Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.Briefe eines Zurückgekehrten zu ersparen. Kreuzt man die Unstrut auf der aus der Pfalz herausführenden Wie einsam es trotzdem in den vom Verkehr entlegnen, als Sackgasse im Kaiser Ottos Leiche wurde uach Magdeburg gebracht, wo sie im Dome Briefe eines Zurückgekehrten zu ersparen. Kreuzt man die Unstrut auf der aus der Pfalz herausführenden Wie einsam es trotzdem in den vom Verkehr entlegnen, als Sackgasse im Kaiser Ottos Leiche wurde uach Magdeburg gebracht, wo sie im Dome <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0603" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/231773"/> <fw type="header" place="top"> Briefe eines Zurückgekehrten</fw><lb/> <p xml:id="ID_1966" prev="#ID_1965"> zu ersparen. Kreuzt man die Unstrut auf der aus der Pfalz herausführenden<lb/> Heubrücke, so geht man auf einem breiten Damm am linken Ufer des Flusses<lb/> bis zum Fuße des Gipsfelsens, auf dem Wendelstein in imposanten Trümmern<lb/> liegt. Dieser Damm schützt den östlichen, Memlebner Teil des Rieths vor<lb/> Überschwemmung und bot zugleich die notwendige Verbindung mit der Burg<lb/> auf dem Wendelstein, die wir uns als die militärische Ergänzung der Kaiser¬<lb/> pfalz denken müssen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1967"> Wie einsam es trotzdem in den vom Verkehr entlegnen, als Sackgasse im<lb/> Wendenland endigenden Thal gewesen sein muß, zeigt die Thatsache, daß Mem-<lb/> leben immer Dorf blieb, und wenn es auch Residenz war, immer nur Bauern<lb/> außerhalb der Pfalz beherbergt hat. Auch als der Verkehr wuchs, gingen seine<lb/> großen Linien in diesem Gebiete nicht im Unstrutthal, sondern Erfurt und Nord-<lb/> hausen bezeichnen die Hauptwege. Was war es im damals noch menschen¬<lb/> armen Deutschland, das einen welterfahrnen Herrscher wie Kaiser Otto den<lb/> Ersten in diese Waldeinsamkeit zog? Er, der in Rom residieren konnte, zog<lb/> ein kleines Jagdschlößchen in einem der waldreichsten Gebiete Deutschlands<lb/> vor. Er war also kein Städtemensch, sondern es lebten etwas von der alt¬<lb/> germanischen Naturliebe und ein Wunsch zu der Selbständigkeit in ihm, deren<lb/> Nahrung die Einsamkeit ist. Noch heute ist die Lage von Memleben friedsam<lb/> umhegt und umwallt; friedlich sind auch die rundlichen, langgezognen Umrisse<lb/> seiner Berge. Wenn der Kaiser an einem Frühlingsabend des Jahres 973<lb/> — von dem wir zufällig wissen, daß er hier weilte — nach Westen schaute<lb/> und die walddunkeln Berge, die heute die Hohe Schreck heißen, purpurn durch¬<lb/> leuchtet und den Unstrutspiegel in Gold verwandelt sah, mochte er sich selbst<lb/> auch wohlig eingehegt suhlen. Da trat wohl ein Rudel Hirsche, an der Spitze<lb/> ein Sechzehnender, aus dem Walde gegenüber der Pfalz und äste das junge<lb/> Grün des noch schmalen Wiesensaums. Und aus dem Forste hörte man Laute,<lb/> die heute verstummt sind, Stimmen des Bären, des Luchses oder des Wisent.</p><lb/> <p xml:id="ID_1968" next="#ID_1969"> Kaiser Ottos Leiche wurde uach Magdeburg gebracht, wo sie im Dome<lb/> ruht. Aus der Waldeinsamkeit in die Stadt an der großen Heerstraße, vom<lb/> Ufer des kleinen Zuflusses an den mächtigen Strom! Damals war Magdeburg<lb/> eine junge Stadt, von der vielleicht nichts als das hohe Schiff des Doms<lb/> mit seinem massigen romanischen Turm über die Mauern hervorragte. Aber<lb/> sie war einer der geschichtlichen Mittelpunkte, zeitweilig der Ausstrahlungspunkt<lb/> weltgeschichtlicher Wirkungen. Heute denken viele, die den Namen des altbe¬<lb/> rühmten Magdeburg nennen hören, nur an Zucker, Maschinen und Elbschisf-<lb/> fahrt. Magdeburg gilt nicht für eine Stadt vom geschichtlichen Range Kölns<lb/> oder Lübecks. Und doch steht seine geschichtliche Bedeutung nicht bloß in den<lb/> Urkunden, sondern spricht sich in seiner ganzen Erscheinung aus. Viele fahren<lb/> an Magdeburg vorbei, als ob es ein Häusermeer gleich allen andern wäre.<lb/> Aber die paar Jahrhunderte, um die die niedersächsischen Städte früher als</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0603]
Briefe eines Zurückgekehrten
zu ersparen. Kreuzt man die Unstrut auf der aus der Pfalz herausführenden
Heubrücke, so geht man auf einem breiten Damm am linken Ufer des Flusses
bis zum Fuße des Gipsfelsens, auf dem Wendelstein in imposanten Trümmern
liegt. Dieser Damm schützt den östlichen, Memlebner Teil des Rieths vor
Überschwemmung und bot zugleich die notwendige Verbindung mit der Burg
auf dem Wendelstein, die wir uns als die militärische Ergänzung der Kaiser¬
pfalz denken müssen.
