrschte eine böse Mißstimmung gegen die Deutschen. Bismarck hat jeden¬
falls in der Se. Lueinbai ein überaus wertvolles Besitztum fallen lassen.
England aber hatte damit die Zernierung der Burenstaaten im Süden abge¬
schlossen. Welchen Wert Hütte heute die Lueinbai für uns! Die Erwerbung
von Deutsch-Südwestafrika im August 1884 vermochte England trotz lebhaftester
Proteste nicht zu verhindern. Aber es hat durch einen Gegenschachzug die
Entwicklung der deutschen Kolonie fast unterbunden, indem es die Ausbreitung


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[0172] Die deutsche weltpolitik malen Kreise oder aus Gefälligkeit gegen einige interessierte kaufmännische Kreise die Ftaggeuhissuugeu gut geheißein Eine energische Kolonialpolitik, die seine Festlnudspvlitik in eine Weltpolitik umwandeln mußte und damit seine alte Politik ins Wanken gebracht hätte, lag nicht in seiner Absicht, Deutsche kaufmännische Unternehmungen wollte er begünstigen, das Reich sollte ihnen nichts bieten als den Hinterhalt seines Ansehens, Alle Gefahren und Kosten sollten die Kaufleute selbst tragen. Als Bismarck die Worte, die damals allgemein bejubelt wurden, aber die Ursache unsrer heutigen Koloninlmisere sind, sprach: „Die Flagge folgt dem Handel," beabsichtigte er mit diesem Kern¬ wort wohl nur eine energische Kolonialpolitik von sich abzuwehren, nicht, sie zu beginnen. Denn es konnte ihm bei seinem staatsmännischen Scharfblick und seinen bekannten geschichtlichen Kenntnissen unmöglich entgangen sein, daß überall, wo Kolonialpolitik im großen Stil getrieben wurde, von den Zeiten deS Kolumbus bis auf die Gegenwart die Flagge dem Handel vorangegangen ist. Und er mußte sich auch sagen, daß, sowie Deutschland auf dein Meere erschien, überall die Flaggen dem Handel vorangetragen werden würden mit einer Schnelligkeit, die Deutschland nur durch eine erhöhte Fixigkeit ausgleichen konnte. Dazu gehörte aber, daß das Reich seine ganzen Machtmittel in den Dienst der neuen kolonialen Idee stellte, um ihr einen massiven Hintergrund zu schaffen. Das aber hat Bismarck nicht gethan; im Gegenteil, seine über¬ seeische — im Gegensatz zu seiner innern und kontinentalen — Politik zeigt eine Lauheit und Schwäche, die an einer Bismarckschen Schöpfung direkt frappiert, und die sich nur aus Bismarcks eigner Abneigung gegen seine Schöpfung und der sich daraus ergebenden Nachsicht gegen seine Mitarbeiter auf diesem. Ge¬ biete erklären läßt. Es füllt an der Kolonialpolitik Bismarcks besonders seine Schwäche gegen England auf, die mau wohl z. B. auf die Unfähigkeit seines Vertreters in London, des Grasen Herbert Bismarck, wird zurückführen können. Gesteinigt würde heute der deutsche Staatsmann werden, der folgende Akte gutgeheißen Hütte: Der Bremer Kaufmann Lüderitz hatte mit sicherm Blick den wirtschaft¬ lichen Wert Südafrikas erkannt und in der Bai von Se. Lucia im Sululande Besitztitcl erworben. Nun suchten sich auch Buren, die ins Sululand gedrungen waren und hier die „Neue Republik" gegründet hatten, diesen Exporthafen zu sichern. Wenn zwei sich streiten, freut sich der dritte — England einigte sich 1885 mit Bismarck, der die deutschen Ansprüche senkten ließ. Das Sululand wurde dünn 1887 zur britischen Kronkolvnie gemacht, in Transvaal aber herrschte eine böse Mißstimmung gegen die Deutschen. Bismarck hat jeden¬ falls in der Se. Lueinbai ein überaus wertvolles Besitztum fallen lassen. England aber hatte damit die Zernierung der Burenstaaten im Süden abge¬ schlossen. Welchen Wert Hütte heute die Lueinbai für uns! Die Erwerbung von Deutsch-Südwestafrika im August 1884 vermochte England trotz lebhaftester Proteste nicht zu verhindern. Aber es hat durch einen Gegenschachzug die Entwicklung der deutschen Kolonie fast unterbunden, indem es die Ausbreitung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/172>, abgerufen am 02.07.2024.