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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Briefe eines Zurückgekehrten

die ostelbischen von den großen geschichtlichen Bewegungen Süd- und West¬
europas ergriffen worden sind, haben auch hier ihre Spuren gelassen. Von
dem Hauch geschichtlicher Große um den Dom zu Magdeburg oder das alt¬
ehrwürdige Kaiser Otto-Denkmal auf dem Magdeburger Altmarkt haben Leipzig,
Dresden und Berlin nichts. Nur an der baltischen Küste ist dieser Abstand
nicht so deutlich, weil von Lübeck bis Marienburg die Triebkraft kolonialer
Entwicklung in dem einzigen dreizehnten Jahrhundert unglaublich viel nach¬
geholt hat. Magdeburg ist reich an Türmen. Der Dom ragt schon mit
seinem Schiffe so mächtig hervor, wie nnr ein Bau aus einer Zeit, die ihr
Größtes einzig in den Kirchenbau legte. Außerdem ist sein Turmpaar eine be¬
deutende Erscheinung. Viel altertümlicher sind die cylindrisch spitzdachigen
Türme der Marienkirche mit dem echt niedersächsisch-romanischen giebelartig
hohen, einfachen und doch nicht unzierlichen Mittelbau. Wenig hat die alte
Stadt aus den spätern Jahrhunderten aufzuweisen, aber die Mauern der alten
Citadelle, die das rechte Elbufer überhoben, erzählen von der hohen Stellung
Magdeburgs als Festung in der preußischen Zeit. Endlich der rege Schiffs¬
verkehr auf dem Strom und an den Länder, die langen Linien der Lager¬
häuser zeigen uns die Bedeutung Magdeburgs als Hauptstadt des Verkehrs
auf der mittlern Elbe. Wenn man, aus diesem Treiben hinaufschauend, hinter
den Bäumen des Domplatzes das massige hohe Turmpaar des Doms mit
seinen zackigen Kanten auftauchen sieht, so nahe dem Strome, wie der Dom
von Köln dem Rheine oder der Frankfurter Dom dem Main, vermischt sich die
Erinnerung an die große Vergangenheit Magdeburgs mit den Eindrücken des
pulsierenden Lebens. Der Strom verbindet Altes und Neues. Diese Lage
des Doms deutet den engen Zusammenhang einstiger und jetziger Blüte mit
dem Strome an. Man könnte das sich weiter oben anreihende, übrigens mit
Magdeburg eng zusammenhängende Buckau mit seinen Fabriken und staubigen
Ladeplätzen als eine vierte Art von historischer Landschaft, als die industrielle
neben den Elbufcrlandschaften der alten Stadt, der Citadelle und der Dampf¬
schiffländen bezeichnen.

Magdeburgs Straßen durchflutet ein bewegtes Geschäftstreiben; aber der
Eindruck der Stadt wird nicht in dein Maße davon beherrscht wie der Leipzigs
oder Haltes. Er behält mehr Altes, Edles. Aus der modernisierten, lebhaften
Regierungsstraße, die aus alter Zeit wesentlich uur die Enge bewahrt hat, tritt
man in den Kreuzgang des Klosters zu Unsrer lieben Frau, eines der zierlichen,
bei aller Strenge phantasiereichen Werke des romanischen Stils. Heute umgiebt
er einen grünen Nasen mit blühendem Gebüsch. Eschen, Birken und Weiden
schauen in die kleinen säulengeteilten Rundbogenfenster. Es ist eine wohl¬
thuende Stätte des Friedens. Wie sie reinigend auf uns wirkt, bezeugt sie
die diese Berechtigung dieser Werke der Weltflucht, die so lange bleiben wird,
als sich menschliche Herzen vom öden Alltagstreiben abwenden. Ich muß in
diesen Hallen an Memlebens Kaiserpfalz und stillen Klostergarten denken.


Briefe eines Zurückgekehrten

die ostelbischen von den großen geschichtlichen Bewegungen Süd- und West¬
europas ergriffen worden sind, haben auch hier ihre Spuren gelassen. Von
dem Hauch geschichtlicher Große um den Dom zu Magdeburg oder das alt¬
ehrwürdige Kaiser Otto-Denkmal auf dem Magdeburger Altmarkt haben Leipzig,
Dresden und Berlin nichts. Nur an der baltischen Küste ist dieser Abstand
nicht so deutlich, weil von Lübeck bis Marienburg die Triebkraft kolonialer
Entwicklung in dem einzigen dreizehnten Jahrhundert unglaublich viel nach¬
geholt hat. Magdeburg ist reich an Türmen. Der Dom ragt schon mit
seinem Schiffe so mächtig hervor, wie nnr ein Bau aus einer Zeit, die ihr
Größtes einzig in den Kirchenbau legte. Außerdem ist sein Turmpaar eine be¬
deutende Erscheinung. Viel altertümlicher sind die cylindrisch spitzdachigen
Türme der Marienkirche mit dem echt niedersächsisch-romanischen giebelartig
hohen, einfachen und doch nicht unzierlichen Mittelbau. Wenig hat die alte
Stadt aus den spätern Jahrhunderten aufzuweisen, aber die Mauern der alten
Citadelle, die das rechte Elbufer überhoben, erzählen von der hohen Stellung
Magdeburgs als Festung in der preußischen Zeit. Endlich der rege Schiffs¬
verkehr auf dem Strom und an den Länder, die langen Linien der Lager¬
häuser zeigen uns die Bedeutung Magdeburgs als Hauptstadt des Verkehrs
auf der mittlern Elbe. Wenn man, aus diesem Treiben hinaufschauend, hinter
den Bäumen des Domplatzes das massige hohe Turmpaar des Doms mit
seinen zackigen Kanten auftauchen sieht, so nahe dem Strome, wie der Dom
von Köln dem Rheine oder der Frankfurter Dom dem Main, vermischt sich die
Erinnerung an die große Vergangenheit Magdeburgs mit den Eindrücken des
pulsierenden Lebens. Der Strom verbindet Altes und Neues. Diese Lage
des Doms deutet den engen Zusammenhang einstiger und jetziger Blüte mit
dem Strome an. Man könnte das sich weiter oben anreihende, übrigens mit
Magdeburg eng zusammenhängende Buckau mit seinen Fabriken und staubigen
Ladeplätzen als eine vierte Art von historischer Landschaft, als die industrielle
neben den Elbufcrlandschaften der alten Stadt, der Citadelle und der Dampf¬
schiffländen bezeichnen.

