Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite

Doch die Ziele der deutschen Weltpolitik sind nicht eins die Erwerbung
einiger Jttselgrnppen in der Südsee und ans türkische Eisenbahnbauten beschränkt,
sie liegen viel weiter, viel höher als noch vor zehn oder gar vor zwanzig
Jahren. Denn mit der unaufhaltsamer Entwicklung der Weltpvlitik, die sich
unter dem Drucke wirtschaftlicher Vorgänge, der Ausbildung des Welthandels
und der Kolonisation, vollzogen hat, hat sich die Gruppierung der Mächte und
ihre Geltung verschoben. Die alten enropäischen Großmächte sind nicht mehr
gleichwertig, und außereuropäische sind dazu getreten. Voran stehn heute die
drei Riesenmächte, das britische Reich, Rußland nud Nordamerika, die alle drei
in fremde Erdteile übergreifen und sich wirtschaftlich im wesentlichen selbst ge¬
nügen können; ans der andern Seite sehen wir Österreich, Italien und Japan,
die entweder gar keine oder nnr wenig bedeutende Kolonien besitzen, aber -- von
Osterreich abgesehen, das gar nicht kolonisieren kann, weil es kein National¬
staat ist, sondern ein auseinanderstrebeudes Völkergemisch -- bei ihrer rasch
wachsenden Bevölkerung ein lebhaftes AnSdehnnngSbedürfnis haben. Dentsch-
land und Frankreich gehören weder zu der einen noch zu der andern Gruppe.
Frankreich hat sich zum zweitenmale in Afrika und Südasien ein großes Kolonial¬
reich aufgebaut, aber das ist mehr ein Ergebnis seines politischen Ehrgeizes als eine
wirtschaftliche Notwendigkeit, denn seine Menschenkraft und sein Unternehmungs-
geist reichen nicht aus, es für das Mutterland wirklich nutzbar zu machen, und
seine Flotte steht hinter der englischen trotz aller Anstrengungen noch weit
zurück. Auch Deutschlands Beziehungen und Besitzungen sind längst nicht mehr
auf Europa beschränkt; seine wirtschaftlichen Interessen umspannen deu Erdball,
und es hat auch politisch in drei Erdteilen Fuß gefaßt, in Afrika, Australien
und Asien, an allen drei Ozeaneu, aber es kann sich wirtschaftlich noch nicht selbst
genügen, es bedarf, um zu leben und zu arbeiten, der Zufuhr aus aller Welt
und des Absatzes in alle Welt, es ist von den, guten Willen andrer Länder
in hohem Grade abhängig. Es kann nicht in dieser Lage verharren, ohne
seine Existenz und seine Zukunft von dem Beliebe" andrer Mächte abhängig
zu machen; es kam? aber anch nicht daran denken, selbst eine Weltmacht
neben jene" drei Riesenreichen zu sein, denn dafür ist uns der Erde kein
Raum mehr, und selbst wenn etwa das britische Weltreich zerfallen sollte,
so würden dadurch doch die Siedlungen der angelsächsische" Rasse nicht
zerstört, ihr wirtschaftliches Gewicht als Ganzes kaum vermindert werden.
