Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.Ein Tag bei Tolstoj schmuckloser Raum mit Weißen Kalkwänden, An der einen Wand lehnte ein Ich hätte gern noch in dem interessanten Raum geweilt, aber Tolstoj, Ein Mann trat damals aus dem Gebüsch hervor und näherte sich thrä¬ Ein Tag bei Tolstoj schmuckloser Raum mit Weißen Kalkwänden, An der einen Wand lehnte ein Ich hätte gern noch in dem interessanten Raum geweilt, aber Tolstoj, Ein Mann trat damals aus dem Gebüsch hervor und näherte sich thrä¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0620" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/231790"/> <fw type="header" place="top"> Ein Tag bei Tolstoj</fw><lb/> <p xml:id="ID_2027" prev="#ID_2026"> schmuckloser Raum mit Weißen Kalkwänden, An der einen Wand lehnte ein<lb/> großes, stattlich gefülltes Bücherregal, während von einer andern zwei Fenster<lb/> eine schöne Aussicht auf das frische Grün des Parks boten. Der Arbeitstisch<lb/> des Dichters war mit Manuskripten bedeckt. Tolstoj war mit einem großen<lb/> vielbändigen neuen Werk beschäftigt. Auf einem Seitentisch fand ich ein Karten-<lb/> spiel. Tolstoj spielt öfters Patience, „um seinen Geist auszuruhen," wie er sagt.<lb/> Es herrscht absolute Ruhe in dieser „Dichterwerkstatt," in der die meisten<lb/> Werke des Bewohners geschaffen worden sind. Allerdings berührte mich<lb/> manches seltsam. An der einen Wand schien die ganze Garderobe Tolstojs<lb/> zu hängen, unter der eine stattliche Anzahl derber Stiefel Platz fand. Ein<lb/> großer Korb mit Früchten ist bei dem Vegetarianer immer vorhanden.</p><lb/> <p xml:id="ID_2028"> Ich hätte gern noch in dem interessanten Raum geweilt, aber Tolstoj,<lb/> der in seiner Bescheidenheit nicht ahnt, daß mancher gern das Arbeitszimmer<lb/> eines namhaften Schriftstellers und trefflichen Menschen sieht, beeilte sich, uns<lb/> die andern Räume seines Landhauses zu zeigen. Wir traten in das Neben¬<lb/> zimmer, wo die älteste Tochter des Dichters damit beschäftigt war, seine Briefe<lb/> zu kopieren und zu registrieren. Der sich daranschließende Salon ist ein großer,<lb/> Heller Raum, dessen Wände ebenfalls nur einfach getüncht sind; als einziger<lb/> Schmuck dient ein altes, vom Zahn der Zeit arg mitgenommnes Ölbild, das<lb/> einen Ahnen des Dichters vorstellt. Auch die Möbel sind von der größten<lb/> Einfachheit. Weder Teppiche noch Portieren schmücken den Raum. Der einzige<lb/> Luxus besteht in zwei sehr schönen Flügeln. Tolstoj liebt die Musik leiden¬<lb/> schaftlich. Er widmet ihr viel Zeit, vernachlässigt jedoch darum keineswegs<lb/> die körperlichen Übungen. So spielt er im Sommer regelmäßig einige Stunden<lb/> Tennis. Er findet dabei in seinen Kindern geschickte und behende Partner,<lb/> die ihm aber keineswegs „über" sind. Ich habe dem Dichter bei diesem<lb/> — mir ehrlich gestanden, nicht übermüßig sympathischen — Spiel zugesehen<lb/> und mich überzeugt, daß der fast siebzigjährige noch eine Gewandtheit und<lb/> Unermüdlichkeit an den Tag legte, die bei einem großen Teil unsrer Jugend<lb/> selten ist. Er spielte an diesem Nachmittage zwei Stunden fast ununterbrochen,<lb/> während die Partner mehrfach wechselten. Tolstoj glaubt nicht, daß das land¬<lb/> läufige Turnen an den verschiednen Geräten übermäßig gesund sei. Er<lb/> schwärmt mehr für die gewöhnlichen nötigen Handarbeiten, nicht etwa für<lb/> solche, die zur Herstellung bestimmter Gegenstände nötig sind, fondern für alle<lb/> die Arbeiten, die wir für gewöhnlich unsern Dienstboten überlassen, wie Holz¬<lb/> hauer, Feld- und Gartenarbeiten usw. Selten darf ihm der Diener eine<lb/> körperliche Beschäftigung oder Anstrengung abnehmen. Ich selbst erfuhr dies.<lb/> Als sich der Himmel plötzlich zu verfinstern begann, und schwere Regentropfen<lb/> herniederfielen, wurde das Spiel eingestellt. Und da rollte der Graf selbst<lb/> das Netz zusammen, zog die Pfähle aus und brachte eins nach dem andern<lb/> an seinen Platz; langsam und geduldig, obwohl dem Barhäuptigen der Regen<lb/> nur so herunterlief.</p><lb/> <p xml:id="ID_2029"> Ein Mann trat damals aus dem Gebüsch hervor und näherte sich thrä¬<lb/> nenden Auges dem Grafen. Es war ein in Not geratner Bauer, der eine<lb/> ihm günstig scheinende Zeit abgewartet hatte. Seine Hütte war tags zuvor<lb/> von den Flammen vollständig verzehrt worden, und er erbat die Hilfe des<lb/> Grafen, der sie ihm auch zusagte. Tolstoj ist im besten Sinne des Worts<lb/> ein Vater nicht nur der Bauern des Dorfes Jasnaja Potamia, sondern auch<lb/> aller Bedürftigen im weitesten Umkreis-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0620]
Ein Tag bei Tolstoj
schmuckloser Raum mit Weißen Kalkwänden, An der einen Wand lehnte ein
großes, stattlich gefülltes Bücherregal, während von einer andern zwei Fenster
eine schöne Aussicht auf das frische Grün des Parks boten. Der Arbeitstisch
des Dichters war mit Manuskripten bedeckt. Tolstoj war mit einem großen
vielbändigen neuen Werk beschäftigt. Auf einem Seitentisch fand ich ein Karten-
spiel. Tolstoj spielt öfters Patience, „um seinen Geist auszuruhen," wie er sagt.