Wie einsam es trotzdem in den vom Verkehr entlegnen, als Sackgasse im
Wendenland endigenden Thal gewesen sein muß, zeigt die Thatsache, daß Mem-
leben immer Dorf blieb, und wenn es auch Residenz war, immer nur Bauern
außerhalb der Pfalz beherbergt hat. Auch als der Verkehr wuchs, gingen seine
großen Linien in diesem Gebiete nicht im Unstrutthal, sondern Erfurt und Nord-
hausen bezeichnen die Hauptwege. Was war es im damals noch menschen¬
armen Deutschland, das einen welterfahrnen Herrscher wie Kaiser Otto den
Ersten in diese Waldeinsamkeit zog? Er, der in Rom residieren konnte, zog
ein kleines Jagdschlößchen in einem der waldreichsten Gebiete Deutschlands
vor. Er war also kein Städtemensch, sondern es lebten etwas von der alt¬
germanischen Naturliebe und ein Wunsch zu der Selbständigkeit in ihm, deren
Nahrung die Einsamkeit ist. Noch heute ist die Lage von Memleben friedsam
umhegt und umwallt; friedlich sind auch die rundlichen, langgezognen Umrisse
seiner Berge. Wenn der Kaiser an einem Frühlingsabend des Jahres 973
— von dem wir zufällig wissen, daß er hier weilte — nach Westen schaute
und die walddunkeln Berge, die heute die Hohe Schreck heißen, purpurn durch¬
leuchtet und den Unstrutspiegel in Gold verwandelt sah, mochte er sich selbst
auch wohlig eingehegt suhlen. Da trat wohl ein Rudel Hirsche, an der Spitze
ein Sechzehnender, aus dem Walde gegenüber der Pfalz und äste das junge
Grün des noch schmalen Wiesensaums. Und aus dem Forste hörte man Laute,
die heute verstummt sind, Stimmen des Bären, des Luchses oder des Wisent.
Kaiser Ottos Leiche wurde uach Magdeburg gebracht, wo sie im Dome
ruht. Aus der Waldeinsamkeit in die Stadt an der großen Heerstraße, vom
Ufer des kleinen Zuflusses an den mächtigen Strom! Damals war Magdeburg
eine junge Stadt, von der vielleicht nichts als das hohe Schiff des Doms
mit seinem massigen romanischen Turm über die Mauern hervorragte. Aber
sie war einer der geschichtlichen Mittelpunkte, zeitweilig der Ausstrahlungspunkt
weltgeschichtlicher Wirkungen. Heute denken viele, die den Namen des altbe¬
rühmten Magdeburg nennen hören, nur an Zucker, Maschinen und Elbschisf-
fahrt. Magdeburg gilt nicht für eine Stadt vom geschichtlichen Range Kölns
oder Lübecks. Und doch steht seine geschichtliche Bedeutung nicht bloß in den
Urkunden, sondern spricht sich in seiner ganzen Erscheinung aus. Viele fahren
an Magdeburg vorbei, als ob es ein Häusermeer gleich allen andern wäre.
Aber die paar Jahrhunderte, um die die niedersächsischen Städte früher als
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |