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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.

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Lin Hygieniker der italienischen Renaissance

die auf ihn folgten, wie mir scheint, auch für den heutigen Leser noch nicht.
Vollends aber hat er, wie jede treffende Selbstbiographie, als anschauliches
Denkmal eines erfreulichen und glücklichen Lebens, noch nach Jahrhunderten
einen unzerstörbaren Reiz, sodaß es schon um deswillen wohlgethan sein wird,
mit ihm bekannt zu werden.

Luigi Coruaro wurde 1462 geboren, früher also, als alle die welt¬
berühmten Künstler, Staatsmänner und Humanisten, die dem sechzehnten Jahr-
hundert, der italienischen Hochrenaissance, ihren Glanz gaben. Trotzdem hat
er sie alle überlebt, allein vielleicht mit Ausnahme Tizians, der ebenfalls sehr
alt wurde, zum Teil hat er sie sehr lange überlebt, denn er starb 164 Jahre
alt, als ein ganz neues Zeitalter angebrochen war. Manche von ihnen, die
er gekannt hat, sind schon als bejahrte Leute gestorben. Sie waren sogar
nach ihm geboren, und er lebt immer noch, versteht mit dem neuen Geschlecht
anzuknüpfen und dem Leben immer neue Seiten abzugewinnen. Und daß er
gar nicht lebensmüde ist -- den Traktat vom müßigen Leben veröffentlichte
er mit 83 Jahren --, daß er im Gegenteil noch recht lange zu leben hoffen
kann, das dankt er seiner Art zu leben. Als junger Mann hatte er durch
leichtfertigen Lebenswandel im Kreise seiner Standesgenossen seine Gesundheit
zerstört. Die Ärzte gaben ihm keine Hoffnung und wußten kein Mittel für
ihn. Aber mit der Kraft des eignen Nachdenkens triumphierte er über ihre
Ratlosigkeit und half sich selbst, und nun, in seinem hohen Alter, kommen sie
und besuchen ihn, aber nicht als seine Ratgeber, denn er bedarf ihrer nicht,
sondern um ihn als Merkwürdigkeit zu betrachten, denn sie wollen es nicht
glauben, sondern selbst sehen, was er alles in seinen Jahren noch leisten kann.

Und nun folgt eine anziehende Schilderung seines äußern Lebens. Er
gehört dein vornehmen venetianischen Geschlechte der Cvrnarv um und lebt in
der zum Gebiet der Republik gehörigen Universitätsstadt Padua in reichen Ver¬
hältnissen. Außer dem Stadthciusc hat er seine Villa vor den Thoren und
ein Landgut in deu nahen Bergen für die heißen Monate. Er beschäftigt sich
mit Ackerbau für eigne Rechnung, mit Entwässerung von Lagunen, mit
Jiigenieurarbeiten zum Nutzen und zum Ruhme der geliebten Herrscherin
Venedig, er schriftstellert auch über solche Aufgaben und genießt dazwischen
das glückliche Leben eines angesehenen Familienhaupts im Kreise von Kindern
und Enkeln. Elf Enkel hat er immer um sich, zwischen zwei und achtzehn
Jahren, alle von einem Vater und einer Mutter, alle gesund, klug und an¬
stellig; die kleinen sind seine Spaßmacher, die größern seine Freunde. Sie
sind musikalisch, und so läßt er sie singen und verschiedne Instrumente spielen,
ja er selbst singt mit, denn seine Stimme ist besser und Heller als jemals.
Wenn andre sagen, ein Leben über fünfundsechzig Jahre sei kein Leben mehr
zu nennen: so steigt er mit seinen dreinndnchtzig noch ohne Hilfe zu Pferde,
nimmt mühelos jede Treppe und macht vergnügt seine Spaziergänge in die
Berge. Langeweile kennt er nicht. Täglich hat er Unterhaltung mit klugen
und angesehenen Männern, dazwischen liest er und schreibt. Eine Zeit lang


Lin Hygieniker der italienischen Renaissance

die auf ihn folgten, wie mir scheint, auch für den heutigen Leser noch nicht.
Vollends aber hat er, wie jede treffende Selbstbiographie, als anschauliches
Denkmal eines erfreulichen und glücklichen Lebens, noch nach Jahrhunderten
einen unzerstörbaren Reiz, sodaß es schon um deswillen wohlgethan sein wird,
mit ihm bekannt zu werden.

