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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.

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An der Ivende des Jahrhunderts

Gerede des englischen Kolonialministers von einem englisch-deutsch-amerikanischen
Einvevnehinen so deutlich wie möglich zurückgewiesen. Warum aber sollte sich
unsre Regierung zu England feindlich stellen? Wir haben unsre Interessen zu
wahren, schlechthin nur unsre, und diese Interessen verbieten uns schlechtweg
es jetzt irgendwie auf einen Seekrieg ankommen zu lassein Der Dreibnnd ist für
außereuropäische Verwicklungen nicht vorhanden, lind selbst wenn dies der Fall
wäre, würde er uns wenig helfe", denn Österreich ringt in endlosen, ermüdenden
Kämpfen, für die sich allmählich die Teilnahme auch des eifrigsten Altdeutschen
abstumpft -- und die sich ans dem Wege des parlamentarischen Regiments
ganz gewiß nicht beenden lassen werden, sonder" höchstens durch einen starken,
monarchische" Willen --, "och immer um die Grundlagen seiner staatlichen
Existenz, den Ausgleich zwischen seinen tief verfeindeten Nationalitäten, deren
Zwiespalt auch sein Heerwesen zerfrißt. Italien aber bedarf für die Reformen,
die auf zahlreichen Gebieten des öffentlichen Lebens geplant werden oder in
Angriff genommen sind, nichts so dringend als des Friedens. Und wer bürgt
n"S dafür, daß wir bei einem Konflikt mit England den Beistand Rußlands
und Frankreichs finde"? Keine Macht würde bei einem solchen "lehr aufs
Spiel setzen als wir. Denn nur im Frieden ist Deutschland zur zweiten Handels¬
macht der Welt emporgestiegen, und mir im Frieden kann sich zunächst unsre
hoffnungsreiche Kolonial- und Weltpolitik weiter entwickeln. Und in der That,
sie hat in einem Jahre drei große Erfolge errungen. Ans der spanischen
Erbschaft sind uns die Karolinen zugefallen; die vielumkämpfte" Sainoainsel",
auf denen unsre Ehre verpfändet war, sind bis auf einen kleine" abgelegnen
Teil in ttnsern Besitz übergegangen, "ut die Konzession für den Bau der
Bagdadbahn ist deu deutschen Unternehmern so gut wie gesichert. So ist gleich¬
zeitig unsre Stellung in der Südsee verstärkt worden, und im türkischen Orient
hat sich uns ein unabsehbares Feld geöffnet: der kürzeste Weg unes Indien wird
dereinst in deutscheii Händen sein und für de" ganzen Westen und Norden
Enropas durch Dentschland führen!

Das alles ist uns mir nicht mühelos in den Schoß gefallen, sondern den
widerstreitenden Interessen andrer Mächte durch kluge Benutzung der Umstände
mühsam abgerungen worden, Samoa den Engländern und Amerikanern, die
asiatische Bnhnkonzession der Eifersucht Englands "ud Rußlands auf einem
Gebiet, wo bisher nnr diese beiden Machte einander als Nebenbuhler gegen¬
übergestanden und an einen dritte" Mitbewerber kaum gedacht hatten. Unbe¬
irrt, keineswegs im "Zickzackkurs," wie man wohl zu spötteln beliebt, ist die
deutsche Politik hier ihres Wegs gegangen, sie ist weder englisch "och russisch
gewesen, sondern eben deutsch. Und der Erfolg für unsre Weltstellung? Nicht
geringschätzig angesehen wird Dentschland, sondern beneidet und umworben, und
mit Recht äußerte jüngst ein großes römisches Blatt, der deutsche Kaiser sei heute
der Schiedsrichter der Welt in dem Sinne, daß er durch seine Haltung ein
festländisches Bündnis gegen England verhindert "ut dadurch der Welt den
Friedell erhalten habe.


An der Ivende des Jahrhunderts

Gerede des englischen Kolonialministers von einem englisch-deutsch-amerikanischen
Einvevnehinen so deutlich wie möglich zurückgewiesen. Warum aber sollte sich
unsre Regierung zu England feindlich stellen? Wir haben unsre Interessen zu
wahren, schlechthin nur unsre, und diese Interessen verbieten uns schlechtweg
es jetzt irgendwie auf einen Seekrieg ankommen zu lassein Der Dreibnnd ist für
außereuropäische Verwicklungen nicht vorhanden, lind selbst wenn dies der Fall
wäre, würde er uns wenig helfe», denn Österreich ringt in endlosen, ermüdenden
Kämpfen, für die sich allmählich die Teilnahme auch des eifrigsten Altdeutschen
abstumpft — und die sich ans dem Wege des parlamentarischen Regiments
ganz gewiß nicht beenden lassen werden, sonder» höchstens durch einen starken,
monarchische» Willen —, »och immer um die Grundlagen seiner staatlichen
Existenz, den Ausgleich zwischen seinen tief verfeindeten Nationalitäten, deren
Zwiespalt auch sein Heerwesen zerfrißt. Italien aber bedarf für die Reformen,
die auf zahlreichen Gebieten des öffentlichen Lebens geplant werden oder in
Angriff genommen sind, nichts so dringend als des Friedens. Und wer bürgt
n»S dafür, daß wir bei einem Konflikt mit England den Beistand Rußlands
und Frankreichs finde»? Keine Macht würde bei einem solchen »lehr aufs
Spiel setzen als wir. Denn nur im Frieden ist Deutschland zur zweiten Handels¬
macht der Welt emporgestiegen, und mir im Frieden kann sich zunächst unsre
hoffnungsreiche Kolonial- und Weltpolitik weiter entwickeln. Und in der That,
sie hat in einem Jahre drei große Erfolge errungen. Ans der spanischen
Erbschaft sind uns die Karolinen zugefallen; die vielumkämpfte» Sainoainsel»,
auf denen unsre Ehre verpfändet war, sind bis auf einen kleine» abgelegnen
Teil in ttnsern Besitz übergegangen, »ut die Konzession für den Bau der
Bagdadbahn ist deu deutschen Unternehmern so gut wie gesichert. So ist gleich¬
zeitig unsre Stellung in der Südsee verstärkt worden, und im türkischen Orient
hat sich uns ein unabsehbares Feld geöffnet: der kürzeste Weg unes Indien wird
dereinst in deutscheii Händen sein und für de» ganzen Westen und Norden
Enropas durch Dentschland führen!

Das alles ist uns mir nicht mühelos in den Schoß gefallen, sondern den
widerstreitenden Interessen andrer Mächte durch kluge Benutzung der Umstände
mühsam abgerungen worden, Samoa den Engländern und Amerikanern, die
asiatische Bnhnkonzession der Eifersucht Englands »ud Rußlands auf einem
Gebiet, wo bisher nnr diese beiden Machte einander als Nebenbuhler gegen¬
übergestanden und an einen dritte» Mitbewerber kaum gedacht hatten. Unbe¬
irrt, keineswegs im „Zickzackkurs," wie man wohl zu spötteln beliebt, ist die
deutsche Politik hier ihres Wegs gegangen, sie ist weder englisch »och russisch
gewesen, sondern eben deutsch. Und der Erfolg für unsre Weltstellung? Nicht
geringschätzig angesehen wird Dentschland, sondern beneidet und umworben, und
mit Recht äußerte jüngst ein großes römisches Blatt, der deutsche Kaiser sei heute
der Schiedsrichter der Welt in dem Sinne, daß er durch seine Haltung ein
festländisches Bündnis gegen England verhindert »ut dadurch der Welt den
Friedell erhalten habe.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/12>, abgerufen am 30.06.2024.