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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Line Frühlingsfahrt nach den Abruzzen und nach Apulien

unbeleckten Karren war unbeschreiblich lustig, wir kamen flott vorwärts, da
alles überflüssige Holz und Leder fehlt, und die hohen Räder die Schnelligkeit
fördern; die Luft war köstlich frisch, die farbenreiche Landschaft unendlich fesselnd,
alles versetzte die Seele in frohe Schwingungen und erhob sie über das Gefühl
des Alltäglichen und Kleinlichen, und dazu gesellte sich die eigentümliche
Empfindung, daß man hier einmal ganz aus dem Banne unsrer heutigen auf
Verwöhnung und Verweichlichung berechneten Erfindungen herausgerissen
und völlig in ein jahrtausendealtes, unverändert gebliebnes Kulturleben
hineinversetzt wurde. Eine feierliche Stimmung aber bemächtigte sich unser,
als unser Ziel, das Hohenstaufenschloß Castello del Monte, allmählich deutlicher
erkennbar wurde und seine weithin sichtbaren dunkeln Umrisse festere und
klarere Gestalt annahmen. Aus hohem, nebligem Norden waren wir gekommen,
um in dieser einsamen, sonnendurchglühten Landschaft dem Andenken unsers
großen Kaisers zu huldigen, der einst durch seine verfehlte Politik dein Vater¬
lande und seiner Einheit unermeßlichen Schaden zugefügt und dennoch dank
seiner alles überstrahlenden Persönlichkeit im Herzen des deutschen Volks als
die Verkörperung des Neichsgedankens und als das Pfand einer bessern Zukunft
fortgelebt hat, der in Verwaltung und Kunst und Wissenschaft und Volks¬
wohlfahrt für diese süditalienischen Provinzen eine Blütezeit herbeigeführt hat,
die noch jetzt allüberall die höchste Bewunderung herausfordert und fast ohne¬
gleichen dasteht. Hier in diesem Schlosse hatte er wiederholt geweilt und von
hier aus der geliebten Falkenjagd obgelegen, um Erfrischung und Erholung
von den Mühen und Kämpfen seines thatenreichen Lebens zu finden. Und
dann hatte sich das Blatt gewandt. Undank und Verrat hatten die Herrschaft
der Hohenstaufen gestürzt, die Anjous waren an ihre Stelle getreten und
hatten, um sich zu behaupten, mit unsagbarer Grausamkeit gegen die Nach¬
kommen des gewaltigen Fürsten gewütet. Hier in Castello del Monte haben
sie Friedrichs Enkel, die noch im zartesten Kindesalter stehenden Söhne
Manfreds gefangen gesetzt und sie in dreiunddreißigjähriger schwerer Kerkerhaft
schmachten lassen.

Die letzte Wegstrecke, von einer Cisterne ab den eigentlichen Burghügel
hinauf, ist steinig und unfruchtbar, kaum das elendeste Gras entsprießt diesem
Boden; nur hier und da blüht verborgen im Geröll eine Orchidee. Das
Castello selbst ist ein gleichseitiges Achteck, das einen gleichartigen, achteckigen
Hof umschließt.") In jede äußere Ecke ist ein achteckiger Turm hineingebaut,
und zwar so, daß zwei seiner Seiten vom Hauptgebäude umschlossen werden.
Den Eingang gewährt auf der Südseite ein riesiges Portal, das von Halb-



