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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Okkultismus und Buddhismus

lichten, er achtet das Ritualgesetz seines Volkes gering, er erzählt Parabeln
vom Senfkorn, vom Säemann, vom Unkraut, und auch im Buddhismus ist
gerade an das Gebot: Du sollst Vater und Mutter ehren (ernähren heißt es
dort) eine Verheißung geknüpft. Aber wie sieht das alles in den buddhistischen
Evangelien aus! Bei der Empfängnis Buddhas träumt seiner Mutter, ein
weißer Elefant dringe in ihre rechte Seite ein. Zweiunddreißig Vorzeichen
künden das Wunder an. Die 10000 Welten sind mit Licht erfüllt, die Blinden
sehen, die Tauben hören, die Stummen reden, die Lahmen gehn, die Buckligen
werden gerade, die Gefangnen werden befreit, alle Wesen im Himmel und auf
Erden werden mit Freude erfüllt, und sogar die Qualen der Verdammten durch
Auslöschung des Höllenfeners gemildert. Zehn Monate sitzt das Kind, deut¬
lich sichtbar, im Mutterleibe mit gekreuzten Beinen würdevoll da und predigt
den Engeln, wobei es seine Hand ausstreckt, ohne der Mutter wehe zu thun.
Von seinem Fasten aber erzählt Buddha selbst in den von Neumann heraus¬
gegebnen Gesprächen seinem berühmtesten Schüler, er habe längere Zeit hin¬
durch täglich nur einen Steinapfel genossen. "Nun möchtest du, Sariputto,
wohl meinen, es habe damals größere Steiuäpfel gegeben. Doch wäre eine
solche Meinung unrichtig, o Sariputto; auch damals wurden Steinüpfel nur
ebenso groß wie heute." Dann beschränkt er seine Nahrung auf ein Reiskorn
täglich. "Nun möchtest du, Sariputto, wohl meinen, es habe damals größern
Reis gegeben usw." Dann nährt er sich von Rindermist, zuletzt verschlingt
er seinen eignen Kot- Er magert dermaßen ab, daß, wenn er seine Bauchdecke
befühlt, er bis an die Rückenhaut durchgreift. Einigermaßen gefestigt wird
dieses Hautgebilde durch die Schinutzkruste, die es umhüllt, und deren oberste
Schicht von Zeit zu Zeit abfällt. Als Lager wählt er sich einen Leichen¬
haufen, und die Hirtenkinder benutzen den dort Liegenden als Abort. In
diesem Zustande erlangt er die Vollkommenheit, erinnert sich seiner frühern
Lebensläufe in seinen hunderttausend Verkörperungen und wird seine Gott¬
heit inne:

Allüberwinder, Merkenner bin ich,
Von allen Dingen ewig abgeschieden,
Verneinend alles, lebenswahngelnutcrt,
Durch mich allein belehrt: wen kann ich half Lehrer) nennen?
Kein Lehrer hat mich aufgeklärt,
Kein Wesen giebt es, das mir gleicht,
Die Welt mit ihren Göttern hat
Nicht einen Ebenbürtigen.
Denn ich bin ja der Herr der Welt,
Der höchste Meister, der bin ich,
Ein einzig allvollendeter
Vollkommen Wahnerloschener.

Okkultismus und Buddhismus

lichten, er achtet das Ritualgesetz seines Volkes gering, er erzählt Parabeln
vom Senfkorn, vom Säemann, vom Unkraut, und auch im Buddhismus ist
gerade an das Gebot: Du sollst Vater und Mutter ehren (ernähren heißt es
dort) eine Verheißung geknüpft. Aber wie sieht das alles in den buddhistischen
Evangelien aus! Bei der Empfängnis Buddhas träumt seiner Mutter, ein
weißer Elefant dringe in ihre rechte Seite ein. Zweiunddreißig Vorzeichen
künden das Wunder an. Die 10000 Welten sind mit Licht erfüllt, die Blinden
sehen, die Tauben hören, die Stummen reden, die Lahmen gehn, die Buckligen
werden gerade, die Gefangnen werden befreit, alle Wesen im Himmel und auf
Erden werden mit Freude erfüllt, und sogar die Qualen der Verdammten durch
Auslöschung des Höllenfeners gemildert. Zehn Monate sitzt das Kind, deut¬
lich sichtbar, im Mutterleibe mit gekreuzten Beinen würdevoll da und predigt
den Engeln, wobei es seine Hand ausstreckt, ohne der Mutter wehe zu thun.
Von seinem Fasten aber erzählt Buddha selbst in den von Neumann heraus¬
gegebnen Gesprächen seinem berühmtesten Schüler, er habe längere Zeit hin¬
durch täglich nur einen Steinapfel genossen. „Nun möchtest du, Sariputto,
wohl meinen, es habe damals größere Steiuäpfel gegeben. Doch wäre eine
solche Meinung unrichtig, o Sariputto; auch damals wurden Steinüpfel nur
ebenso groß wie heute." Dann beschränkt er seine Nahrung auf ein Reiskorn
täglich. „Nun möchtest du, Sariputto, wohl meinen, es habe damals größern
Reis gegeben usw." Dann nährt er sich von Rindermist, zuletzt verschlingt
er seinen eignen Kot- Er magert dermaßen ab, daß, wenn er seine Bauchdecke
befühlt, er bis an die Rückenhaut durchgreift. Einigermaßen gefestigt wird
dieses Hautgebilde durch die Schinutzkruste, die es umhüllt, und deren oberste
Schicht von Zeit zu Zeit abfällt. Als Lager wählt er sich einen Leichen¬
haufen, und die Hirtenkinder benutzen den dort Liegenden als Abort. In
diesem Zustande erlangt er die Vollkommenheit, erinnert sich seiner frühern
Lebensläufe in seinen hunderttausend Verkörperungen und wird seine Gott¬
heit inne:

