Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Briefe eines Zurückgekehrten

festesten da. Lüneburg muß mein gesehen haben, um zu begreifen, wie Ham¬
burg und Bremen waren, als Deutschland als Seemacht und scehandeltreibendes
Land nichts mehr war und die alte Herrlichkeit buchstäblich in Stücke ging.

Ich habe immer gern die Beziehungen Hamburgs zum geistige" und künst¬
lerischen Deutschland verfolgt. Man könnte die Geschichte der geistigen Kultur
Englands schreiben, ohne Liverpool in irgend nennenswertem Maße zu berück¬
sichtigen. Bristol müßte schon eher genannt werden. Aber wer kann die Ge¬
schichte des deutschen Geists versteh:?, der nicht Hamburgs Stellung in der
Musik- und Theatergcschichte, Hagedorns, Klopstocks und Lessings Hamburger
Beziehungen kennt. Es hat Zeiten gegeben, wo Hamburgs Anteil an der
deutscheu Litteratur auf ein dünnes Büchlein zusammengeschnürten war,
dabei hat aber Hamburg in aller Stille wissenschaftliche Fortschritte gemacht,
die seinen staatlichen Sammlungen und Instituten eine der ersten Stellen
sichern, und hat sich einen Einfluß auf die Entwicklung der Malerei und
des Kunstgewerbes in Deutschland errungen. Auch sollten die Hamburger
Zeitungen nicht vergessen werden. Deutschland wartet noch immer des Welt¬
blatts, das kommen soll. Einstweilen finde ich, daß der Hamburger Korre¬
spondent und die Hamburger Nachrichten zu den am besten redigierten Zei¬
tungen Deutschlands gehören. Über den Nachrichten, die, gleich manchem
andern Blatt ihres Namens, einst das verbreitetste Haus- und Frühstückblatt,
wichtig vor allem durch seine Familiennachrichten, waren, leuchtet augenblicklich
noch der Schimmer Bismarckischer Mitarbeiterschaft. Ich glaube, daß die
solide Ofenwärme des Eingebürgertseins in den Hamburger Häusern besser
vorhalten wird als das schwankende Scheinwerferlicht von Friedrichsruh her.
Der Korrespondent hat Zeiten gehabt, wo er dem Charakter eines Welt¬
blatts näher kam als heute, so z. B. in der großen Zeit von 1870 und 1871.
Damals hatte, soviel ich weiß, kein andres deutsches Blatt so ausführliche und
gute Korrespondenzen aus Frankreich, wie dieses Hamburger. Es war wahr-
scheinlich das einzige, das ganz "echte" Korrespondenzen aus dem Bordeaux
der weltgeschichtlichen Abstimmung vom 1. März 1872 und aus dem belagerte"
Paris der Kommune hatte. Ein "gerissener" Hamburger, der die Korrespon¬
denzen aus Orten schrieb, wo damals kein Deutscher ungestraft, man mochte
sagen, unzerrissen verweilen konnte, hatte die ebenso geniale wie naheliegende
Idee, die seltenste aller Nationalitäten, die der Helgoländer, vorzuschützen, womit
er sogar bei Engländern Glück hatte, die ihm sein teutonisches Englisch ver¬
ziehen, als er sich als einer der seltensten Insulaner unter britischer Flagge
vorstellte.

Hamburgs Kunstsammlungen sind nach der kunstgewerblichen Seite hin
bedeutend. Das Kunstgewerbemuseum hat eine der allerschönsten japanischen
Sammlungen, die es in Europa giebt. Für Kenner enthalt sie i" manche"
Teile" Besseres als das einst über Verdienst gerühmte Londoner Kensington-


Briefe eines Zurückgekehrten

festesten da. Lüneburg muß mein gesehen haben, um zu begreifen, wie Ham¬
burg und Bremen waren, als Deutschland als Seemacht und scehandeltreibendes
Land nichts mehr war und die alte Herrlichkeit buchstäblich in Stücke ging.

