Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.Ein deutsches Kiinstlerleben Schauer der Geisterwelt und des ewigen Weltgerichts an. Er stand un¬ In Overbeck verehrte Wasmann nicht nur den frommen, christlichen Maler, Anekdotische Berichte dieser Art, auf die sich Wasmann so gut verstand, Grenzboten U1 1899 <!<i
Ein deutsches Kiinstlerleben Schauer der Geisterwelt und des ewigen Weltgerichts an. Er stand un¬ In Overbeck verehrte Wasmann nicht nur den frommen, christlichen Maler, Anekdotische Berichte dieser Art, auf die sich Wasmann so gut verstand, Grenzboten U1 1899 <!<i
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0529" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/231699"/> <fw type="header" place="top"> Ein deutsches Kiinstlerleben</fw><lb/> <p xml:id="ID_1725" prev="#ID_1724"> Schauer der Geisterwelt und des ewigen Weltgerichts an. Er stand un¬<lb/> beweglich wie eine Bildsäule, und niemand wagte, sich ihm zu nahen, ihn an¬<lb/> zureden und in seinen Phantasien zu stören." Zum Schlüsse seines römischen<lb/> Aufenthalts konnte Wasmann noch an dem Abschiedsfest zu Ehren des<lb/> Cornelius teilnehmen, bei dem auch Overbeck und Ingres, der Nachfolger<lb/> Vernets als Direktor der Pariser Akademie, zugegen waren. Gegen Ende der<lb/> Tafel trat Cornelius Tochter in den Saal, von den Anwesenden mit Jubel<lb/> begrüßt. Jugres flüsterte dem neben ihm sitzenden Overbeck echt französisch<lb/> zu: Lst-eilf llmriös? Als gelegentlich ein Rheinländer das bekannte parodistische<lb/> Trinklied „Als Noah aus dem Kasten war" deklamierte, entfernte sich Overbeck<lb/> sofort; als ihn Wasmann anderntags besuchte und fröhlich beim Malen traf,<lb/> bekannte er ihm, daß es ihm nicht leicht angekommen, fortzugehn beim Anblick<lb/> der schönen Torten, die im Vorzimmer für den Schmaus hergerichtet standen;<lb/> aber er könne unmöglich ertragen, die heiligsten Geheimnisse und Vorbilder<lb/> der Erlösung so jämmerlich parodiert zu hören.</p><lb/> <p xml:id="ID_1726"> In Overbeck verehrte Wasmann nicht nur den frommen, christlichen Maler,<lb/> sondern den „treuen, väterlichen Freund," der er ihm war. Als Wasmann<lb/> im vierten Jahre seines römischen Aufenthalts zur katholischen Kirche über¬<lb/> trat, war Overbeck sein Firmpate. Mit welchen feindlichen Blicken dieser aber<lb/> nicht nur die Antike, sondern anch jede wohlgeratene und heitere Sinnlichkeit<lb/> betrachtete, und bis zu welchem Grade er in Askese und frommer Mhstik das<lb/> Gefühl für gesunde Kunstübung verloren hatte, dafür findet sich in Wasmanns<lb/> Biographie ein sehr lehrreicher Beleg. Als seine Stipendienzeit zu Ende ging,<lb/> und kurz nach seiner Konversion war Wasmann gerade mit der Vollendung<lb/> eines großen Genrebildes beschäftigt, „das für einen Konvertiten schlecht paßte,<lb/> nicht sowohl wegen des Gegenstandes als wegen der Auffassung, nämlich<lb/> viMLroli, die nach der Weinlese in einem Garten sich mit Tanz belustigen,<lb/> indem ich die Schönheit der antiken Körperformen in strenger Zeichnung auf<lb/> meine Kunst hinüberzutragen bemüht war, darüber im Kolorit zurückblieb und<lb/> unsicher zu Werke ging. Pater de la Croix — Wasmanns Beichtvater —,<lb/> als ihm das Stück zu Gesicht kam, fragte nach dem Preise, vielleicht in der<lb/> gutmütigen Absicht, mir den längern Aufenthalt in Rom zu ermöglichen; aber<lb/> Overbeck, dem ich es erzählte, wehrte aus allen Kräften, weil er die schleunige<lb/> Entfernung von Rom für das beste Mittel hielt, mich vor schlimmeren zu<lb/> bewahren. Einst begegnete ich ihm und sagte entzückt: »Wie schön ist der<lb/> italienische Himmel!« worauf er erwiderte: »Auch über Deutschland ist der<lb/> Himmel!«"</p><lb/> <p xml:id="ID_1727"> Anekdotische Berichte dieser Art, auf die sich Wasmann so gut verstand,<lb/> und die dem Buche eine so frische, persönliche Würze verleihen, sind geeignet,<lb/> uns das ganze Zeitbild der klassizistischen und romantischen Kunstübung und<lb/> ihre treibenden, seelischen Kräfte tiefer, gewissermaßen in einer anschaulichen<lb/> Formel einzuprägen, als lange theoretische Erörterungen. So sind auch die<lb/> Worte, in denen er seiner Sehnsucht nach innerm Frieden und nach einer<lb/> höhern religiösen Harmonie seines Daseins Ausdruck giebt, zu einer Schilderung<lb/> des begeisterten Schönheitskultus auf der einen Seite und der frommen,<lb/> schwärmerischen Abwendung von allem Irdischen und allem schönen Schein<lb/> geworden. Da sie außerdem Wasmanns reifen, an Goethe offenbar geschulten<lb/> Stil aufs beste kennzeichnen, seien sie in ihrem ganzen Wortlaute hier an¬<lb/> geführt.</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten U1 1899 <!<i</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0529]
