Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.Briefe eines Zurückgekehrten Wo die mit saftigem Grase bewachsenen Lichtungen an den Bächen hin in Es ist ein tröstlicher Gedanke, daß nicht ganz so ausgestorben die Ge¬ Grenzboten III I3S9 75
Briefe eines Zurückgekehrten Wo die mit saftigem Grase bewachsenen Lichtungen an den Bächen hin in Es ist ein tröstlicher Gedanke, daß nicht ganz so ausgestorben die Ge¬ Grenzboten III I3S9 75
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0601" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/231771"/> <fw type="header" place="top"> Briefe eines Zurückgekehrten</fw><lb/> <p xml:id="ID_1960" prev="#ID_1959"> Wo die mit saftigem Grase bewachsenen Lichtungen an den Bächen hin in<lb/> diesen dunkeln Harzwald hineinziehen, entstehn überall die schönsten Gegensätze<lb/> der Lage und der Farbe. Die Bevölkerung des innern Harzes ist arm, aber<lb/> ihre Dörfer sind reinlich und gut gehalten. Und uuter den größern Orten<lb/> des Harzrandes giebt es manche, so freundliche altertümliche Städtchen, wie<lb/> Wernigerode mit seinem ragenden Schloß, und so modern blühende, wie Harz¬<lb/> burg, die Stadt der Gasthäuser und Pensionen. Alle diese Nandstädte haben<lb/> irgend ein eigentümliches Verhältnis zu der Natur: einst suchten sie in ihr Schutz,<lb/> heute begünstigt dasselbe Verhältnis ihre Entwicklung zu vielbesuchten Sommer¬<lb/> frischen. Die wilden Felsenmeere von Schierke, die Granitblöcke des Brockens, die<lb/> wundervoll leuchtenden Moospolster auf den Felsen der braunen murmelnden<lb/> Waldbäche, das Brockengespenst: das sind ja Dinge der Natur; aber es sind<lb/> wilde Gewächse im Garten der Kulturlandschaft, die bei der lichtender Arbeit<lb/> stehn geblieben sind. Sie hauchen einen kräftigen Duft hinein. Man sollte sie<lb/> nicht ausgehn lassen, es ist für manche von ihnen ohnehin Gefahr, daß sie ganz<lb/> verdrängt werden und das Schicksal teilen des Bären und Luchses, deren alte<lb/> Knochen man mit Staunen aus Höhlen herträgt, oder der Eibe, deren dunkel¬<lb/> braun gewordne Stämme in der Tiefe der Moore ruhn.</p><lb/> <p xml:id="ID_1961" next="#ID_1962"> Es ist ein tröstlicher Gedanke, daß nicht ganz so ausgestorben die Ge¬<lb/> schlechter der Menschen sind, die einst hier ruhmvoll walteten. Die Leiber der<lb/> alten Welfeuherzöge und Sachseukaiser modern in den Grüften von Braun¬<lb/> schweig, Magdeburg, Quedlinburg, aber es ist sicher, daß mancher Teil ihres<lb/> Blutes in der Kette der Generationen bis in das Geschlecht der Jetztlebenden<lb/> herabgelangt ist. Ich habe nicht die geringste Neigung, darüber genealogische<lb/> Studien anzustellen, die ich unter den überflüssigen zu den unnützesten rechne.<lb/> Ich sehe mich vielmehr unter den Menschen um, die hier wandeln und handeln,<lb/> und da finde ich Thatkraft und Zähigkeit, die aus Zügen sprechen, die viel¬<lb/> fach den Zügen jener Alten, Großen gleichen. Besonders Otto der Große,<lb/> der auch nach seiner äußern Erscheinung am besten gekannte uuter den säch¬<lb/> sischen Kaisern, hat so manchen lebendigen Vertreter unter den Förstern oder<lb/> den Husarenmajoren, aber anch unter den Holzfällern von heute. Wohl ist<lb/> halbslawisches Blut auch in die Harzlande gedrungen und hat breite ausdrucks¬<lb/> lose Gesichter mit demütigen Mienen erzeugt, die übrigens von alters her unter<lb/> kriegsgefangnen Sklaven erblich sein konnten. Aber ich glaube gerade auf<lb/> diesem Boden nicht an Ammons Lehre von dem notwendigen Aussterben der<lb/> herrschenden Klasse und ihrem Ersatz durch aufsteigende niedere Schichten von<lb/> niedrigerer Beanlagung. Mehr noch im westlichen Niedersachsen, besonders in<lb/> Westfalen, als hier sehe ich ein Volk von Herrschergestalten, das selbst in den<lb/> Industriegebieten nicht entartet ist. Ammons Lehre ist in Baden entstanden,<lb/> wo seit mehr als zweitausend Jahren Kelten und Römer mit Germanen ge¬<lb/> mischt sind. Vielleicht hat auch die in demselben bevorzugten Winkel Deutsch-</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten III I3S9 75</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0601]