Was es will und wollen muß, das hat Graf Bülow in seiner großartigen
Programmrede vom 11. Dezember mit voller Deutlichkeit ausgesprochen; es
will sich nicht mehr vou andern Völkern "auf die Füße treten lassen," es will
im nächsten Jahrhundert nicht mehr Amboß sein, wie es so lange gewesen ist,
sondern Hammer, es will "seinen Platz an der Sonne." Wenn man einhält, die
Welt sei verteilt, so vergißt man, daß keine Teilung der Welt für die Ewigkeit be¬
steht, souderu daß die Erde, oder was man in Europa davon kannte, in jedem
Jahrhundert der neuern Geschichte neu verteilt worden ist. Im sechzehnten Jahr¬
hundert teilten sich die Spanier und Portugiesen in den Erdball, im siebzehnten


Doch die Ziele der deutschen Weltpolitik sind nicht eins die Erwerbung
einiger Jttselgrnppen in der Südsee und ans türkische Eisenbahnbauten beschränkt,
sie liegen viel weiter, viel höher als noch vor zehn oder gar vor zwanzig
Jahren. Denn mit der unaufhaltsamer Entwicklung der Weltpvlitik, die sich
unter dem Drucke wirtschaftlicher Vorgänge, der Ausbildung des Welthandels
und der Kolonisation, vollzogen hat, hat sich die Gruppierung der Mächte und
ihre Geltung verschoben. Die alten enropäischen Großmächte sind nicht mehr
gleichwertig, und außereuropäische sind dazu getreten. Voran stehn heute die
drei Riesenmächte, das britische Reich, Rußland nud Nordamerika, die alle drei
in fremde Erdteile übergreifen und sich wirtschaftlich im wesentlichen selbst ge¬
nügen können; ans der andern Seite sehen wir Österreich, Italien und Japan,
die entweder gar keine oder nnr wenig bedeutende Kolonien besitzen, aber — von
Osterreich abgesehen, das gar nicht kolonisieren kann, weil es kein National¬
staat ist, sondern ein auseinanderstrebeudes Völkergemisch — bei ihrer rasch
wachsenden Bevölkerung ein lebhaftes AnSdehnnngSbedürfnis haben. Dentsch-
land und Frankreich gehören weder zu der einen noch zu der andern Gruppe.
Frankreich hat sich zum zweitenmale in Afrika und Südasien ein großes Kolonial¬
reich aufgebaut, aber das ist mehr ein Ergebnis seines politischen Ehrgeizes als eine
wirtschaftliche Notwendigkeit, denn seine Menschenkraft und sein Unternehmungs-
geist reichen nicht aus, es für das Mutterland wirklich nutzbar zu machen, und
seine Flotte steht hinter der englischen trotz aller Anstrengungen noch weit
zurück. Auch Deutschlands Beziehungen und Besitzungen sind längst nicht mehr
auf Europa beschränkt; seine wirtschaftlichen Interessen umspannen deu Erdball,
und es hat auch politisch in drei Erdteilen Fuß gefaßt, in Afrika, Australien
und Asien, an allen drei Ozeaneu, aber es kann sich wirtschaftlich noch nicht selbst
genügen, es bedarf, um zu leben und zu arbeiten, der Zufuhr aus aller Welt
und des Absatzes in alle Welt, es ist von den, guten Willen andrer Länder
in hohem Grade abhängig. Es kann nicht in dieser Lage verharren, ohne
seine Existenz und seine Zukunft von dem Beliebe» andrer Mächte abhängig
zu machen; es kam? aber anch nicht daran denken, selbst eine Weltmacht
neben jene» drei Riesenreichen zu sein, denn dafür ist uns der Erde kein
Raum mehr, und selbst wenn etwa das britische Weltreich zerfallen sollte,
so würden dadurch doch die Siedlungen der angelsächsische» Rasse nicht
zerstört, ihr wirtschaftliches Gewicht als Ganzes kaum vermindert werden.