Ich habe immer gern die Beziehungen Hamburgs zum geistige» und künst¬
lerischen Deutschland verfolgt. Man könnte die Geschichte der geistigen Kultur
Englands schreiben, ohne Liverpool in irgend nennenswertem Maße zu berück¬
sichtigen. Bristol müßte schon eher genannt werden. Aber wer kann die Ge¬
schichte des deutschen Geists versteh:?, der nicht Hamburgs Stellung in der
Musik- und Theatergcschichte, Hagedorns, Klopstocks und Lessings Hamburger
Beziehungen kennt. Es hat Zeiten gegeben, wo Hamburgs Anteil an der
deutscheu Litteratur auf ein dünnes Büchlein zusammengeschnürten war,
dabei hat aber Hamburg in aller Stille wissenschaftliche Fortschritte gemacht,
die seinen staatlichen Sammlungen und Instituten eine der ersten Stellen
sichern, und hat sich einen Einfluß auf die Entwicklung der Malerei und
des Kunstgewerbes in Deutschland errungen. Auch sollten die Hamburger
Zeitungen nicht vergessen werden. Deutschland wartet noch immer des Welt¬
blatts, das kommen soll. Einstweilen finde ich, daß der Hamburger Korre¬
spondent und die Hamburger Nachrichten zu den am besten redigierten Zei¬
tungen Deutschlands gehören. Über den Nachrichten, die, gleich manchem
andern Blatt ihres Namens, einst das verbreitetste Haus- und Frühstückblatt,
wichtig vor allem durch seine Familiennachrichten, waren, leuchtet augenblicklich
noch der Schimmer Bismarckischer Mitarbeiterschaft. Ich glaube, daß die
solide Ofenwärme des Eingebürgertseins in den Hamburger Häusern besser
vorhalten wird als das schwankende Scheinwerferlicht von Friedrichsruh her.
Der Korrespondent hat Zeiten gehabt, wo er dem Charakter eines Welt¬
blatts näher kam als heute, so z. B. in der großen Zeit von 1870 und 1871.
Damals hatte, soviel ich weiß, kein andres deutsches Blatt so ausführliche und
gute Korrespondenzen aus Frankreich, wie dieses Hamburger. Es war wahr-
scheinlich das einzige, das ganz „echte" Korrespondenzen aus dem Bordeaux
der weltgeschichtlichen Abstimmung vom 1. März 1872 und aus dem belagerte»
Paris der Kommune hatte. Ein „gerissener" Hamburger, der die Korrespon¬
denzen aus Orten schrieb, wo damals kein Deutscher ungestraft, man mochte
sagen, unzerrissen verweilen konnte, hatte die ebenso geniale wie naheliegende
Idee, die seltenste aller Nationalitäten, die der Helgoländer, vorzuschützen, womit
er sogar bei Engländern Glück hatte, die ihm sein teutonisches Englisch ver¬
ziehen, als er sich als einer der seltensten Insulaner unter britischer Flagge
vorstellte.