Briefe eines Zurückgekehrten
Wo die mit saftigem Grase bewachsenen Lichtungen an den Bächen hin in
diesen dunkeln Harzwald hineinziehen, entstehn überall die schönsten Gegensätze
der Lage und der Farbe. Die Bevölkerung des innern Harzes ist arm, aber
ihre Dörfer sind reinlich und gut gehalten. Und uuter den größern Orten
des Harzrandes giebt es manche, so freundliche altertümliche Städtchen, wie
Wernigerode mit seinem ragenden Schloß, und so modern blühende, wie Harz¬
burg, die Stadt der Gasthäuser und Pensionen. Alle diese Nandstädte haben
irgend ein eigentümliches Verhältnis zu der Natur: einst suchten sie in ihr Schutz,
heute begünstigt dasselbe Verhältnis ihre Entwicklung zu vielbesuchten Sommer¬
frischen. Die wilden Felsenmeere von Schierke, die Granitblöcke des Brockens, die
wundervoll leuchtenden Moospolster auf den Felsen der braunen murmelnden
Waldbäche, das Brockengespenst: das sind ja Dinge der Natur; aber es sind
wilde Gewächse im Garten der Kulturlandschaft, die bei der lichtender Arbeit
stehn geblieben sind. Sie hauchen einen kräftigen Duft hinein. Man sollte sie
nicht ausgehn lassen, es ist für manche von ihnen ohnehin Gefahr, daß sie ganz
verdrängt werden und das Schicksal teilen des Bären und Luchses, deren alte
Knochen man mit Staunen aus Höhlen herträgt, oder der Eibe, deren dunkel¬
braun gewordne Stämme in der Tiefe der Moore ruhn.
Es ist ein tröstlicher Gedanke, daß nicht ganz so ausgestorben die Ge¬
schlechter der Menschen sind, die einst hier ruhmvoll walteten. Die Leiber der
alten Welfeuherzöge und Sachseukaiser modern in den Grüften von Braun¬
schweig, Magdeburg, Quedlinburg, aber es ist sicher, daß mancher Teil ihres
Blutes in der Kette der Generationen bis in das Geschlecht der Jetztlebenden
herabgelangt ist. Ich habe nicht die geringste Neigung, darüber genealogische
Studien anzustellen, die ich unter den überflüssigen zu den unnützesten rechne.
Ich sehe mich vielmehr unter den Menschen um, die hier wandeln und handeln,
und da finde ich Thatkraft und Zähigkeit, die aus Zügen sprechen, die viel¬
fach den Zügen jener Alten, Großen gleichen. Besonders Otto der Große,
der auch nach seiner äußern Erscheinung am besten gekannte uuter den säch¬
sischen Kaisern, hat so manchen lebendigen Vertreter unter den Förstern oder
den Husarenmajoren, aber anch unter den Holzfällern von heute. Wohl ist
halbslawisches Blut auch in die Harzlande gedrungen und hat breite ausdrucks¬
lose Gesichter mit demütigen Mienen erzeugt, die übrigens von alters her unter
kriegsgefangnen Sklaven erblich sein konnten. Aber ich glaube gerade auf
diesem Boden nicht an Ammons Lehre von dem notwendigen Aussterben der
herrschenden Klasse und ihrem Ersatz durch aufsteigende niedere Schichten von
niedrigerer Beanlagung. Mehr noch im westlichen Niedersachsen, besonders in
Westfalen, als hier sehe ich ein Volk von Herrschergestalten, das selbst in den
Industriegebieten nicht entartet ist. Ammons Lehre ist in Baden entstanden,
wo seit mehr als zweitausend Jahren Kelten und Römer mit Germanen ge¬
mischt sind. Vielleicht hat auch die in demselben bevorzugten Winkel Deutsch-
Grenzboten III I3S9 75
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |