Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Line Frühlingsfahrt nach den Abruzzen und nach Apulien

eine Enttäuschung gefaßt machen. Die Anpflanzung und Pflege des Rebstocks
entspricht mehr unsrer deutschen als der oberitalienischen Sitte; der einzelne
Stock wird niedrig gehalten, an einem Pfahl befestigt und mit keinem andern
Stock verbunden. Infolge der Fruchtbarkeit des Bodens sät man zwischen
die einzelnen Stöcke noch Weizen, und zwar so, daß die aufgegangnen Halme
immer ein Büschel bilden, das von einer großen Faust umspannt werden kann;
würde man den Samen in langgezognen Furchen ausstreuen wollen, so würde
es schwer fallen, die Halme zu schlagen oder zu schneiden. Außerdem pflanzt
man aber mitten in die Weinberge Nußbäume, Granaten-, Feigen- und Mandel-
büume; ja selbst Eichen finden sich in ihnen.

Eine besondre Merkwürdigkeit sind die LusöüäKö, kegelförmige Hütten, die
aus ungeglättetcn Kalksteinstücken roh und urtümlich ohne Mörtelverband")
aufgetürmt sind und allenthalben verstreut hier und dort stehen; die große
Zahl dieser seltsamen, kleinen, abgerundeten Pyramiden giebt dem Gelände ein
fremdartiges, den Neuling völlig überraschendes Gepräge, erklärt sich aber
leicht aus dem Umstände, daß es hier Dörfer so gut wie gar nicht giebt,
sondern nur große volkreiche Städte (von 30000 bis 50000 Einwohnern),
die je etwa 12 bis 15 Kilometer von einander entfernt liegen, sodaß den
Feldarbeitern die Möglichkeit eines Unterschlupfes bei plötzlichem Unwetter und
den Wächtern in der Zeit der Traubenreife ein Nachtquartier geboten werden
muß. Viele Meilen weit gleicht die Landschaft dem hier entworfnen Bilde,
das uur in südlicher Richtung durch große Ölbaumpflanzungcn eine Änderung
erfährt- Doch darf man sie sich durchaus nicht langweilig vorstellen. Sie
hat ihren eignen Reiz. Von dem intimen Zauber der toskanischen und
Trentiner Gefilde grundverschieden, beruht er auf der Weiträumigkeit, die sich
infolge der schrägen Abdachung des bebauten Geländes und der Meeresnähe
in überwältigenden Maße offenbart, zumal da man hier meist den landes¬
üblichen hohen, offnen und deshalb eine vollkommne Aussicht gewährenden
sogenannten Sciarrabas (syr. Scharrabah, aus dem französischen"*) oliar g, hano;
im Neapolitanischen: eorrivolo) benutzt.

Unsre Fahrt auf diesem zweirüdrigen, von der heutigen Kultur noch völlig




Wir sahen einige solcher Hütten gerade im Bau. Es wird ein innerer und ein äußerer
Kreis von den Steinen, die ungefähr die Größe unsrer Ziegelsteine haben (breiter aber weniger
hoch), schichtweise aufgeführt und der Zwischenraum durch regellose Steinpackung ausgefüllt.
Die Mauer mag eine durchschnittliche Stärke von einem Meter haben. Die Kosten sind fast
gleich Null, da die Steine nur von den Weinseldcrn aufgelesen zu werden brauchen. -- Noch
südlicher, an der Grenze der Provinzen Bari und Lenne finden wir eine größere Ansiedlung,
Namens Alberobcllo, die sich ganz aus solchen Häusern zusammensetzt; Abbildungen brachte
vor kurzem die Leipziger Illustrierte Zeitung (16. Februar 1899).
Es ist recht auffallend, wieviel Anklänge an das Französische sich aus der Zeit der
Franzosenherrschaft hier im Volksmunde erhalten haben; so hörten wir: tu nimium statt tutw
climiimito, lüsr statt jsri u. a.
Line Frühlingsfahrt nach den Abruzzen und nach Apulien

