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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.

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"Line Fahrt nach dem Saterlande

Bevölkerung abgesetzt, wie derselbe Dialekt der Insel Wangerooge von dein
des angrenzenden Festlandes,

Das eigentümliche Völkchen und den Landstrich, den es bewohnt, kennen
zu lernen, war längst mein Wunsch gewesen, und eine Dienstreise, die der Be¬
sichtigung der Mvorgebiete am Hunde-Ems-Kanal und der Kvlonisationsversuche
auf oldenburgischen und preußischem Boden galt, gab mir willkommne Gelegen¬
heit, diesen Wunsch zu befriedigen. Die Fahrt ging fröhlich in den taufrischen
Morgen hinnus mit den flinken Pferden der rühmlichst bekannten Oldenburger
Zucht. Zunächst führte uns der Weg durch fettes Marschland auf harter
Mnkerchausscc. Oldenburg ist nämlich ein Land, wo man nirgends gewachsenen
Felsen findet; mir unzählige Findlinge, Granite, Greise nordischen Ursprungs
lagen ehedem verstreut im Sandboden oder unter dem Moore, die Zeugen ur¬
alter geologischer Vorgänge. Die Straßen, die man, der Not gehorchend, mit
ihnen pflastert, sind fürchterlich. Es blieb daher nichts übrig, als in dem
zähen Marschenboden, der bei feuchtem Wetter grundlos wird, die Chausseen
mit Ziegelsteinen zu belegen, die man anf die schmale Kante nebeneinander
setzt, wodurch mau wundervolle Wege erhält, die uur den Fehler haben, daß
sie sorgfältigster Aufsicht bedürfen und für schweres Fuhrwerk kaum benutzbar
sind. Die Thatsache der Steinarmut hat denn auch Oldenburg im allgemeinen
zum gelobten Lande der Ziegeleien gemacht.

Von der oft behaupteten Langweiligkeit dieser Marschgegenden habe ich
noch nichts verspürt. Die frischen grünen Wiesenflächen, von breiten und
schmalen Wassergrüben durchzogen, sind mit behaglich weidenden Scharen Rind¬
vieh bevölkert, dessen vortreffliche Zucht ebenso bekannt ist, wie die der da¬
zwischen sich friedlich tummelnden Pferde. Hie und da wird die ebne Flüche
von Baum- und Buschgruppen unterbrochen, hinter denen das altersgraue,
wettererprobte Strohdach eines Hofes hervorlugt, denn wir sind in einem
Siedlungsgebiete, in dem die Einzelhvfe in typischer Form vorherrschen.
Der Anblick der Viehherden, die bis in den späten Herbst hinein Tag und
Nacht im Freien bleiben, an einem kühlen tciureichcn Morgen ist für einen
mitteldeutschen Landwirt, der an die Stallfütterung und den ständigen Stall¬
aufenthalt des Viehs gewöhnt ist, etwas gruselig. Die Wettcrhärtc ist hier
aber erprobt, und wenn die Maul- und Klauenseuche nicht wäre, so sonste die
gehörnten Vierfüßler nichts an. Die Weidegegenden der Marsch tragen so zu
jeder Tageszeit, am Morgen sowie am sonnendurchglänzten Tage den Charakter
einer sichern Behaglichkeit, und den Charakter der etwas derb auftretenden
Sicherheit, die ein gut fundierter, großer Besitz verleiht, tragen auch seine
Bewohner.