Hamburgs Kunstsammlungen sind nach der kunstgewerblichen Seite hin
bedeutend. Das Kunstgewerbemuseum hat eine der allerschönsten japanischen
Sammlungen, die es in Europa giebt. Für Kenner enthalt sie i» manche»
Teile» Besseres als das einst über Verdienst gerühmte Londoner Kensington-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0520" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/231690"/>
          <fw type="header" place="top"> Briefe eines Zurückgekehrten</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1699" prev="#ID_1698"> festesten da. Lüneburg muß mein gesehen haben, um zu begreifen, wie Ham¬<lb/>
burg und Bremen waren, als Deutschland als Seemacht und scehandeltreibendes<lb/>
Land nichts mehr war und die alte Herrlichkeit buchstäblich in Stücke ging.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1700"> Ich habe immer gern die Beziehungen Hamburgs zum geistige» und künst¬<lb/>
lerischen Deutschland verfolgt. Man könnte die Geschichte der geistigen Kultur<lb/>
Englands schreiben, ohne Liverpool in irgend nennenswertem Maße zu berück¬<lb/>
sichtigen. Bristol müßte schon eher genannt werden. Aber wer kann die Ge¬<lb/>
schichte des deutschen Geists versteh:?, der nicht Hamburgs Stellung in der<lb/>
Musik- und Theatergcschichte, Hagedorns, Klopstocks und Lessings Hamburger<lb/>
Beziehungen kennt. Es hat Zeiten gegeben, wo Hamburgs Anteil an der<lb/>
deutscheu Litteratur auf ein dünnes Büchlein zusammengeschnürten war,<lb/>
dabei hat aber Hamburg in aller Stille wissenschaftliche Fortschritte gemacht,<lb/>
die seinen staatlichen Sammlungen und Instituten eine der ersten Stellen<lb/>
sichern, und hat sich einen Einfluß auf die Entwicklung der Malerei und<lb/>
des Kunstgewerbes in Deutschland errungen. Auch sollten die Hamburger<lb/>
Zeitungen nicht vergessen werden. Deutschland wartet noch immer des Welt¬<lb/>
blatts, das kommen soll. Einstweilen finde ich, daß der Hamburger Korre¬<lb/>
spondent und die Hamburger Nachrichten zu den am besten redigierten Zei¬<lb/>
tungen Deutschlands gehören. Über den Nachrichten, die, gleich manchem<lb/>
andern Blatt ihres Namens, einst das verbreitetste Haus- und Frühstückblatt,<lb/>
wichtig vor allem durch seine Familiennachrichten, waren, leuchtet augenblicklich<lb/>
noch der Schimmer Bismarckischer Mitarbeiterschaft. Ich glaube, daß die<lb/>
solide Ofenwärme des Eingebürgertseins in den Hamburger Häusern besser<lb/>
vorhalten wird als das schwankende Scheinwerferlicht von Friedrichsruh her.<lb/>
Der Korrespondent hat Zeiten gehabt, wo er dem Charakter eines Welt¬<lb/>
blatts näher kam als heute, so z. B. in der großen Zeit von 1870 und 1871.<lb/>
Damals hatte, soviel ich weiß, kein andres deutsches Blatt so ausführliche und<lb/>
gute Korrespondenzen aus Frankreich, wie dieses Hamburger. Es war wahr-<lb/>
scheinlich das einzige, das ganz &#x201E;echte" Korrespondenzen aus dem Bordeaux<lb/>
der weltgeschichtlichen Abstimmung vom 1. März 1872 und aus dem belagerte»<lb/>
Paris der Kommune hatte. Ein &#x201E;gerissener" Hamburger, der die Korrespon¬<lb/>
denzen aus Orten schrieb, wo damals kein Deutscher ungestraft, man mochte<lb/>
sagen, unzerrissen verweilen konnte, hatte die ebenso geniale wie naheliegende<lb/>
Idee, die seltenste aller Nationalitäten, die der Helgoländer, vorzuschützen, womit<lb/>
er sogar bei Engländern Glück hatte, die ihm sein teutonisches Englisch ver¬<lb/>
ziehen, als er sich als einer der seltensten Insulaner unter britischer Flagge<lb/>
vorstellte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1701" next="#ID_1702"> Hamburgs Kunstsammlungen sind nach der kunstgewerblichen Seite hin<lb/>
bedeutend. Das Kunstgewerbemuseum hat eine der allerschönsten japanischen<lb/>
Sammlungen, die es in Europa giebt. Für Kenner enthalt sie i» manche»<lb/>
Teile» Besseres als das einst über Verdienst gerühmte Londoner Kensington-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0520] Briefe eines Zurückgekehrten festesten da. Lüneburg muß mein gesehen haben, um zu begreifen, wie Ham¬ burg und Bremen waren, als Deutschland als Seemacht und scehandeltreibendes Land nichts mehr war und die alte Herrlichkeit buchstäblich in Stücke ging. Ich habe immer gern die Beziehungen Hamburgs zum geistige» und künst¬ lerischen Deutschland verfolgt. Man könnte die Geschichte der geistigen Kultur Englands schreiben, ohne Liverpool in irgend nennenswertem Maße zu berück¬ sichtigen. Bristol müßte schon eher genannt werden. Aber wer kann die Ge¬ schichte des deutschen Geists versteh:?, der nicht Hamburgs Stellung in der Musik- und Theatergcschichte, Hagedorns, Klopstocks und Lessings Hamburger Beziehungen kennt. Es hat Zeiten gegeben, wo Hamburgs Anteil an der deutscheu Litteratur auf ein dünnes Büchlein zusammengeschnürten war, dabei hat aber Hamburg in aller Stille wissenschaftliche Fortschritte gemacht, die seinen staatlichen Sammlungen und Instituten eine der ersten Stellen sichern, und hat sich einen Einfluß auf die Entwicklung der Malerei und des Kunstgewerbes in Deutschland errungen. Auch sollten die Hamburger Zeitungen nicht vergessen werden. Deutschland wartet noch immer des Welt¬ blatts, das kommen soll. Einstweilen finde ich, daß der Hamburger Korre¬ spondent und die Hamburger Nachrichten zu den am besten redigierten Zei¬ tungen Deutschlands gehören. Über den Nachrichten, die, gleich manchem andern Blatt ihres Namens, einst das verbreitetste Haus- und Frühstückblatt, wichtig vor allem durch seine Familiennachrichten, waren, leuchtet augenblicklich noch der Schimmer Bismarckischer Mitarbeiterschaft. Ich glaube, daß die solide Ofenwärme des Eingebürgertseins in den Hamburger Häusern besser vorhalten wird als das schwankende Scheinwerferlicht von Friedrichsruh her. Der Korrespondent hat Zeiten gehabt, wo er dem Charakter eines Welt¬ blatts näher kam als heute, so z. B. in der großen Zeit von 1870 und 1871. Damals hatte, soviel ich weiß, kein andres deutsches Blatt so ausführliche und gute Korrespondenzen aus Frankreich, wie dieses Hamburger. Es war wahr- scheinlich das einzige, das ganz „echte" Korrespondenzen aus dem Bordeaux der weltgeschichtlichen Abstimmung vom 1. März 1872 und aus dem belagerte» Paris der Kommune hatte. Ein „gerissener" Hamburger, der die Korrespon¬ denzen aus Orten schrieb, wo damals kein Deutscher ungestraft, man mochte sagen, unzerrissen verweilen konnte, hatte die ebenso geniale wie naheliegende Idee, die seltenste aller Nationalitäten, die der Helgoländer, vorzuschützen, womit er sogar bei Engländern Glück hatte, die ihm sein teutonisches Englisch ver¬ ziehen, als er sich als einer der seltensten Insulaner unter britischer Flagge vorstellte. Hamburgs Kunstsammlungen sind nach der kunstgewerblichen Seite hin bedeutend. Das Kunstgewerbemuseum hat eine der allerschönsten japanischen Sammlungen, die es in Europa giebt. Für Kenner enthalt sie i» manche» Teile» Besseres als das einst über Verdienst gerühmte Londoner Kensington-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/520
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/520>, abgerufen am 15.01.2025.