eine Enttäuschung gefaßt machen. Die Anpflanzung und Pflege des Rebstocks
entspricht mehr unsrer deutschen als der oberitalienischen Sitte; der einzelne
Stock wird niedrig gehalten, an einem Pfahl befestigt und mit keinem andern
Stock verbunden. Infolge der Fruchtbarkeit des Bodens sät man zwischen
die einzelnen Stöcke noch Weizen, und zwar so, daß die aufgegangnen Halme
immer ein Büschel bilden, das von einer großen Faust umspannt werden kann;
würde man den Samen in langgezognen Furchen ausstreuen wollen, so würde
es schwer fallen, die Halme zu schlagen oder zu schneiden. Außerdem pflanzt
man aber mitten in die Weinberge Nußbäume, Granaten-, Feigen- und Mandel-
büume; ja selbst Eichen finden sich in ihnen.

Eine besondre Merkwürdigkeit sind die LusöüäKö, kegelförmige Hütten, die
aus ungeglättetcn Kalksteinstücken roh und urtümlich ohne Mörtelverband")
aufgetürmt sind und allenthalben verstreut hier und dort stehen; die große
Zahl dieser seltsamen, kleinen, abgerundeten Pyramiden giebt dem Gelände ein
fremdartiges, den Neuling völlig überraschendes Gepräge, erklärt sich aber
leicht aus dem Umstände, daß es hier Dörfer so gut wie gar nicht giebt,
sondern nur große volkreiche Städte (von 30000 bis 50000 Einwohnern),
die je etwa 12 bis 15 Kilometer von einander entfernt liegen, sodaß den
Feldarbeitern die Möglichkeit eines Unterschlupfes bei plötzlichem Unwetter und
den Wächtern in der Zeit der Traubenreife ein Nachtquartier geboten werden
muß. Viele Meilen weit gleicht die Landschaft dem hier entworfnen Bilde,
das uur in südlicher Richtung durch große Ölbaumpflanzungcn eine Änderung
erfährt- Doch darf man sie sich durchaus nicht langweilig vorstellen. Sie
hat ihren eignen Reiz. Von dem intimen Zauber der toskanischen und
Trentiner Gefilde grundverschieden, beruht er auf der Weiträumigkeit, die sich
infolge der schrägen Abdachung des bebauten Geländes und der Meeresnähe
in überwältigenden Maße offenbart, zumal da man hier meist den landes¬
üblichen hohen, offnen und deshalb eine vollkommne Aussicht gewährenden
sogenannten Sciarrabas (syr. Scharrabah, aus dem französischen"*) oliar g, hano;
im Neapolitanischen: eorrivolo) benutzt.