Allüberwinder, Merkenner bin ich,
Von allen Dingen ewig abgeschieden,
Verneinend alles, lebenswahngelnutcrt,
Durch mich allein belehrt: wen kann ich half Lehrer) nennen?
Kein Lehrer hat mich aufgeklärt,
Kein Wesen giebt es, das mir gleicht,
Die Welt mit ihren Göttern hat
Nicht einen Ebenbürtigen.
Denn ich bin ja der Herr der Welt,
Der höchste Meister, der bin ich,
Ein einzig allvollendeter
Vollkommen Wahnerloschener.

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[0554] Okkultismus und Buddhismus lichten, er achtet das Ritualgesetz seines Volkes gering, er erzählt Parabeln vom Senfkorn, vom Säemann, vom Unkraut, und auch im Buddhismus ist gerade an das Gebot: Du sollst Vater und Mutter ehren (ernähren heißt es dort) eine Verheißung geknüpft. Aber wie sieht das alles in den buddhistischen Evangelien aus! Bei der Empfängnis Buddhas träumt seiner Mutter, ein weißer Elefant dringe in ihre rechte Seite ein. Zweiunddreißig Vorzeichen künden das Wunder an. Die 10000 Welten sind mit Licht erfüllt, die Blinden sehen, die Tauben hören, die Stummen reden, die Lahmen gehn, die Buckligen werden gerade, die Gefangnen werden befreit, alle Wesen im Himmel und auf Erden werden mit Freude erfüllt, und sogar die Qualen der Verdammten durch Auslöschung des Höllenfeners gemildert. Zehn Monate sitzt das Kind, deut¬ lich sichtbar, im Mutterleibe mit gekreuzten Beinen würdevoll da und predigt den Engeln, wobei es seine Hand ausstreckt, ohne der Mutter wehe zu thun. Von seinem Fasten aber erzählt Buddha selbst in den von Neumann heraus¬ gegebnen Gesprächen seinem berühmtesten Schüler, er habe längere Zeit hin¬ durch täglich nur einen Steinapfel genossen. „Nun möchtest du, Sariputto, wohl meinen, es habe damals größere Steiuäpfel gegeben. Doch wäre eine solche Meinung unrichtig, o Sariputto; auch damals wurden Steinüpfel nur ebenso groß wie heute." Dann beschränkt er seine Nahrung auf ein Reiskorn täglich. „Nun möchtest du, Sariputto, wohl meinen, es habe damals größern Reis gegeben usw." Dann nährt er sich von Rindermist, zuletzt verschlingt er seinen eignen Kot- Er magert dermaßen ab, daß, wenn er seine Bauchdecke befühlt, er bis an die Rückenhaut durchgreift. Einigermaßen gefestigt wird dieses Hautgebilde durch die Schinutzkruste, die es umhüllt, und deren oberste Schicht von Zeit zu Zeit abfällt. Als Lager wählt er sich einen Leichen¬ haufen, und die Hirtenkinder benutzen den dort Liegenden als Abort. In diesem Zustande erlangt er die Vollkommenheit, erinnert sich seiner frühern Lebensläufe in seinen hunderttausend Verkörperungen und wird seine Gott¬ heit inne: Allüberwinder, Merkenner bin ich, Von allen Dingen ewig abgeschieden, Verneinend alles, lebenswahngelnutcrt, Durch mich allein belehrt: wen kann ich half Lehrer) nennen? Kein Lehrer hat mich aufgeklärt, Kein Wesen giebt es, das mir gleicht, Die Welt mit ihren Göttern hat Nicht einen Ebenbürtigen. Denn ich bin ja der Herr der Welt, Der höchste Meister, der bin ich, Ein einzig allvollendeter Vollkommen Wahnerloschener.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/554>, abgerufen am 15.01.2025.