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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.

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gearbeitet wurde. Heute hat die Schiffahrt viel von ihrer Bedeutung für die
Gegend eingebüßt. Zu Anfang des Jahrhunderts war die Ausfuhr von Torf
nach Ostfriesland verboten worden und ebenso die von Feldsteinen, die ehedem
in großen Massen nach dem steinarmen friesischen Gebiete an der Ems gingen.
Die Eisenbahnen haben die letzten Reste des Durchgangshandels nach West¬
falen ausgesogen. Während noch gegen Ende des achtzehnten Jahrhunderts
in Scharret z. B. jeder Einwohner ein, auch zwei Boote besaß, sind dort jetzt
im ganzen kaum noch ein halb Dutzend vorhanden. Nur noch wenige Boote
machen eine regelmäßige Fahrt vom Saterlande nach Leer. Ein solcher Dorf¬
schiffer, z. B. in Nmnsloh Gerhard Heyens, ist dann das Faktotum für alle
Auftrüge und Botschaften; bei der Rückkehr ist sein Schifflein mit Kolonial¬
waren, Getreide usw. vollgestopft wie ein Postkarren.

Die andre Nahrungsquelle für die Saterländer war von jeher das Torf¬
graben. Der Torf wird schon von Plinius erwähnt: nlva et x^user innvc"
t'unös nsotunt barbari xrastsxsnclg. xisoibus retia eaviumaus inAnibns lutum
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sua urunt. Der Torf wurde gleichfalls zu Schiffe aus dem Lande nach der
Ems geführt, wo man die Zufuhr dieses Feuerungsmaterials ehedem gar nicht
entbehren konnte. Der Dreißigjährige Krieg vernichtete auch diesen Erwerbs¬
zweig. Die Mansfeldschen Scharen hausten arg, und 1626 berichteten die
Saterländer nach Münster, daß "nunmehr etliche Zeit die gewerbshcmdlung
ahn allen orteren geschlossen, dahero wir unsere Nahrung mit verkauffuug des
torffs in Fr'iesland und der endts (Ems) nicht treiben und uns einigergestalt
entsetzen können." Dasselbe Thema schlagen die Saterländer in einer Eingabe
vom 7. September 1649 an den Bischof von Münster um, worin es heißt:
"Daß die Eingesessenen des Kerspcls Strnckling bereits verlaufen und in die
benachbarte lauter daß liebe Brote ostatim suchen müßten, welche wir Übrige
zu folgen gezwungen werden, wenn die Überaus; große paßuren Uns in etwa
nicht abgenommen werden." Die Beobachtung des blühenden Tvrfhcmdcls
und der Mangel an Feuermaterial, der damals, als die Zufuhr vom Sater¬
lande her stockte, in Friesland eintrat, bestimmte die Fricslünder dazu, dort
selbst die Moore aufzuschließen und die Torfproduktion in eigne Hand zu
nehmen; zugleich begannen auch die Holländer sich dem ostfriesischen Markte
zuzuwenden.

Die strenggläubig katholischen Bewohner des Saterlaudes siud ohne Zweifel
Friesen, das zeigt schon der hohe, stattliche Wuchs vor allem der Frauen, unter
denen man noch eine ziemlich große Anzahl mit blonden Haaren und blaue"
Augen findet. Geistig ist die Bevölkerung trotz ihrer dünnen Siedlung (1895
etwa 28 Köpfe auf den Quadratkilometer) und ihrer großen Abgeschlossenheit
sehr rege. Auch in Bezug auf die Sprache ist das Saterland eine Insel, deren
Dialekt altfriesisch ist; anderwärts ist dieser Dialekt schon fast ganz verdrängt,
und auch in das Saterländische bricht allmählich das Plattdeutsche ein, aber
trotzdem ist es heute noch ebenso scharf von der Mundart der umwohnenden


gearbeitet wurde. Heute hat die Schiffahrt viel von ihrer Bedeutung für die
Gegend eingebüßt. Zu Anfang des Jahrhunderts war die Ausfuhr von Torf
nach Ostfriesland verboten worden und ebenso die von Feldsteinen, die ehedem
in großen Massen nach dem steinarmen friesischen Gebiete an der Ems gingen.
Die Eisenbahnen haben die letzten Reste des Durchgangshandels nach West¬
falen ausgesogen. Während noch gegen Ende des achtzehnten Jahrhunderts
in Scharret z. B. jeder Einwohner ein, auch zwei Boote besaß, sind dort jetzt
im ganzen kaum noch ein halb Dutzend vorhanden. Nur noch wenige Boote
machen eine regelmäßige Fahrt vom Saterlande nach Leer. Ein solcher Dorf¬
schiffer, z. B. in Nmnsloh Gerhard Heyens, ist dann das Faktotum für alle
Auftrüge und Botschaften; bei der Rückkehr ist sein Schifflein mit Kolonial¬
waren, Getreide usw. vollgestopft wie ein Postkarren.

Die andre Nahrungsquelle für die Saterländer war von jeher das Torf¬
graben. Der Torf wird schon von Plinius erwähnt: nlva et x^user innvc»
t'unös nsotunt barbari xrastsxsnclg. xisoibus retia eaviumaus inAnibns lutum
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sua urunt. Der Torf wurde gleichfalls zu Schiffe aus dem Lande nach der
Ems geführt, wo man die Zufuhr dieses Feuerungsmaterials ehedem gar nicht
entbehren konnte. Der Dreißigjährige Krieg vernichtete auch diesen Erwerbs¬
zweig. Die Mansfeldschen Scharen hausten arg, und 1626 berichteten die
Saterländer nach Münster, daß „nunmehr etliche Zeit die gewerbshcmdlung
ahn allen orteren geschlossen, dahero wir unsere Nahrung mit verkauffuug des
torffs in Fr'iesland und der endts (Ems) nicht treiben und uns einigergestalt
entsetzen können." Dasselbe Thema schlagen die Saterländer in einer Eingabe
vom 7. September 1649 an den Bischof von Münster um, worin es heißt:
„Daß die Eingesessenen des Kerspcls Strnckling bereits verlaufen und in die
benachbarte lauter daß liebe Brote ostatim suchen müßten, welche wir Übrige
zu folgen gezwungen werden, wenn die Überaus; große paßuren Uns in etwa
nicht abgenommen werden." Die Beobachtung des blühenden Tvrfhcmdcls
und der Mangel an Feuermaterial, der damals, als die Zufuhr vom Sater¬
lande her stockte, in Friesland eintrat, bestimmte die Fricslünder dazu, dort
selbst die Moore aufzuschließen und die Torfproduktion in eigne Hand zu
nehmen; zugleich begannen auch die Holländer sich dem ostfriesischen Markte
zuzuwenden.

Die strenggläubig katholischen Bewohner des Saterlaudes siud ohne Zweifel
Friesen, das zeigt schon der hohe, stattliche Wuchs vor allem der Frauen, unter
denen man noch eine ziemlich große Anzahl mit blonden Haaren und blaue»
Augen findet. Geistig ist die Bevölkerung trotz ihrer dünnen Siedlung (1895
etwa 28 Köpfe auf den Quadratkilometer) und ihrer großen Abgeschlossenheit
sehr rege. Auch in Bezug auf die Sprache ist das Saterland eine Insel, deren
Dialekt altfriesisch ist; anderwärts ist dieser Dialekt schon fast ganz verdrängt,
und auch in das Saterländische bricht allmählich das Plattdeutsche ein, aber
trotzdem ist es heute noch ebenso scharf von der Mundart der umwohnenden


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/144>, abgerufen am 24.07.2024.