Es herrscht absolute Ruhe in dieser „Dichterwerkstatt," in der die meisten
Werke des Bewohners geschaffen worden sind. Allerdings berührte mich
manches seltsam. An der einen Wand schien die ganze Garderobe Tolstojs
zu hängen, unter der eine stattliche Anzahl derber Stiefel Platz fand. Ein
großer Korb mit Früchten ist bei dem Vegetarianer immer vorhanden.
Ich hätte gern noch in dem interessanten Raum geweilt, aber Tolstoj,
der in seiner Bescheidenheit nicht ahnt, daß mancher gern das Arbeitszimmer
eines namhaften Schriftstellers und trefflichen Menschen sieht, beeilte sich, uns
die andern Räume seines Landhauses zu zeigen. Wir traten in das Neben¬
zimmer, wo die älteste Tochter des Dichters damit beschäftigt war, seine Briefe
zu kopieren und zu registrieren. Der sich daranschließende Salon ist ein großer,
Heller Raum, dessen Wände ebenfalls nur einfach getüncht sind; als einziger
Schmuck dient ein altes, vom Zahn der Zeit arg mitgenommnes Ölbild, das
einen Ahnen des Dichters vorstellt. Auch die Möbel sind von der größten
Einfachheit. Weder Teppiche noch Portieren schmücken den Raum. Der einzige
Luxus besteht in zwei sehr schönen Flügeln. Tolstoj liebt die Musik leiden¬
schaftlich. Er widmet ihr viel Zeit, vernachlässigt jedoch darum keineswegs
die körperlichen Übungen. So spielt er im Sommer regelmäßig einige Stunden
Tennis. Er findet dabei in seinen Kindern geschickte und behende Partner,
die ihm aber keineswegs „über" sind. Ich habe dem Dichter bei diesem
— mir ehrlich gestanden, nicht übermüßig sympathischen — Spiel zugesehen
und mich überzeugt, daß der fast siebzigjährige noch eine Gewandtheit und
Unermüdlichkeit an den Tag legte, die bei einem großen Teil unsrer Jugend
selten ist. Er spielte an diesem Nachmittage zwei Stunden fast ununterbrochen,
während die Partner mehrfach wechselten. Tolstoj glaubt nicht, daß das land¬
läufige Turnen an den verschiednen Geräten übermäßig gesund sei. Er
schwärmt mehr für die gewöhnlichen nötigen Handarbeiten, nicht etwa für
solche, die zur Herstellung bestimmter Gegenstände nötig sind, fondern für alle
die Arbeiten, die wir für gewöhnlich unsern Dienstboten überlassen, wie Holz¬
hauer, Feld- und Gartenarbeiten usw. Selten darf ihm der Diener eine
körperliche Beschäftigung oder Anstrengung abnehmen. Ich selbst erfuhr dies.
Als sich der Himmel plötzlich zu verfinstern begann, und schwere Regentropfen
herniederfielen, wurde das Spiel eingestellt. Und da rollte der Graf selbst
das Netz zusammen, zog die Pfähle aus und brachte eins nach dem andern
an seinen Platz; langsam und geduldig, obwohl dem Barhäuptigen der Regen
nur so herunterlief.
Ein Mann trat damals aus dem Gebüsch hervor und näherte sich thrä¬
nenden Auges dem Grafen. Es war ein in Not geratner Bauer, der eine
ihm günstig scheinende Zeit abgewartet hatte. Seine Hütte war tags zuvor
von den Flammen vollständig verzehrt worden, und er erbat die Hilfe des
Grafen, der sie ihm auch zusagte. Tolstoj ist im besten Sinne des Worts
ein Vater nicht nur der Bauern des Dorfes Jasnaja Potamia, sondern auch
aller Bedürftigen im weitesten Umkreis-
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