' "Die Marsch, sagt Allmers, repräsentiert, auf deu ersten Blick erkennbar,
das Phlegmatische. Ihre ewigen schnurgeraden Linien, die wagerechte, ruhige
Ebne mit dem einförmigen Grün, die trüge fließenden Binnengewässer, der
zähe, thonige Boden, die schweren behäbigen Tiere, die Bevölkerung, alles ist
ein Bild des ruhigsten Phlegmas, wie keine andre Gegend es bietet." Die


Grenz boten I 1900 18
«Line Fahrt nach dem Saterlande

Bevölkerung abgesetzt, wie derselbe Dialekt der Insel Wangerooge von dein
des angrenzenden Festlandes,

Das eigentümliche Völkchen und den Landstrich, den es bewohnt, kennen
zu lernen, war längst mein Wunsch gewesen, und eine Dienstreise, die der Be¬
sichtigung der Mvorgebiete am Hunde-Ems-Kanal und der Kvlonisationsversuche
auf oldenburgischen und preußischem Boden galt, gab mir willkommne Gelegen¬
heit, diesen Wunsch zu befriedigen. Die Fahrt ging fröhlich in den taufrischen
Morgen hinnus mit den flinken Pferden der rühmlichst bekannten Oldenburger
Zucht. Zunächst führte uns der Weg durch fettes Marschland auf harter
Mnkerchausscc. Oldenburg ist nämlich ein Land, wo man nirgends gewachsenen
Felsen findet; mir unzählige Findlinge, Granite, Greise nordischen Ursprungs
lagen ehedem verstreut im Sandboden oder unter dem Moore, die Zeugen ur¬
alter geologischer Vorgänge. Die Straßen, die man, der Not gehorchend, mit
ihnen pflastert, sind fürchterlich. Es blieb daher nichts übrig, als in dem
zähen Marschenboden, der bei feuchtem Wetter grundlos wird, die Chausseen
mit Ziegelsteinen zu belegen, die man anf die schmale Kante nebeneinander
setzt, wodurch mau wundervolle Wege erhält, die uur den Fehler haben, daß
sie sorgfältigster Aufsicht bedürfen und für schweres Fuhrwerk kaum benutzbar
sind. Die Thatsache der Steinarmut hat denn auch Oldenburg im allgemeinen
zum gelobten Lande der Ziegeleien gemacht.

Von der oft behaupteten Langweiligkeit dieser Marschgegenden habe ich
noch nichts verspürt. Die frischen grünen Wiesenflächen, von breiten und
schmalen Wassergrüben durchzogen, sind mit behaglich weidenden Scharen Rind¬
vieh bevölkert, dessen vortreffliche Zucht ebenso bekannt ist, wie die der da¬
zwischen sich friedlich tummelnden Pferde. Hie und da wird die ebne Flüche
von Baum- und Buschgruppen unterbrochen, hinter denen das altersgraue,
wettererprobte Strohdach eines Hofes hervorlugt, denn wir sind in einem
Siedlungsgebiete, in dem die Einzelhvfe in typischer Form vorherrschen.
Der Anblick der Viehherden, die bis in den späten Herbst hinein Tag und
Nacht im Freien bleiben, an einem kühlen tciureichcn Morgen ist für einen
mitteldeutschen Landwirt, der an die Stallfütterung und den ständigen Stall¬
aufenthalt des Viehs gewöhnt ist, etwas gruselig. Die Wettcrhärtc ist hier
aber erprobt, und wenn die Maul- und Klauenseuche nicht wäre, so sonste die
gehörnten Vierfüßler nichts an. Die Weidegegenden der Marsch tragen so zu
jeder Tageszeit, am Morgen sowie am sonnendurchglänzten Tage den Charakter
einer sichern Behaglichkeit, und den Charakter der etwas derb auftretenden
Sicherheit, die ein gut fundierter, großer Besitz verleiht, tragen auch seine
Bewohner.

