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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Okkultismus und Buddhismus

Über alle Götter hat er nun Gewalt erlangt, sodciß sich ohne seinen
Willen keiner von ihnen von der Stelle zu rühren vermag, während ihn kein
Gott verhindern kann, sich nach Belieben zu bewegen. Und unerhörte Macht
verleiht er auch seinen Schülern. Einer von diesen. Mogallano, hatte des
Meisters Lehre verkündet: um erlöst zu werden, müsse man die Lebenslust
auslöschen und einsehen, daß kein Ding irgend welcher Mühe wert sei. Des¬
halb zeigte ihm der Götterkönig das Schloß, das er sich zur Feier des Sieges
der Götter über die Dämonen gebaut hatte. Dieses Schloß hatte hundert
Thore; jedes Thor führte zu sieben mal siebenhundert Terrassen, und auf jeder
Terrasse lockten sieben mal sieben Nymphen, deren jede sieben mal sieben Ge¬
spielinnen hatte. Da versetzte der ehrwürdige Mogallano den Götterkönig mit
seinen dreiunddreißig Göttern in Todesangst, indem er diese ganze Herrlichkeit
durch einen Stoß seiner großen Zehe ins Wanken brachte. Keine üble Selbst¬
verspottung der indischen Phantasie, die sich in Traumherrlichkeiten zu ergehn
liebt! In einer der Vuddhcilcgenden vergißt übrigens Buddha selbst als Gott
in Haremsfreuden eine Zeit lang seine Erlöseranfgabe. Nach den mitgeteilten
Proben möge man, nebenbei bemerkt, die Ansicht würdigen, die Rhhs Davids
in der Vorrede ausspricht, daß die Zwiegespräche Gautmnas in unsern Schulen
mit den Dialogen Platos auf eine Linie gestellt werden sollten. Aber nun
die Hauptsache! Abgesehen davon, daß es Blasphemie ist, die Evangelien
aus phantastischen Märchen abzuleiten, die auch noch die guten, wahren und
erhabnen Gedanken, die darin stecken, mit einem Wust von Unsinn umhüllen,
und die teils wahnsinnigen Pfaffenhochmut bekunden, teils eine der Lehre Jesu
widersprechende Weltverneinung ausdrücken, was ergiebt denn eine nüchtern
kritische Erwägung, wenn wir die Evangelien nur als rein menschliche Litte¬
raturerzeugnisse betrachten? Wenn wir zwei Erzählungen neben einander
haben, eine ganz schlichte von Begebenheiten, die der Hauptsache nach im
Laufe eines gewöhnlichen Menschenlebens möglich find, und in die nur wenige,
durch einen hohen sittlichen und symbolische" Gehalt gerechtfertigte übernatür¬
liche, aber nicht phantastisch ausgeschmückte Züge eingestreut sind, daneben aber
eine phantastisch verzerrte und ungeheuerlich überladne Darstellung, die als
Karikatur der einfachen Darstellung bezeichnet werden muß -- welche der beiden
Darstellungen wird da wohl das Original sein? Kein verständiger Kritiker
wird die Karikatur für das Original halten.

Wir haben also im Buddhismus einen Brahmanismus zu sehen, der
christliche Ideen aufgenommen, sie aber seinen einerseits pessimistisch-nihilistischen,
andrerseits phantastisch-lüsternen Neigungen nach gefälscht und in seine ma߬
losen metaphysischen Spekulationen eingesponnen hat. Und dieser Prozeß
wird sich noch öfter wiederholt haben und gerade in den letzten Jahrhunderten
sehr lebendig geworden sein, wo mit den Engländern die ganze europäische
Gedankenwelt in Indien eingedrungen ist. Es kann sogar einem Sinnett recht


Okkultismus und Buddhismus

Über alle Götter hat er nun Gewalt erlangt, sodciß sich ohne seinen
Willen keiner von ihnen von der Stelle zu rühren vermag, während ihn kein
Gott verhindern kann, sich nach Belieben zu bewegen. Und unerhörte Macht
verleiht er auch seinen Schülern. Einer von diesen. Mogallano, hatte des
Meisters Lehre verkündet: um erlöst zu werden, müsse man die Lebenslust
auslöschen und einsehen, daß kein Ding irgend welcher Mühe wert sei. Des¬
halb zeigte ihm der Götterkönig das Schloß, das er sich zur Feier des Sieges
der Götter über die Dämonen gebaut hatte. Dieses Schloß hatte hundert
Thore; jedes Thor führte zu sieben mal siebenhundert Terrassen, und auf jeder
Terrasse lockten sieben mal sieben Nymphen, deren jede sieben mal sieben Ge¬
spielinnen hatte. Da versetzte der ehrwürdige Mogallano den Götterkönig mit
seinen dreiunddreißig Göttern in Todesangst, indem er diese ganze Herrlichkeit
durch einen Stoß seiner großen Zehe ins Wanken brachte. Keine üble Selbst¬
verspottung der indischen Phantasie, die sich in Traumherrlichkeiten zu ergehn
liebt! In einer der Vuddhcilcgenden vergißt übrigens Buddha selbst als Gott
in Haremsfreuden eine Zeit lang seine Erlöseranfgabe. Nach den mitgeteilten
Proben möge man, nebenbei bemerkt, die Ansicht würdigen, die Rhhs Davids
in der Vorrede ausspricht, daß die Zwiegespräche Gautmnas in unsern Schulen
mit den Dialogen Platos auf eine Linie gestellt werden sollten. Aber nun
die Hauptsache! Abgesehen davon, daß es Blasphemie ist, die Evangelien
aus phantastischen Märchen abzuleiten, die auch noch die guten, wahren und
erhabnen Gedanken, die darin stecken, mit einem Wust von Unsinn umhüllen,
und die teils wahnsinnigen Pfaffenhochmut bekunden, teils eine der Lehre Jesu
widersprechende Weltverneinung ausdrücken, was ergiebt denn eine nüchtern
kritische Erwägung, wenn wir die Evangelien nur als rein menschliche Litte¬
raturerzeugnisse betrachten? Wenn wir zwei Erzählungen neben einander
haben, eine ganz schlichte von Begebenheiten, die der Hauptsache nach im
Laufe eines gewöhnlichen Menschenlebens möglich find, und in die nur wenige,
durch einen hohen sittlichen und symbolische« Gehalt gerechtfertigte übernatür¬
liche, aber nicht phantastisch ausgeschmückte Züge eingestreut sind, daneben aber
eine phantastisch verzerrte und ungeheuerlich überladne Darstellung, die als
Karikatur der einfachen Darstellung bezeichnet werden muß — welche der beiden
Darstellungen wird da wohl das Original sein? Kein verständiger Kritiker
wird die Karikatur für das Original halten.