Magdeburgs Straßen durchflutet ein bewegtes Geschäftstreiben; aber der
Eindruck der Stadt wird nicht in dein Maße davon beherrscht wie der Leipzigs
oder Haltes. Er behält mehr Altes, Edles. Aus der modernisierten, lebhaften
Regierungsstraße, die aus alter Zeit wesentlich uur die Enge bewahrt hat, tritt
man in den Kreuzgang des Klosters zu Unsrer lieben Frau, eines der zierlichen,
bei aller Strenge phantasiereichen Werke des romanischen Stils. Heute umgiebt
er einen grünen Nasen mit blühendem Gebüsch. Eschen, Birken und Weiden
schauen in die kleinen säulengeteilten Rundbogenfenster. Es ist eine wohl¬
thuende Stätte des Friedens. Wie sie reinigend auf uns wirkt, bezeugt sie
die diese Berechtigung dieser Werke der Weltflucht, die so lange bleiben wird,
als sich menschliche Herzen vom öden Alltagstreiben abwenden. Ich muß in
diesen Hallen an Memlebens Kaiserpfalz und stillen Klostergarten denken.


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[0604] Briefe eines Zurückgekehrten die ostelbischen von den großen geschichtlichen Bewegungen Süd- und West¬ europas ergriffen worden sind, haben auch hier ihre Spuren gelassen. Von dem Hauch geschichtlicher Große um den Dom zu Magdeburg oder das alt¬ ehrwürdige Kaiser Otto-Denkmal auf dem Magdeburger Altmarkt haben Leipzig, Dresden und Berlin nichts. Nur an der baltischen Küste ist dieser Abstand nicht so deutlich, weil von Lübeck bis Marienburg die Triebkraft kolonialer Entwicklung in dem einzigen dreizehnten Jahrhundert unglaublich viel nach¬ geholt hat. Magdeburg ist reich an Türmen. Der Dom ragt schon mit seinem Schiffe so mächtig hervor, wie nnr ein Bau aus einer Zeit, die ihr Größtes einzig in den Kirchenbau legte. Außerdem ist sein Turmpaar eine be¬ deutende Erscheinung. Viel altertümlicher sind die cylindrisch spitzdachigen Türme der Marienkirche mit dem echt niedersächsisch-romanischen giebelartig hohen, einfachen und doch nicht unzierlichen Mittelbau. Wenig hat die alte Stadt aus den spätern Jahrhunderten aufzuweisen, aber die Mauern der alten Citadelle, die das rechte Elbufer überhoben, erzählen von der hohen Stellung Magdeburgs als Festung in der preußischen Zeit. Endlich der rege Schiffs¬ verkehr auf dem Strom und an den Länder, die langen Linien der Lager¬ häuser zeigen uns die Bedeutung Magdeburgs als Hauptstadt des Verkehrs auf der mittlern Elbe. Wenn man, aus diesem Treiben hinaufschauend, hinter den Bäumen des Domplatzes das massige hohe Turmpaar des Doms mit seinen zackigen Kanten auftauchen sieht, so nahe dem Strome, wie der Dom von Köln dem Rheine oder der Frankfurter Dom dem Main, vermischt sich die Erinnerung an die große Vergangenheit Magdeburgs mit den Eindrücken des pulsierenden Lebens. Der Strom verbindet Altes und Neues. Diese Lage des Doms deutet den engen Zusammenhang einstiger und jetziger Blüte mit dem Strome an. Man könnte das sich weiter oben anreihende, übrigens mit Magdeburg eng zusammenhängende Buckau mit seinen Fabriken und staubigen Ladeplätzen als eine vierte Art von historischer Landschaft, als die industrielle neben den Elbufcrlandschaften der alten Stadt, der Citadelle und der Dampf¬ schiffländen bezeichnen. Magdeburgs Straßen durchflutet ein bewegtes Geschäftstreiben; aber der Eindruck der Stadt wird nicht in dein Maße davon beherrscht wie der Leipzigs oder Haltes. Er behält mehr Altes, Edles. Aus der modernisierten, lebhaften Regierungsstraße, die aus alter Zeit wesentlich uur die Enge bewahrt hat, tritt man in den Kreuzgang des Klosters zu Unsrer lieben Frau, eines der zierlichen, bei aller Strenge phantasiereichen Werke des romanischen Stils. Heute umgiebt er einen grünen Nasen mit blühendem Gebüsch. Eschen, Birken und Weiden schauen in die kleinen säulengeteilten Rundbogenfenster. Es ist eine wohl¬ thuende Stätte des Friedens. Wie sie reinigend auf uns wirkt, bezeugt sie die diese Berechtigung dieser Werke der Weltflucht, die so lange bleiben wird, als sich menschliche Herzen vom öden Alltagstreiben abwenden. Ich muß in diesen Hallen an Memlebens Kaiserpfalz und stillen Klostergarten denken.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/604>, abgerufen am 15.01.2025.