Ein deutsches Kiinstlerleben
Schauer der Geisterwelt und des ewigen Weltgerichts an. Er stand un¬
beweglich wie eine Bildsäule, und niemand wagte, sich ihm zu nahen, ihn an¬
zureden und in seinen Phantasien zu stören." Zum Schlüsse seines römischen
Aufenthalts konnte Wasmann noch an dem Abschiedsfest zu Ehren des
Cornelius teilnehmen, bei dem auch Overbeck und Ingres, der Nachfolger
Vernets als Direktor der Pariser Akademie, zugegen waren. Gegen Ende der
Tafel trat Cornelius Tochter in den Saal, von den Anwesenden mit Jubel
begrüßt. Jugres flüsterte dem neben ihm sitzenden Overbeck echt französisch
zu: Lst-eilf llmriös? Als gelegentlich ein Rheinländer das bekannte parodistische
Trinklied „Als Noah aus dem Kasten war" deklamierte, entfernte sich Overbeck
sofort; als ihn Wasmann anderntags besuchte und fröhlich beim Malen traf,
bekannte er ihm, daß es ihm nicht leicht angekommen, fortzugehn beim Anblick
der schönen Torten, die im Vorzimmer für den Schmaus hergerichtet standen;
aber er könne unmöglich ertragen, die heiligsten Geheimnisse und Vorbilder
der Erlösung so jämmerlich parodiert zu hören.
In Overbeck verehrte Wasmann nicht nur den frommen, christlichen Maler,
sondern den „treuen, väterlichen Freund," der er ihm war. Als Wasmann
im vierten Jahre seines römischen Aufenthalts zur katholischen Kirche über¬
trat, war Overbeck sein Firmpate. Mit welchen feindlichen Blicken dieser aber
nicht nur die Antike, sondern anch jede wohlgeratene und heitere Sinnlichkeit
betrachtete, und bis zu welchem Grade er in Askese und frommer Mhstik das
Gefühl für gesunde Kunstübung verloren hatte, dafür findet sich in Wasmanns
Biographie ein sehr lehrreicher Beleg. Als seine Stipendienzeit zu Ende ging,
und kurz nach seiner Konversion war Wasmann gerade mit der Vollendung
eines großen Genrebildes beschäftigt, „das für einen Konvertiten schlecht paßte,
nicht sowohl wegen des Gegenstandes als wegen der Auffassung, nämlich
viMLroli, die nach der Weinlese in einem Garten sich mit Tanz belustigen,
indem ich die Schönheit der antiken Körperformen in strenger Zeichnung auf
meine Kunst hinüberzutragen bemüht war, darüber im Kolorit zurückblieb und
unsicher zu Werke ging. Pater de la Croix — Wasmanns Beichtvater —,
als ihm das Stück zu Gesicht kam, fragte nach dem Preise, vielleicht in der
gutmütigen Absicht, mir den längern Aufenthalt in Rom zu ermöglichen; aber
Overbeck, dem ich es erzählte, wehrte aus allen Kräften, weil er die schleunige
Entfernung von Rom für das beste Mittel hielt, mich vor schlimmeren zu
bewahren. Einst begegnete ich ihm und sagte entzückt: »Wie schön ist der
italienische Himmel!« worauf er erwiderte: »Auch über Deutschland ist der
Himmel!«"
Anekdotische Berichte dieser Art, auf die sich Wasmann so gut verstand,
und die dem Buche eine so frische, persönliche Würze verleihen, sind geeignet,
uns das ganze Zeitbild der klassizistischen und romantischen Kunstübung und
ihre treibenden, seelischen Kräfte tiefer, gewissermaßen in einer anschaulichen
Formel einzuprägen, als lange theoretische Erörterungen. So sind auch die
Worte, in denen er seiner Sehnsucht nach innerm Frieden und nach einer
höhern religiösen Harmonie seines Daseins Ausdruck giebt, zu einer Schilderung
des begeisterten Schönheitskultus auf der einen Seite und der frommen,
schwärmerischen Abwendung von allem Irdischen und allem schönen Schein
geworden. Da sie außerdem Wasmanns reifen, an Goethe offenbar geschulten
Stil aufs beste kennzeichnen, seien sie in ihrem ganzen Wortlaute hier an¬
geführt.
Grenzboten U1 1899 <!<i
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |