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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Briefe eines Zurückgekehrten

Da Hamburg noch ein elendes Nest war, als die Städte der eigentlichen
Hanse an der wendischen Küste von Lübeck bis Stralsund samt ihren östlichen
Ablegern ihre wirtschaftliche und politische Blütezeit hatten, die auch eine
Blütezeit der Kunst war, hat es keine Kirchenbauten, die sich mit Lübecks oder
Dauzigs Kleinodien messen könnten. Die Lübecker Marienkirche ist als Muster
für Kirchenbauten des vierzehnten Jahrhunderts bis Neval gedrungen, den
kurzen Weg an der Stecknitz hin zur Elbe hat sie offenbar schwerer gefunden.
Dazu ist dann noch der Brand gekommen, der denkwürdige Profanbauten ver¬
nichtet hat. Vom alten Hamburg stehn noch einige Reihen von Giebelhäusern
von echt niederdeutschen Charakter, aber viel nüchterner als was man sonst
im westlichen Niederdeutschland sieht. Hamburg hat in diesen Teilen weniger
Verwandtschaft mit Lüneburg, Hannover, Hildesheim, als mit den nieder¬
ländischen Städten, deren Vertreterin auf deutschem Boden das hochgieblige
kanalreiche Emden ist. Diesen alten niederländischen Städten ist eine im höchsten
Grade einfache und gleichförmige Bauart eigen, die sehr deutlich auf den demo¬
kratischen Charakter ihrer Bewohner hinweist. In Enkhuizen oder Hoorn ist
bei allen Spuren einstiger großer Blüte der Gemeinwesen kein einziges wahr¬
haft palastartiges Haus, auch die künstlerisch bedeutender" sind schmal und
nüchtern. Auch manche Straße in Amsterdam, Leiden u. s. f. trägt noch diesen
Charakter, wenn auch daneben Größeres und Eigentümlicheres entstanden
ist. Ich weiß nicht, ob sich die Geschichtsforschung schon dazu herabgelassen
hat, die Stammbüume der städtischen Wohnhäuser wieder herzustellen. Ver¬
mutlich würde sie eine interessante Abzweigung von den Niederlanden und dem
Scheldeland aus nach Südeuglaud hinüber auf der einen und an der Südküste
der Nordsee hin bis zur Elbe auf der andern Seite nachweisen können. Wer
durch Städte wie Harwich oder Aarmouth an der Ostküste wandert, findet
dort das niederländische Haus bis auf Thür, Schwelle und Fenster wieder
und im Innern eine übereinstimmende Anordnung der Räume. Eine starke
Einwanderung vom Südufer der Nordsee, die man flandrisch nennt, hat ja
hier stattgefunden.

Wer einen freien Nachmittag in Hamburg hat, sollte nach Lüneburg aus¬
fliegen. Wenn man in Hamburg die mächtigste Hansestadt kennen gelernt hat,
lohnt es sich, eine der verfallensten unter den einst blühenden zu sehen.
Welcher Unterschied zwischen dem stolzen, ja pompösen neuen Rathaus Ham¬
burgs und dem alten schadhaften Rathaus von Lüneburg. Es zeigt, so ma¬
lerisch es wirkt, den Ziegelbau von seiner Schattenseite. Auch die mit einem
schönen durchbrochnen Fassadenvorban, Galerie und Bogenpfeilern versehene
Nikolaikirche und die Johanniskirche mit ihrer schönen Flachornamentrosette
lassen erkennen, wie die Verwitterung der Rohziegelbauten einen kleinlichen,
ärmlichen Eindruck hervorbringt. Das aus grauschwarzen Glasurziegeln er¬
baute Haus in der Bardowiekerstraße mit Porträtmedaillons steht noch am


Briefe eines Zurückgekehrten

Da Hamburg noch ein elendes Nest war, als die Städte der eigentlichen
Hanse an der wendischen Küste von Lübeck bis Stralsund samt ihren östlichen
Ablegern ihre wirtschaftliche und politische Blütezeit hatten, die auch eine
Blütezeit der Kunst war, hat es keine Kirchenbauten, die sich mit Lübecks oder
Dauzigs Kleinodien messen könnten. Die Lübecker Marienkirche ist als Muster
für Kirchenbauten des vierzehnten Jahrhunderts bis Neval gedrungen, den
kurzen Weg an der Stecknitz hin zur Elbe hat sie offenbar schwerer gefunden.
Dazu ist dann noch der Brand gekommen, der denkwürdige Profanbauten ver¬
nichtet hat. Vom alten Hamburg stehn noch einige Reihen von Giebelhäusern
von echt niederdeutschen Charakter, aber viel nüchterner als was man sonst
im westlichen Niederdeutschland sieht. Hamburg hat in diesen Teilen weniger
Verwandtschaft mit Lüneburg, Hannover, Hildesheim, als mit den nieder¬
ländischen Städten, deren Vertreterin auf deutschem Boden das hochgieblige
kanalreiche Emden ist. Diesen alten niederländischen Städten ist eine im höchsten
Grade einfache und gleichförmige Bauart eigen, die sehr deutlich auf den demo¬
kratischen Charakter ihrer Bewohner hinweist. In Enkhuizen oder Hoorn ist
bei allen Spuren einstiger großer Blüte der Gemeinwesen kein einziges wahr¬
haft palastartiges Haus, auch die künstlerisch bedeutender» sind schmal und
nüchtern. Auch manche Straße in Amsterdam, Leiden u. s. f. trägt noch diesen
Charakter, wenn auch daneben Größeres und Eigentümlicheres entstanden
ist. Ich weiß nicht, ob sich die Geschichtsforschung schon dazu herabgelassen
hat, die Stammbüume der städtischen Wohnhäuser wieder herzustellen. Ver¬
mutlich würde sie eine interessante Abzweigung von den Niederlanden und dem
Scheldeland aus nach Südeuglaud hinüber auf der einen und an der Südküste
der Nordsee hin bis zur Elbe auf der andern Seite nachweisen können. Wer
durch Städte wie Harwich oder Aarmouth an der Ostküste wandert, findet
dort das niederländische Haus bis auf Thür, Schwelle und Fenster wieder
und im Innern eine übereinstimmende Anordnung der Räume. Eine starke
Einwanderung vom Südufer der Nordsee, die man flandrisch nennt, hat ja
hier stattgefunden.