' „Die Marsch, sagt Allmers, repräsentiert, auf deu ersten Blick erkennbar,
das Phlegmatische. Ihre ewigen schnurgeraden Linien, die wagerechte, ruhige
Ebne mit dem einförmigen Grün, die trüge fließenden Binnengewässer, der
zähe, thonige Boden, die schweren behäbigen Tiere, die Bevölkerung, alles ist
ein Bild des ruhigsten Phlegmas, wie keine andre Gegend es bietet." Die


Grenz boten I 1900 18
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[0145] «Line Fahrt nach dem Saterlande Bevölkerung abgesetzt, wie derselbe Dialekt der Insel Wangerooge von dein des angrenzenden Festlandes, Das eigentümliche Völkchen und den Landstrich, den es bewohnt, kennen zu lernen, war längst mein Wunsch gewesen, und eine Dienstreise, die der Be¬ sichtigung der Mvorgebiete am Hunde-Ems-Kanal und der Kvlonisationsversuche auf oldenburgischen und preußischem Boden galt, gab mir willkommne Gelegen¬ heit, diesen Wunsch zu befriedigen. Die Fahrt ging fröhlich in den taufrischen Morgen hinnus mit den flinken Pferden der rühmlichst bekannten Oldenburger Zucht. Zunächst führte uns der Weg durch fettes Marschland auf harter Mnkerchausscc. Oldenburg ist nämlich ein Land, wo man nirgends gewachsenen Felsen findet; mir unzählige Findlinge, Granite, Greise nordischen Ursprungs lagen ehedem verstreut im Sandboden oder unter dem Moore, die Zeugen ur¬ alter geologischer Vorgänge. Die Straßen, die man, der Not gehorchend, mit ihnen pflastert, sind fürchterlich. Es blieb daher nichts übrig, als in dem zähen Marschenboden, der bei feuchtem Wetter grundlos wird, die Chausseen mit Ziegelsteinen zu belegen, die man anf die schmale Kante nebeneinander setzt, wodurch mau wundervolle Wege erhält, die uur den Fehler haben, daß sie sorgfältigster Aufsicht bedürfen und für schweres Fuhrwerk kaum benutzbar sind. Die Thatsache der Steinarmut hat denn auch Oldenburg im allgemeinen zum gelobten Lande der Ziegeleien gemacht. Von der oft behaupteten Langweiligkeit dieser Marschgegenden habe ich noch nichts verspürt. Die frischen grünen Wiesenflächen, von breiten und schmalen Wassergrüben durchzogen, sind mit behaglich weidenden Scharen Rind¬ vieh bevölkert, dessen vortreffliche Zucht ebenso bekannt ist, wie die der da¬ zwischen sich friedlich tummelnden Pferde. Hie und da wird die ebne Flüche von Baum- und Buschgruppen unterbrochen, hinter denen das altersgraue, wettererprobte Strohdach eines Hofes hervorlugt, denn wir sind in einem Siedlungsgebiete, in dem die Einzelhvfe in typischer Form vorherrschen. Der Anblick der Viehherden, die bis in den späten Herbst hinein Tag und Nacht im Freien bleiben, an einem kühlen tciureichcn Morgen ist für einen mitteldeutschen Landwirt, der an die Stallfütterung und den ständigen Stall¬ aufenthalt des Viehs gewöhnt ist, etwas gruselig. Die Wettcrhärtc ist hier aber erprobt, und wenn die Maul- und Klauenseuche nicht wäre, so sonste die gehörnten Vierfüßler nichts an. Die Weidegegenden der Marsch tragen so zu jeder Tageszeit, am Morgen sowie am sonnendurchglänzten Tage den Charakter einer sichern Behaglichkeit, und den Charakter der etwas derb auftretenden Sicherheit, die ein gut fundierter, großer Besitz verleiht, tragen auch seine Bewohner. ' „Die Marsch, sagt Allmers, repräsentiert, auf deu ersten Blick erkennbar, das Phlegmatische. Ihre ewigen schnurgeraden Linien, die wagerechte, ruhige Ebne mit dem einförmigen Grün, die trüge fließenden Binnengewässer, der zähe, thonige Boden, die schweren behäbigen Tiere, die Bevölkerung, alles ist ein Bild des ruhigsten Phlegmas, wie keine andre Gegend es bietet." Die Grenz boten I 1900 18

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/145>, abgerufen am 24.07.2024.