Unsre Fahrt auf diesem zweirüdrigen, von der heutigen Kultur noch völlig




Wir sahen einige solcher Hütten gerade im Bau. Es wird ein innerer und ein äußerer
Kreis von den Steinen, die ungefähr die Größe unsrer Ziegelsteine haben (breiter aber weniger
hoch), schichtweise aufgeführt und der Zwischenraum durch regellose Steinpackung ausgefüllt.
Die Mauer mag eine durchschnittliche Stärke von einem Meter haben. Die Kosten sind fast
gleich Null, da die Steine nur von den Weinseldcrn aufgelesen zu werden brauchen. — Noch
südlicher, an der Grenze der Provinzen Bari und Lenne finden wir eine größere Ansiedlung,
Namens Alberobcllo, die sich ganz aus solchen Häusern zusammensetzt; Abbildungen brachte
vor kurzem die Leipziger Illustrierte Zeitung (16. Februar 1899).
Es ist recht auffallend, wieviel Anklänge an das Französische sich aus der Zeit der
Franzosenherrschaft hier im Volksmunde erhalten haben; so hörten wir: tu nimium statt tutw
climiimito, lüsr statt jsri u. a.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0094" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/231264"/>
          <fw type="header" place="top"> Line Frühlingsfahrt nach den Abruzzen und nach Apulien</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_259" prev="#ID_258"> eine Enttäuschung gefaßt machen. Die Anpflanzung und Pflege des Rebstocks<lb/>
entspricht mehr unsrer deutschen als der oberitalienischen Sitte; der einzelne<lb/>
Stock wird niedrig gehalten, an einem Pfahl befestigt und mit keinem andern<lb/>
Stock verbunden. Infolge der Fruchtbarkeit des Bodens sät man zwischen<lb/>
die einzelnen Stöcke noch Weizen, und zwar so, daß die aufgegangnen Halme<lb/>
immer ein Büschel bilden, das von einer großen Faust umspannt werden kann;<lb/>
würde man den Samen in langgezognen Furchen ausstreuen wollen, so würde<lb/>
es schwer fallen, die Halme zu schlagen oder zu schneiden. Außerdem pflanzt<lb/>
man aber mitten in die Weinberge Nußbäume, Granaten-, Feigen- und Mandel-<lb/>
büume; ja selbst Eichen finden sich in ihnen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_260"> Eine besondre Merkwürdigkeit sind die LusöüäKö, kegelförmige Hütten, die<lb/>
aus ungeglättetcn Kalksteinstücken roh und urtümlich ohne Mörtelverband")<lb/>
aufgetürmt sind und allenthalben verstreut hier und dort stehen; die große<lb/>
Zahl dieser seltsamen, kleinen, abgerundeten Pyramiden giebt dem Gelände ein<lb/>
fremdartiges, den Neuling völlig überraschendes Gepräge, erklärt sich aber<lb/>
leicht aus dem Umstände, daß es hier Dörfer so gut wie gar nicht giebt,<lb/>
sondern nur große volkreiche Städte (von 30000 bis 50000 Einwohnern),<lb/>
die je etwa 12 bis 15 Kilometer von einander entfernt liegen, sodaß den<lb/>
Feldarbeitern die Möglichkeit eines Unterschlupfes bei plötzlichem Unwetter und<lb/>
den Wächtern in der Zeit der Traubenreife ein Nachtquartier geboten werden<lb/>
muß. Viele Meilen weit gleicht die Landschaft dem hier entworfnen Bilde,<lb/>
das uur in südlicher Richtung durch große Ölbaumpflanzungcn eine Änderung<lb/>
erfährt- Doch darf man sie sich durchaus nicht langweilig vorstellen. Sie<lb/>
hat ihren eignen Reiz. Von dem intimen Zauber der toskanischen und<lb/>
Trentiner Gefilde grundverschieden, beruht er auf der Weiträumigkeit, die sich<lb/>
infolge der schrägen Abdachung des bebauten Geländes und der Meeresnähe<lb/>
in überwältigenden Maße offenbart, zumal da man hier meist den landes¬<lb/>
üblichen hohen, offnen und deshalb eine vollkommne Aussicht gewährenden<lb/>
sogenannten Sciarrabas (syr. Scharrabah, aus dem französischen"*) oliar g, hano;<lb/>
im Neapolitanischen: eorrivolo) benutzt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_261" next="#ID_262"> Unsre Fahrt auf diesem zweirüdrigen, von der heutigen Kultur noch völlig</p><lb/>
          <note xml:id="FID_22" place="foot"> Wir sahen einige solcher Hütten gerade im Bau. Es wird ein innerer und ein äußerer<lb/>
Kreis von den Steinen, die ungefähr die Größe unsrer Ziegelsteine haben (breiter aber weniger<lb/>
hoch), schichtweise aufgeführt und der Zwischenraum durch regellose Steinpackung ausgefüllt.<lb/>