Luigi Coruaro wurde 1462 geboren, früher also, als alle die welt¬
berühmten Künstler, Staatsmänner und Humanisten, die dem sechzehnten Jahr-
hundert, der italienischen Hochrenaissance, ihren Glanz gaben. Trotzdem hat
er sie alle überlebt, allein vielleicht mit Ausnahme Tizians, der ebenfalls sehr
alt wurde, zum Teil hat er sie sehr lange überlebt, denn er starb 164 Jahre
alt, als ein ganz neues Zeitalter angebrochen war. Manche von ihnen, die
er gekannt hat, sind schon als bejahrte Leute gestorben. Sie waren sogar
nach ihm geboren, und er lebt immer noch, versteht mit dem neuen Geschlecht
anzuknüpfen und dem Leben immer neue Seiten abzugewinnen. Und daß er
gar nicht lebensmüde ist — den Traktat vom müßigen Leben veröffentlichte
er mit 83 Jahren —, daß er im Gegenteil noch recht lange zu leben hoffen
kann, das dankt er seiner Art zu leben. Als junger Mann hatte er durch
leichtfertigen Lebenswandel im Kreise seiner Standesgenossen seine Gesundheit
zerstört. Die Ärzte gaben ihm keine Hoffnung und wußten kein Mittel für
ihn. Aber mit der Kraft des eignen Nachdenkens triumphierte er über ihre
Ratlosigkeit und half sich selbst, und nun, in seinem hohen Alter, kommen sie
und besuchen ihn, aber nicht als seine Ratgeber, denn er bedarf ihrer nicht,
sondern um ihn als Merkwürdigkeit zu betrachten, denn sie wollen es nicht
glauben, sondern selbst sehen, was er alles in seinen Jahren noch leisten kann.

Und nun folgt eine anziehende Schilderung seines äußern Lebens. Er
gehört dein vornehmen venetianischen Geschlechte der Cvrnarv um und lebt in
der zum Gebiet der Republik gehörigen Universitätsstadt Padua in reichen Ver¬
hältnissen. Außer dem Stadthciusc hat er seine Villa vor den Thoren und
ein Landgut in deu nahen Bergen für die heißen Monate. Er beschäftigt sich
mit Ackerbau für eigne Rechnung, mit Entwässerung von Lagunen, mit
Jiigenieurarbeiten zum Nutzen und zum Ruhme der geliebten Herrscherin
Venedig, er schriftstellert auch über solche Aufgaben und genießt dazwischen
das glückliche Leben eines angesehenen Familienhaupts im Kreise von Kindern
und Enkeln. Elf Enkel hat er immer um sich, zwischen zwei und achtzehn
Jahren, alle von einem Vater und einer Mutter, alle gesund, klug und an¬
stellig; die kleinen sind seine Spaßmacher, die größern seine Freunde. Sie
sind musikalisch, und so läßt er sie singen und verschiedne Instrumente spielen,
ja er selbst singt mit, denn seine Stimme ist besser und Heller als jemals.
Wenn andre sagen, ein Leben über fünfundsechzig Jahre sei kein Leben mehr
zu nennen: so steigt er mit seinen dreinndnchtzig noch ohne Hilfe zu Pferde,
nimmt mühelos jede Treppe und macht vergnügt seine Spaziergänge in die
Berge. Langeweile kennt er nicht. Täglich hat er Unterhaltung mit klugen
und angesehenen Männern, dazwischen liest er und schreibt. Eine Zeit lang


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/154>, abgerufen am 02.07.2024.