*) Eine genauere Beschreibung giebt Schultz, Denkmäler der Kunst des Mittelalters in
Süditalien, 1860, 1, S, 159 ff. nebst Abbildungen; vergl. ferner den Aufsatz von Carl Frey
in der Deutschen Rundschau, August Is9I, Ich erwähne hier noch, daß, wie die Kustodin ver¬
sicherte, das Schloß nicht unterkellert ist, aber auf einer 4 Meter tiefen, festen Untermauerung ruht.
Line Frühlingsfahrt nach den Abruzzen und nach Apulien

unbeleckten Karren war unbeschreiblich lustig, wir kamen flott vorwärts, da
alles überflüssige Holz und Leder fehlt, und die hohen Räder die Schnelligkeit
fördern; die Luft war köstlich frisch, die farbenreiche Landschaft unendlich fesselnd,
alles versetzte die Seele in frohe Schwingungen und erhob sie über das Gefühl
des Alltäglichen und Kleinlichen, und dazu gesellte sich die eigentümliche
Empfindung, daß man hier einmal ganz aus dem Banne unsrer heutigen auf
Verwöhnung und Verweichlichung berechneten Erfindungen herausgerissen
und völlig in ein jahrtausendealtes, unverändert gebliebnes Kulturleben
hineinversetzt wurde. Eine feierliche Stimmung aber bemächtigte sich unser,
als unser Ziel, das Hohenstaufenschloß Castello del Monte, allmählich deutlicher
erkennbar wurde und seine weithin sichtbaren dunkeln Umrisse festere und
klarere Gestalt annahmen. Aus hohem, nebligem Norden waren wir gekommen,
um in dieser einsamen, sonnendurchglühten Landschaft dem Andenken unsers
großen Kaisers zu huldigen, der einst durch seine verfehlte Politik dein Vater¬
lande und seiner Einheit unermeßlichen Schaden zugefügt und dennoch dank
seiner alles überstrahlenden Persönlichkeit im Herzen des deutschen Volks als
die Verkörperung des Neichsgedankens und als das Pfand einer bessern Zukunft
fortgelebt hat, der in Verwaltung und Kunst und Wissenschaft und Volks¬
wohlfahrt für diese süditalienischen Provinzen eine Blütezeit herbeigeführt hat,
die noch jetzt allüberall die höchste Bewunderung herausfordert und fast ohne¬
gleichen dasteht. Hier in diesem Schlosse hatte er wiederholt geweilt und von
hier aus der geliebten Falkenjagd obgelegen, um Erfrischung und Erholung
von den Mühen und Kämpfen seines thatenreichen Lebens zu finden. Und
dann hatte sich das Blatt gewandt. Undank und Verrat hatten die Herrschaft
der Hohenstaufen gestürzt, die Anjous waren an ihre Stelle getreten und
hatten, um sich zu behaupten, mit unsagbarer Grausamkeit gegen die Nach¬
kommen des gewaltigen Fürsten gewütet. Hier in Castello del Monte haben
sie Friedrichs Enkel, die noch im zartesten Kindesalter stehenden Söhne
Manfreds gefangen gesetzt und sie in dreiunddreißigjähriger schwerer Kerkerhaft
schmachten lassen.

Die letzte Wegstrecke, von einer Cisterne ab den eigentlichen Burghügel
hinauf, ist steinig und unfruchtbar, kaum das elendeste Gras entsprießt diesem
Boden; nur hier und da blüht verborgen im Geröll eine Orchidee. Das
Castello selbst ist ein gleichseitiges Achteck, das einen gleichartigen, achteckigen
Hof umschließt.") In jede äußere Ecke ist ein achteckiger Turm hineingebaut,
und zwar so, daß zwei seiner Seiten vom Hauptgebäude umschlossen werden.
Den Eingang gewährt auf der Südseite ein riesiges Portal, das von Halb-



*) Eine genauere Beschreibung giebt Schultz, Denkmäler der Kunst des Mittelalters in
Süditalien, 1860, 1, S, 159 ff. nebst Abbildungen; vergl. ferner den Aufsatz von Carl Frey
in der Deutschen Rundschau, August Is9I, Ich erwähne hier noch, daß, wie die Kustodin ver¬
sicherte, das Schloß nicht unterkellert ist, aber auf einer 4 Meter tiefen, festen Untermauerung ruht.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/95>, abgerufen am 15.01.2025.