Die Mauer mag eine durchschnittliche Stärke von einem Meter haben. Die Kosten sind fast<lb/>
gleich Null, da die Steine nur von den Weinseldcrn aufgelesen zu werden brauchen. &#x2014; Noch<lb/>
südlicher, an der Grenze der Provinzen Bari und Lenne finden wir eine größere Ansiedlung,<lb/>
Namens Alberobcllo, die sich ganz aus solchen Häusern zusammensetzt; Abbildungen brachte<lb/>
vor kurzem die Leipziger Illustrierte Zeitung (16. Februar 1899).</note><lb/>
          <note xml:id="FID_23" place="foot"> Es ist recht auffallend, wieviel Anklänge an das Französische sich aus der Zeit der<lb/>
Franzosenherrschaft hier im Volksmunde erhalten haben; so hörten wir: tu nimium statt tutw<lb/>
climiimito, lüsr statt jsri u. a.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0094] Line Frühlingsfahrt nach den Abruzzen und nach Apulien eine Enttäuschung gefaßt machen. Die Anpflanzung und Pflege des Rebstocks entspricht mehr unsrer deutschen als der oberitalienischen Sitte; der einzelne Stock wird niedrig gehalten, an einem Pfahl befestigt und mit keinem andern Stock verbunden. Infolge der Fruchtbarkeit des Bodens sät man zwischen die einzelnen Stöcke noch Weizen, und zwar so, daß die aufgegangnen Halme immer ein Büschel bilden, das von einer großen Faust umspannt werden kann; würde man den Samen in langgezognen Furchen ausstreuen wollen, so würde es schwer fallen, die Halme zu schlagen oder zu schneiden. Außerdem pflanzt man aber mitten in die Weinberge Nußbäume, Granaten-, Feigen- und Mandel- büume; ja selbst Eichen finden sich in ihnen. Eine besondre Merkwürdigkeit sind die LusöüäKö, kegelförmige Hütten, die aus ungeglättetcn Kalksteinstücken roh und urtümlich ohne Mörtelverband") aufgetürmt sind und allenthalben verstreut hier und dort stehen; die große Zahl dieser seltsamen, kleinen, abgerundeten Pyramiden giebt dem Gelände ein fremdartiges, den Neuling völlig überraschendes Gepräge, erklärt sich aber leicht aus dem Umstände, daß es hier Dörfer so gut wie gar nicht giebt, sondern nur große volkreiche Städte (von 30000 bis 50000 Einwohnern), die je etwa 12 bis 15 Kilometer von einander entfernt liegen, sodaß den Feldarbeitern die Möglichkeit eines Unterschlupfes bei plötzlichem Unwetter und den Wächtern in der Zeit der Traubenreife ein Nachtquartier geboten werden muß. Viele Meilen weit gleicht die Landschaft dem hier entworfnen Bilde, das uur in südlicher Richtung durch große Ölbaumpflanzungcn eine Änderung erfährt- Doch darf man sie sich durchaus nicht langweilig vorstellen. Sie hat ihren eignen Reiz. Von dem intimen Zauber der toskanischen und Trentiner Gefilde grundverschieden, beruht er auf der Weiträumigkeit, die sich infolge der schrägen Abdachung des bebauten Geländes und der Meeresnähe in überwältigenden Maße offenbart, zumal da man hier meist den landes¬ üblichen hohen, offnen und deshalb eine vollkommne Aussicht gewährenden sogenannten Sciarrabas (syr. Scharrabah, aus dem französischen"*) oliar g, hano; im Neapolitanischen: eorrivolo) benutzt. Unsre Fahrt auf diesem zweirüdrigen, von der heutigen Kultur noch völlig Wir sahen einige solcher Hütten gerade im Bau. Es wird ein innerer und ein äußerer Kreis von den Steinen, die ungefähr die Größe unsrer Ziegelsteine haben (breiter aber weniger hoch), schichtweise aufgeführt und der Zwischenraum durch regellose Steinpackung ausgefüllt. Die Mauer mag eine durchschnittliche Stärke von einem Meter haben. Die Kosten sind fast gleich Null, da die Steine nur von den Weinseldcrn aufgelesen zu werden brauchen. — Noch südlicher, an der Grenze der Provinzen Bari und Lenne finden wir eine größere Ansiedlung, Namens Alberobcllo, die sich ganz aus solchen Häusern zusammensetzt; Abbildungen brachte vor kurzem die Leipziger Illustrierte Zeitung (16. Februar 1899). Es ist recht auffallend, wieviel Anklänge an das Französische sich aus der Zeit der Franzosenherrschaft hier im Volksmunde erhalten haben; so hörten wir: tu nimium statt tutw climiimito, lüsr statt jsri u. a.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/94
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/94>, abgerufen am 15.01.2025.