Wer einen freien Nachmittag in Hamburg hat, sollte nach Lüneburg aus¬
fliegen. Wenn man in Hamburg die mächtigste Hansestadt kennen gelernt hat,
lohnt es sich, eine der verfallensten unter den einst blühenden zu sehen.
Welcher Unterschied zwischen dem stolzen, ja pompösen neuen Rathaus Ham¬
burgs und dem alten schadhaften Rathaus von Lüneburg. Es zeigt, so ma¬
lerisch es wirkt, den Ziegelbau von seiner Schattenseite. Auch die mit einem
schönen durchbrochnen Fassadenvorban, Galerie und Bogenpfeilern versehene
Nikolaikirche und die Johanniskirche mit ihrer schönen Flachornamentrosette
lassen erkennen, wie die Verwitterung der Rohziegelbauten einen kleinlichen,
ärmlichen Eindruck hervorbringt. Das aus grauschwarzen Glasurziegeln er¬
baute Haus in der Bardowiekerstraße mit Porträtmedaillons steht noch am


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[0519] Briefe eines Zurückgekehrten Da Hamburg noch ein elendes Nest war, als die Städte der eigentlichen Hanse an der wendischen Küste von Lübeck bis Stralsund samt ihren östlichen Ablegern ihre wirtschaftliche und politische Blütezeit hatten, die auch eine Blütezeit der Kunst war, hat es keine Kirchenbauten, die sich mit Lübecks oder Dauzigs Kleinodien messen könnten. Die Lübecker Marienkirche ist als Muster für Kirchenbauten des vierzehnten Jahrhunderts bis Neval gedrungen, den kurzen Weg an der Stecknitz hin zur Elbe hat sie offenbar schwerer gefunden. Dazu ist dann noch der Brand gekommen, der denkwürdige Profanbauten ver¬ nichtet hat. Vom alten Hamburg stehn noch einige Reihen von Giebelhäusern von echt niederdeutschen Charakter, aber viel nüchterner als was man sonst im westlichen Niederdeutschland sieht. Hamburg hat in diesen Teilen weniger Verwandtschaft mit Lüneburg, Hannover, Hildesheim, als mit den nieder¬ ländischen Städten, deren Vertreterin auf deutschem Boden das hochgieblige kanalreiche Emden ist. Diesen alten niederländischen Städten ist eine im höchsten Grade einfache und gleichförmige Bauart eigen, die sehr deutlich auf den demo¬ kratischen Charakter ihrer Bewohner hinweist. In Enkhuizen oder Hoorn ist bei allen Spuren einstiger großer Blüte der Gemeinwesen kein einziges wahr¬ haft palastartiges Haus, auch die künstlerisch bedeutender» sind schmal und nüchtern. Auch manche Straße in Amsterdam, Leiden u. s. f. trägt noch diesen Charakter, wenn auch daneben Größeres und Eigentümlicheres entstanden ist. Ich weiß nicht, ob sich die Geschichtsforschung schon dazu herabgelassen hat, die Stammbüume der städtischen Wohnhäuser wieder herzustellen. Ver¬ mutlich würde sie eine interessante Abzweigung von den Niederlanden und dem Scheldeland aus nach Südeuglaud hinüber auf der einen und an der Südküste der Nordsee hin bis zur Elbe auf der andern Seite nachweisen können. Wer durch Städte wie Harwich oder Aarmouth an der Ostküste wandert, findet dort das niederländische Haus bis auf Thür, Schwelle und Fenster wieder und im Innern eine übereinstimmende Anordnung der Räume. Eine starke Einwanderung vom Südufer der Nordsee, die man flandrisch nennt, hat ja hier stattgefunden. Wer einen freien Nachmittag in Hamburg hat, sollte nach Lüneburg aus¬ fliegen. Wenn man in Hamburg die mächtigste Hansestadt kennen gelernt hat, lohnt es sich, eine der verfallensten unter den einst blühenden zu sehen. Welcher Unterschied zwischen dem stolzen, ja pompösen neuen Rathaus Ham¬ burgs und dem alten schadhaften Rathaus von Lüneburg. Es zeigt, so ma¬ lerisch es wirkt, den Ziegelbau von seiner Schattenseite. Auch die mit einem schönen durchbrochnen Fassadenvorban, Galerie und Bogenpfeilern versehene Nikolaikirche und die Johanniskirche mit ihrer schönen Flachornamentrosette lassen erkennen, wie die Verwitterung der Rohziegelbauten einen kleinlichen, ärmlichen Eindruck hervorbringt. Das aus grauschwarzen Glasurziegeln er¬ baute Haus in der Bardowiekerstraße mit Porträtmedaillons steht noch am

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/519>, abgerufen am 15.01.2025.