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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.

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An der Wende des Jahrhunderts

und achtzehnten Jahrhundert traten die Holländer, Engländer und Franzose"
meist auf Kosten der iberischen Nationen hinzu, um die Wende des neunzehnten
Jahrhunderts nahmen die Engländer den Holländern und Franzosen den
größten Teil ihrer Kolonien ab; im neunzehnten Jahrhundert eroberte Ru߬
land von ältern Anfängen aus das ganze nördliche Asien, und endlich traten
Deutschland und Nordamerika ans den Plan, Doch much wenn das zwanzigste
Jahrhundert keine Neuverteilung des jetzigen Kolonialbesitzes bringen sollte, so
harren doch die schwersten Probleme der Lösung, Das südafrikanische Problem
ist soeben ganz nen gestellt worden, es berührt auch sehr bedeutende deutsche
Interessen, denn dort handelt es sich um mehr als 500 Millionen dentschen
Kapitals, um Tausende von dort angesiedelte" Deutschen, um die Zukunft eines
uns nahe verwandten Volkstums. Es ist gar nicht denkbar, daß Nur diese
Interessen anfopfem sollten, wenn wir anch ihre militärische Vertretung den
tapfern Buren überlasse" müsse" und getrost überlassen können. Die orienta¬
lische Frage ist "och immer nicht ganz gelöst; es ist sogar zweifelhaft, ob die
Methode, nach der sie in Europa wenigstens zum Teil gelöst worden ist, die
Herstellung kleiner selbständiger christlicher Staaten, auch nnr hier etwas Dauer¬
haftes geschaffen hat, und ganz sicher, daß sie ans Asien, wo die Christen nnr
schwache, zerstreute Minderheiten sind, überhaupt nicht anwendbar ist. Hier
könnte vielmehr eher eine Art von Reorganisation der türkischen Herrschaft
unter europäischer Leitung eintreten, wie sie sich in Ägypten unter englische!"
Protektorat vollzogen hat, oder eine Aufteilung des ganze" ungeheuern Ge¬
biets uuter fremde Mächte. In beiden Fällen ist Deutschland muss stärkste
beteiligt; denn der alte Bismarckische Satz, daß Nur im Orient keine direkten
Interessen hätten, trifft längst nicht mehr zu, das kann nicht oft und nicht
entschieden genug betont werden. Ein ganz ähnliches Problem liegt in China
vor; wenigstens besteht dort die Frage nach einer Art von Teilung des un-
gefügen Riesenkörpers in die "Interessensphären" der großen Mächte, einer
Teilung der volkswirtschaftlichen Herrschaft. Wieder anders liegt das mittcl-
und südnmerikanische Problem. Deal daran ist gnr nicht zu denken, daß diese
herrlichen Länder für alle Zeiten den Mischrassen überlassen bleiben könnten,
die nach dem Falle der spanischen und der portugiesischen Herrschaft, einige
Ausnahmen abgerechnet, in ihren sogenannten Republiken aus dem Wechsel
zwischen wüster Anarchie und brutalem Despotismus gar nicht herauskommen;
und ebenso wenig können die europäischen Völker zugeben, daß die Union auf
Grund der für uns schlechterdings nicht verbindlichen Monroedoktrin, um die sie
sich selbst nicht mehr kehrt, ihnen hier die Thür verschließt. Denn Deutsch¬
land hat in Südbrasilien, Italien in Argentinien Zehntausende von Ansiedlern
seines Bluts, die an ihrem Volkstum eifrig festhalten und ihre Zahl wie ihr
Gebiet beständig vergrößern. Unmöglich können beide Länder zulassen, daß
diese Volksgenossen nnr für fremde Größe arbeiten.

Angesichts dieser mit jedem Jahre deutlicher hervortretendem weltpolitischen
Probleme ist nichts nötiger als das, was die Reichsregiernng mit aller Offen-


An der Wende des Jahrhunderts

und achtzehnten Jahrhundert traten die Holländer, Engländer und Franzose»
meist auf Kosten der iberischen Nationen hinzu, um die Wende des neunzehnten
Jahrhunderts nahmen die Engländer den Holländern und Franzosen den
größten Teil ihrer Kolonien ab; im neunzehnten Jahrhundert eroberte Ru߬
land von ältern Anfängen aus das ganze nördliche Asien, und endlich traten
Deutschland und Nordamerika ans den Plan, Doch much wenn das zwanzigste
Jahrhundert keine Neuverteilung des jetzigen Kolonialbesitzes bringen sollte, so
harren doch die schwersten Probleme der Lösung, Das südafrikanische Problem
ist soeben ganz nen gestellt worden, es berührt auch sehr bedeutende deutsche
Interessen, denn dort handelt es sich um mehr als 500 Millionen dentschen
Kapitals, um Tausende von dort angesiedelte» Deutschen, um die Zukunft eines
uns nahe verwandten Volkstums. Es ist gar nicht denkbar, daß Nur diese
Interessen anfopfem sollten, wenn wir anch ihre militärische Vertretung den
tapfern Buren überlasse» müsse» und getrost überlassen können. Die orienta¬
lische Frage ist »och immer nicht ganz gelöst; es ist sogar zweifelhaft, ob die
Methode, nach der sie in Europa wenigstens zum Teil gelöst worden ist, die
Herstellung kleiner selbständiger christlicher Staaten, auch nnr hier etwas Dauer¬
haftes geschaffen hat, und ganz sicher, daß sie ans Asien, wo die Christen nnr
schwache, zerstreute Minderheiten sind, überhaupt nicht anwendbar ist. Hier
könnte vielmehr eher eine Art von Reorganisation der türkischen Herrschaft
unter europäischer Leitung eintreten, wie sie sich in Ägypten unter englische!»
Protektorat vollzogen hat, oder eine Aufteilung des ganze» ungeheuern Ge¬
biets uuter fremde Mächte. In beiden Fällen ist Deutschland muss stärkste
beteiligt; denn der alte Bismarckische Satz, daß Nur im Orient keine direkten
Interessen hätten, trifft längst nicht mehr zu, das kann nicht oft und nicht
entschieden genug betont werden. Ein ganz ähnliches Problem liegt in China
vor; wenigstens besteht dort die Frage nach einer Art von Teilung des un-
gefügen Riesenkörpers in die „Interessensphären" der großen Mächte, einer
Teilung der volkswirtschaftlichen Herrschaft. Wieder anders liegt das mittcl-
und südnmerikanische Problem. Deal daran ist gnr nicht zu denken, daß diese
herrlichen Länder für alle Zeiten den Mischrassen überlassen bleiben könnten,
die nach dem Falle der spanischen und der portugiesischen Herrschaft, einige
Ausnahmen abgerechnet, in ihren sogenannten Republiken aus dem Wechsel
zwischen wüster Anarchie und brutalem Despotismus gar nicht herauskommen;
und ebenso wenig können die europäischen Völker zugeben, daß die Union auf
Grund der für uns schlechterdings nicht verbindlichen Monroedoktrin, um die sie
sich selbst nicht mehr kehrt, ihnen hier die Thür verschließt. Denn Deutsch¬
land hat in Südbrasilien, Italien in Argentinien Zehntausende von Ansiedlern
seines Bluts, die an ihrem Volkstum eifrig festhalten und ihre Zahl wie ihr
Gebiet beständig vergrößern. Unmöglich können beide Länder zulassen, daß
diese Volksgenossen nnr für fremde Größe arbeiten.

Angesichts dieser mit jedem Jahre deutlicher hervortretendem weltpolitischen
Probleme ist nichts nötiger als das, was die Reichsregiernng mit aller Offen-


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[0014] An der Wende des Jahrhunderts und achtzehnten Jahrhundert traten die Holländer, Engländer und Franzose» meist auf Kosten der iberischen Nationen hinzu, um die Wende des neunzehnten Jahrhunderts nahmen die Engländer den Holländern und Franzosen den größten Teil ihrer Kolonien ab; im neunzehnten Jahrhundert eroberte Ru߬ land von ältern Anfängen aus das ganze nördliche Asien, und endlich traten Deutschland und Nordamerika ans den Plan, Doch much wenn das zwanzigste Jahrhundert keine Neuverteilung des jetzigen Kolonialbesitzes bringen sollte, so harren doch die schwersten Probleme der Lösung, Das südafrikanische Problem ist soeben ganz nen gestellt worden, es berührt auch sehr bedeutende deutsche Interessen, denn dort handelt es sich um mehr als 500 Millionen dentschen Kapitals, um Tausende von dort angesiedelte» Deutschen, um die Zukunft eines uns nahe verwandten Volkstums. Es ist gar nicht denkbar, daß Nur diese Interessen anfopfem sollten, wenn wir anch ihre militärische Vertretung den tapfern Buren überlasse» müsse» und getrost überlassen können. Die orienta¬ lische Frage ist »och immer nicht ganz gelöst; es ist sogar zweifelhaft, ob die Methode, nach der sie in Europa wenigstens zum Teil gelöst worden ist, die Herstellung kleiner selbständiger christlicher Staaten, auch nnr hier etwas Dauer¬ haftes geschaffen hat, und ganz sicher, daß sie ans Asien, wo die Christen nnr schwache, zerstreute Minderheiten sind, überhaupt nicht anwendbar ist. Hier könnte vielmehr eher eine Art von Reorganisation der türkischen Herrschaft unter europäischer Leitung eintreten, wie sie sich in Ägypten unter englische!» Protektorat vollzogen hat, oder eine Aufteilung des ganze» ungeheuern Ge¬ biets uuter fremde Mächte. In beiden Fällen ist Deutschland muss stärkste beteiligt; denn der alte Bismarckische Satz, daß Nur im Orient keine direkten Interessen hätten, trifft längst nicht mehr zu, das kann nicht oft und nicht entschieden genug betont werden. Ein ganz ähnliches Problem liegt in China vor; wenigstens besteht dort die Frage nach einer Art von Teilung des un- gefügen Riesenkörpers in die „Interessensphären" der großen Mächte, einer Teilung der volkswirtschaftlichen Herrschaft. Wieder anders liegt das mittcl- und südnmerikanische Problem. Deal daran ist gnr nicht zu denken, daß diese herrlichen Länder für alle Zeiten den Mischrassen überlassen bleiben könnten, die nach dem Falle der spanischen und der portugiesischen Herrschaft, einige Ausnahmen abgerechnet, in ihren sogenannten Republiken aus dem Wechsel zwischen wüster Anarchie und brutalem Despotismus gar nicht herauskommen; und ebenso wenig können die europäischen Völker zugeben, daß die Union auf Grund der für uns schlechterdings nicht verbindlichen Monroedoktrin, um die sie sich selbst nicht mehr kehrt, ihnen hier die Thür verschließt. Denn Deutsch¬ land hat in Südbrasilien, Italien in Argentinien Zehntausende von Ansiedlern seines Bluts, die an ihrem Volkstum eifrig festhalten und ihre Zahl wie ihr Gebiet beständig vergrößern. Unmöglich können beide Länder zulassen, daß diese Volksgenossen nnr für fremde Größe arbeiten. Angesichts dieser mit jedem Jahre deutlicher hervortretendem weltpolitischen Probleme ist nichts nötiger als das, was die Reichsregiernng mit aller Offen-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/14>, abgerufen am 30.06.2024.