Wir haben also im Buddhismus einen Brahmanismus zu sehen, der
christliche Ideen aufgenommen, sie aber seinen einerseits pessimistisch-nihilistischen,
andrerseits phantastisch-lüsternen Neigungen nach gefälscht und in seine ma߬
losen metaphysischen Spekulationen eingesponnen hat. Und dieser Prozeß
wird sich noch öfter wiederholt haben und gerade in den letzten Jahrhunderten
sehr lebendig geworden sein, wo mit den Engländern die ganze europäische
Gedankenwelt in Indien eingedrungen ist. Es kann sogar einem Sinnett recht


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[0555] Okkultismus und Buddhismus Über alle Götter hat er nun Gewalt erlangt, sodciß sich ohne seinen Willen keiner von ihnen von der Stelle zu rühren vermag, während ihn kein Gott verhindern kann, sich nach Belieben zu bewegen. Und unerhörte Macht verleiht er auch seinen Schülern. Einer von diesen. Mogallano, hatte des Meisters Lehre verkündet: um erlöst zu werden, müsse man die Lebenslust auslöschen und einsehen, daß kein Ding irgend welcher Mühe wert sei. Des¬ halb zeigte ihm der Götterkönig das Schloß, das er sich zur Feier des Sieges der Götter über die Dämonen gebaut hatte. Dieses Schloß hatte hundert Thore; jedes Thor führte zu sieben mal siebenhundert Terrassen, und auf jeder Terrasse lockten sieben mal sieben Nymphen, deren jede sieben mal sieben Ge¬ spielinnen hatte. Da versetzte der ehrwürdige Mogallano den Götterkönig mit seinen dreiunddreißig Göttern in Todesangst, indem er diese ganze Herrlichkeit durch einen Stoß seiner großen Zehe ins Wanken brachte. Keine üble Selbst¬ verspottung der indischen Phantasie, die sich in Traumherrlichkeiten zu ergehn liebt! In einer der Vuddhcilcgenden vergißt übrigens Buddha selbst als Gott in Haremsfreuden eine Zeit lang seine Erlöseranfgabe. Nach den mitgeteilten Proben möge man, nebenbei bemerkt, die Ansicht würdigen, die Rhhs Davids in der Vorrede ausspricht, daß die Zwiegespräche Gautmnas in unsern Schulen mit den Dialogen Platos auf eine Linie gestellt werden sollten. Aber nun die Hauptsache! Abgesehen davon, daß es Blasphemie ist, die Evangelien aus phantastischen Märchen abzuleiten, die auch noch die guten, wahren und erhabnen Gedanken, die darin stecken, mit einem Wust von Unsinn umhüllen, und die teils wahnsinnigen Pfaffenhochmut bekunden, teils eine der Lehre Jesu widersprechende Weltverneinung ausdrücken, was ergiebt denn eine nüchtern kritische Erwägung, wenn wir die Evangelien nur als rein menschliche Litte¬ raturerzeugnisse betrachten? Wenn wir zwei Erzählungen neben einander haben, eine ganz schlichte von Begebenheiten, die der Hauptsache nach im Laufe eines gewöhnlichen Menschenlebens möglich find, und in die nur wenige, durch einen hohen sittlichen und symbolische« Gehalt gerechtfertigte übernatür¬ liche, aber nicht phantastisch ausgeschmückte Züge eingestreut sind, daneben aber eine phantastisch verzerrte und ungeheuerlich überladne Darstellung, die als Karikatur der einfachen Darstellung bezeichnet werden muß — welche der beiden Darstellungen wird da wohl das Original sein? Kein verständiger Kritiker wird die Karikatur für das Original halten. Wir haben also im Buddhismus einen Brahmanismus zu sehen, der christliche Ideen aufgenommen, sie aber seinen einerseits pessimistisch-nihilistischen, andrerseits phantastisch-lüsternen Neigungen nach gefälscht und in seine ma߬ losen metaphysischen Spekulationen eingesponnen hat. Und dieser Prozeß wird sich noch öfter wiederholt haben und gerade in den letzten Jahrhunderten sehr lebendig geworden sein, wo mit den Engländern die ganze europäische Gedankenwelt in Indien eingedrungen ist. Es kann sogar einem Sinnett recht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/555>, abgerufen am 15.01.2025.