Was es will und wollen muß, das hat Graf Bülow in seiner großartigen
Programmrede vom 11. Dezember mit voller Deutlichkeit ausgesprochen; es
will sich nicht mehr vou andern Völkern „auf die Füße treten lassen," es will
im nächsten Jahrhundert nicht mehr Amboß sein, wie es so lange gewesen ist,
sondern Hammer, es will „seinen Platz an der Sonne." Wenn man einhält, die
Welt sei verteilt, so vergißt man, daß keine Teilung der Welt für die Ewigkeit be¬
steht, souderu daß die Erde, oder was man in Europa davon kannte, in jedem
Jahrhundert der neuern Geschichte neu verteilt worden ist. Im sechzehnten Jahr¬
hundert teilten sich die Spanier und Portugiesen in den Erdball, im siebzehnten


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0013" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/232565"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_11" next="#ID_12"> Doch die Ziele der deutschen Weltpolitik sind nicht eins die Erwerbung<lb/>
einiger Jttselgrnppen in der Südsee und ans türkische Eisenbahnbauten beschränkt,<lb/>
sie liegen viel weiter, viel höher als noch vor zehn oder gar vor zwanzig<lb/>
Jahren. Denn mit der unaufhaltsamer Entwicklung der Weltpvlitik, die sich<lb/>
unter dem Drucke wirtschaftlicher Vorgänge, der Ausbildung des Welthandels<lb/>
und der Kolonisation, vollzogen hat, hat sich die Gruppierung der Mächte und<lb/>
ihre Geltung verschoben. Die alten enropäischen Großmächte sind nicht mehr<lb/>
gleichwertig, und außereuropäische sind dazu getreten. Voran stehn heute die<lb/>
drei Riesenmächte, das britische Reich, Rußland nud Nordamerika, die alle drei<lb/>
in fremde Erdteile übergreifen und sich wirtschaftlich im wesentlichen selbst ge¬<lb/>
nügen können; ans der andern Seite sehen wir Österreich, Italien und Japan,<lb/>
die entweder gar keine oder nnr wenig bedeutende Kolonien besitzen, aber &#x2014; von<lb/>
Osterreich abgesehen, das gar nicht kolonisieren kann, weil es kein National¬<lb/>
staat ist, sondern ein auseinanderstrebeudes Völkergemisch &#x2014; bei ihrer rasch<lb/>
wachsenden Bevölkerung ein lebhaftes AnSdehnnngSbedürfnis haben. Dentsch-<lb/>
land und Frankreich gehören weder zu der einen noch zu der andern Gruppe.<lb/>
Frankreich hat sich zum zweitenmale in Afrika und Südasien ein großes Kolonial¬<lb/>
reich aufgebaut, aber das ist mehr ein Ergebnis seines politischen Ehrgeizes als eine<lb/>
wirtschaftliche Notwendigkeit, denn seine Menschenkraft und sein Unternehmungs-<lb/>
geist reichen nicht aus, es für das Mutterland wirklich nutzbar zu machen, und<lb/>
seine Flotte steht hinter der englischen trotz aller Anstrengungen noch weit<lb/>
zurück. Auch Deutschlands Beziehungen und Besitzungen sind längst nicht mehr<lb/>
auf Europa beschränkt; seine wirtschaftlichen Interessen umspannen deu Erdball,<lb/>
und es hat auch politisch in drei Erdteilen Fuß gefaßt, in Afrika, Australien<lb/>
und Asien, an allen drei Ozeaneu, aber es kann sich wirtschaftlich noch nicht selbst<lb/>
genügen, es bedarf, um zu leben und zu arbeiten, der Zufuhr aus aller Welt<lb/>
und des Absatzes in alle Welt, es ist von den, guten Willen andrer Länder<lb/>
in hohem Grade abhängig. Es kann nicht in dieser Lage verharren, ohne<lb/>
seine Existenz und seine Zukunft von dem Beliebe» andrer Mächte abhängig<lb/>
zu machen; es kam? aber anch nicht daran denken, selbst eine Weltmacht<lb/>
neben jene» drei Riesenreichen zu sein, denn dafür ist uns der Erde kein<lb/>
Raum mehr, und selbst wenn etwa das britische Weltreich zerfallen sollte,<lb/>
so würden dadurch doch die Siedlungen der angelsächsische» Rasse nicht<lb/>
zerstört, ihr wirtschaftliches Gewicht als Ganzes kaum vermindert werden.<lb/>
Was es will und wollen muß, das hat Graf Bülow in seiner großartigen<lb/>
Programmrede vom 11. Dezember mit voller Deutlichkeit ausgesprochen; es<lb/>
will sich nicht mehr vou andern Völkern &#x201E;auf die Füße treten lassen," es will<lb/>
im nächsten Jahrhundert nicht mehr Amboß sein, wie es so lange gewesen ist,<lb/>
sondern Hammer, es will &#x201E;seinen Platz an der Sonne." Wenn man einhält, die<lb/>
Welt sei verteilt, so vergißt man, daß keine Teilung der Welt für die Ewigkeit be¬<lb/>
steht, souderu daß die Erde, oder was man in Europa davon kannte, in jedem<lb/>
Jahrhundert der neuern Geschichte neu verteilt worden ist. Im sechzehnten Jahr¬<lb/>
hundert teilten sich die Spanier und Portugiesen in den Erdball, im siebzehnten</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0013] Doch die Ziele der deutschen Weltpolitik sind nicht eins die Erwerbung einiger Jttselgrnppen in der Südsee und ans türkische Eisenbahnbauten beschränkt, sie liegen viel weiter, viel höher als noch vor zehn oder gar vor zwanzig Jahren. Denn mit der unaufhaltsamer Entwicklung der Weltpvlitik, die sich unter dem Drucke wirtschaftlicher Vorgänge, der Ausbildung des Welthandels und der Kolonisation, vollzogen hat, hat sich die Gruppierung der Mächte und ihre Geltung verschoben. Die alten enropäischen Großmächte sind nicht mehr gleichwertig, und außereuropäische sind dazu getreten. Voran stehn heute die drei Riesenmächte, das britische Reich, Rußland nud Nordamerika, die alle drei in fremde Erdteile übergreifen und sich wirtschaftlich im wesentlichen selbst ge¬ nügen können; ans der andern Seite sehen wir Österreich, Italien und Japan, die entweder gar keine oder nnr wenig bedeutende Kolonien besitzen, aber — von Osterreich abgesehen, das gar nicht kolonisieren kann, weil es kein National¬ staat ist, sondern ein auseinanderstrebeudes Völkergemisch — bei ihrer rasch wachsenden Bevölkerung ein lebhaftes AnSdehnnngSbedürfnis haben. Dentsch- land und Frankreich gehören weder zu der einen noch zu der andern Gruppe. Frankreich hat sich zum zweitenmale in Afrika und Südasien ein großes Kolonial¬ reich aufgebaut, aber das ist mehr ein Ergebnis seines politischen Ehrgeizes als eine wirtschaftliche Notwendigkeit, denn seine Menschenkraft und sein Unternehmungs- geist reichen nicht aus, es für das Mutterland wirklich nutzbar zu machen, und seine Flotte steht hinter der englischen trotz aller Anstrengungen noch weit zurück. Auch Deutschlands Beziehungen und Besitzungen sind längst nicht mehr auf Europa beschränkt; seine wirtschaftlichen Interessen umspannen deu Erdball, und es hat auch politisch in drei Erdteilen Fuß gefaßt, in Afrika, Australien und Asien, an allen drei Ozeaneu, aber es kann sich wirtschaftlich noch nicht selbst genügen, es bedarf, um zu leben und zu arbeiten, der Zufuhr aus aller Welt und des Absatzes in alle Welt, es ist von den, guten Willen andrer Länder in hohem Grade abhängig. Es kann nicht in dieser Lage verharren, ohne seine Existenz und seine Zukunft von dem Beliebe» andrer Mächte abhängig zu machen; es kam? aber anch nicht daran denken, selbst eine Weltmacht neben jene» drei Riesenreichen zu sein, denn dafür ist uns der Erde kein Raum mehr, und selbst wenn etwa das britische Weltreich zerfallen sollte, so würden dadurch doch die Siedlungen der angelsächsische» Rasse nicht zerstört, ihr wirtschaftliches Gewicht als Ganzes kaum vermindert werden. Was es will und wollen muß, das hat Graf Bülow in seiner großartigen Programmrede vom 11. Dezember mit voller Deutlichkeit ausgesprochen; es will sich nicht mehr vou andern Völkern „auf die Füße treten lassen," es will im nächsten Jahrhundert nicht mehr Amboß sein, wie es so lange gewesen ist, sondern Hammer, es will „seinen Platz an der Sonne." Wenn man einhält, die Welt sei verteilt, so vergißt man, daß keine Teilung der Welt für die Ewigkeit be¬ steht, souderu daß die Erde, oder was man in Europa davon kannte, in jedem Jahrhundert der neuern Geschichte neu verteilt worden ist. Im sechzehnten Jahr¬ hundert teilten sich die Spanier und Portugiesen in den Erdball, im siebzehnten

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/13
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/13>, abgerufen am 30.06.2024.