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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.

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Ein Hygieniker der italienischen Renaissance

einzubringen, nämlich die wahre und nicht genug zu preisende Landwirtschaft."
Ein echter Renaissancemensch, dieser bald hundertjährige Mann mit dem Stolze
auf den geistigen Inhalt seiner Persönlichkeit und dem erlaubten Selbstruhm!
Hat er doch schon seinen: Freunde, dem Patriarchen von Aquileja, geschrieben,
seine hygienischen Schriften seien mehr wert als Plutos Staat. Denn der sei
eitel Hirngespinst und unausführbar. Seine Vorschriften aber könne jeder
befolgen und gesund werden und bleiben, wie man das an ihm selbst sehe.
Aber die Erinnerung an Plato bringt noch einen für das geistige Leben der
Renaissance wesentlichen Zug.

In den Schriften dieser hochgebildeten Männer über sittliche oder gesell¬
schaftliche Probleme begegnen wir häufig einem um platonische Vorstellungen
anknüpfenden Gegensatze irdischer und überirdischer Bestrebungen, körperlicher
Erscheinung und unsichtbarer Idee, irdischer und himmlischer Liebe. Von hier
aus führte für manche sogar eine Verbindung direkt zu den Anschauungen der
christlichen Kirche hinüber. Luigi Cornaro genießt, wie er von sich sagt, ein
doppeltes Leben, ein irdisches und ein himmlisches. Je näher er diesem kommt,
desto reicher wird jenes, in der Vorahnung der künftigen Herrlichkeit. Von
diesen Freuden hat das Leben seiner frühern Jahre nicht viel gehabt. Um so
viel schöner ist das jetzige, so schön, daß man traurig sein müßte, es sich seinein
Ende zuneigen zu sehen, wenn nicht darauf wieder etwas noch Schöneres folgte.
Während sich also in zunehmenden Jahren der Mensch wegen des kommenden
Alters und wegen der Abnahme zu beunruhigen pflegt, kann jetzt nichts
Schlimmes mehr eintreten. Besorgnisse und angreifbare Stellen sind nicht
mehr vorhanden. Was sich ändert, kann sich immer nur zum noch Bessern
ändern. Luigi lebt also nicht ein Leben, wie früher, sondern zwei, das irdische
"im Effekt," das himmlische im Geiste und in den Gedanken. Und "in diesem
Leben, so ruft er am Ende, offenbar im Anschluß ein eine berühmte politische
Kanzone von Petrarca aus, in diesem Leben werde ich nicht ablassen zu rufen:
Lebet, lebet, damit ihr bessere Diener eures Gottes werdet!"

Zu einem Buche vereinigt erschienen sämtliche vier Schriften zuerst in
Padua 1558 und sind dann öfter wieder herausgegeben worden. Es giebt
wohl kein zweites Buch, das sich so anmutig und fein über natürliche Dinge
ausspricht. Dazu ist es in einem vorzüglichen Italienisch geschrieben. Über
Luigis hohem Alter und dem späten Erscheinen seiner Schriften dürfen wir
nämlich nicht vergessen, daß er seiner geistigen Entwicklung nach in die Reihe
der großen Prosaschriftsteller gehört, die schon etwa mit dem ersten Drittel des
sechzehnten Jahrhunderts abschließt: Machiavell, Castiglione, Bembo. Er
schreibt höchst einfach, ohne allen Anspruch, aber er ist ebenso "klassisch" wie
sie. So verdient das eigentümliche kleine Buch gar wohl eine Übersetzung,
sein köstlicher Optimismus würde manchem gut thun. Ob es darüber hinaus be¬
lehrend und nützlich wirken könnte, hängt von den Ansprüchen des Einzelnen ab.


A. P.


Ein Hygieniker der italienischen Renaissance

einzubringen, nämlich die wahre und nicht genug zu preisende Landwirtschaft."
Ein echter Renaissancemensch, dieser bald hundertjährige Mann mit dem Stolze
auf den geistigen Inhalt seiner Persönlichkeit und dem erlaubten Selbstruhm!
Hat er doch schon seinen: Freunde, dem Patriarchen von Aquileja, geschrieben,
seine hygienischen Schriften seien mehr wert als Plutos Staat. Denn der sei
eitel Hirngespinst und unausführbar. Seine Vorschriften aber könne jeder
befolgen und gesund werden und bleiben, wie man das an ihm selbst sehe.
Aber die Erinnerung an Plato bringt noch einen für das geistige Leben der
Renaissance wesentlichen Zug.

In den Schriften dieser hochgebildeten Männer über sittliche oder gesell¬
schaftliche Probleme begegnen wir häufig einem um platonische Vorstellungen
anknüpfenden Gegensatze irdischer und überirdischer Bestrebungen, körperlicher
Erscheinung und unsichtbarer Idee, irdischer und himmlischer Liebe. Von hier
aus führte für manche sogar eine Verbindung direkt zu den Anschauungen der
christlichen Kirche hinüber. Luigi Cornaro genießt, wie er von sich sagt, ein
doppeltes Leben, ein irdisches und ein himmlisches. Je näher er diesem kommt,
desto reicher wird jenes, in der Vorahnung der künftigen Herrlichkeit. Von
diesen Freuden hat das Leben seiner frühern Jahre nicht viel gehabt. Um so
viel schöner ist das jetzige, so schön, daß man traurig sein müßte, es sich seinein
Ende zuneigen zu sehen, wenn nicht darauf wieder etwas noch Schöneres folgte.
Während sich also in zunehmenden Jahren der Mensch wegen des kommenden
Alters und wegen der Abnahme zu beunruhigen pflegt, kann jetzt nichts
Schlimmes mehr eintreten. Besorgnisse und angreifbare Stellen sind nicht
mehr vorhanden. Was sich ändert, kann sich immer nur zum noch Bessern
ändern. Luigi lebt also nicht ein Leben, wie früher, sondern zwei, das irdische
„im Effekt," das himmlische im Geiste und in den Gedanken. Und „in diesem
Leben, so ruft er am Ende, offenbar im Anschluß ein eine berühmte politische
Kanzone von Petrarca aus, in diesem Leben werde ich nicht ablassen zu rufen:
Lebet, lebet, damit ihr bessere Diener eures Gottes werdet!"

Zu einem Buche vereinigt erschienen sämtliche vier Schriften zuerst in
Padua 1558 und sind dann öfter wieder herausgegeben worden. Es giebt
wohl kein zweites Buch, das sich so anmutig und fein über natürliche Dinge
ausspricht. Dazu ist es in einem vorzüglichen Italienisch geschrieben. Über
Luigis hohem Alter und dem späten Erscheinen seiner Schriften dürfen wir
nämlich nicht vergessen, daß er seiner geistigen Entwicklung nach in die Reihe
der großen Prosaschriftsteller gehört, die schon etwa mit dem ersten Drittel des
sechzehnten Jahrhunderts abschließt: Machiavell, Castiglione, Bembo. Er
schreibt höchst einfach, ohne allen Anspruch, aber er ist ebenso „klassisch" wie
sie. So verdient das eigentümliche kleine Buch gar wohl eine Übersetzung,
sein köstlicher Optimismus würde manchem gut thun. Ob es darüber hinaus be¬
lehrend und nützlich wirken könnte, hängt von den Ansprüchen des Einzelnen ab.


A. P.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/158>, abgerufen am 02.07.2024.